Macht kaputt, was Euch kaputt macht |
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Gefährliches Spiel mit dem Feuer | ||
(Foto: Christine Schroeder / NDR) |
»From the hands it came down
From the side it came down
From the feet it came down
And ran to the ground«
Johnny Cash – Redemption»Veit wusste, wann man sich an die Regeln halten musste, und wann nicht.«
Aus: »Sabine« von Stefan Schaller
Sabine weiß nicht, was sie tut. Obwohl, eigentlich weiß sie es ganz genau. Sie weiß, was sie eigentlich tun sollte, aber noch hindert sie das, was wir ihr »Gewissen« nennen. Und zugleich treibt es sie an. Ein Gefühl für Ungerechtigkeit und ein unerbittlicher Schmerz. Sie weiß, was gerecht ist, aber das Gewissen sagt: Das Gerechte ist ungerecht. Das Über-Ich und das Es kämpft mit dem Ich, und all das sieht man auf Luise Heyers Gesicht. Es geht hin und her in Sabine, die Pistole sitzt am Kinn kurz vor dem Abdrücken, und sie selbst kann es nicht fassen, dass sie das nicht geschafft hat. Und dann, während sie verstört eher vor sich wegläuft als irgendwohin, mit der Pistole in der Hand durch die Plattenbausiedlung, dann weiß sie plötzlich, was sie tun muss. Sie geht runter, läuft ihm hinterher, sieht den Typen vor sich, der unter ihr wohnt und der seine Frau regelmäßig zusammenschlägt, und sie weiß, wenn jetzt auf einmal die Kugel den Lauf verlässt, sie es einmal schafft, ihre unglaubliche Wut loszuwerden, dann trifft es keinen Falschen.
Vorher saß sie in der Küche, dachte nach. Sie wusste: Es hat alles keinen Sinn mehr. Sie wusste, der Weg wird immer weiter bergab führen, er wird sie in den Abgrund reißen, und mir ihr ihren Sohn, sie kann ihn nicht retten, keine Chance.
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Es ging los mit der Werksschließung. In Rostock. Zum x-ten-Mal ein Konzern, der nur an die Rendite denkt, nicht an die Menschen. Verpflichtungen, die nicht eingehalten werden. In den Nachrichten heißt es: »Im Gegenzug hatten die 800 Angestellten Gehaltskürzungen und höhere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich in Kauf genommen.« Sabine ist eine von ihnen.
Die Ungerechtigkeiten häufen sich. Das Arbeitsamt weist sie zurück. Die Bank, obwohl dort ein Schulfreund arbeitet. In der
Schule des Sohnes hört die alleinerziehende Mutter auf die Frage, warum ihr Sohn keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommt, Klartext: »Wer hilft Jonas beim Lernen? In Mathe, Physik, Chemie? Wer hilft ihm, den Druck auszuhalten, der dann bis zur siebten Klasse immer weiter anziehen wird? Weil aussortiert wird, wer den langen Weg bis zum Uni Abschluss schaffen wird, und wer eben nicht.«
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Wenn man schon mal die Mutter von Hape Kerkeling gewesen ist, dann kann einem nicht mehr viel passieren. Diese Mutterrolle in dem Film Der Junge muss an die frische Luft bietet schon einen der vielen Schlüssel zu diesem erstaunlichen Film aus der Reihe »Polizeiruf 110«, den wir alle jetzt noch in der ARD-Mediathek nachholen können. Denn auch hier ist eine Mutter in gewissem Sinn überfordert und ihr Sohn ihr in gewissem Sinn überlegen, aber hier findet die Mutter einen Weg zurück ins Leben, und nutzt die eine Chance, nicht nur ihre Würde zu wahren, sondern in gewissem Sinn frei zu bleiben und zu handeln.
Luise Heyer spielt diese Mutter. Und sie hält genau die Mitte. Sie gibt ihrer Verzweiflung eine Schönheit und Intensität, sie zeigt wie aus Fassungslosigkeit Wut erwächst und die Wut zur Tatkraft wird, und die Aussichtslosigkeit einen kaltblütig macht.
Kein bisschen Fanatismus ist in dieser Figur. Auch keine selbst zurechtgezimmerte Moral. Um Moral geht es Sabine nicht, um Gerechtigkeit schon, und zu zeigen, dass das kein Widerspruch ist, sondern konsequentes Verhalten,
ist Luise Heyers große Leistung.
Luise Heyers Sabine wird vier Leute töten, zum Teil zufällig, zum Teil genau die, die sie töten will. Und sie alle haben es in gewissem Sinn verdient.
Sabine ist keine »Amokläuferin«, wie die »Bild«-Zeitung schreibt, selbst verzweifelnd sich um den Skandal herumdrückend, den dieser Film für die bürgerliche Moral des »Du sollst nicht töten« und »Jedes Leben zählt« darstellt. Denn dieser Film sagt: Nicht jedes Leben zählt gleich. Und manchmal kann das Töten gerecht sein.
Dieser Film spielt mit der klammheimlichen Freude an der Gewalt. Er spielt mit der Zustimmung zu dieser Figur, die eine kaltblütige Mörderin ist. Das macht seine Stärke aus.
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Regisseur Stefan Schaller hat mit seinem Film 5 Jahre Leben über den deutsch-türkischen Staatsbürger und Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz gezeigt, dass er radikale Filme machen kann, dass er mindestens inhaltlich radikales Kino machen will, dass er die übliche Glätte deutschen Filmschaffens zu vermeiden versteht und die schlechte Geschmeidigkeit des mittleren Realismus im deutschen Film verachtet.
Schaller blickt nicht weg, er zeigt auch hier Hässlichkeit und Elend und Not und Leiden sehr direkt, aber nie so, dass der Zuschauer zu irgendetwas erzogen wird. Dass er »hingucken muss«, »mitleiden muss«, »verzweifeln muss«. Das ist kein Film des Müssens, hier wird nichts forciert – darum geschieht um so mehr.
»Sabine« ist ein ARD-Polizeiruf, aber er wäre auch hervorragendes Kino.
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Ein interessanter Eintrag findet sich auf der Wikipedia-Seite zu »Sabine« von heute. Dort heißt es: »Die Erstausstrahlung erfolgte am 14. März 2021 im Ersten, wobei der dramatische Schluss durch die minutenlange Einblendung einer angeblichen ›Eilmeldung‹ der ARD entstellt wurde, bei der es sich jedoch lediglich um einen Programmhinweis in eigener Sache auf die nachfolgenden Tagesthemen handelte.«
Tatsächlich war es so verstörend wie ärgerlich, mitten im Showdown, als Sabine gerade die Kommissare zu erschießen und sich selbst zu verbrennen droht, zu erleben, dass die ARD banale Prozent-Updates zu den längst entschiedenen Landtagswahlen als »Eilmeldung« in den Film hineinbrezeln lässt.
Hier muss man beinahe an Absicht glauben – ih ih ih, Verschwörungstheorie! -: Hat die ARD vielleicht im letzten Moment doch Angst bekommen? Hat sie gemerkt, was sie hier tatsächlich tut: Der Spießer-Moral und dem wohltemperierten Gefühlsmanagement des deutschen Fernsehens einen Schlag ins Gesicht versetzen. Mit dem Baseball-Schläger.
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Dies ist ein unangenehmer Film. Weil er einem die eigene Doppelmoral klarmacht, auch da, wo wir mit Sabine mitgehen. Weil er Manager und Kreditberater und sozialdemokratische Betriebsräte von ihrer realistischen, also extrem unsympathischen Seite zeigt. Sie sind alle Menschen. Sabine aber auch. Und weil er zeigt, wie die Medien, also das den Film ausstrahlende Fernsehen bei allem mitspielen: Beim Stellenabbau, beim Bankenrettungspaket, beim Corona-Bekämpfen.
Am Schluss sieht Jonas, der neunjährige Sohn von Sabine die ARD-Nachrichten. Dann nimmt er den Hammer und haut den Fernseher kaputt.