Der ewige Krieg |
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Ein Bett, zwei Welten (Max Hubacher als Johann und Annina Walt als Klara) | ||
(Foto: ARTE) |
Von Axel Timo Purr
Über die Fluchtrouten, die sogenannten »Rattenlinien«, einflussreicher Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es erst seit wenigen Jahren zunehmend Dokumentationen, die vor allem die Rolle des Vatikans und des US-amerikanischen Geheimdienstes thematisieren. Doch dass für die Route nach Argentinien auch die Schweiz eine wichtige, vor allem finanzielle »Drehscheibe« war, ist weniger bekannt.
Umso wichtiger ist deshalb Petra Volpes und Michael Schaerers Ansatz, die moralische und historische Dunkelheit dieses Phänomens mit einer fiktiven, auf historischen Tatsachen beruhenden Geschichte zu erhellen. Volpe, die für die Idee und das Drehbuch verantwortlich ist, hat bereits mit ihrem Drehbuch für Alain Gsponers Heidi, aber mehr noch mit dem Drehbuch und der Regie ihrer hervorragenden feministischen Abrechnung mit dem späten Frauenwahlrecht in der Schweiz, Die göttliche Ordnung, gezeigt, wie konsequent kritisch und erzählerisch souverän sie mit gesellschaftskritischen und historischen Stoffen arbeiten kann. Unter der Zusammenarbeit mit Schaerer, der Regie geführt hat, ist eine dementsprechend dichte und kritische Mini-Serie von sechs Folgen entstanden, die weit über eine Beschreibung des damaligen Zeitkolorits hinausreicht.
Das liegt vor allem daran, dass Volpe sich dafür entschieden hat, einen weiteren historisch belegten Erzählstrang zu integrieren. Denn neben mehr oder wenig verkappt und von Schweizer Eidgenossen gedeckten, in der Schweiz lebenden und ihre Zukunft in Argentinien planenden Nazi-Größen versuchte die Schweiz gleich nach dem Krieg ihr etwas ramponiertes, nur vermeintlich »neutrales« Image etwas aufzubessern, indem sie überlebende Kinder aus dem KZ Buchenwald für einige Monate zur »Kur« aufnahm, solange bis über ihre Zukunft entschieden war. Diese Aktion wurde von einer professionellen Image-Kampagne begleitet, die in krassem Gegensatz zu der nur wenige Kilometer entfernten Parallelwelt mondäner Finanztransaktionen geflohenen NS-Personals stand.
Volpe illustriert diesen moralischen Grabenbruch über die zwei sich nahestehende Brüder Johann (Max Hubacher) und Egon (Dimitri Stapfer). Johann ist es nicht nur gelungen, die Leitung einer alteingesessenen Tuchmanufaktur zu übernehmen, sondern auch Klara (Annina Walt), die Tochter des alten Prinzipals der Fabrik, zu heiraten und damit in höchste gesellschaftliche Kreise vorzudringen. Da die Fabrik jedoch die kriegsbedingten Regierungsaufträge verloren hat, muss Johann sich entscheiden, ob er mit deutschem Geld und deutschem Nazi-Know-How auf illegalem Weg die Manufaktur retten soll. Erschwert wird ihm diese Entscheidung nicht nur durch die moralisch integre Klara, die als Lehrerin die Buchenwald-Kinder betreut, sondern auch seinen Bruder, der auf amerikanisches Drängen für die Schweizer Bundesanwaltschaft nach untergetauchten Nazis fahndet. Damit versucht Egon allerdings auch, seine eigenen Traumata zu bewältigen, hat er doch während der Kriegsjahre als Grenzsoldat eine nur schwer tragbare Schuld auf sich geladen.
Volpe und Schaerer zeichnen diesen Bruderzwist in eindringlichen, auch schauspielerisch überzeugenden Bildern nach, ohne dabei die notwendigen historischen und menschlichen Hintergründe der Buchenwald-Kinder zu vergessen, die über eine Liebesgeschichte zwischen Klara und dem erwachsenen »Kind« Herschel (Jan Hrynkiewiecz) gezielt und sinnvoll dramatisiert werden. Ohne dabei jedoch ins Melodram zu kippen, was nicht nur erzählerisch, sondern auch über die behutsame Kamera von Christian Marohls vermieden wird, die sich immer wieder aus Momenten des Gefühlswirrwarrs in eine beobachtende Deckenposition zurückzieht und die Menschen damit zum Teil eines größeren, klärenden Prozesses macht.
Wie sehr Volpe und Schaerer gerade an diesen »Prozessen« liegt, zeigt das äußerst gelungene Ende, das Frieden alles andere als versöhnlich enden lässt. Zwar gibt es bei aller Trauer auch die kleinen, immens wichtigen Siege im Privaten, doch das große Ganze, das Amoralische des Systems bleibt letztendlich unangetastet. Gleichzeitig zeigt Frieden aber auch, wie schwer es ist, diese »Amoralität« in ihrer dezidierten Ambiguität auszumerzen, hat auch sie doch auch ihr unzweifelhaft »Gutes«, rettet sie in diesem Fall nicht nur Arbeitsplätze, sondern gibt sogar Raum für arbeitsrechtliche Reformen.
Frieden geht damit noch einen Schritt weiter als gemeinhin üblich und entreißt die Geschichte ihrem historischen Korsett. Denn was ja schon in den ersten Folgen durch die Parallelwelten von Tätern und Opfern angedeutet wird, eine Situation, die sich bei der Betrachtung von heutigen migrantischen, globalisierten Verhältnissen verblüffend ähnlich aufdrängt, betonen Volpe und Schaerer noch einmal mit ihrem fatalistischen Ende. Trägt damals wie heute der amoralische Impetus von Politik und Wirtschaft auch deshalb den Sieg davon, weil ein Wolf im Schafspelz so schwer zu jagen und erst recht zu verurteilen ist. Ist die vielbeschworene Schweizer »Neutralität« damals wie heute eine gut gepflegte Chimäre – man denke nur an die Schweizer Volksabstimmung Ende letzten Jahres, in der sich eine Mehrheit dafür entschied, dass Schweizer Firmen auch künftig nicht in der Schweiz für Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen im Ausland haftbar gemacht werden können.
Frieden ist vom 18. März bis 25. April 2021 auf der ARTE Mediathek abrufbar gewesen und wurde am 25. März 2021 ab 21.10 Uhr (Folgen 1-3) und am 1. April 2021 ab 21.15 Uhr (Folgen 4-6) auf arte TV ausgestrahlt. Seit 2023 ist die Mini-Serie auf Disney+ im Abo und auf Apple TV abrufbar.