»...dann kannst du alle töten« |
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Machtspiele um die Ermordung eines Journalisten | ||
(Foto: Amazon Prime) |
»Eine nicht mittelbare Funktion der Gewalt, wie sie hier in Frage steht, zeigt schon die tägliche Lebenserfahrung.
Was den Menschen angeht, so führt ihn zum Beispiel der Zorn zu den sichtbarsten Ausbrüchen von Gewalt, die sich nicht als Mittel auf einen vorgesetzten Zweck bezieht. Sie ist nicht Mittel, sondern Manifestation.«
Walter Benjamin, »Zur Kritik der Gewalt«
Es war eine aufsehenerregend brutale Bluttat: Der Mord an dem saudi-arabischen Journalisten und Regimekritiker Jamal Khashoggi in der Botschaft Saudi-Arabiens in Istanbul vor zweieinhalb Jahren. Aber was steckte wirklich dahinter? Und wer war jener Jamal Khashoggi? Dieser Fragen hat sich jetzt Oscarpreisträger Bryan Fogel in seinem neuen Dokumentarfilm angenommen: The Dissident erforscht, was genau mit dem Journalisten geschah und wer seine Ermordung angeordnet haben könnte. Seine Leiche wurde nie geborgen und der saudische Kronprinz hat jede Beteiligung bestritten.
Eine der wichtigsten Gewährspersonen ist Hatice Cengiz, die Verlobte und jetzt Hinterbliebene von Khashoggi. Dessen Leben und Tod stehen im Zentrum des Films.
Kashoggi, Staatsbürger Saudi-Arabiens, begann seine Karriere als Journalist. Mitte der 1980er Jahre wurde er so etwas wie ein Insider, mit engen, privilegierten Beziehungen zum Hof der saudischen Monarchie. Doch allmählich wuchs seine Distanz zu dem autoritären, brutalen Herrscherhaus; der Günstling wurde zum Whistleblower und scharfen Kritiker an der Regierung seines Landes – insbesondere seit dem Aufstieg des Kronprinzen Mohammed Bin Salman, »MBS« wie wir Araberflüsterer sagen. MBS ist ein Mann, der sich gern als fortschrittlicher und dem Westen zugewandter Modernisierer darstellt: Kinos, Konzerte, sogar Frauen am Steuer. Tatsächlich aber tritt dieser ruchlose absolutistische Herrscher Freiheit und Menschenrechte seiner Untertanen mit Füßen, sobald sie seine Kreise und Interessen stören. Erst solcher gefallenen Engel wie Khashoggi.
Der aber nahm sich seine Redefreiheit, und siedelte 2017 in die Vereinigten Staaten über. Dort begann er sogleich für die »Washington Post« zu schreiben.
Vor allem aber entdeckte er die digitalen Medien als hervorragendes Mittel, um eine diktatorische Regierung zu bekämpfen. Vor allem Twitter wird von vielen Saudis genutzt und ist unkontrollierbar ― nur mit Hilfe einer Armee von bezahlten Gegenbloggern versucht sich das Regime zu wehren.
Schnell wurde Khashoggi so zu einem der wichtigsten Dissidenten Saudi-Arabiens. Unbequem für das Regime, das Kritik so gar nicht gewohnt war. Meinungsfreiheit und Widerspruch sind in Saudi-Arabien ungewollt.
Es gab Einschüchterung. Es gab Drohbriefe. Es gab Hackerangriffe. Am 2. Oktober 2018 betrat Jamal Khashoggi dann das saudi-arabische Konsulat in Istanbul, um dort ein Dokument zu erhalten. Im Nachhinein kann man sich fragen, warum er da eigentlich hineinging? Wie er so wahnsinnig oder so naiv oder so arrogant sein konnte zu glauben, dass ihm nichts passieren würde? Im Ergebnis sind derartige Vermutungen einerlei. Denn Khashoggi verließ den Ort nie wieder. Sondern er wurde gefoltert und qualvoll ermordet, später zerstückelt – all das vermutlich auf Geheiß des Kronprinzen.
»Es ist denkbar, dass man alles, was vor sich ging, beobachtet hat, und sogar Anweisung gegeben worden«, resümiert ein türkischer Ermittler. Die Saudis leugneten zwar, verzögerten und vertuschten so lange sie konnten, mussten aber schließlich zugeben, dass Khashoggi auf dem Gelände gestorben war. Doch der türkische Staatsanwalt hat Beweise: »Heute kann ich sagen, dass die Tötung von Jamal Khashoggi geplant war.«
Der Film des Oscar-Preisträgers Bryan Fogel rekonstruiert diesen geplanten Mord. Er rekonstruiert aber auch das Leben vor der Tat. Die Persönlichkeit des Opfers, ein Leben, das der Verbesserung menschlicher Verhältnissen gewidmet war, das Autoritäten herausforderte.
The Dissident ist auch eine Heldengeschichte. Mit mehreren Hauptfiguren.
Einer von ihnen ist Omar Abdulaziz, ein junger saudischer Dissident, Video-Blogger und Aktivist, der im Exil in Montreal lebt. Fogels Film beginnt mit Abdulaziz, der zugibt, dass er sich für das, was mit Khashoggi passiert ist, verantwortlich fühlt. Bis zum Ende des Films ist nicht klar, warum das so ist, eine Herangehensweise, die Fogels Film ein Gefühl von Dringlichkeit und Dynamik verleiht: »Er musste auf diese Art und Weise umgebracht werden: als Botschaft für alle anderen. Wenn du einen Jamal mit seinem Status umbringst, wen kannst du nicht töten? Dann kannst du alle anderen töten.«
Die Rekonstruktion geschieht dann mit Hilfe vieler kleiner Indizien. Vor allem die ausgiebigen Protokolle des türkischen Geheimdienstes, die die saudi-arabische Botschaft verwanzt hatten, machen das Schreckliche, für das es keine Bilder gibt, vorstellbar. Inklusive aller absurden praktischen Details: »Ist es möglich, den Rumpf in eine Tasche zu packen?« Eine Knochensäge für den Rest hatten sie dabei.
Und da stellt sich erstmals Irritation ein: Regisseur Vogel inszeniert die Vertreter der alles andere als unabhängigen türkischen Justiz als Verteidiger der Menschenrechte, die lupenreinen Erdogan-Demokraten als Aufklärer.
Weiß er nicht von den Interessen der Türkei in Bezug auf Saudi-Arabien? Über den anti-demokratischen Muslimbruder in Ankara und sein Verhältnis zum »Wächter der heiligen Stätten«?
Da wir in diesen Tagen ja besonders gern über die Ethik von Dokumentarfilmen sprechen, gibt es allerdings noch einen Punkt, an dem auch The Dissident uns zum zweiten Nachdenken und zum Innehalten zwing: Denn dieser Dokumentarfilmer ist kein unabhängiger Berichterstatter. Er ist ein Aktivist, der ein Staatsverbrechen nicht nur belegen und die Täter anklagen möchte, sondern der sich auch mit Cengiz, der Verlobten des Opfers, soweit gemein macht, dass er sie nicht allein mit seiner Kamera begleitet, sondern ihr auch dabei hilft, Termine zu machen und mit den richtigen Leuten überhaupt in Kontakt zu kommen. Erst mit Hilfe des Oscar-Preisträgers Vogel gelang es Cengiz, vor dem EU-Parlament sprechen zu können, bei den Vereinten Nationen und im US-Senat.
Man kann das sympathisch finden, weil es ja ein Eintreten für die richtige Sache ist. Man muss aber konstatieren: Hier erschafft ein Dokumentarfilmer erst die Realität, die er dann behauptet abzubilden. Alles, was man hier sieht, sieht man nicht nur um der guten Sache willen, sondern es geschieht um der guten Bilder willen.
The Dissident läuft bei Amazon prime