38. Filmfest München 2021
»Das Leckere bei einem Sandwich ist immer in der Mitte« |
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Das Leckere in der Mitte flutscht mit Schmackes raus |
Von Dunja Bialas
Das Filmfest München ist im zweiten Corona-Jahr nicht zu beneiden, im Gegenteil. Während dieser Text hier entsteht, gießt es aus Kübeln, bei herbstlichen 16 Grad. Das alles könnte wunderbares Kino- und Festivalwetter sein, hätte das Filmfest nicht im März entschieden: Wir machen Open Air! Die Wiedereröffnung der Kinos im Sommer war zwar damals schon wahrscheinlich, die Bayerische Staatsregierung als einer der Filmfest-Gesellschafter drückte sich aber um Eröffnungsstufenpläne, sehr zu Schaden der Kultur. Aber nicht allein das Zögern von Ministerpräsident Markus Söder ist schuld, warum das Filmfest München dieses Jahr ins Open Air geht. So gab es letztes Jahr eine Filmfest-Sonderausgabe, die im »Pop-up Autokino« stattfand, obgleich die Kinos längst geöffnet waren. Dasselbe Start-up veranstaltet dieses Jahr das »Pop-up Sommerkino powered by M-Net im Hof der HFF«. Der Open-Air-Space, der sich den langen Namen hoffentlich mit Geld aufwiegen lässt, ist das Herzstück der diesjährigen Freiluft-Ausgabe des Filmfest München, und bereits letztes Jahr wurde euphorisch angekündigt, es auch diesmal anders zu machen – das Filmfest München möchte nun mal Event sein. Und was ist da aufregender, als sich mit jungen Start-ups zusammenzutun, aus den Kinos herauszugehen und »live in der ganzen Stadt« – so der diesjährige Filmfest-Claim – zu spielen?
Leider scheint sich die Freiluft-Ausgabe in eine Frischluft-Ausgabe zu wandeln. Auf der Website jubelt man noch. »Und wie schön: Man kann diesen Film jetzt an der frischen Luft auf großer Leinwand genießen!«, heißt es über den brasilianischen Pandemie-Film A nuvem rosa. Hoffen wir, dass es nicht zu frisch wird, an der frischen Luft.
Mit der Entscheidung, auf eine Open-Air-Ausgabe zu setzen, ist das Filmfest nicht allein. So fand das »Sommer Special« der Berlinale ausschließlich als Open Air statt, während das Filmfest wenigstens in einer Nachmittagsschiene in die Kinos geht. »Kino« ist bei beiden Festivals aber wohl eher als Chiffre für »gemeinsam gucken« und »auf der großen Leinwand« zu verstehen, nicht als gebaute Kulturorte, die von Fachleuten betrieben werden. Letztere werden vom Filmfest München jetzt als »Indoor-Kinos« bezeichnet. Man lernt nie aus.
Es war erklärtes Ziel, die »Partnerkinos« auch im Corona-Jahr 2021 zu integrieren, so Geschäftsführerin Diana Iljine. Das klingt erst einmal fair. Mitspielen durften allerdings nur Säle, die auch unter Corona-Bedingungen (also um die 30 Prozent Auslastung) mindestens 100 Plätze vorweisen können, um »ein gemeinsames Kinoerlebnis zu bieten und Festivalatmosphäre zu ermöglichen«, wie es auf Nachfrage heißt. Anfragen für weniger publikumsstarke Säle blieben liegen, obgleich im Gegenteil eine Vielzahl an Spielorten und –terminen sinnvoll erschienen wäre, um den Corona-Restriktionen zu begegnen. Nun verteilen sich die Vorstellungen auf eine einzige Schiene um 17 Uhr. Unter den Spielorten sind das Astor im Arri, das City, das Rio (v.a. Kinderfilmfest), das Filmtheater Sendlinger Tor und das Gloria – und noch nicht einmal alle sieben Veranstaltungsorte sind »gelernte« (Filmfest-Sprech) Kinos, wie das staatliche Amerikahaus oder der städtische Carl-Orff-Saal. Am Abend gibt es dann Open Air an verschiedenen Orten, darunter das »Kino am Olympiasee«, im Westpark »Kino, Mond & Sterne«, aber auch im Maffeihof in der noblen Shopping-Mall »Fünf Höfe«, fast direkt vor der Nase des Theatiner-Kinos. Man könnte auch unkommerzielle Off-Spaces, wie den »Bahnwärter Thiel« oder das »Sugar Mountain«, das etwas abgeschlagen in Obersendling liegt, am Abend aufsuchen. Alle Open Airs finden erst bei Anbruch der Dunkelheit statt, sprich: gleichzeitig. »Es ist also problemlos möglich, zwei Filme an einem Tag zu sehen«, verlautbart lapidar das Filmfest. Festival fühlte sich früher irgendwie anders an.
Fragen kommen auf. Geht es dem Filmfest München noch um die Filme? Will das Filmfest noch Kultur und Festival sein? Oder lieber doch Branchentreff und PR-Plattform? Schon in seiner Gründerzeit in den frühen Achtzigerjahren sollte das neue Filmfest für Glamour in der Stadt sorgen, unter Leitung des einstigen Modemesse-Chefs Alfred Wurm. Als Diana Iljine 2011 zum Filmfest kam, hieß es, sie werde wieder mehr Glamour bringen als ihr spröder Vorgänger Andreas Ströhl. 2018 grätschte Ministerpräsident Söder in ein fachkundiges Kuratorenteam hinein, das u.a. mit Bernhard Karl und Florian Borchmeyer wichtige Filme des Weltkinos programmierte, und lancierte die Idee, das Filmfest solle der Berlinale den Rang ablaufen. »Berlin ist schön, München ist schöner«, tönte er und versprach drei Millionen Euro Etat-Aufstockung. Dieses Versprechen hatte er jedoch ohne Rücksprache mit einem der anderen Filmfest-Gesellschafter, der Landeshauptstadt München, gemacht, die am Ende die Gefolgschaft verweigerte. Von den Steuergeldern hätte jährlich ein temporäres Festivalzentrum am Königsplatz finanziert werden sollen, das erschien wenig nachhaltig. Aber auch alle anderen Söder-Visionen fürs Filmfest, ob Virtual Cinema, Gaming, oder gar Influencer-Festival, blieben (zum Glück) eine Luftnummer.
Dieses kurze Söder-Gastspiel hat dennoch Wirkung gezeigt. Es wird jetzt weniger über die Filmauswahl gesprochen als darüber, wie sich das Filmfest München positioniert. »Ambitioniert«, wie der »Blickpunkt:Film« findet – oder vielleicht doch lieber mit bayerischer Provinzialität, die sich aber schönreden lässt. »Wir glauben, dass jetzt die Zeit der Local Heroes ist«, so der künstlerische Leiter Christoph Gröner im Interview mit dem »Blickpunkt:Film«. Damit ist die in München ansässige Filmbranche, die deutsche Fernseh- und Kinoproduktion, gemeint. Und auch wenn das Filmfest dieses Jahr eher unfreiwillig zwischen der Sommer-Berlinale (bis zum 19. Juni) und dem wichtigsten europäischen Festival von Cannes (ab 6. Juli) in Sandwich-Position geraten ist, weiß Iljine, »dass bei einem Sandwich das Leckere in der Mitte ist«. Wichtig sei außerdem das Festival als Branchentreffen, und das werde man der deutschen Branche in den Münchner Biergärten bieten, mit der neu erfundenen »Beergarden Convention«. Für das »vollständige Festivalgefühl«.
Viel über Filme wurde im Vorfeld des Filmfests nicht gesprochen, und auch jetzt erschweren der Verzicht auf ein gedrucktes Programmheft und eine äußerst umständlich zu bedienende neue Website den Überblick über das Programm. Jeder Filmtitel muss einzeln aufgerufen werden, um Infos zu Regie, Schauspiel und Produktion zu erhalten – das lässt schnell ermüden. Nur Reihe, Titel, Termin und Ort werden bekannt, ohne dass man weiterklicken muss. Das verspricht einen Festivalbesuch im Blindflug.
Über einen Film aber wurde im Vorfeld viel gesprochen, den Eröffnungsfilm. Ed Herzogs Kaiserschmarrndrama, der »bayerische Bond«, so Gröner, macht an diesem Donnerstag den großen Auftakt im Open Air und parallel in drei Kinosälen. Mit der Wahl des Eröffnungsfilms bringt das Filmfest endlich einmal bayerisches Brauchtum zum Leuchten. Schließlich versteht man jenseits des Weißwurst-Äquators kaum die Eberhofer-Filme, mit dem speziellen bayerischen Humor und den Lokalmatadoren Sebastian Bezzel, Eisi Gulp und Sigi Zimmerschied. So schnell wird man zum Kulturbotschafter.
Als Startrampe des bayerischen Blockbusters performt das Filmfest München, ohne sich zu verstellen, seine wiedergefundene kulturelle Provinzialität, und daran kann auch der Hinweis auf 2013 nichts ändern, als – ebenfalls unter Iljine – mit dem ersten Eberhofer-Film überhaupt eröffnet wurde. Anstatt das in den Jahren vor Söders Intervention gefundene Renommee fortzuführen und sich mit neuen Handschriften des Weltkinos weiterhin als beachtenswertes Festival zu profilieren, präsentiert sich das Filmfest als Erfüllungsgehilfe der lokalen Filmbranche und setzt auf einen Selbstläufer der bayerischen Filmwirtschaft. Auch wenn beim Münchner Filmfest keine Screening Fees gezahlt werden: Die Produktionsfirma Constantin wird daran keinen Schaden nehmen. Außerdem, wer weiß, welche Deals im Hintergrund laufen …
Es bleibt festzustellen: Das Filmfest hat mit der Wahl seiner Spielorte und des Eröffnungsfilms die Chance vertan, diese Ausgabe zu einem echten Plädoyer für das Kino zu machen. Schade.