Zukunftsweisend |
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Auf dem Gelände des Bahnwärter Thiel: Verena Dietl, 3. Bürgermeisterin, muss sich gegen Garfield behaupten. | ||
(Foto: artechock) |
Von Dunja Bialas
Man darf sich auch mal selbst loben. Am vergangenen Montag wurden in München auf dem Gelände des Bahnwärter Thiel die STARTER-Filmpreise verliehen, aber bevor es dazu kam, hob Kulturreferent Anton Biebl die Bedeutsamkeit des Ortes hervor. Rings um dem – aus Containern gebauten und mit vielen Graffiti verzierten – Off-Space im Münchner Schlachthofviertel entstehe gerade ein neuer »Kultur-Cluster«. Auch wenn ihm das Wort noch nicht gefalle, und er gerne Vorschläge entgegennehme, sei hier in den letzten Jahren eine Ballung städtischer Kulturinstitutionen entstanden.
Um sich deutend erwähnte er: den Neubau des Volkstheaters – ein beeindruckend geschwungener Klinkerbau, der sich optisch perfekt in das Schlachthofgelände eingliedert, nicht wissend, dass er direkt am Ort der ehemaligen Kuhställe Platz genommen hat. Aus ihnen konnte man früher die ganze Nacht das Blöken der Rinder vernehmen, bis dann am Morgen gespenstische Ruhe einkehrte. Dann LUISE, das die auf Jugendkultur spezialisierte Glockenbachwerkstatt entlasten beziehungsweise ergänzen soll. Der Name suggeriert, es mit einer Freundin zu tun zu haben, nicht mit einer städtischen Institution, LUISE aber ist ein Akronym für Lu-dwigvorstadt, I-sarvorstadt und Se-ndling. Ja, warum nicht. Architektonisch ist LUISE prosaischer und nüchterner gehalten als der Neubau des Volkstheaters und sieht ein wenig wie das nahe gelegene Kreisverwaltungsreferat aus. Dann erwähnte Biebl noch HP8, das schick mit Namenskürzel versehene Interimsgebäude des neuen Gasteig, das in der Sendlinger Hans-Preißinger-Straße 4-8 (= HP8) errichtet wird.
Auch auf dem Off-Space des Bahnwärter Thiel gibt es eine kulturelle Neuheit: Ein Atelierpark hat die bunten Container bezogen, hier ist nun also auch die freie Szene der Münchner Künstler*innen angekommen.
Deshalb passt es auch so gut, dass das Filmfest München, das wie vor zwei Jahren die STARTER-Preisverleihung »hostet«, den Bahnwärter Thiel für die Veranstaltung angeboten hat. Hier geht es niederschwellig und hemdsärmlig zu, mit dem Bier in der Hand geht man durch den Kies, man begrüßt sich mit Abstand, schließlich ist das eine offizielle Veranstaltung der Stadt, nicht der Uefa.
Aber dann sollte es auch noch um die Filme gehen. Mit dem seit 1985 verliehenen STARTER-Filmpreis werden Werke des filmischen Nachwuchses ausgezeichnet, »die in ihrer Arbeit einen kreativen Umgang mit dem Medium und stilistische Innovationsmomente erkennen lassen«. Dotiert ist der Preis mit 6000 Euro, es gibt drei Preise zu gewinnen und zusätzlich den sachwerten ARRI-Produktionspreis. »Das ist nicht viel, aber ein schönes Colourgrading oder noch ein bisschen mehr können wir da machen«, verspricht Angela Reedwisch von ARRI, die den Preis seit vielen Jahren übergibt.
Ob viel Geld oder nicht: entscheidend ist die Auszeichnung. München ehrt seine Künstler*innen, und dort gerade das Nichtangepasste, den Nachwuchs, der sich nicht nur für den »Tatort« oder das Seriencamp vorbereitet, sondern der mehr will: Erzählformen erproben, präzise beobachten oder mit viel Gestaltungsbewusstsein auch politische oder problematische Inhalte transportieren.
Dieses Jahr fällt der Griff zur analogen Kamera auf, die Linda-Schiwa Klinkhammer in Manaman – Super-8 – und Josef Fink in Dorfjugend – 16mm – gezielt zum Einsatz bringen. Manaman ist ganz aus der Perspektive der siebenjährige Kimîa erzählt, die Fiktion integriert die Super-8-Kamera als Weihnachtsgeschenk, mit dem Kimîa die Familienereignisse festhält – Kamera immer drauf, schonungsloses Grobkorn, authentische Bilder. Es sind die 1970er Jahre, Mutter und Vater streiten sich, die Familie soll zurück in den Iran. Ein Zwist zwischen Patriarchat und Emanzipation.
Einen ähnlichen Patina-Effekt durch das grobe Korn des Filmmaterials zeigt Josef Fink mit dem in der Jetztzeit spielenden Dorfjugend. Die Bilder erzählen in einer schönen Sanftheit und Tiefe, und in gesättigten Farben, die sonst womöglich nur durch das Colourgrading bei Frau Reedwisch zustandekommen könnten, von einer Dorffreundschaft, die an unterschiedlichen Lebenswegen zu zerbrechen droht. Am Vorabend einer arrangierten Hochzeit nimmt sich Leo seinen besten Freund Emir noch einmal vor und erinnert ihn an die Lebensträume. Eine auch wehmütige Geschichte des Vorübergehens, deshalb passt das körnige Material auch so gut: Während erzählt wird, wird die Freundschaft zur Erinnerung.
Der STARTER-Filmpreis ist traditionell immer stark in den Dokumentarfilmen. Dieses Jahr konnte sich kein Langfilm unter den Preisträgern finden, und auch nur ein Kurzdokumentarfilm hat es in die Auszeichnungen »geschafft«. Dieser ist dafür umso präziser gestaltet: Verena Wagner, die sich mit dem Akzent des Bayerischen Waldes für den Preis bedankt, hat für Schichteln in ihrer Heimatregion nahe der tschechischen Grenze in einer Glashütte gefilmt. Ruhig formen die muskelbepackten, tätowierten Glasbläser mit ihrem Atem das flüssige Glas in den glutroten Hochöfen, sie erscheinen wie Inkarnationen von Vulcanus, dem antiken Gott. Die Ruhe, in der sie ihre Arbeit vollführen, die Zerbrechlichkeit des Glases (im dezenten Score unterstützt durch die Klänge von Christoph Nicolaus) kontrastiert mit den kräftigen Männern und der feuerrotdurchleuchteten Fabrikhalle. Schichteln ist ein fast wortloses Tableau, in dem sich die Ebenen der Gestaltung – die Kamera, der Ton, die Farbe, das dokumentierte Handwerk – zu einem Gesamtkunstwerk schichten.
Der Produktionspreis ging an den Coming-of-Age-Film An Anna. Die Regisseurin Denise Riedmayr reicht die Trophäe zwar an das Münchner Filmkollektiv von Gute Zeit Film weiter, wird aber sicherlich beim nächsten Colourgrading davon profitieren. An Anna erzählt vom Gendertrouble der anderen Art. Während alle ihre Sexualität und Genderrollen ausprobieren, stellt Anna im Laufe eines Sommers fest, dass sie asexuell ist. Denise Riedmayr findet starke Bilder von dieser auch an die Selbstzweifel rührenden Suche und hat mit sensibler Hand ihre Protagonistin, verkörpert von Emma Preisendanz, inszeniert.
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Offenlegung: Die Autorin war Mitglied der STARTER-Jury 2021.