Fast and Furious |
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Drogen in Alaska verticken: Anchorage | ||
(Foto: Filmfest Oldenburg) |
Von Eckhard Haschen
Unter dem Motto »Fast and Furious – Back to Culture« war in diesem Jahr fast alles wieder normal in Oldenburg – unter Einhaltung aller geltenden Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen, versteht sich. Mit einer Sondergenehmigung durften die Säle bei der Eröffnung und der Abschlussveranstaltung sogar wieder zu 100 Prozent ausgelastet werden. Das war eine große Erleichterung, lebt das »European Sundance« doch in besonderer Weise von seiner familiären Atmosphäre und den vielen interessanten Begegnungen, die sich daraus fast schon automatisch ergeben. Und so haben diesmal nicht nur viele Vertreter des amerikanischen Independent-Kinos den Weg ins nordwestliche Niedersachsen gefunden, sondern so viele asiatische Filmschaffende – und Musiker – wie nie zuvor.
Es ist schon irgendwie phänomenal, wie es dem Festivalleiter Torsten Neumann gelingt, den Indie-Spirit nicht einfach nur immer weiter zu pflegen, sondern mit seiner Filmauswahl die Unverzichtbarkeit seines Festivals auch in Zeiten veränderter Mediennutzungsgewohnheiten zu untermauern. Bekommen doch viele unabhängig produzierte Filme nur hier eine Plattform, auf der sie wenigstens für kurze Zeit eine Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen in den Weiten der Streaming-Dienste wohl kaum zuteilwerden dürfte. Dass Oldenburg aber auch nicht ganz am Rand der Festivalszene und der Filmindustrie operiert, belegt schon die Aufmerksamkeit des »Hollywood Reporters«. Das Branchenblatt fungiert seit diesem Jahr als internationaler Medienpartner und widmete Oldenburg während des Festivals von Cannes gar ein Spotlight.
Ein schönes Beispiel dafür, wie Neumann und sein Team außergewöhnliche Regie-Talente nicht nur entdecken, sondern auch pflegen, ist Jack Fassenden. Gerade mal Anfang 20, präsentierte der Sohn des Schauspielers und Produzenten Larry Fassenden nach Stray Bullets im Jahr 2016 nun seinen zweiten Film Foxhole als Weltpremiere in Oldenburg. In diesem Kriegsfilm der besonderen Art finden sich fünf jeweils von denselben Darstellern gespielte Figuren während des amerikanischen Bürgerkriegs, des Ersten Weltkriegs und des Irakkriegs für 36 Stunden auf engstem Raum eingeschlossen. Das äußere Kriegsgeschehen fast völlig aussparend, nutzt Fassenden die begrenzten Schauplätze, um sich ganz auf die niemals aufgesetzt wirkende Abhandlung moralischer Grundfragen zu konzentrieren. Die inszenatorische Reife, die er dabei an den Tag legt, ist mehr als bemerkenswert.
Ein Wunderkind der ganz anderen Art ist Scott Monahan, der als Kinderdarsteller anfing und nun mit seinem Regie-Debüt Anchorage gleich den German Independence Award gewann. Er selbst und Dakota Loesch, der für seine Rolle den Seymour Cassel Award für den besten Darsteller gewann, spielen darin ein Brüderpaar namens Jacob und John, das sich von der kalifornische Wüste aus auf einen Roadtrip begibt, um im fernen Alaska einen Drogendeal abzuwickeln. Doch anders als ein Dennis Hopper und Peter Fonda in Easy Rider sehen sich die Beiden vor allem mit ihren unaufgearbeiteten seelischen Problemen und erst in zweiter Linie mit den unerfüllten Versprechungen des amerikanischen Traums konfrontiert. Im Vergleich dazu vielleicht eher konventionell geraten, besitzt Naveen A. Chatapurams erster, in einer einsamen Wüstenstadt angesiedelter The Last Victim jedoch einen Stilwillen, der einen sofort mitreißt. Wunderbar zurückgenommen darf Ron Perlman in diesem modernen Western als Sheriff brillieren, der genau weiß, dass er die einmal in Gang gesetzte Spirale der Gewalt kaum wird zurückdrehen können.
Ungewöhnlich stark war dieses Jahr das asiatische Kino in Oldenburg vertreten. Da gab es etwa aus China Na Jiazuos beeindruckendes Debüt Streetwise zu entdecken, in der der Regisseur ausgehend von eigenen Erlebnissen anhand von ein paar Ausgestoßenen der Gesellschaft die Schattenseiten des anhaltenden chinesischen Wirtschaftswunders beleuchtet. Oder aus Myanmar: What Happened to the Wolf, die berührende Geschichte zweier todkranker Frauen, die sich im Krankenhaus kennenlernen. Der Regisseur Na Gyi und seine Ehefrau und Hauptdarstellerin Paing Phyo Thu mussten nach ihrer Teilnahme an einer Demonstration gegen den Putsch der Militärjunta untertauchen. Die andere Hauptdarstellerin Eaindra Kyaw Zin, die den Seymour Cassel Award für die beste Darstellerin gewann, befindet sich gar seit Februar im Gefängnis. Ihr Zustand ist unbekannt.
Ein besonderes Highlight der diesjährigen Ausgabe war der Tribute, der diesmal der Regisseurin und Produzentin Mattie Do gewidmet war. In ihren bisherigen, zwischen 2012 und 2019 realisierten Regiearbeiten Chantalay, Dearest Sister und The Long Walk – den ersten von einer Frau in Laos – gelingt es ihr auf sehr persönliche Weise, von Frauenschicksalen zu erzählen. Die Selbstverständlichkeit, mit der in ihnen Geister auftauchen, lässt dabei weniger an das Genre der Geisterfilme denken, als an die Filme des thailändischen Kollegen Apichatpong Weerasethakul.
Fast immer ein Hauptgrund für die Reise nach Oldenburg ist die Retrospektive, die diesmal dem 1943 in Alexandria geborenen italienischen Produzenten und Regisseur Ovidio G. Assonitis gewidmet war. Wenn auch sein Name weit weniger geläufig ist als etwa der von Roger Corman, stehen die von ihm verantworteten Filme jenen in ihrer zuweilen kruden Mischung aus Schamlosigkeit und Erfindungsreichtum in nichts nach. Mag Tentacles auch ein Rip-off von Jaws oder The Visitor eines von The Omen sein, lohnen diese Filme einen Blick schon wegen der Auftritte von John Huston und Shelly Winters.
Eines Festivals, das konsequent seinen eigenen Weg geht, würdig und gleichzeitig ein Dokument der gegenwärtigen Situation war der diesjährige Abschlussfilm The Maestro. Als der australische Regisseur Paul Spurrier erfuhr, dass der Dirigent Somtow Sucharitkul wegen der Pandemie nicht mit seinem Jugendorchester Siam Sinfonietta proben konnte, es aber möglich war, einen Film zu drehen, schrieb er in Windeseile ein Drehbuch um einen missverstandenen Komponisten, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, um sein Opus Magnum The Tongues of Angels endlich aufzuführen. Entsprechend schnell scheint Spurrier sein Buch dann auch verfilmt zu haben, was dem Film aber seine ganz eigene Frische und Unvorhersehbarkeit gibt. Zur Aufführung in Oldenburg ist es Torsten Neumann tatsächlich gelungen, das Siam Sinfonietta anreisen und vor dem Film ein Konzert geben zu lassen. Chapeau!