Ein Regisseur wird zum Adjektiv |
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Gründungsmythos für eine ganze Stadt, und doch nur ein Kuss | ||
(Foto: Museo Federico Fellini) |
Da ruht sie auf dem rauhen Ziegelboden des Castello, die raumfüllende Männerphantasie: eine üppige Blondine im paillettenbestickten kleinen Schwarzen, die signalroten Zehennägel an den puderrosa Beinen sorgsam lackiert. Mit der zimmergroßen Puppen-Nachbildung der Schauspielerin Anita Ekberg, 1960 zur Ikone geworden durch den Film La Dolce Vita, gelingt dem Federico-Fellini-Museum an seinem Hauptstandort, dem Castello Sismondo am Rande der historischen Altstadt von Rimini, eine seiner sinnlichsten und komischsten Überraschungen. Marco Leonetti war als Leiter der städtischen Kinemathek maßgeblich an der Gestaltung des Ende August eröffneten Museums beteiligt. Er freut sich über den bisherigen Publikumszuspruch und ist sichtlich stolz auf die Ekberg-Puppe: »Das war eine überraschende Idee des Studio Azzurro, das sonst immer mit der größtmöglichen philologischen Genauigkeit vorgeht«, erklärt er: »Dieses Element steht für das Bizzarre und Phantastische, das bei Fellini immer präsent ist. Dieser Farbtupfer passt perfekt zu der ansonsten ausgesprochen nüchternen Gestaltung.«
»Marcello, come here!«, befiehlt die Schwedin dem römischen Fotografen in La Dolce Vita, für das Publikum durch einen Vorhang aus Perlenschnüren mitzuerleben. Marcello Mastroianni, den der Regisseur oft als sein Ebenbild inszenierte, gelangte durch diese Rolle 1960 zu Weltruhm. Doch der Paparazzo zögert, zu Ekberg in den Trevi-Brunnen zu steigen, und murmelt halblaut vor sich hin: »Wir machen alles falsch.« Dieses für Mastroianni typische Zögern ist in die Filmgeschichte eingegangen, wie sie nun auf rund 1650 Quadratmetern zu erkunden und im Sinne des Meisters vor allem zu erträumen ist. Leonardo Sangiorgios Studio Azzurro will das Publikum in Fellinis filmischen Kosmos eintauchen lassen und zu eigenen Erkundungen anregen.
Am 20. Januar 1920 in Rimini als Sohn eines Vertreters für Süßwaren geboren, erinnerte sich Federico Fellini stets an den dortigen Winter: »Die Rolläden heruntergelassen, die Pensionen geschlossen, eine große Stille und das Geräusch des Meeres.« Dieses Zitat eröffnet den Rundgang im Castello. Dazu wurde das winterliche Meer herbeigeholt, bestehend aus Stoff, der aufgeblasen wird. Darüber sind Videoprojektionen von Strandszenen aus Filmen wie Julia und die Geister oder 8½ zu sehen und entfalten einen verführerischen Klangteppich. Zugleich sind diese Szenerien von einer ähnlichen Künstlichkeit, wie sie Fellini in der römischen Cinecittà herstellen ließ – in seinem Universum blieb nichts dem Zufall überlassen.
Das Castello Sismondo wurde im 15. Jahrhundert von dem Renaissance-Architekten Filippo Brunelleschi entworfen. Fellini kannte es noch als städtisches Gefängnis. Davor gastierten gelegentlich Zirkuskompanien, einer hätte er sich als Junge fast angeschlossen, schreibt der Lokalhistoriker Tommaso Panozzo in einem neuen Buch, das sich auf die »Spuren von Fellinis Rimini« begibt (»Sulle tracce della Rimini di Fellini«). Die Trutzburg aus rotem Backstein bildet den größtmöglichen Kontrast zu dem weißen Grandhotel am Strand, das er schwärmerisch verehrte. Es sei eine Herausforderung gewesen, filmische Gegenwartskunst in einem historischen Gebäude so zu inszenieren, dass dessen Charakter erkennbar bleibe, sagt Marco Leonetti – das Wagnis ist gelungen.
Nino Rotas Filmmusiken mit Ohrwurm-Qualität ist ein kleiner quadratischer Raum im Obergeschoss gewidmet, durch dessen Decke eine mächtige goldene Kugel bricht. Nebenan baumelt eine Schaukel herab: eine Hommage an »Lo sceicco bianco« (»Der weiße Scheich«) aus dem Jahr 1952, mit Italiens großem Komiker Albert Sordi in der Titelrolle des windigen Verführers einer naiven Flitterwöchnerin. Szenen daraus sind auf segelartigen Projektionsflächen zu sehen, kontrastiert von einem Filmbericht der RAI, der gesichtslose Neubauviertel im Nachkriegs-Rom zeigt: zweimal trügerische Versprechen, von Wirtschaftswunder und von Liebe. »Das ist eine der Ideen des Museums«, erläutert Marco Leonetti, »die Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert anhand der Filme Fellinis zu erzählen. Wir tun dies, indem wir Szenen seiner Filme mit Archivbildern der RAI und des nationalen Filminstituts Istituto Luce kombinieren.«
Und so ist Rimini in diesem Frühherbst ganz auf den fünffachen Oscar-Preisträger eingestellt, der ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimatstadt hatte; seit 1993 liegt er hier begraben. »Rimini, lo dici e sorridi! – ›Rimini – du sagst es mit einem Lächeln!‹: Mit diesem Slogan wirbt das über 2000 Jahre alte Ariminum für sich. Seit Ende der 1990er Jahre wurde das Fellini-Museum geplant, konnte aber erst jetzt durch die Finanzierung des Kulturministeriums realisiert werden. Es dürfte eine ähnlich segensreiche Wirkung für die im Zweiten Weltkrieg stark bombardierte und durch den anschließenden Massentourismus und dessen architektonische Scheußlichkeiten gebeutelte Stadt entfalten wie einst das Wirken des kunstsinnigen Kaisers Augustus. Unweit des städtischen Museums mit seiner reichen römischen Abteilung sind die Überreste der ›Domus del chirurgo‹ zu besichtigen, einer Villa mit herrlichen Mosaikfußböden.«
Nach 1945 habe sich Rimini mit seinem parzellierten Traumstrand zu einer »amerikanisierten Stadt« entwickelt, schreibt Tommaso Panozzo. Über Italien hinaus ist kaum bekannt, dass der einstige elegante Jugendstil-Badeort zwischen November 1943 und September 1944 insgesamt 396 Bombardements erlebte. Rund 600 Menschen starben, tausende Bauwerke wurden zerstört und damit das Rimini von Fellinis Jugendsaga I Vitelloni vernichtet.
1857 war das prächtige Teatro Amintore Galli an der zentralen Piazza Cavour eingeweiht worden, mit einer Auftragskomposition, Giuseppe Verdis Oper »Aroldo«. Das Haus wurde bei einem britischen Fliegerangriff am 28. Dezember 1943 völlig zerstört und ist erst seit drei Jahren wieder in Betrieb. Diese Saison nun überraschten Emilio Sala und Edoardo Sanchi mit einer hochpolitischen Neuinterpretation der selten aufgeführten Oper. Dazu ließen sie den Titelhelden Aroldo (»Harold«) aus Eritrea heimkehren, das von 1936 bis 1941 zur faschistischen Kolonie Africa Orientale Italiana (A.O.I.) gehörte. Als Aroldo (Antonio Coranò) entdeckt, dass ihn seine Frau Mina (die phantastische Lidia Fridman) in seiner Abwesenheit betrogen hat, leuchten rot die faschistischen Schlüsselbegriff »Blut« und »Ehre« auf. Aber auch sich selbst bindet das Opernhaus in diese kritische Reflexion des 20. Jahrhunderts mit ein: Von den Bühnentechnikern bis hin zur Kostümabteilung wird alles sichtbar gemacht und aus dem Hintergrund auf die Bühne geholt. Durch ihre realen und politischen Bezüge bildet diese außergewöhnliche Inszenierung einen reizvollen Kontrast zu Fellinis Filmen mit ihren eher märchenhaft gedämpften Wirklichkeitsanklängen.
»Ich hätte nie gedacht, einmal ein Adjektiv zu werden« ist eine »passeggiata felliniana« betitelt, ein Rundgang auf den Spuren des Regisseurs und dessen Frau Giulietta Masina. Ihr Porträt ziert eine Hauswand im Borgo San Giuliano, jenem Viertel, in dem Fellini aufwuchs; sein Geburtshaus gibt es heute nicht mehr. »Amarcord« bedeutet im örtlichen Romagnolo-Dialekt »Ich erinnere mich«. Fellini hat am ehesten noch in diesem Film aus dem Jahr 1973 über die Stadt gelächelt, in der er seine Jugend unter dem Faschismus verbrachte. Nach dem Abitur versuchte er ab 1939 in Rom sein Glück als Journalist und vor allem Karikaturist. Seine treffenden Skizzen hatten dem Schüler noch in Rimini freien Eintritt in das Jugendstilkino Fulgor (Blitz) am Corso d’Augusto beschert. Im Oktober öffnet neben dem Castello Sismondo und der zentralen, mit allerlei Reminiszenzen wie der einladenden Bank aus 8½ bestückten Piazza Malatesta dieser magische Ort als dritter Museumsstandort – magisch deshalb, weil Federico Fellini hier 1926 im Matrosenanzug in Begleitung seines Vaters Urbano seinen ersten Film sah. Er trug den Titel »Maciste all’inferno«, Herkules im Inferno.