Wann kommt seinesgleichen? |
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Hat den Lola-Hauptgewinn gezogen: Maria Schrader mit Ich bin dein Mensch | ||
(Foto: Majestic/Paramount) |
Wofern Ihr Tränen habt, bereitet Euch, sie jetzo zu vergießen! ... Ihr guten lieben Freund', ich muß Euch nicht hinreißen zu des Aufruhrs wildem Sturm; die diese Tat getan, sind ehrenwert. Was für Beschwerden sie persönlich führen, warum sie’s taten, ach! – das weiß ich nicht. Doch sie sind weis' und ehrenwert und werden Euch sicherlich mit Gründen Rede stehn.
Shakespeare, »Julius Caesar«; III.2; (Schlegel-Tieck-Übersetzung)
Ich liebe die Filmakademie! Genau gesagt: Ich schätze viele ihrer Mitglieder, bin keineswegs, wie von manchen interessegeleitet behauptet, »ein Feind«. Obwohl man dies manchmal, in Momenten des Zorns, werden müsste.
Aber es war eine wunderbare Party, in Berlin am Freitagabend, am Samstagmorgen, ich blieb bis 4:30 Uhr, wie Zeugen dies bestätigen können; es war aber auch deswegen eine wunderbare Party, weil eines der Gesprächsthemen des Abends die total fehlgeleitete Preisverleihung war. Also sowohl die Geschmacksverirrung, die die sogenannte Show dominierte, die eigentlich keine Show war, sondern eine einzige Peinlichkeit, aber natürlich auch die Preisentscheidung selber.
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Überrascht hat mich das offen gesagt nicht. Auch hierfür gibt es Zeugen. Ich kenne meine Pappenheimer!
Aber man hofft doch immer wieder.
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Wann, wenn nicht jetzt? Wann, wenn nicht jetzt hätte Saskia Rosendahl einen Filmpreis bekommen müssen? Wann, wenn nicht jetzt hätte Dominik Graf eine Anerkennung für die beste Regie bekommen müssen? Wann, wenn nicht jetzt?
Es ist peinlich, dass Dominik Graf noch nicht einmal einen Regiepreis erhielt. Es ist vollkommen unverständlich, dass Tom Schilling nicht einmal eine Nominierung für seine Rolle als Fabian bekommen hat. Ich kann mir das nur so erklären, dass es in diesem Fall außer an der Phantasielosigkeit der Akademieabstimmer an der Figur des Fabians lag, eine passive, scheinbar »unmännliche«, jedenfalls den bekannten Männerklischees, der Masucci-Bullenhaftigkeit nicht entsprechende Männerfigur, die bei den ganzen echten Männern und echten Frauen in der Filmakademie keinen richtigen Beifall findet.
Da könnt ihr, liebe Akademisten, noch 100 Jahre Genderdada und Anerkennungsgesäusel praktizieren... Wenn ihr das nicht checkt!
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Seit Gründung der Filmakademie wird oft zu ihren Gunsten ins Feld geführt, dass doch jetzt endlich Fachleute entscheiden würden, wer die deutschen Filmpreise, die Bundesfilmpreise bekäme. Dass doch jetzt endlich Expertise, Fachmenschentum und Objektivität jede einzelne Stimme bei den Akademie-Preisentscheidungen leiten würden. Allerdings spricht alles seit dem ersten Tag, an dem diese Akademie existierte, dagegen! Und wenn man noch einen Beweis gesucht hätte, dann wäre es genau die Preisentscheidung vom vergangenen Freitagabend gewesen. Selten erlebte man solch eine kollektive Verirrung! Eine Verirrung zudem mit schlechtem Gewissen, denn die Tatsache, dass der Preis für die beste Filmmontage und die beste Kamera sehr wohl an Dominik Grafs Fabian ging, zeigt, dass die Filmakademiemitglieder ahnten, dass sie in der Hölle der Filmgeschichte schmoren würden, weil dieser Film eigentlich stilistisch der bessere sei. Diese Ahnung hat nur leider keinerlei Konsequenzen.
Wieso gibt es eigentlich keine Regularien bei dieser Akademie, die doch angeblich aus lauter Fachleuten und Expertiseträgern besteht, die dafür sorgt, dass solche Fernsehfilme wie Ich bin dein Mensch von Anfang an ausgeschlossen bleiben – wenn schon die Expertise der Akademie-Mitglieder selber nicht ausreicht, um diesen Film nicht weiter zu nominieren?
Schämt sich die Deutsche Filmakademie eigentlich selber? Zumindest heimlich vor sich im Spiegel? Dafür dass sie diesem Film den Vorzug vor Dominik Grafs Fabian gegeben hat? Wieso erkennt die Deutsche Filmakademie nicht, dass auch das Drehbuch von Fabian, die Umarbeitung einer wichtigen literarischen Vorlage das Balancieren verschiedener Fassungen dieser Vorlage, weitaus anspruchsvoller ist, als das doch bei näherem Hinsehen mehr als banale, nämlich geradezu krude und in seiner impliziten politischen Pädagogik lachhafte Drehbuch zu Ich bin dein Mensch.
So gesehen fällt es selbst denjenigen, die wie ich die Akademie eigentlich lieben möchten, sehr schwer, die Akademie auch nur zu schätzen. Noch mal sei gesagt: Mit den Mitgliedern dieser Akademie und auch den Mitgliedern ihrer Organisation hat das in den allermeisten Fällen nicht das Geringste zu tun.
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Alles auf Schrader – so kann man den Abend zusammenfassen. Maria Schrader und ihr Film Ich bin dein Mensch gewann in allen zentralen Kategorien beim Deutschen Filmpreis: Bester Film, beste Regie; dazu noch bestes Drehbuch, beste weibliche Hauptrolle. In den technischen Kategorien räumte vor allem der Science-Fiction-Film Tides von Tim Fehlbaum ab, für den außerdem Lorenz Dangel den Preis für die beste Filmmusik bekam. Das war immerhin die »Einsicht in die Notwendigkeit« (Hegel), also die Freiheit der Filmakademie.
Großer Verlierer des Abends war die Kästner-Verfilmung Fabian von Dominik Graf, die zwar zehnmal nominiert war, aber nur in drei Kategorien ausgezeichnet
wurde. Immerhin in den visuellen: Claudia Wolscht für den besten Schnitt und Hanno Lentz für die Beste Kamera. Außerdem gab es den Filmpreis in Silber für den zweitbesten Film.
Dies war in diesem Umfang, in dieser Eindeutigkeit einfach eine Fehlentscheidung. Allerdings eine bezeichnende.
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Denn Ich bin dein Mensch ist eigentlich ein Fernsehfilm. Er entstand für das ARD-Fernsehen und hätte ursprünglich niemals ins Kino kommen sollen. Erst der Erfolg der Regisseurin mit ihrer US-Streaming-Serie »Unorthodox«, Weinstein-Hype und glückliche Zufälle ermöglichten den Kinostart.
Aber in seiner ganzen Ästhetik, im Bildaufbau, Schnitt, in der Art und Weise, wie jedes Detail der Handlung auserzählt wird, und nichts Zweideutiges, Offenes, Flirrend-freies, nichts von der Poesie, die Kino ausmacht, mehr übrig bleibt, ist der Film eindeutig für den kleinen Bildschirm gemacht – nicht für die große Leinwand.
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Bezeichnend ist diese Fehlentscheidung, weil sie belegt, dass die Schwarmintelligenz der über 2000 vor allem aus Schauspielern bestehenden Filmakademie eine Schwarmdummheit ist, dass sie einfach nicht in der Lage ist, solche Feinheiten zu berücksichtigen und zwischen Fernseh-Dramaturgie und Film-Ästhetik zu unterscheiden, oder – was vielleicht noch schlimmer wäre – es ist den Akademiemitgliedern vollkommen egal.
Nicht wenige Filmemacher meinten
jedenfalls in den Gesprächen nach der Preisverleihung, dass hier vor allem die Persönlichkeit der von der Schauspielerin zur Regisseurin gewordenen Schrader ausgezeichnet wurde.
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Der Host – oh Gott oh Gott. Ein Schlachtfest der Geschmacklosigkeit. Und dazu der Spruch: »Wir sind Kino-Nation.«
Sind wir halt nicht.
Der Moderator war unsäglich. Kam sich sehr witzig vor, vor allem darin, politisch-parteiisch zu sein, und erstmal über Frau Grütters »2. Platz« zu spotten, geschmacklos, niveaulos finde ich das als erklärter Nicht-Fan von Moni Grütters; aber dann die AFD mit Ulf Poschardt zusammen zu denken geht gar nicht... Haltlose Gutmenschen-Dummheit!
Lichtblick dagegen Torsten Merten, wie er sich »bei den Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik« bedankt »für das Finanzieren eines kostenlosen Studiums.« Außerdem lobt er seine Agentin und sagt, die Agenten beginnen schon mal Gagenverhandlung mit dem Satz: »Diesen Film braucht kein Mensch« und holen trotzdem Geld raus. »So: Abgang Merten.« Der war lustig.
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Und immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch eine Geschmacklosigkeit daher, noch ein Tiefpunkt.
Die Akademie hat wieder einmal bewiesen, dass sie als Institution, in ihrer Gesamtheit keinen Verstand hat. Genauer: Dass der Verstand vieler Einzelner keinen großen Gesamtverstand ergibt, sondern eine große Schwarmdummheit.
Traurig, dass die Frauen in der Akademie noch nicht mal merken, dass Ich bin dein Mensch auch ein Film ist, der Frauen eingeschränkt und passiv reduziert darstellt und der die weibliche Hauptfigur klein macht.
Lustig, dass das Frauengleichberechtigungsdings dazu führt, dass reaktionäre Frauenfiguren von einer Frau inszeniert Preise gewinnen über progressive Frauenfiguren, die ein
Mann inszeniert.
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»Also kurz prägnant und gerne emotional« – so solle die Rede sein, erführen Nominierte von der Akademie vor der Preisverleihung. Viele bereiteten dann lieber nichts vor.
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In der WELT steht es dann präzis und nüchtern: »Fünfmal im Verlauf seiner nun 40-jährigen Karriere war Dominik Graf als bester Regisseur für den Deutschen Filmpreis nominiert, bekommen hat er ihn erst einmal, 1988 für Die Katze. Das ist nichts Ungewöhnliches, Oliver Masucci hat die Darsteller-Lola am Freitag auch erst im vierten Anlauf gewonnen, für seinen hinreißenden Rainer Werner Fassbinder in Enfant Terrible.«
Trotzdem muss man ein paar Worte über darüber verlieren, dass die Filmakademie die Lola für den besten Film und die beste Regie nicht an Dominik Grafs Fabian vergeben hat, was wirklich jeder Anwesende im Vorfeld für sicher und gerecht hielt.
Fabian ist ein Film, wie es ihn in Deutschland nur einmal in zehn Jahren gibt: ein präzises Zeitbild, in kurzen impressionistischen Strichen hingetupft; eine völlig freie und doch treue Literaturverfilmung; eine achtzig Jahre alte Geschichte, die aktueller nicht sein könnte.
Stattdessen wurde Maria Schrader beste Regisseurin und ihr »Du bist mein Mensch« bester Film. Nun geht es nicht darum, einen Film herabzusetzen. »Mensch« hat ein hochaktuelles Thema (Frau soll mit einem humanoiden Robotermann zusammenleben), eine großartige Hauptdarstellerin (Lola für Maren Eggert) und eine wunderbare Balance zwischen Komödie und Ernsthaftigkeit. In jedem anderen Jahr hätten wir solch einen Film gern gekrönt. Aber eben nicht in diesem.
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»And since you know you cannot see yourself so well as by reflection, I, your glass, will modestly discover to yourself that of yourself which you yet know not of.«
Shakespeare
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Erkennbar ist einmal mehr, dass die Entscheidung der BKM, die über drei Millionen Preisgelder aus Steuermitteln des Bundes seit 16 Jahren nicht mehr durch eine Jury in differenzierten Debatten und sorgfältig reflektierten Entscheidungen vergeben zu lassen, sondern einer Massenabstimmung und damit der Schwarmdoofheit zu überantworten, dass diese Entscheidung dem deutschen Film schadet. Denn sie reduziert das Unterscheidungsvermögen, führt nicht zu mehr, sondern zu weniger geschmacklicher Differenzierung und immer wieder zu Vergaben von Stimmen nach persönlicher Sympathie und vermeintlicher Bedeutung.
Erkennbar ist auch, dass die öffentliche Debatte über den deutschen Film, seit der Filmpreis nicht mehr von einer Jury vergeben wird, ästhetisch verkümmert, dass sie von Oberflächlichkeiten bestimmt wird, sich rein auf Inhaltliches konzentriert, oder politische Haltungen auszeichnet anstelle von künstlerischen.
Wann wäre denn je in den letzten 16 Jahren ein künstlerisch radikaler Film, etwas Experimentelles, Mutiges, Irritierendes oder gar das Publikum Spaltendes
ausgezeichnet worden?
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Das Publikum spalten tut auch nicht Fabian. Aber dies ist ein anspruchsvoller Film, der eindeutig für das Kino gemacht ist und schon mit seiner dreistündigen Länge auf ein Publikum zielt, das bereit ist, einem Künstler erst einmal zu vertrauen.
Das Schielen auf Beifall und die plumpe Behandlung wichtiger politischer Themen zeigte sich auch an anderen Nominierten – genauso wie die konsequente Absage an alles, was irgendwie den Trott des im deutschen Kino vorherrschenden mittleren Realismus verlässt, und stilistisch etwas ausprobiert und wagt: Auch die großartigen und originellen Dokumentarfilme Walchensee Forever und Space Dogs gingen am Freitag leer aus zugunsten eines pädagogisch wertvollen, moralisch sympathischen Films über einen engagierten Lehrer.
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Das hier erkennbare geschmackliche Defizit, das die deutsche Filmszene mit ihrem Publikum teilt, das sich in der Masse komplett an einen sehr engen Geschmackskorridor derart gewöhnt hat, hat Folgen: Vor allem für die Wahrnehmung des deutschen Films jenseits der Grenzen. Das Ausland interessiert sich für deutsches Kino nämlich gleich Null. Es ist wirtschaftlich erfolglos, und künstlerisch sowieso: Alle vier großen europäischen Filmfestivals kamen in diesem Jahr komplett ohne deutsche Beiträge aus.
Nach dem wahrscheinlichen Abgang der staatlich bestallten Filmgouvernante Monika Grütters wird es eine neue Filmpolitik geben. Neben vielem anderen bleibt da den Verantwortlichen hoffentlich auch Zeit, den Deutschen Filmpreis komplett zu überdenken und seine Vergabe neu zu organisieren.
Denn zur Zeit ist da über eine wirklich schöne Selbstfeier der Branche hinaus keine Relevanz.
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Aber ich liebe die Filmakademie!