Kino als politische Inspiration |
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Filmplakat zu Dear Future Children | ||
(Foto: Camino Filmverleih) |
Von Jens Balkenborg
Es ist schon eine Geschichte für sich, wie es Franz Böhms Langfilmdebüt Dear Future Children auf nationale und internationale Leinwände geschafft hat. Der Regisseur ist Autodidakt und hat seinen Dokumentarfilm zwischen Anfang 2019 und Ende 2020 mit einem Team realisiert, das im Schnitt 21 Jahre alt war, und das komplett außerhalb der klassischen deutschen Sender- und Förderstrukturen mittels Kickstarter-Kampagne. In der Postproduktion, erzählt Böhm im Interview, wurde der Film schließlich dank einer Förderung durch die MFG »kinoreif« gemacht.
Schon vor Kinostart hat dieses Dokumentarfilm-Unikum einige Preise abgeräumt. Beim Max Ophüls Preis, wo Dear Future Children Premiere feierte, auf dem Hot Docs Dokumentarfilmfestival und beim Internationalen Filmfestival und Forum zum Thema Menschenrechte gewann der Film jeweils den Publikumspreis. Was ist das für ein Film, der diesen alles andere als leichten Weg gemeistert hat und mehrfach auf Festivals das Publikum von sich überzeugen konnte? Ein couragierter und dringlicher in jedem Fall, einer, der die Augen nicht vor den Konflikten unserer Gegenwart verschließt und der einen Diskursraum eröffnet. »Das Kino sollte ein Ort werden für politische Inspirationen«, erklärt Böhm. »Wir wollten Menschen aus der Mitte der aktivistischen Bewegungen sprechen lassen«.
»A Documentary about young activism worldwide« heißt es auf der Webseite zum Film. Die von Böhm erwähnte »Mitte« ist wörtlich zu verstehen, denn Dear Future Children erzählt von drei Frauen aus drei Ländern, die mitten drin sind: Hilda (Flavia Nakabuye) hat die Fridays for Future-Bewegung in die ugandische Hauptstadt Kampala geholt und kämpft gegen die Folgen des Klimawandels. Das Land wird immer öfter von heftigen Dürreperioden und Starkregen heimgesucht, beides existenzbedrohliche Extremwettersituation, nicht nur für die ansässigen Bauern. Rayen und Pepper kämpfen für soziale Gerechtigkeit und Demokratie an vorderster Front auf der Straße: erstere in Santiago de Chile, wo, wie in keinem anderen südamerikanischen Land sonst, die Arm-Reich-Schere wächst und die Arbeiterklasse auf die Straße geht, letztere in Hongkong an der »Frontline« der hochmodernen Protestbewegung gegen die Einverleibung durch China.
Dear Future Children spinnt aus den Geschichten der drei Frauen ein Aktivismus-Netz rund um den Globus. Wir erfahren aus dem Leben der Frauen, darüber, was sie antreibt und was sie verunsichert. Ihnen allen gemein sind große persönliche Opfer, die sie für ihren politischen Kampf aufbringen müssen, sei es die Gefahr, auf der Straße verletzt oder verhaftet zu werden oder auch die Verunmöglichung, soziale Kontakte zu pflegen. Es ist ein sehr persönlicher Einblick, den Böhm und sein Team erhalten haben. Und auch die kriegsähnlichen Bilder von den Straßen in Hongkong und Santiago de Chile sind erstaunlich: Filmen im Epizentrum zwischen Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstockgewitter.
»Die Dreharbeiten an der Frontline wurden mit Sicherheitstrainings- und Briefings akribisch vorbereitet«, erzählt Böhm. Vorausgegangen war dem eine große Recherche, ein intensiver Austausch mit Protestbewegungen weltweit und die Zusammenarbeit mit NGO’s, bis schließlich die Protagonistinnen gefunden waren. Vor Ort schließlich sei das Team zunächst ohne Kameras an der Frontline dabei gewesen, um das Vertrauen der verschiedenen Protagonisten der Bewegung zu gewinnen. Immer in voller Montur allerdings, also mit Schutzweste, Schulterprotektion, Gasmasken und Schutzbrillen. Ob die »Presse«-Kennzeichnung für eine gewisse Immunität gesorgt hat? »In Hongkong schon, in Chile wurden auch wir beschossen.« Es haben sich grausame Situationen ereignet, Menschen wurden vor den Augen von Böhm und Kameramann Friedemann Leis erschossen oder sind erstickt.
Von diesen teils heftigen Erlebnissen erzählt Böhm beim Treffen im Rahmen der Kinotour im Harmonie-Kino in Frankfurt Sachsenhausen mit konzentrierter Ruhe. 22 Jahre ist der Regisseur heute jung, doch er wirkt, wie er dort sitzt, repräsentativ, sachlich, ein jedes Wort vorsichtig abwägend, älter. Er selbst habe im Filmemachen, so Böhm, früh eine »persönliche Flucht gefunden. Die Wucht es Kinos hat mich überzeugt«. Ihm sei bei seinen eigenen Filmen wichtig, betont er, dass relevante Geschichten erzählt werden. Zum Film gekommen ist der Regisseur, der in Gerlingen nordwestlich von Stuttgart geboren und aufgewachsen ist, durch seine frühe Leidenschaft. Während seiner Vor-Abiturzeit hat er in verschiedene Filmbereiche wie dem Kostüm- und Maskenbild hereingeschnuppert und auf Filmsets in München und Berlin als Set-Runner gearbeitet, bevor er erste eigene Schritte unternahm.
In Dear Future Children nutzt er die audiovisuelle Wucht des, um einem breiten Publikum »wichtige Geschichten« zu erzählen. »Die letzten zwei, drei Jahre, und die Zeit, in der wir aktuell leben, sind entscheidend«, sagt Böhm. Es werde sich zeigen, ob die jungen Menschen auf der Straße den dringend notwendigen Wandel befördern können.
Die Realität, da zeichnet der Film rein gar nichts weich, ist hart. Der Kampf in Hongkong scheint verloren, das alte Prinzip »Ein Land, zwei Systeme« obsolet, seit der chinesische Volkskongress im Juni 2020 ein umstrittenes Sicherheitsgesetz für Hongkong verabschiedet hat, das zahlreiche Aktivitäten der Opposition unter Strafe stellt. Und der Kampf gegen den Klimawandel? »Ich habe Angst, dass es die Zukunft von der ich träume, nicht mehr geben wird – wegen Nichtstun« sagt Hilda einmal im Film. Nichts zu tun war nie eine Option, hoffentlich finden viele den Weg ins Kino und lassen sich von Dear Future Children mitnehmen.