13.12.2021

Samariter müssen sterben

Tatort Bremen
Oh Du deutsche Schauspielerin, hast du nichts Besseres gelernt?
(Foto: Radio Bremen)

Burschikose Rotzigkeit: Oliver Hirschbiegel inszeniert Luise Wolfram und Jasna Fritzi Bauer im neuesten Bremer Tatort – Und immer gewinnt die Nacht, der noch seinen Weg sucht

Von Rüdiger Suchsland

»Wir sind zum Genuß verpflichtet!«
Dialog­zitat

Beim Ansehen der Bremer Tatorte brauchte man schon immer einiges Durch­hal­te­ver­mögen. Lürsen und Stede­freund funk­tio­nierten vor allem durch Gewöhnung. Irgend­wann kannte man sie eben und hat sie sich dann halt so ange­schaut; zumal sie nicht so anstren­gend waren wie die Kölner und erst nicht so nervig wie die Filme mit der nieder­säch­si­schen Charlotte Lindholm.

Das hat sich auch beim neuen Bremer Team nicht geändert. Luise Wolfram als Linda Selb hat als einzige den Wechsel hervor­ra­gend über­standen, sie ist auch hier der Licht­blick: weib­li­cher Nerd und höhere Tochter, der das Drehbuch (Christian Jeltsch) diesmal aller­dings etwas zu viele lite­ra­ri­sche Sätze und Lite­ra­tur­zi­tate in den Mund legt. Gleich der erste ist – quasi von Hanse­stadt zu Hanse­stadt – ein Thomas-Mann-Zitat: »Ich habe nie von einem Verbre­chen gehört, dass ich nicht selbst hätte begehen kann. Jeder der das für sich verneint, ist nicht ehrlich. Oder er kennt sich selbst nicht.« Die Pointe ist, dass der oder die, der das sagt, implizit behauptet, dass er sich selbst gut kennt. Und ob das für Selb gilt?

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Nicht irgendwer, sondern Oliver Hirsch­biegel führte Regie bei diesem Bremer »Tatort« – zur Erin­ne­rung: Anfang der Nuller­jahre war Hirsch­biegel als der Regisseur von Das Expe­ri­ment und Der Untergang in manchen Kreisen mal eine Weile sehr gehyped. Das ist ein Regie-Kaliber, von dem man Über­durch­schnitt­li­ches erwarten darf.

Es geht tatsäch­lich gut los: Die ersten Bilder sind eine wilde Montage (Schnitt: Frie­de­rike Weymar) aus mindes­tens drei Erzähl­strängen: Man sieht zwei Alter­nativ-Girls beim Contai­nern, man sieht einen Behin­derten schimp­fend durch die Straßen gehen, man sieht eine Frau – die wenn man genauer hinguckt man sofort als die Mutter eines der Container-Girls iden­ti­fi­ziert – ihre Sachen packen und entschlossen offen­sicht­lich für immer irgend­wohin gehen und man sieht einen schwarzen Obdach­losen, der von anderen mit Herz­still­stand gefunden wird. Pulsie­rende Musik tut in diesen ersten Minuten ein übriges, um dem ganzen einen dyna­mi­schen Flow zu geben.
Der Obdach­lose ist dann aber nicht die gemordete Leiche, sondern der Arzt und Volvo-Fahrer, der ihm das Leben gerettet hat, und der auch sonst ein guter Samariter war für alle, die einen Arzt nicht bezahlen konnten. Am gleichen Abend wird er zunächst über­fahren, dann – fünf Schläge mit einer Brech­stange auf den Schädel – erschlagen.

Ziemlich souverän gelöst ist auch der Rest des ersten Drittels, in dem weitere Figuren auftau­chen: Ein alter Mann, mit Zigarre als Patriarch aus vergan­gener Zeit gekenn­zeichnet, hat einen Krebs in der Lunge, und raucht darauf gleich eine. Karoline Eichhorn, die erst gerade vor einem Monat im Frank­furter Tatort »Morot und das Prinzip Hoffnung« eine Mörderin spielte – weil es so viele Tatorts gibt, kann man manchmal auch in der inneren Chro­no­logie und unter den verschie­denen Schau­plätzen durch­ein­ander kommen. Und dann natürlich das neue Ermitt­ler­team. Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer), Linda Selb (Luise Wolfram) und der immer wieder aus uner­find­li­chen Gründen nach Bremen abkom­man­dierte und dort der Mord­kom­mis­sion zuge­teilte arabischs­täm­mige Mads Andersen (Dar Salim, der vielen bereits aus Skan­di­na­vien-Krimis vertraut sein dürfte).

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Dessen Herkunfts­ge­schichte ist Anlass für eine voll­kommen an den Haaren herbei­ge­zo­gene Neben­hand­lung: In Kopen­hagen hält Vorträge über Menschen, die aus Kriegs­ge­bieten kommen; es brauche »Perspek­tiven«, und neue Stra­te­gien für Aussteiger, sonst verliere man zu viele »an die Krimi­na­lität«. Dabei wird er fort­wäh­rend von einem Mordbuben mit Teppich­messer verfolgt und irgend­wann auch ange­griffen. Der entpuppt sich als Sohn eines ehema­ligen Mitkämp­fers in diffus skiz­zierten Kriegs­hand­lungen – keine Frage: serielle Elemente schlei­chen sich zunehmend auch in die einst prin­zi­piell geschlos­senen Tatort-Folgen ein, und Mads wird in zukünf­tigen Folgen noch manch' eigenes Traum aufzu­ar­beiten haben.

Zum Problem­fall des neuen Bremer Teams entwi­ckelt sich aber erkennbar Liv Moormann bezie­hungs­weise ihre Darstel­lerin. Zur Macke der Figur wurde für den Anfang, dass sie ihre Kollegin Selb immer mitten im Satz unter­bricht, um kundzutun, dass sie den gleichen Gedanken bereits gefasst hat. Wenn man ihr Kaffee anbietet, sagt sie »Mir ist nie kalt«. Wenn sie darauf ange­spro­chen wird, dass sie bei der Polizei arbeitet, antwortet sie »Ja so behaupte ich mich vor den Männern.«
Das alles spielt Jasna Fritzi Bauer ohne jeden Anflug von Humor, als angry young girl mit der immer­glei­chen burschi­kosen Rotzig­keit und zur Schau getra­genen Frechheit die ob bei Petzold oder im Tatort keine Diffe­ren­zie­rung kennt. Gern und andauernd zieht Jasna Fritzi Bauer eine Schnute und dann sollen wir denken: »Frech­dachs!« Tatsäch­lich aber denkt man nur: Oh Du deutsche Schau­spie­lerin, hast du nichts Besseres gelernt?

Und Selb? Nunja... Auch sie ist immer vor allem naseweis, und bekommt Sätze geschrieben wie »Wenn es nicht ab und an richtig weh tut, dann ist es auch kein Leben,« oder bei der Zeugen­ver­neh­mung: »Was ist der dunkle Punkt? Der dunkle Punkt auf seiner Seele?«. Dann wieder wandelt sich die kühle, aber empfind­same Figur zur Zynikerin: »Sozia­listen – es steht nicht gut um Utopisten in diesen Zeiten.«
Immerhin fährt sie durch das doch eher lang­wei­lige, gepflegte Bremen (und auch durch seine unge­pflegten Teile) mit einem Mercedes G Jeep, und bleibt unbe­streitbar die inter­es­san­teste, auch am aller­beste gespielte Figur im Bremer Team.

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Die Ermitt­lungen verlieren leider bald den anfäng­li­chen Schwung und entgleiten mehr und mehr ins allzu Poetische. Ein bisschen Frau­en­liebe, ein bisschen höhere-Tochter-Probleme, ein bisschen Kampf und Aner­ken­nung führen die Geschichte(n) voran, »Die Villa hat was von gepflegtem Inzest« sagt Selb, und irgend­wann ist die Mörderin gefasst und zitiert vor der Verhaf­tung noch Neruda.

Das Melan­cho­li­sche des Chilenen, und sein Verzehren nach der Revo­lu­tion, die nicht statt­findet, das passt zu diesem Film, in dem auch Che Guevara und Fidel Castro ihren Auftritt haben, in dem es aber vor allem um das geht, was wir nicht haben sollen, was uns verboten wird oder wir uns selbst immer mehr verbieten: Genuss, Lust, Egomanie, das Ausleben des Hier und Jetzt. »Wieso ist denn das wichtig: Auf Dauer? Kann es nicht einfach jetzt schön sein?« sagt eine Figur, der die Zukunft gehört, einmal im Film.
Schluss also mit dem Subli­mieren, dem Vertagen und mit dem Verbieten, auch wenn es die Wächter der Moral gut mit uns meinen. Darum macht es Sinn, dass ausge­rechnet der puri­ta­ni­sche Samariter, der sich selber quält und das eigene Glück verbietet, sterben muss.
Viel­leicht ist so der enig­ma­ti­sche Titel »Und immer gewinnt die Nacht« zu verstehen. Als positive Mittei­lung.

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Die Kamera führte übrigens Leah Striker und die ist wirklich gut. Genau wie Franziska von Harsdorf und Anna Bachmann als die beiden unglei­chen Container-Girls. Solche Gesichter vergisst man nicht so schnell!