Samariter müssen sterben |
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Oh Du deutsche Schauspielerin, hast du nichts Besseres gelernt? | ||
(Foto: Radio Bremen) |
»Wir sind zum Genuß verpflichtet!«
Dialogzitat
Beim Ansehen der Bremer Tatorte brauchte man schon immer einiges Durchhaltevermögen. Lürsen und Stedefreund funktionierten vor allem durch Gewöhnung. Irgendwann kannte man sie eben und hat sie sich dann halt so angeschaut; zumal sie nicht so anstrengend waren wie die Kölner und erst nicht so nervig wie die Filme mit der niedersächsischen Charlotte Lindholm.
Das hat sich auch beim neuen Bremer Team nicht geändert. Luise Wolfram als Linda Selb hat als einzige den Wechsel hervorragend überstanden, sie ist auch hier der Lichtblick: weiblicher Nerd und höhere Tochter, der das Drehbuch (Christian Jeltsch) diesmal allerdings etwas zu viele literarische Sätze und Literaturzitate in den Mund legt. Gleich der erste ist – quasi von Hansestadt zu Hansestadt – ein Thomas-Mann-Zitat: »Ich habe nie von einem Verbrechen gehört, dass ich nicht selbst hätte begehen kann. Jeder der das für sich verneint, ist nicht ehrlich. Oder er kennt sich selbst nicht.« Die Pointe ist, dass der oder die, der das sagt, implizit behauptet, dass er sich selbst gut kennt. Und ob das für Selb gilt?
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Nicht irgendwer, sondern Oliver Hirschbiegel führte Regie bei diesem Bremer »Tatort« – zur Erinnerung: Anfang der Nullerjahre war Hirschbiegel als der Regisseur von Das Experiment und Der Untergang in manchen Kreisen mal eine Weile sehr gehyped. Das ist ein Regie-Kaliber, von dem man Überdurchschnittliches erwarten darf.
Es geht tatsächlich gut los: Die ersten Bilder sind eine wilde Montage (Schnitt: Friederike Weymar) aus mindestens drei Erzählsträngen: Man sieht zwei Alternativ-Girls beim Containern, man sieht einen Behinderten schimpfend durch die Straßen gehen, man sieht eine Frau – die wenn man genauer hinguckt man sofort als die Mutter eines der Container-Girls identifiziert – ihre Sachen packen und entschlossen offensichtlich für immer irgendwohin gehen und man sieht einen
schwarzen Obdachlosen, der von anderen mit Herzstillstand gefunden wird. Pulsierende Musik tut in diesen ersten Minuten ein übriges, um dem ganzen einen dynamischen Flow zu geben.
Der Obdachlose ist dann aber nicht die gemordete Leiche, sondern der Arzt und Volvo-Fahrer, der ihm das Leben gerettet hat, und der auch sonst ein guter Samariter war für alle, die einen Arzt nicht bezahlen konnten. Am gleichen Abend wird er zunächst überfahren, dann – fünf Schläge mit einer
Brechstange auf den Schädel – erschlagen.
Ziemlich souverän gelöst ist auch der Rest des ersten Drittels, in dem weitere Figuren auftauchen: Ein alter Mann, mit Zigarre als Patriarch aus vergangener Zeit gekennzeichnet, hat einen Krebs in der Lunge, und raucht darauf gleich eine. Karoline Eichhorn, die erst gerade vor einem Monat im Frankfurter Tatort »Morot und das Prinzip Hoffnung« eine Mörderin spielte – weil es so viele Tatorts gibt, kann man manchmal auch in der inneren Chronologie und unter den verschiedenen Schauplätzen durcheinander kommen. Und dann natürlich das neue Ermittlerteam. Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer), Linda Selb (Luise Wolfram) und der immer wieder aus unerfindlichen Gründen nach Bremen abkommandierte und dort der Mordkommission zugeteilte arabischstämmige Mads Andersen (Dar Salim, der vielen bereits aus Skandinavien-Krimis vertraut sein dürfte).
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Dessen Herkunftsgeschichte ist Anlass für eine vollkommen an den Haaren herbeigezogene Nebenhandlung: In Kopenhagen hält Vorträge über Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen; es brauche »Perspektiven«, und neue Strategien für Aussteiger, sonst verliere man zu viele »an die Kriminalität«. Dabei wird er fortwährend von einem Mordbuben mit Teppichmesser verfolgt und irgendwann auch angegriffen. Der entpuppt sich als Sohn eines ehemaligen Mitkämpfers in diffus skizzierten Kriegshandlungen – keine Frage: serielle Elemente schleichen sich zunehmend auch in die einst prinzipiell geschlossenen Tatort-Folgen ein, und Mads wird in zukünftigen Folgen noch manch' eigenes Traum aufzuarbeiten haben.
Zum Problemfall des neuen Bremer Teams entwickelt sich aber erkennbar Liv Moormann beziehungsweise ihre Darstellerin. Zur Macke der Figur wurde für den Anfang, dass sie ihre Kollegin Selb immer mitten im Satz unterbricht, um kundzutun, dass sie den gleichen Gedanken bereits gefasst hat. Wenn man ihr Kaffee anbietet, sagt sie »Mir ist nie kalt«. Wenn sie darauf angesprochen wird, dass sie bei der Polizei arbeitet, antwortet sie »Ja so behaupte ich mich vor den Männern.«
Das alles
spielt Jasna Fritzi Bauer ohne jeden Anflug von Humor, als angry young girl mit der immergleichen burschikosen Rotzigkeit und zur Schau getragenen Frechheit die ob bei Petzold oder im Tatort keine Differenzierung kennt. Gern und andauernd zieht Jasna Fritzi Bauer eine Schnute und dann sollen wir denken: »Frechdachs!« Tatsächlich aber denkt man nur: Oh Du deutsche Schauspielerin, hast du nichts Besseres gelernt?
Und Selb? Nunja... Auch sie ist immer vor allem naseweis, und bekommt Sätze geschrieben wie »Wenn es nicht ab und an richtig weh tut, dann ist es auch kein Leben,« oder bei der Zeugenvernehmung: »Was ist der dunkle Punkt? Der dunkle Punkt auf seiner Seele?«. Dann wieder wandelt sich die kühle, aber empfindsame Figur zur Zynikerin: »Sozialisten – es steht nicht gut um Utopisten in diesen Zeiten.«
Immerhin fährt sie durch das doch eher langweilige, gepflegte Bremen (und auch
durch seine ungepflegten Teile) mit einem Mercedes G Jeep, und bleibt unbestreitbar die interessanteste, auch am allerbeste gespielte Figur im Bremer Team.
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Die Ermittlungen verlieren leider bald den anfänglichen Schwung und entgleiten mehr und mehr ins allzu Poetische. Ein bisschen Frauenliebe, ein bisschen höhere-Tochter-Probleme, ein bisschen Kampf und Anerkennung führen die Geschichte(n) voran, »Die Villa hat was von gepflegtem Inzest« sagt Selb, und irgendwann ist die Mörderin gefasst und zitiert vor der Verhaftung noch Neruda.
Das Melancholische des Chilenen, und sein Verzehren nach der Revolution, die nicht stattfindet, das passt zu diesem Film, in dem auch Che Guevara und Fidel Castro ihren Auftritt haben, in dem es aber vor allem um das geht, was wir nicht haben sollen, was uns verboten wird oder wir uns selbst immer mehr verbieten: Genuss, Lust, Egomanie, das Ausleben des Hier und Jetzt. »Wieso ist denn das wichtig: Auf Dauer? Kann es nicht einfach jetzt schön sein?« sagt eine Figur, der die Zukunft
gehört, einmal im Film.
Schluss also mit dem Sublimieren, dem Vertagen und mit dem Verbieten, auch wenn es die Wächter der Moral gut mit uns meinen. Darum macht es Sinn, dass ausgerechnet der puritanische Samariter, der sich selber quält und das eigene Glück verbietet, sterben muss.
Vielleicht ist so der enigmatische Titel »Und immer gewinnt die Nacht« zu verstehen. Als positive Mitteilung.
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Die Kamera führte übrigens Leah Striker und die ist wirklich gut. Genau wie Franziska von Harsdorf und Anna Bachmann als die beiden ungleichen Container-Girls. Solche Gesichter vergisst man nicht so schnell!