Die wunderbare Unvollkommenheit der Welt |
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R.I.P. Herbert Achternbusch (23.11.1938-10.01.2022) | ||
(Foto: Hias Schaschko / Herbert Achternbusch) |
Von Dunja Bialas
Über Jahre konnte man, immer dienstags, Herbert Achternbusch im Münchner Filmmuseum antreffen. Er saß immer auf dem gleichen Platz und sah sich einen Film an, nach Auskunft des damaligen Kartenabreißers B., »egal was kam«. Um seinen Kinobesuch spann sich eine Legende, die er mit Aura anzufüllen wusste – schweigsam, mit schwarzem Hut und markantem Profil war er zuverlässig im Kinosaal anzutreffen. Angesprochen hat man ihn freilich nicht, seine Person flößte uns distanzvollen Respekt ein. Wir hatten seine Filme gefeiert, als Ausbrüche aus einem von Franz Josef Strauß unterjochten Bayernland, wo mit teilweise harten Bandagen politische Gegner ausgeschaltet wurden (die Schnelligkeit, mit der in Bayern in den Achtzigerjahren Berufsverbote und Maulkörbe verhängt wurden, ergab ein allgemeines Gefühl von Unterdrückung). Achternbusch zeigte einem den Ausweg im Humor, und das ist dann auch der Grund, weshalb er so gerne mit Karl Valentin verglichen wird: »In Bayern gibt es 60 Prozent Anarchisten und die wählen alle die CSU«, war einer seiner markanten Sprüche. Der Münchner Reprophotograph Hias Schaschko druckte sie auf Postkarten, die wir an die Wand unserer zu klein gewordenen Kinderzimmer pinnten. Für den subversiven Blickwechsel, der uns das Leben erträglicher machen sollte.
»Wir sind quasi mit Achternbusch aufgewachsen«, erzählt mir mein Freund W. Sein damaliger Mitbewohner F.X. hatte gar seine Magisterarbeit über Achternbusch verfasst, aus einem hohen Identifikationspotential heraus, denn er und Achternbusch waren im Bayerischen Wald großgeworden und wohnten jetzt beide im Herzen der Münchner Innenstadt. Aus den Fenstern der WG hatte man einen perfekten Blick auf den Viktualienmarkt. Dort saß Achternbusch regelmäßig im Biergarten, oder auch ein paar Meter weiter im Weißen Bräuhaus bei einer Schneiderweißn. Gewohnt hat er hinter dem Marienplatz in der Burgstraße, in der auch das Kulturreferat sitzt, direkt gegenüber dem Kaufhaus am Rathauseck und nur wenige Gehminuten von Hofbräuhaus, Hofgarten und Eisbach entfernt.
Achternbusch hat diesen markanten touristischen Eckpunkten Denkmäler gesetzt, ironische Durchbrechungen und ernstgenommene Huldigungen. Zum Beispiel I Know the Way to the Hofbrauhaus (1990). Hick, wiederkehrendes Alter Ego von Achternbusch, ist darin Fremdenführer in München, bekommt es dann aber mit einer ägyptischen Mumie zu tun. Eine Szene mit Eisbach-Surfern unterlegte er mit »Distant Fingers« von Patti Smith, das auch in Jean-Luc Godards Nouvelle Vague (1990) vorkommt – vielleicht ein Zufall der unbewussten kosmischen Verbindungslinien, von denen Achternbusch in seinem Spätwerk wusste. Zur Meditation fand er bereits in Mix Wix (1989), als Unternehmer Hick auf dem Kaufhausdach am Marienplatz.
Im Radius eines Spaziergangs sind all diese Locations zu finden, und Achternbusch eignete sie sich intensiv an. Das ist auch etwas, was uns so begeisterte, dass München, dieses große Dorf und bis heute touristisch ausgeschlachtete »Weltstadt mit Herz« in seinen Filmen subversiv mit den absurdesten Geschichten durchkreuzt wurde, anfänglich mit einer deutlich politischen Haltung, die auch eine saumäßige Wut auf das Landesgeschehen durchblicken ließ. In Wohin? (1987) ließ er seine Schauspielerin Gabi Geist den markanten Satz von »Gauweiler und seinen schwulen Staatssekretären« sagen (Innenstaatssekretär Peter Gauweiler hatte im realen Leben einen Zwangs-AIDS-Test für die Schwulen in Bayern verordnet). Kult wurde Achternbuschs Zeile in Servus Bayern (1977): »Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe so lange, bis man ihr das anmerkt.« Wir selbst verschworen uns in einer Zeit, als unsere Altersgenossen scharenweise München in Richtung Berlin verließen, zur Gruppe »Wir bleiben hier«. Achternbusch mag daran nicht ganz unschuldig gewesen sein.
Achternbusch hat uns immer wieder aus der Seele gesprochen und mit der Absurdität seiner Dialoge den Aberwitz unserer bayerischen Situation aufgezeigt. »Wenn du die Oberin bist, dann bin ich der Ober!«, sagt in Das Gespenst (1982) Jesus, der in einem Kloster vom Kreuz gestiegen ist und der Oberin im weiteren etliche Schnäpse serviert. Der Film war wie für viele mein erster Kontakt mit Achternbusch. Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU) hatte ihm einen Teil seiner Filmpreisprämie verweigert, weil dieser mit seinem Film das katholische Empfinden massiv gestört hatte (Frösche werden gekreuzigt, die die Oberin und ihre Klosterschwestern aus den Tiefen ihrer Nonnentracht hervorholen). Zimmermann entwarf in der Folge Richtlinien für die Filmförderung, die »intellektualistische Spielereien« ausschließen sollten. Zitat: »Der Steuerzahler will nicht provoziert, er will unterhalten werden.«
Zu dem angestrebten bundesweiten Verbot kam es zwar nicht, aber zumindest im katholischen Bayern (und heute noch immer in Österreich) kam der Film unter Verschluss, ein Skandal, der eine sechsstellige Zuschauerzahl generierte und Das Gespenst zu Achternbuschs populärstem Film machte. Die anhaltende Hohlheit der Bayern beweist auch heute noch der Bayerische Kultusminister Sibler mit seinem Kommentar zu Achternbuschs Tod: »Sein Satz 'In Bayern möchte ich nicht einmal gestorben sein' hat sich nun doch nicht bewahrheitet.« (Süddeutsche Zeitung vom 15.01.2022)
Ähnlich berühmt wie Das Gespenst ist heute noch Bierkampf (1977), in dem Achternbusch als falscher Polizist den Oktoberfest-Besuchern ihr Bier wegtrinkt – auf der realen Wiesn. Einfacher und wirkungsvoller kann man in München nicht provozieren, der Film ist einer von Achternbuschs folkloristischsten und anarchistischsten Filmen und lässt sich gut als karnevaleske Sponti-Action herunterspülen – was für seine Filme mit Anti-Acting, intonationslos »aufgesagten« Sätzen und oft statischen Szenen sonst eher nicht gilt.
München war für Achternbusch nur zweite oder gar dritte Heimat, nach dem Bayerischen Wald, wo er wie mindestens ein anderer Querschädel der Stadt, Theatermacher Alexeij Sagerer, aufwuchs (Achternbusch, Jahrgang 1938, in Mietraching, Sagerer, Jahrgang 1944, in Plattling). Seine erste Werkhälfte spielt am Starnberger See in und um Ambach, dort, wo er Annamirl Bierbichler kennenlernte, die er als Seelenverwandte in seinem Werk einsetzt und in Rita Ritter (1984) mit Hut und aufgemaltem Schnurrbart ihn selbst spielen ließ. Er hatte sie über Sepp Bierbichler, den heute monumentalen Autor und Schauspieler, kennengelernt, der mit der Gaststätte seiner Eltern, dem »Fischmeister«, eines der wichtigsten Lokale ins ländliche Werk von Achternbusch brachte. Aber auch andere Wirtshäuser spielten zentrale Rollen, so wie die Wirtschaft insgesamt im Leben der Bayern. »Neger Erwin« heißt das Gasthaus im gleichnamigen Film von 1980, gedreht wurde im Gasthof Böck im Gautinger Unterbrunn, wo Achternbusch damals lebte.
Oft verbrüderten sich in seinen Filmen die Native Bavarians mit den Native Americans. In Der Komantsche (1979), der in einem Gasthaus in Buchendorf endet, heißt es einmal: »Der Bierbichler steckt sich eine Feder in den Arsch«. Federn und »Indianer«, die Umdekorierung der Bayern in die Native Americans und die gar nicht so harmlosen Auswüchse der Kolonialisierung waren für Achternbusch eine wichtige Verbindungslinie. Sie ergab Filme (und vorausgehend oft Theatertexte) wie Die Atlantikschwimmer (1975), Hick’s Last Stand (1989) und Ich bin da ich bin da (1992), in dem Achternbusch zum hundertjährigen Jubiläum der »Entdeckung« Amerikas durch Christoph Kolumbus gleichermaßen einen Konquistador, einen Indianer, Professor Hicks und Monsieur Hulot verkörpert und aus seinem Mund Kakao wie dickflüssiges Blut rinnen lässt.
Zentrum seines Werks aber ist und bleibt für uns Das Andechser Gefühl (1974), viel zitiert und immer wieder aufs Neue gelebt. Gefilmt von der Anhöhe im Biergarten des Klosters Andechs entwickelt sich die wohl emblematischste Szene seines gesamten Werks: In der sanfthügeligen Weite der Starnberger Landschaft nähert sich ein gelber VW-Käfer dem heiligen Berg. Das ist eigentlich schon alles. Später steigt die ebenfalls in gelb gewandete Filmschauspielerin Margarete von Trotta aus (spekulative Anmerkung: Gelb muss die Lieblingsfarbe von Achternbusch gewesen sein, in seinen Wasserfarben-Bildern, eines davon hing in der bayerisch-japanischen Wirtschaft Nomiya, kommt diese Farbe prominent vor). Kaum ausgestiegen, stört die Schauspielerin mit ihrer städtischen Diktion die Dorf- und Ehegemeinschaft um Dorfschullehrer Achternbusch und deren wortkarge rotzige Art – und nach Meinung vieler auch den Film.
Das »Andechser Gefühl« ist uns als Grundstimmung für alle möglichen Lebenshaltungen geblieben. Es ist der kontemplative Moment, die Welt in sich aufzusaugen und mit ihrer dilettantischen Unvollkommenheit einverstanden zu sein. Das kann im Biergarten passieren, aber auch in anderen unspektakulären Momenten des Müßiggangs. Dieses trotzige Einssein mit der Welt hat uns Herbert Achternbusch mit seinen Filmen geschenkt.