Die Gefühle der »Generation Z« |
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Programmatischer Titel: Ich Ich Ich von Zora Rux | ||
(Foto: DFFB) |
Die Gedanken entwickeln ein Eigenleben: merkwürdige Phantome bevölkern nicht nur die Fantasie, sondern auch die Leinwand. Ängste, Hoffnungen, Utopien, vor allem aber die innere Unsicherheit einer ganzen Generation – Ich Ich Ich, so lautet der tatsächlich programmatische Titel des in vielem herausragenden Spielfilms der Regisseurin Zora Rux im Wettbewerb um den Max-Ophüls-Preis. Dies ist der in diesem Jahr leider zu seltene Fall eines Spielfilms, der auch in Stil und Ästhetik überzeugt und nicht nur ein möglicherweise wichtiges, vielleicht auch arg banales Thema illustriert.
Erkennbar beginnt die »Generation Z«, also die erst im neuen Jahrtausend Aufgewachsenen, ihre Stimme im Kino zu erheben. In den Filmen dieser ganz Jungen drehen sich die Dinge oft komplett um den eigenen Gefühlsnarzissmus, und das selten so selbstkritisch wie in Ich Ich Ich, der von einem Paar erzählt, das sich unsicher ist, wie es mit der Beziehung weitergehen kann, ob die Sicherheit von Heirat oder Trennung besser ist als die riskante Unsicherheit der bisherigen Liebe.
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Es sind solche herausfordernden, fragenden Filme und frische Perspektiven, um die es seit Sonntag vor einer Woche beim 43. »Festival Max-Ophüls-Preis« in Saarbrücken ging – längst ist dies das wichtigste Filmfestival für den deutschsprachigen Nachwuchs- und Independent-Film. Das Wort »deutschsprachig« ist in diesem Fall wichtig, denn neben deutschen laufen hier auch österreichische, schweizer und gelegentlich luxemburger Filme.
Auffallend oft handeln sie in
diesem Jahr von Generationenverhältnissen. Etwa zwischen einem Sohn, der auf die Freundin seiner Mutter eifersüchtig ist (Bulldog), einer Schauspielerin und ihrem Regisseur (Ladybitch), einer Architektin und ihrem Chef (Risse im Fundament). Letzteres zwei klassische gesinnungsstarke Problemfilme, wie sie, grundiert durch andere Themen, auch schon vor 50 Jahren hätten gemacht werden können: Frau muss lernen,
Nein zu sagen. Ja, so ist es wohl.
Ästhetisch bringen solche erbaulichen Erkenntnisse aber nichts.
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Saarbrücken ist ein wertvoller Ort der Entdeckungen und der Zukunft des Kinos. Neben Spiel- und Dokumentar-Filmen gibt es hier auch Wettbewerbe für Kurzfilme und – eine Spezialität – für sogenannte »mittellange« Filme zwischen 30 und 60 Minuten. Gerade in diesen Sektionen finden sich oft die mutigsten, im guten Sinne riskantesten Filme des Festivals.
Zum Beispiel Aleksandra Odic, Studentin der Berliner dffb, die mit mehreren auffallend guten Kurzfilmen schon
längst ein Geheimtipp der Branche ist und im Sommer bei den Filmfestspielen von Cannes als einzige deutsche Regisseurin einen Preis gewann. Sie feierte nun die Deutschlandpremiere dieses Films: Für Frida hat Odic mit Vicky Krieps einen Weltstar und mit Aenne Schwarz eine herausragende Hauptdarstellerin gewonnen. Der sehr konzentrierte Film entfaltet in wenigen Skizzen die intensive Freundschaft zweier Frauen. Krieps spielt eine Krankenschwester, die
sich sehr um eine gleichaltrige Patientin bemüht, deren Zustand sich immer mehr verschlechtert.
Erwähnen muss man auch den neuen Kurzfilm von Lisa Hasenhüttl, die an der Wiener Filmakademie studiert. Vote! ist eine schlaue politische Fantasie und ein kleines feines Filmjuwel über Abgründe der Demokratie.
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Spannend war auch der Dokumentarfilm Die Kunst der Stille (Regie: Mauritzius Stärkle Drux) über das erste Leben des weltberühmten Pantomimen Marcel Marceau, dessen Familie von den Deutschen ermordet wurde und der selbst während des Krieges hunderte jüdischer Kinder rettete.
Eröffnet wurde bereits am Sonntag mit der Premiere von Marten Persiels Everything will Change – ein Film wie die Faust aufs Auge der Klimadebatte: Im Jahr 2054 ist die Welt, wie wir sie kennen, längst untergegangen. Der Film kreist um drei junge Menschen, die die Vergangenheit recherchieren und den Schlüssel zur Katastrophe ihrer Gegenwart in den 20er Jahren, also der Gegenwart, finden. Jetzt war noch alles möglich.
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Allen mehr oder weniger schönen Filmbeispielen zum Trotz war Saarbrücken, das sich im vergangenen Jahr, auf dem Höhepunkt des Winterlockdowns, komplett in die Online-Welt zurückziehen musste, auch in diesem Jahr alles andere als ein normales Filmfestival. Dieses Mal versuchte man das Festival als »Hybrid-Ausgabe« durchzuführen.
Was heißt das? Diese Hybrid-Versionen, auf die auch andere Festivals ausweichen, sind eine Reaktion auf die Tatsache, dass das Publikum und auch die professionellen Festivalbesucher nach fast zwei Jahren Pandemie Online-Veranstaltungen und Treffen im virtuellen Endlosstrom komplett satthaben und die Besucherzahlen solcher Angebote über das letzte Jahr hinweg kontinuierlich abgenommen haben.
Darauf müssen Veranstalter reagieren – andererseits gibt es da auch die
Risikoscheu der politischen Verantwortlichen und die Furcht eines Publikums, dem zwei Jahre lang suggeriert wurde, die Kinos seien der gefährlichste Ort der Welt, viel gefährlicher als Supermärkte oder Straßenbahn. Darum zeigte Saarbrücken alle seine Filme im Kino. Ausgewählte Werke gibt es nach der Kino-Premiere für virtuelle Besucher (also auch für Sie, liebe Leser), per Online-Stream auf der Website des Festivals zu sehen.
Um den Kinobesuch zugleich zu entzerren und
darauf zu reagieren, dass die Kinos nicht voll besetzt werden können, laufen Filme nur jeweils zu einem Termin, aber in bis zu neun Kinos gleichzeitig. Zudem hatte man das Programm gegenüber früheren Ausgaben abgespeckt und das Festival selbst um fünf Tage verlängert. Alle Rahmenveranstaltungen, Diskussionsrunden, der den Profis vorbehaltene Filmmarkt und sowieso alle Partys wurden ersatzlos gestrichen – weil ein Festival aber mehr ist, als die Summe seiner Filme, kommt echte
Festivalstimmung also in Saarbrücken nicht auf.
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Wenn an diesem Mittwoch die Preise verliehen werden – zu spät für den heutigen Redaktionsschluss; wir werden die Bilanz kommende Woche nachliefern – dann ist einmal mehr in dieser Biennale der Pandemie festzustellen, dass die Spielfilmauswahl darunter mit Abstand am meisten leidet: Der Wettbewerb um den besten Spielfilm bot wie im Vorjahr das schwächste Programm in diesem an sich hochinteressanten und sehr lohnenswerten Filmfestival. Denn hier überwiegt seit
einigen Jahren auch in der Auswahl das Inhaltistische, das Themenfixierte. Während in dem doch notwendig thematisch orientierten Dokumentarfilm-Programm gewagtere ästhetische Entscheidungen erkennbar sind.
Während bei dieser Auswahl ganz offensichtlich also auch auf Stil, Form und Ästhetik Wert gelegt wird, scheint es bei der Spielfilm-Auswahl doch vor allem darum zu gehen, jene vermeintlich wichtigen Themen abzuarbeiten, die die Agenda der Leitartikel vorgibt und die
durch den Dokumentarfilm nicht oder nur unzureichend abgebildet werden.
Man würde sich wünschen, dass bei den Kuratoren des Festivals das Bewusstsein für die auch thematische Vielfalt an deutschen Filmhochschulen erhalten bleibt. Dass die vielen Filme, die formal etwas Besonderes wollen, nicht an den Rand gedrängt werden zugunsten einer bestimmten Mode von Befindlichkeits- und Agenda-Filmen.
Es wäre auch das falsche Signal an Filmstudenten, ihnen unter der Hand quasi zu suggerieren, dass nur bestimmte Themen, und hier wiederum bestimmte Haltungen
zu diesen Themen, wichtig sind.
Denn es trifft nicht zu, dass die Filmstudenten tatsächlich alle so woke sind, dass sie sich Beziehungen zwischen jungen Frauen und älteren Männern nur noch als Missbrauch vorstellen können. Aber sie zeigen es nicht, denn gerade auf diesem Feld macht man sich ungern angreifbar.
Das Kino war da schon viel weiter, auch in Saarbrücken, wo im Jahr 2002 der Film Mein erstes Wunder von Anne Wild
gewann, in dem die – ja! – Liebe zwischen einer Elfjährigen und einem Mittvierziger sensibel und poetisch gezeigt wird. Auch damals wurde darüber diskutiert, aber ergebnisoffen, und die These der Regisseurin, dass so eine Beziehung als einverständliche (übrigens nicht sexuelle) Liebe jedenfalls utopisch denkbar sein darf, wurde ernst genommen.
Zwanzig Jahre später dominiert erkennbar mehr sittliche Korrektheit die Angst, etwas falsch zu machen.