Zwei Männer und ein Oscar |
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Zeichen der Zeit: Coda | ||
(Foto: Apple) |
Dass der Oscar irgendetwas mit Kino zu tun hat, würde man wirklich seit langem nicht mehr behaupten wollen. Eine verlogene Veranstaltung einer verlogenen Filmindustrie, die heute weniger wichtig für den Rest der Welt ist, als sie das jahrzehntelang war. Die sich aber immer noch so aufführt, als sei auch das 21. Jahrhundert filmästhetisch und filmwirtschaftlich gesehen ein amerikanisches Jahrhundert. Glücklicherweise ist dem nicht so.
Trotzdem glauben das immer noch viele. Trotzdem wird Hollywood immer noch viel zu wichtig genommen. Und trotzdem gelingt es Hollywood immer noch, den Geschmack vieler Millionen Zuschauer nachhaltig zu schädigen oder zu verderben.
Auch immer wieder mit vielen Filmen, die beim Oscar nominiert sind, und mit den Kriterien dieses Nominierens.
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Für einen kurzen Moment hat Hollywood am Sonntag seine Maske heruntergerissen. Chris Rock wollte einen ziemlich mäßigen Witz machen, der auf den kahlen Kopf von Will Smith' Frau Jada Pinkett Smith anspielte, die an einer Krankheit leidet, die mit Haarausfall verbunden ist: »G.I. Jane II – can’t wait to see it« scherzte Rock.
Was dann geschah ist unglaublich: Da benimmt sich einer vor einem Millionenpublikum, als ob er Mitglied einer Straßengang ist.
Es wird endlich offenkundig, in welcher Wahrnehmungsblase sich ganz Hollywood befindet und auch die Oscar-Verleihung selbst ist ein Teil davon.
Danach dann drückte Will Smith kräftig auf die Tränendrüsen und zeigte sein exzellentes Schauspieler-Handwerk. »Ich schütze ja nur meine Familie.«
Ein Schauspieler schlägt einen Schauspieler vor vielen Millionen Menschen live ins Gesicht – und danach bekommt er einen Oscar und nutzt die Dankesrede dazu, einen auf tollen Familienvater zu machen.
Aber diese angebliche Vorbildfunktion, mit der Hollywood gerne hausieren geht, sollte man besser vergessen. Es zeigt sich vielmehr die Ethik eines neoliberalen anarchistischen Individualismus, der Amerika ganz und gar im Schwitzkasten hält: Jeder hat jederzeit das Recht auf alles, und wenn man mächtig und berühmt genug ist, kommt man damit durch, wandert man dafür nicht ins Gefängnis, sondern bekommt noch Applaus in den sozialen Netzwerken.
Abgesehen davon, dass der amerikanische »Race«- und »Gender«-Diskurs, der in den USA gegenwärtig alles durchzieht, auch hier unsere Wahrnehmung des Geschehens komplett framed: Man stelle sich nur einmal kurz vor, es hätte ein weißer Schauspieler einen schwarzen geohrfeigt! Oder ein schwarzer Schauspieler hätte eine weiße Frau geschlagen. Das Bild in unserer Bewertung wäre ein komplett anderes gewesen. Aber wenn zwei schwarze Männer sich prügeln, dann dürfen sie das noch am ehesten.
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Coda über eine hörbehinderte Familie, das Apple-Remake eines europäischen Films (Verstehen Sie die Béliers?), war ein Überraschungssieger. Andere Filme wurden wochenlang als Favoriten gehandelt, insbesondere der Jane Campion-Film The Power of the Dog.
Doch dann
rutschte Jane Campion auf dem dünnen Eis der amerikanischen Identitätspolitik aus: Sie hatte es gewagt, als Frau, aber eben als weiße Frau, zwei Frauen zu kritisieren, aber eben schwarze Frauen: Es handelt sich zwar um zwei Multimillionärinnen, die Tennisstars Serena und Venus Williams. Aber eben doch um schwarze Frauen.
Campion hatte zu den Williams-Sisters gesagt: »Venus and Serena, you’re such marvels. However, you don’t play against the guys, like I have to.«
Gemeint war natürlich Damentennis, und es handelt sich um eine sachlich zutreffende Feststellung. Sagen darf man das in der augenblicklichen Situation trotzdem nicht. Der Shitstorm schlug hohe Wellen, Campion hatte sich zu entschuldigen, doch auch ein öffentlicher Kotau vor dem virtuellen Mob konnte sie nicht mehr retten.
Denn hier zählt nur die Frage: Wer ist das größere Opfer? Eine Frau oder Schwarze. Gegen eine schwarze Frau hat man da als weiße keine Chance.
So setzten sich die 12 Nominierungen nicht um. Das läppische Feelgood-Movie gewann gegen das komplexe Drama. Und Apple gewann gegen Netflix. Das ist vielleicht das Unsympathischste an der ganzen Oscar-Chose des letzten Wochenendes: Es war ein Wettbewerb zwischen Streaming-Diensten und zwischen Filmen, die für den Handy-Bildschirm gemacht waren, nicht für die Kinoleinwand.