Genre-Muster variiert |
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Dario Argentos Comeback-Film Dark Glasses | ||
(Foto: Fantasy Film) |
Von Eckhard Haschen
Es war schon sehr eigentümlich, am vergangenen Sonntag nach einer halben Woche mit verschiedenartigsten Scary Movies – unter anderem einem von Dario Argento und einem aus Russland – auch noch mit dem realen Horror der Bilder aus Bucha konfrontiert zu werden – die leichte Irritation, die auf dem Weg vom Kino zum Nachtbus von einem weißen Van ausging, hätte mir – ehrlich gesagt – vollauf gereicht.
Der Film, in dem ein weißer Van eine tragende Rolle spielt, ist Dark Glasses, mit dem Dario Argento nach zehn Jahren sein Comeback gibt. Mag man bei der Sonnenfinsternis zu Beginn noch an Antonionis Liebe 1962 denken, so wird spätestens mit dem ersten Mord klar, dass wir uns in einem Giallo befinden, jenem Genre, das Argento in den 1970er und -80er Jahren so entscheidend geprägt hat. Der inzwischen 81-Jährige kehrt hier also in die Gefilde zurück, die er am besten beherrscht, und läuft dabei in den Augen dieses Betrachters fast zu alter Form auf. Dass die Wahrscheinlichkeit des Geschehens nicht sein oberstes Prinzip ist, war auch schon früher so und ist bekanntlich auch bei Hitchcock oder De Palma nie anders. Die Selbstbehauptung der nach einem Unfall erblindeten Sexarbeiterin Diana (Ilena Pastorelli) ist jedenfalls vom ersten bis zum letzten Bild mit stilsicherer Hingabe inszeniert.
Auch einige weitere Filme bezogen ihren Reiz genau daraus, dass sie bekannte Genremuster mit Erfindungsreichtum variierten. So zum Beispiel der Psychothriller Inexorable von Fabrice Du Welz, in dem Benoit Poolvorde einen erfolgreichen Schriftsteller spielt, den in Gestalt eines hübschen jungen weiblichen Fans die lange verdrängte Vergangenheit einholt. Oder Ti Wests als Eröffnungsfilm gezeigter X, der Elemente aus The Texas Chainsaw Massacre mit solchen aus Boogie Nights kombiniert. Schön auch, wie sich Park Dae-Mins Actionfilm Special Delivery aus Südkorea seinen eigenen Reim auf The Transporter macht. In der Hauptrolle überzeugt – wie schon in Parasite – Park So-Dam. Gar nicht zu reden von Quentin Dupieux, der mit Filmen wie Rubber, Wrong Cops oder Realité den Surrealismus auf seine Weise interpretiert und sich so sein eigenes Genre geschaffen hat. In Incredible But True genügt ein Loch im Keller seines Hauses, um einem Paar den Glauben an Raum, Zeit und Wahrscheinlichkeit für immer zu nehmen.
Ein erfreulicher Trend, der sich nun auch bei diesem Festival zeigt, ist der Umstand, dass immer mehr Frauen mit originellen Genrefilmen hervortreten. So zum Beispiel Hanna Bergholm aus Finnland mit ihrem Debüt Hatching. In diesem berührenden Coming-of Age-Horrorfilm findet die zwölfjährige, an ihrem spießigen Elternhaus leidende Protagonistin eines Tages ein Vogelei, nimmt es mit nach Hause, wo es wächst und wächst – und woraus dann eben nicht das übliche Monster entspringt. Ebenfalls ein Erstling ist Mimi Caves als Abschlussfilm gezeigter Entführungsthriller Fresh, dessen von Daisy Edgar-Jones nuanciert gespielte Heldin einen Dating-Alptraum erlebt, den sie sich nicht schlimmer hätte ausmalen können. Auch wenn Jones das Genre nicht neu erfindet, greifen die Teile hier so gut ineinander, dass das für Disney+ produzierte Werk zwei Stunden lang zu fesseln vermag.