Sprung in die Zukunft |
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Grandioser Tischtennis-Rundlauf: Pa vend von Samir Karahoda | ||
(Foto: Filmfest Dresden / Pa Vend) |
Von Dunja Bialas
Animierte Porzellanpuppen, Zeichnungen und Cut-ups, Aquarelle, CGI-generierte Visuals und Stop Motion ergießen sich neben Kurzspielfilmen in bunter Mischung auf die Leinwand in der Dresdener Schauburg. Einmal ist da ein Autoreifen darunter, in den sich ein Kind eingeklemmt hat, das mit seinem abenteuerlustigen Papa zum Sonntagsrennen ausgebüxt ist – sehr zu Recht zum Missfallen der Mutter, wie man später sehen wird.
Der Animationsfilm hat einen festen Platz beim Filmfest Dresden. Wer Berührungsängste mit Phantasmen, Unlogiken, Künstlichkeit oder scheinbarer Harmlosigkeit hat, die auch mal schwere Themen zu verpacken weiß (wie eine Krebserkrankung), und sich mit einer »neuen Naivität« im Erwachsenenfilm schwertut, der muss sich erst einmal selbst überwinden, um den Zugang in diese künstlichen Paradiese zu finden.
Animation hat in Dresden eine lange Tradition, die, wie das Festival insgesamt, bis in die DDR-Zeit zurückreicht. Seine erste Ausgabe feierte es im März 1989, über ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Seit 1955 gab es in Dresden das DEFA-Studio für Trickfilme, das nach der Wende schonungslos treuhänderisch abgewickelt wurde, bevor es 1993 mit dem Deutschen Institut für Animationsfilm (DIAF) zur Gründung einer neuen filmwissenschaftlichen Organisation kam.
Bei der 34. Ausgabe des Filmfests Dresden tut man gut daran, sich auch an diese Anfänge zu erinnern, die in einem Heft zum 30. Jubiläum 2018 nachlesbar sind. Claus Löser »aus Karl-Marx-Stadt«, wie er sich selbst spitzbübisch dem Publikum vorstellte, heute Filmkritiker-Kollege und Betreiber des Berliner Kinos »In der Brotfabrik«, ist auf den Fotos zur ersten Ausgabe zu finden – sofort wiedererkennbar und auch damals kaum jünger wirkend als dreißig Jahre später. Er ist immer noch mit dem Filmfest verbunden und lud für einen Nachmittag in das Lingnerschloss hoch über der Elbe zu einem historischen Programm ein. Dort erwartete einen das Frühwerk von Steffen Reck, darunter vier Super-8-Filme, die noch zu DDR-Zeiten entstanden waren und von einer großen Experimentierfreude erzählen, ebenso wie der 45-minütige Langfilm mit dem politisch vielsagenden Titel Gesicherte Ufer, der 1990 in Co-Finanzierung mit dem SWF direkt am Elbeufer realisiert worden war.
»Umbrüche« hatte Löser das Programm genannte, was Anlass zu anspielungsreichen Süffisanzen wie »Zeilenumbruch« gab. Der aus Radebeul bei Dresden stammende Regisseur Reck wirkte sichtlich angefasst, als vierzig Jahre nach ihrer Entstehungszeit seine Filme wieder zur Aufführung kamen. Studiert hatte er Puppenspiel, einen der erstaunlichen Berufe Osteuropas. In Gesicherte Ufer performen die Schauspieler seiner »Zinnober«-Theatergruppe am Ufer der Elbe, schlagen ihr Lager auf, wandern weiter, und machen zwischendurch nun mal Zinnober. Ein experimenteller Spielfilm, der in seiner Mischung aus Improvisation und Bühnenhaftigkeit auch an Aumühle (1979) des niederbayerischen Theatermachers Alexeij Sagerer oder an Edith Walks (2017) des Briten Andrew Kötting erinnert.
Steffen Reck nennt seinen Film eine »Collage aus persönlichen Traum- und Dokumentarbildern, die (…) die Stimmung dieser seltsamen Zeit konserviert hat«. Sein auf Film gedrehtes Material wurde vom SWR stark heruntergekürzt, und man kann sich gut vorstellen, dass hier nur der Rumpf eines Filmprojekts erhalten geblieben ist.
Und so legte sich unterschwellig Wehmut nach der vergangenen Zeit und Wendezeit-Verbitterung über die Veranstaltung. Vielleicht war das aber auch nur der allgemeinen Trauer geschuldet, die sich breitmacht, wenn man erkennt, dass die eigene Jugend vergangen ist, und mit ihr die Zeit unbekümmerter Kreation.
Die geballte Jugend fand sich in der Schauburg in der Dresdener Neustadt ein. Wer etwa denkt, Dresden sei mit den immer noch praktizierten Montags-Pegida-Kundgebungen allein eine Hochburg der AfD, wird hier eines anderen und besseren belehrt, denn das junge, bunte Publikum stammt direkt aus der Dresdener Nachbarschaft. Die Offenheit des Filmfests Dresden für andere Lebensweisen lässt sich bereits seit seiner ersten Ausgabe finden. In frühen Jahren war Hella von Sinnen eine wichtige Festival-Moderatorin, sie engagierte sich damals schon für die Homo-Ehe. Auf den Fotos im Jubiläumsheft findet sich auch der 1994 verstorbene Manfred Salzgeber, damaliger Leiter der Berlinale-Sektion Panorama und Gründer des queeren Salzgeberverleihs.
Diese frühe Offenheit für schwul-lesbische Persönlichkeiten ist neben dem Animationsfilm ein zentrales Merkmal des Filmfests Dresden und mittlerweile Teil des Konzepts geworden. So gibt es den LUCA-Filmpreis für Geschlechtergerechtigkeit (auf Englisch noch treffender »GenderDiversity Film Award«), gestiftet vom Genderkompetenzzentrum Sachsen, dem FrauenBildungsHaus Dresden und dem LAG Queeres Netzwerk Sachsen und den »voll politisch«-Kurzfilmpreis der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Man merkt den Willen regionaler Institutionen, um den lokalen rechten Tendenzen entgegenzuwirken.
Wie ein plakativer Disclaimer fühlte sich jedoch der Festivaltrailer der Künstlerin Brenda Lien an, die nach einem Desktop-Film mit bunt bearbeiteter Phantasie-Flora aus dem Off raunt: »This is not leftist propaganda.« Die Offenbacher Künstlerin fordert grundlegende Menschenrechte ein, wenn sie Menschen nicht nach ihrer Herkunft und dem Geschlecht befragt, sondern nur, wie sie angeredet werden möchten. Eine überdeutliche Botschaft, die sich ganz ohne Selbstironie leider viel zu ernst nimmt und damit womöglich auch den blinden Fleck der Wokeness-Bewegung performt. Im Nationalen Wettbewerb zeigte Brenda Lien FIRST WORK, THEN PLAY über den Stresspegel von freiberuflichen PoC-Musikproduzentinnen, der mit dem mit 20.000 Euro prämierten Spitzenpreis der Sächsischen Filmförderung ausgezeichnet wurde.
Insgesamt wurden Goldene-Reiter-Trophäen im Wert von insgesamt 71.000 Euro überreicht, zusätzlich der undotierte Dresdner Kurzfilmpreis des Verbands der deutschen Filmkritik im internationalen Wettbewerb. Er ging an das Rosa-von-Praunheim-Remake Nicht die brasilianischen Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie leben der in Berlin ansässigen Brasilianer Eduardo Mamede, Leandro Goddinho und Paulo Menezes, die selbstironisch ihre Body-Positivity beim Nacktbaden am Müggelsee zur Schau stellen und sich dabei ganz beiläufig über ihre Situation als ausländische Filmemacher unterhalten. Das augenzwinkernde Schelmenstück wurde auf Handy-Kamera lippenasynchron gedreht und »könnte der Aufbruch zu einem neuen, lustvollen politischen Filmemachen sein«, so die Begründung der Jury (der ich neben meinen Kolleg*innen Frédéric Jaeger und Tina Waldeck angehörte).
Animationsfilme und Kurzspielfilme gemeinsam in den Wettbewerb zu schicken und dabei zusätzlich den Nachwuchs mit etablierten Filmemacher*innen zu kombinieren, führte im Programmablauf immer wieder auch zu jähen Reibungs- und Schockmomenten. Die Meisterschaft des Kosovaren Samir Karahoda machte seinen halbdokumentarischen Film Pa vend (Displaced) über die absurde Schwierigkeit, in einem Dorf einen Platz zum Tischtennisspielen zu finden, zum konkurrenzlosen Werk, und der österreichische Experimentalfilmer Peter Tscherkassky überfuhr mit seinem furiosen Train Again die übrigen Mitstreiterfilme fast schon buchstäblich. Hier würde sich ein »Best of Festivals«- Programm anbieten, um die Unterschiede im Wettbewerb nicht zu deutlich ausfallen zu lassen – auch weil die etablierten Filmemacher*innen kaum für einen Preis in Frage kommen, wenn sie schon auf den großen Festivals wie Toronto, Cannes oder Venedig ihre Premieren hatten.
Vielleicht aber ist trotz Hochdotierung das mit den Preisen gar nicht so wichtig. Das Festival hatte vor über dreißig Jahren als Publikumsfestival begonnen, bewusst wollte man in der Anfangszeit keinen Wettbewerb. So verbreiten die Festivalleiterinnen Anne Gaschütz und Sylke Gottliebe vor allem gute Stimmung und füllen die Leinwand mit den allerersten Werken eines neuen Filmschaffens. Damit setzt Dresden auch zum großen Sprung in die Zukunft an.