Radikaler Kulturrebell |
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Albrecht Schuch als Thomas Brasch | ||
(Foto: Peter Hartwig (Zeitsprung Pictures / Wild Bunch Germany)) |
Von Peter Kremski
Der Preisregen für Lieber Thomas ist in der Tat verdient. Eine verblüffend frei-fiktionalisierende Filmbiographie, die sich traut, imaginäre Sequenzen einzubauen, die das Biographische immer wieder ins Surreale kippen lassen. Handwerkliche Meisterleistungen auf allen Ebenen. Absolut brillant die Kameraarbeit von Johann Feindt. Und vor der Kamera große Schauspieler-Performances. Katharina Thalbach zu spielen, muss man erstmal hinkriegen, Jella Haase macht das mit Bravour. Und Albrecht Schuch ist als Thomas Brasch geradezu überwältigend. Spätestens hier begreift man, dass er sich inzwischen in die vorderste Reihe deutscher Schauspielkunst gespielt hat. Vor zwei Jahren hatte er schon zwei Deutsche Filmpreise auf einen Streich gewonnen.
Albrecht Schuch wirkt wie ein Instinkt-Schauspieler, der aus dem Bauch heraus zu spielen scheint. Sein Thomas Brasch gewinnt dadurch eine fulminante, immer wieder auch berserkerhafte körperliche Präsenz. Eine Spielweise, wie man sie von Götz George kannte. Selbst die unkonventionelle Art zu sprechen, aus dem körperlichen Spiel heraus die Sätze zu vernuscheln, lässt Schuch wie einen neuen George erscheinen. Von ihm wird viel noch zu erwarten sein. Denn hinter diesem impulsiven körperlichen Agieren mit dem Ausdruck scheinbarer Unbewusstheit steckt ein intellektuelles Konzept, genauso eine sehr bewusste Schauspiel-Methode. Einen in diese Richtung weisenden Einblick hat Schuch selbst gegeben in einem Werkstattgespräch anlässlich seiner Auszeichnung mit dem International Actors Award des Film Festival Cologne im vorigen Jahr.
Thomas Brasch wiederum war im deutsch/deutschen Kulturbetrieb der 68er-Ära so etwas wie der Wildeste unter Tausend, ein radikal-aufmüpfiger Kulturrebell, der gegen das kulturelle Establishment zu Felde zog und gegen die sozialen und politischen Verfehlungen der Vätergeneration. Ein Enfant terrible in der DDR, so wie es als Pendant in der BRD auf seine Weise Rainer Werner Fassbinder gewesen ist. Beide sind bezeichnenderweise im selben Jahr geboren, 1945, ein Jahr, das schon symbolisch eine Zeitenwende markiert, und beide waren, noch eine Übereinstimmung, charismatische Lederjackenträger, für die die Lederjacke als Emblem der Unangepasstheit Teil der persönlichen Aura war.
Brasch war mit seiner expliziten Protesthaltung (in dieser Hinsicht RWF vielleicht noch übertreffend) eines der größten poetischen Talente, das diese Generation hervorgebracht hat: als Dichter, Erzähler, Dramatiker und Filmemacher. 1980 habe ich im Schauspielhaus Bochum die Uraufführung seines Theaterstücks »Lieber Georg« sehen können in einer mitreißenden Inszenierung von Matthias Langhoff & Manfred Karge, das war während der Peymann-Intendanz. »Ein Eis-Kunst-Läufer-Drama aus dem Vorkrieg« nannte sich das Stück im Untertitel.
Das Eiskunstläuferdrama war eine Hommage an Georg Heym, den nicht weniger wilden Kulturrebellen und exzessiv-grandiosen Dichter des Frühexpressionismus, der 1912 mit 24 Jahren beim Eislaufen auf der Havel ums Leben kam, denn auch damals schon starben aus der Sicht von Brasch vor den Vätern die Söhne. Ein berserkerhaftes Stück über einen berserkerhaften Protagonisten in einer berserkerhaften Inszenierung, in der Co-Regisseur Manfred Karge selbst den Titelhelden spielte.
Ein Jahr später dann eine unerwartete Wiederbegegnung mit Thomas Brasch im Kino: seine erste Filminszenierung Engel aus Eisen mit Katharina Thalbach in der weiblichen Hauptrolle. Der große Kameramann Walter Lassally, ein Mitgestalter der Free-Cinema-Bewegung und der daraus folgenden britischen Neuen Welle, zu dessen cinematographischem Oeuvre solche modernen Klassiker zählten wie Die Einsamkeit des Langstreckenläufers oder Alexis Sorbas, garantierte die Brillanz der Bildgestaltung. Da konnte man sehen, was für ein Potential Brasch auch als Filmemacher besaß. Ein paar Jahre später stand ihm für die Hauptrolle in seinem dritten und leider auch schon letzten Kinofilm Der Passagier kein Geringerer als Tony Curtis zur Verfügung.
Das kommt in der Filmbiographie von Andreas Kleinert (Regie) & Thomas Wendrich (Buch) wenig oder auch gar nicht vor. Dass der Film Lieber Thomas heißt, ist aber ein nicht zu übersehender Rückverweis auf Braschs frei-fiktionalisierendes Dichterporträt »Lieber Georg«, auch wenn im Film von diesem Theaterwerk von Thomas Brasch an keiner Stelle die Rede ist. Vielleicht hat eine Referenz auf das Brasch-Stück ursprünglich einmal im Drehbuch eine Rolle gespielt oder gedrehtes Material ist hinterher dem Schnitt zum Opfer gefallen, wer weiß.
Erfreulicherweise gibt es eine ZDF/3sat-Aufzeichnung der Bochumer Langhoff/Karge-Inszenierung aus dem Jahre 1980, die auf YouTube hochgeladen ist. Wer will, kann also nach Lieber Thomas, dieser furiosen biographischen Fantasie über Thomas Brasch, wie ein Gegenstück dazu auch »Lieber Georg« sehen, Braschs eigene ebenso furiose biographische Fantasie über den expressionistischen Dichterrebellen Georg Heym, den man wohl als Braschs Alter Ego verstehen durfte.