Aufbruch zu Neuem |
||
Feierlichkeit im Sugar Mountain | ||
(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas
Die riesige Betonhalle mit dem versüßenden Namen »Sugar Mountain« ist einer der Hotspots der Off-Szene Münchens, jung und deshalb dynamisch, weil sich hier altgediente Formate allein schon wegen der architektonischen Beschaffenheit neu erfinden müssen. Bereits letztes Jahr war das »Sugar Mountain« Spielstätte des Open-Air- und Pop-up-Filmfest München, das unter den damals gegebenen Corona-Restriktionen nach viel Air oder wenigstens Space verlangte, mehr als in einem Kinosaal vorhanden. Dieses Jahr fand bereits im Bahnwärter Thiel, ein weiterer Off-Space des jungen München, die Verleihung des Starter-Filmpreises statt. Der Starter-Filmpreis ist für den Nachwuchs, vergeben werden drei mit 8000 Euro dotierte Preise für innovative Filmformen, außerdem gibt es einen gleichwertigen Produktionssachpreis, der dieses Jahr von der Nachfolgefirma von Pharos – The Post Group gestiftet wird.
Die Obersendlinger Halle kenne er schon lange, erzählt Kulturreferent Anton Biebl in seiner Begrüßungsrede. Gleich drei Mal sei er hier zu Zwecken der Standortsuche gewesen: für ein neues Haus für das Volkstheater (jetzt im Schlachthof), für ein Interimsquartier des Gasteigs (jetzt an der Isar als HP8) und für einen neuen Konzertsaal, der jetzt für das ehemalige Pfanni-Gelände geplant ist, das sich heute schick »Werksviertel Mitte« nennt. Die Halle, in der früher Betonteile gefertigt wurden, wie Biebl verrät, ist es also in allen drei Fällen nicht geworden. Die im Lageplan etwas zurückgesetzte Halle ist auch nicht so leicht zu finden, was dem plötzlichen Platzregen geschuldet sein mag, der die Anfahrt unerwartet beschwerlich gestaltet hat.
Dafür aber sind die anwesenden geladenen Gäste hochkarätig. Neben der Jury (hier bitte ein Smiley denken, denn die Verfasserin war Teil von ihr) fand sich die Dokumentarfilmabteilung der HFF München im Sugar Mountain ein. Dieses Jahr gingen alle vier Preise an dokumentarische Formen, was sich aus der hochkarätigen Produktion der Hochschulabteilung fast zwangsläufig ergab. Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden hatte ebenfalls den Weg nach Obersendling gemacht und begrüßte mit einer, von der Filmfesteröffnung gewohnten, präzisen Reflektion, die Kultur immer auch politisch versteht. Sie beglückwünschte die anwesenden Preisträger*innen nicht nur zu ihren Werken, sondern auch für den Mut, in dieser schwierigen Zeit den auch sonst nicht einfachen Weg der Kreation einzuschlagen. »Es gehört Mut dazu, heute Filmemacher, Filmemacherin zu werden«, sagte sie. Generell müsse die Kultur leider einen Rückgang der Besucherzahlen feststellen, was, wir erinnern uns, auch an den monatelangen Schließungen der Kulturstätten liegt, der Publikums-Entwöhnung und auch der fast zwei Jahre währenden Darstellung von Theater und Kino als potentiellen Orten des Superspreadings. All dies ließ Habenschaden freilich unausgesprochen, jede und jeder der Anwesenden aber wusste sofort die Gründe dafür, warum die Kultur heute in die Defensive geraten ist.
Das trübte letztlich nicht die feierliche Stimmung, denn beim Starter-Filmpreis geht es, wie der Name schon sagt, um Start, Neustart und Aufbruch. Der Name verströmt Optimismus, und die preisgekürten Filmschaffenden konnten auch davon berichten, wie und vor allem dass ihre Reise weitergeht. Erec Brehmer beispielsweise, der für Wer wir gewesen sein werden den Produktionspreis erhielt, hat bereits den Kinostart fest in der Tasche. Er hat eine dokumentarische Trauerbewältigung geschaffen, die ganz aus dem persönlichen Archiv des Filmemachers und seiner Freundin besteht, die tragischerweise in einem Autounfall ums Leben kam. Ja, ein therapeutischer Film, der aber ohne allzu große Rührseligkeit auskommt und immer wieder auch die schönen und lichtvollen Momente im Leben des Paars aufscheinen lässt.
Felix Klee, der in den letzten Jahren schon an vielen Orten als Videokünstler in Erscheinung trat (darunter bei der Videokunstbiennale Videodox in der Galerie der Künstler), inszenierte in seinem modernen Heimatfilm Hoamweh Lung ebenfalls eine Form der Trauerarbeit, über ein Pferd, das Staub in der Lunge hat und sterben muss, und mit ihm auch das Heimatgefühl. Klee mischt Animation, Computerkunst und eigene Schwarzweiß-Aufnahmen zu einem neuen alten Gefühl des Verlusts, eingetaucht in die Wärme des Dialekts.
Auch in Überleben von Lara Milena Brose und Kilian Armando Friedrich geht es um Leben und Tod. Das Filmemacher-Duo begleitet den 26-jährigen Leon, der in einem Heim versucht, neue Ordnung und Abstinenz in sein Leben zu bringen – was ihm bis zu einem gewissen Grad gelingt. Sein Gegenpart ist der eigene Vater, ein zuerst aufgeblühter, dann etwas heruntergekommener Künstler, mit dem er tiefe und herzliche Gespräche führt. Das Vater-Sohn-Verhältnis fasst einen an, vor allem, wenn man an das Ende denkt.
Ebenfalls eine Trauerbewältigung, aber auch das Aufdecken eines Familiengeheimnisses, ist Desired Child von Hilarija Laura Ločmele, die dem Tod der älteren Schwester nachgeht, die gestorben ist, bevor sie selbst auf die Welt kam. Auch in diesem Familienfilm überrascht die Wärme, eine einzigartige Offenheit hat aus diesem Film ebenfalls ein lichtvolles Werk geschaffen, das von dunkler Trauer weit entfernt ist.
Man darf gespannt sein, wie das Schaffen der Preisgekrönten weitergehen wird. Alle Filme sind in konzentrierter Form noch einmal bei den 70. Filmkunstwochen München unter dem Stichwort »Cinema of Future« zu sehen, in Anwesenheit der preisgekrönten Filmemacher*innen.