30.06.2022

Aufbruch zu Neuem

Starter Filmpreis
Feierlichkeit im Sugar Mountain
(Foto: privat)

Auf dem Filmfest München wurde der Starter-Filmpreis der Stadt München verliehen. Das junge Filmschaffen widmete sich der Trauerarbeit

Von Dunja Bialas

Die riesige Beton­halle mit dem versüßenden Namen »Sugar Mountain« ist einer der Hotspots der Off-Szene Münchens, jung und deshalb dynamisch, weil sich hier altge­diente Formate allein schon wegen der archi­tek­to­ni­schen Beschaf­fen­heit neu erfinden müssen. Bereits letztes Jahr war das »Sugar Mountain« Spielstätte des Open-Air- und Pop-up-Filmfest München, das unter den damals gegebenen Corona-Restrik­tionen nach viel Air oder wenigs­tens Space verlangte, mehr als in einem Kinosaal vorhanden. Dieses Jahr fand bereits im Bahn­wärter Thiel, ein weiterer Off-Space des jungen München, die Verlei­hung des Starter-Film­preises statt. Der Starter-Filmpreis ist für den Nachwuchs, vergeben werden drei mit 8000 Euro dotierte Preise für inno­va­tive Film­formen, außerdem gibt es einen gleich­wer­tigen Produk­ti­ons­sach­preis, der dieses Jahr von der Nach­fol­ge­firma von Pharos – The Post Group gestiftet wird.

Die Ober­send­linger Halle kenne er schon lange, erzählt Kultur­re­fe­rent Anton Biebl in seiner Begrüßungs­rede. Gleich drei Mal sei er hier zu Zwecken der Stand­ort­suche gewesen: für ein neues Haus für das Volks­theater (jetzt im Schlachthof), für ein Inte­rims­quar­tier des Gasteigs (jetzt an der Isar als HP8) und für einen neuen Konzert­saal, der jetzt für das ehemalige Pfanni-Gelände geplant ist, das sich heute schick »Werks­viertel Mitte« nennt. Die Halle, in der früher Beton­teile gefertigt wurden, wie Biebl verrät, ist es also in allen drei Fällen nicht geworden. Die im Lageplan etwas zurück­ge­setzte Halle ist auch nicht so leicht zu finden, was dem plötz­li­chen Platz­regen geschuldet sein mag, der die Anfahrt uner­wartet beschwer­lich gestaltet hat.

Dafür aber sind die anwe­senden geladenen Gäste hoch­karätig. Neben der Jury (hier bitte ein Smiley denken, denn die Verfas­serin war Teil von ihr) fand sich die Doku­men­tar­film­ab­tei­lung der HFF München im Sugar Mountain ein. Dieses Jahr gingen alle vier Preise an doku­men­ta­ri­sche Formen, was sich aus der hoch­karä­tigen Produk­tion der Hoch­schul­ab­tei­lung fast zwangs­läufig ergab. Kultur­bür­ger­meis­terin Katrin Haben­schaden hatte ebenfalls den Weg nach Ober­send­ling gemacht und begrüßte mit einer, von der Film­fes­teröff­nung gewohnten, präzisen Reflek­tion, die Kultur immer auch politisch versteht. Sie beglück­wünschte die anwe­senden Preis­träger*innen nicht nur zu ihren Werken, sondern auch für den Mut, in dieser schwie­rigen Zeit den auch sonst nicht einfachen Weg der Kreation einzu­schlagen. »Es gehört Mut dazu, heute Filme­ma­cher, Filme­ma­cherin zu werden«, sagte sie. Generell müsse die Kultur leider einen Rückgang der Besu­cher­zahlen fest­stellen, was, wir erinnern uns, auch an den mona­te­langen Schließungen der Kultur­s­tätten liegt, der Publikums-Entwöh­nung und auch der fast zwei Jahre währenden Darstel­lung von Theater und Kino als poten­ti­ellen Orten des Super­spre­a­dings. All dies ließ Haben­schaden freilich unaus­ge­spro­chen, jede und jeder der Anwe­senden aber wusste sofort die Gründe dafür, warum die Kultur heute in die Defensive geraten ist.

Starter Filmpreis
Preis­träger und Preis­stifter (v.l.): Erec Brehmer, Hilarija Laura Ločmele, Angela Reedwisch (Pharos), Katrin Haben­schaden, Anton Biebl, Lara Milena Brose, Felix Klee, Kilian Armando Friedrich (Foto: privat)

Das trübte letztlich nicht die feier­liche Stimmung, denn beim Starter-Filmpreis geht es, wie der Name schon sagt, um Start, Neustart und Aufbruch. Der Name verströmt Opti­mismus, und die preis­gekürten Film­schaf­fenden konnten auch davon berichten, wie und vor allem dass ihre Reise weiter­geht. Erec Brehmer beispiels­weise, der für Wer wir gewesen sein werden den Produk­ti­ons­preis erhielt, hat bereits den Kinostart fest in der Tasche. Er hat eine doku­men­ta­ri­sche Trau­er­be­wäl­ti­gung geschaffen, die ganz aus dem persön­li­chen Archiv des Filme­ma­chers und seiner Freundin besteht, die tragi­scher­weise in einem Auto­un­fall ums Leben kam. Ja, ein thera­peu­ti­scher Film, der aber ohne allzu große Rühr­se­lig­keit auskommt und immer wieder auch die schönen und licht­vollen Momente im Leben des Paars aufscheinen lässt.

Felix Klee, der in den letzten Jahren schon an vielen Orten als Video­künstler in Erschei­nung trat (darunter bei der Video­kunst­bi­en­nale Videodox in der Galerie der Künstler), insze­nierte in seinem modernen Heimat­film Hoamweh Lung ebenfalls eine Form der Trau­er­ar­beit, über ein Pferd, das Staub in der Lunge hat und sterben muss, und mit ihm auch das Heimat­ge­fühl. Klee mischt Animation, Compu­ter­kunst und eigene Schwarz­weiß-Aufnahmen zu einem neuen alten Gefühl des Verlusts, einge­taucht in die Wärme des Dialekts.

Auch in Überleben von Lara Milena Brose und Kilian Armando Friedrich geht es um Leben und Tod. Das Filme­ma­cher-Duo begleitet den 26-jährigen Leon, der in einem Heim versucht, neue Ordnung und Abstinenz in sein Leben zu bringen – was ihm bis zu einem gewissen Grad gelingt. Sein Gegenpart ist der eigene Vater, ein zuerst aufge­blühter, dann etwas herun­ter­ge­kom­mener Künstler, mit dem er tiefe und herzliche Gespräche führt. Das Vater-Sohn-Verhältnis fasst einen an, vor allem, wenn man an das Ende denkt.

Ebenfalls eine Trau­er­be­wäl­ti­gung, aber auch das Aufdecken eines Fami­li­en­ge­heim­nisses, ist Desired Child von Hilarija Laura Ločmele, die dem Tod der älteren Schwester nachgeht, die gestorben ist, bevor sie selbst auf die Welt kam. Auch in diesem Fami­li­en­film über­rascht die Wärme, eine einzig­ar­tige Offenheit hat aus diesem Film ebenfalls ein licht­volles Werk geschaffen, das von dunkler Trauer weit entfernt ist.

Man darf gespannt sein, wie das Schaffen der Preis­ge­krönten weiter­gehen wird. Alle Filme sind in konzen­trierter Form noch einmal bei den 70. Film­kunst­wo­chen München unter dem Stichwort »Cinema of Future« zu sehen, in Anwe­sen­heit der preis­ge­krönten Filme­ma­cher*innen.