Gutes Kino ist… |
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Die Liga der besten Kinos. V.l.n.r. Sendinger Tor, Theatiner, Werkstattkino, Arena / Rio, Maxim, ABC, Solln, Rottmann |
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(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas
Gutes Kino ist: Filme in Originalsprachen zeigen, die nicht nur Schulsprachen sind. Filme aus unterrepräsentierten Ländern zeigen. Gutes Kino ist: diverses Kino, also kleine, schwierige Filme und viele unterschiedliche Filmgenres zeigen. Gute Kinos sind Hybridkinos mit digitalen und analogen Abspielmöglichkeiten, die Werke aus der Filmgeschichte jenseits der Filmmuseen zeigen können. Gute Kinos sind Kinos, die vibrieren. Gute Kinos sind Kinos, in denen sich die Besucher*innen wohlfühlen. Gutes Kino ist, wenn die Filme eine längere Verweildauer haben: Filme brauchen Mundpropaganda und Zeit, auf sich aufmerksam zu machen. Gutes Kino ist, wenn nicht mehr alle Filme ins Kino müssen.
Diese bunte Mischung aus Wunschkino-Denken und Filmförderungskritik notierte ich mir im Jahr 2018. Das war im Vorfeld der ersten Runden Tische zur anstehenden Novellierung des Filmförderungsgesetzes, zu denen die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters geladen hatte. Der Hauptverband Cinephilie befand sich gerade in Gründung, das war gefühlte Ewigkeiten vor den globalen Krisen, in denen wir jetzt massiv stecken (bzw. deren Anfang wir vermutlich gerade erst erleben), und wir waren alle noch vom Idealismus angetrieben. Den Pragmatismus überließen wir anderen. Heute stellt sich das anders dar. »Die traurige Realität der letzten Wochen«, so Christian Pfeil als Gastgeber der diesjährigen Verleihung der Münchner Kinoprogrammpreise, würde der (in diesem Fall absichtlich) spärlich besetzte Kinosaal widerspiegeln. »Die Förderung« – für den Corona-Ausgleich – falle vermutlich nächstes Jahr weg, und dann werde man sehen, ob das so weitergehen kann. Das klingt alles andere als optimistisch.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, notierte ich mir weiter, will man das Kino als kulturellen Ort erhalten: Subventionierung von Abspielstätten, die bestimmten cinephilen Gesichtspunkten genügen (siehe oben), Subventionierung von Abspielstätten in strukturschwachen Regionen. Zielvorgabe: Bestandserhalt und Modernisierung. Einmischung in den darwinistischen Struggle for Life durch Maßnahmen durch die öffentliche Hand. Die Kinobetreiber müssen solidarisch denken. Das ist zu erreichen, indem man den Druck vom Markt nimmt und kommerzielle Interessen zurückdrängt zugunsten kultureller Aspekte. Es braucht Handlungsspielräume, notierte ich mir.
Kino jedoch wird dem privatwirtschaftlichen Marktsegment zugeordnet, sie sind, ebenso wie die sogenannten kleinen Privattheater, nicht subventionierbar. Die Förderstellen versuchen die Schieflage auszugleichen, dass Kinos in der Verwertungskette hinter Produktion und Verleih als einzige keine Förderung, etwa eine Abspielförderung, beantragen können. Die öffentliche Hand, sprich die FFA, die BKM, die Landesfilmförderungen (in Bayern der FFF) und die Kommunen, in unserem Fall die Stadt München, versuchen dies durch die Vergabe von Kinoprogrammpreisen auszugleichen. Sie sind für ein anspruchsvolles, nicht vordergründig kommerzielles Programm gedacht, belohnen das kulturelle Engagement der Kinobetreiber*innen und gehorchen in etwa den Wunschkriterien an gutes Kino.
Die Stadt München zeichnet Kinos aus, die »besonders zum vielfältigen Münchner Kinoprogramm beitragen«. Erhöht wurde erstmals von sechs auf neun Kinos, jeder Programmpreis ist mit 7500 Euro dotiert. »Stadtratsbeschluss« im Rahmenprogramm »Mit Kultur aus der Krise«, betont Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden. Was als Ausnahmezustand beunruhigend klingt, auch weil das für jedes Kino erst einmal maximal eine Überbrückungshilfe ist, etwa so viel wie eine Monatsmiete. In der Summe macht das aber über 65.000 Euro, die die Stadt für die Kinos bereithält, die Fördergelder für bestimmte Reihen oder Festivals sind da natürlich nicht enthalten, die kommen zusätzlich hinzu. Auch das sollte erst einmal als super gelten.
München war einmal eine ausgesprochene Kinostadt, und selbst wenn es in den letzten Jahren zu strukturbedingten Schließungen kam – ein Drogeriemarkt wollte Lagerräume, ein Kaufhaus verlangte ebenfalls mehr Platz, Mietforderungen waren nicht mehr zu erfüllen, es gab Clubs, die mehr Geld auf den Tresen legen konnten – ist die Kinoszene hier immer noch sehr vital, was sich auch an den bundesweit einzigartigen Filmkunstwochen ablesen lässt, die nächsten Mittwoch im Cincinnati-Kino in Giesing eröffnen.
Etliche der ausgezeichneten Kinos nehmen auch bei den Filmkunstwochen teil. Das eine bedingt natürlich nicht das andere, für den Kinoprogrammpreis aber kann die Teilnahme aber schon als Beweis herhalten, Mut in der Kino-Programmierung zu haben, aus dem Verleihprogramm auszuscheren, und sich auch darüber hinaus etwas für die Besucher*innen auszudenken, damit diese gerne wiederkommen.
Thomas Kuchenreuther vom ABC Kino etwa weiß, was seine Schwabinger wollen, er ist eine Institution an der Münchner Freiheit. Oder Markus Eisele und Christian Pfeil vom Arena Filmtheater und neuerdings auch Rio Filmpalast: Sie haben eine präzise Vorstellung davon, was »hippes« Kino sein könnte, mit einem abwechslungsreichen Programm – auch wenn sie hin und wieder über den Abspielzwang für geförderte Filme klagen, der sich weder für das Publikum noch leider für die Filme und schon gar nicht für die Kinos lohnt. Hier ist auch gleich das Neue Maxim von Anne Harder zu nennen, die mit Eisele und Pfeil eine sogenannte Dispositionsgemeinschaft eingegangen ist. Mit ihrem über hundertjährigen Kino gehört sie zu den jüngsten Kinobetreiber*innen der Stadt, mit einem anspruchsvollen Programm für Neuhausen. In der Liga der Nachbarschaftskinos spielt auch das Kino Solln von François Duplat und des Berliner Kino-Moguls Georg Kloster (Yorck-Kinogruppe), die im Süden der Stadt einen wichtigen kulturellen Ankerpunkt für die Sollner bietet, der auf eine lange Tradition zurückblickt. Auch wenn sie bei den Filmkunstwochen nicht mehr dabei sind, war das Kino Solln unter der Familie Wilhelm eines der ersten Kinos, die ab 1953 bei dem Kino-Festival mitmachten. Thomas Wilhelm, der Spross der legendären Münchner Kinofamilie betreibt über München verteilt drei Kinos: das Cincinnati in Giesing, das Neue Rex in Laim und das Neue Rottmann in der Maxvorstadt, das dieses Jahr ebenfalls den Kinoprogrammpreis bekam.
In der Innenstadt herrscht die größte Gefahr im kapitalistischen Verdrängungswettbewerb. Fritz und Christoph Preßmar liefern sich seit ein paar Jahren eine Zitterpartie mit einer Erbengemeinschaft, die das Filmtheater Sendlinger Tor in andere Hände geben will, hier gibt es wohl auch viel ungute Chemie, die sich seit Kriegsende aufgetürmt hat – solange existieren die Eigentümer und Kinobetreiber in Koexistenz. Bestens ist die Stimmung dagegen in der Theatiner Filmkunst der cineastischen Betreiberin Marlies Kirchner. Auch wenn sie heute nicht mehr im Kassenhäuschen ihres denkmalgeschützten Fünfzigerjahre-Kinos anzutreffen ist, macht sie doch maßgeblich das Programm, Theaterleiter Bastian Hauser ist dann gewissermaßen ihr Unterhändler, der die Filmbestellungen und Sonderprogramme auf den Weg bringt, u.a. viele Kooperationen mit Museen und der nahe gelegenen Oper. Im Theatiner arbeitet auch Bernd Brehmer. Er ist einer der vier Mitglieder des Kinokollektivs des als Verein geführten Werkstattkinos – neben Wolfgang Bihlmeier, Doris Kuhn und Erich Wagner. Idyllisch im Hinterhof der Fraunhoferstraße 9 unter Apfelbäumen gelegen, ist es das einzige Undergroundkino der Stadt, mit hauseigenem Archiv, das bundesweit mit seinem Programm von »Entlegenem und Verwegenem« einen legendären Ruf genießt.
Übrigens gibt es in Frankreich an der berühmten Filmhochschule Fémis in Paris den Diplom-Studiengang »Kinobetreiber« (Direction d’exploitation cinématographique). Kino als Beruf: das scheint hierzulande, anders als noch vor ein paar Jahren, auch keine Zukunftsmusik mehr zu sein. Jetzt geht es erst einmal um den Bestandserhalt. Und um eine neue Lust auf Kino, trotz explodierender Nebenkostenabrechnung, Long-Covid-Kulturmüdigkeit und Streaming-Abos, die man gar nicht mehr ausschöpfen kann. Wenn die Option »runter vom Sofa« ist, dann könnte man bei der gerade grassierende Hitze auch mal wieder sagen: »Komm, wir gehen ins Kino!«