21.07.2022

Gutes Kino ist…

Kinoprogrammpreise
Die Liga der besten Kinos. V.l.n.r.
Sendinger Tor, Theatiner, Werkstattkino, Arena / Rio, Maxim, ABC, Solln, Rottmann
(Foto: privat)

Die Kinoprogrammpreise der Stadt München wurden an neun Kinos verliehen, die den Nachwehen von Pandemie und den Stürmen neuer Krisen mit einem sehr guten Programm trotzen

Von Dunja Bialas

Gutes Kino ist: Filme in Origi­nal­spra­chen zeigen, die nicht nur Schul­spra­chen sind. Filme aus unter­re­prä­sen­tierten Ländern zeigen. Gutes Kino ist: diverses Kino, also kleine, schwie­rige Filme und viele unter­schied­liche Film­genres zeigen. Gute Kinos sind Hybrid­kinos mit digitalen und analogen Abspiel­mög­lich­keiten, die Werke aus der Film­ge­schichte jenseits der Film­mu­seen zeigen können. Gute Kinos sind Kinos, die vibrieren. Gute Kinos sind Kinos, in denen sich die Besucher*innen wohl­fühlen. Gutes Kino ist, wenn die Filme eine längere Verweil­dauer haben: Filme brauchen Mund­pro­pa­ganda und Zeit, auf sich aufmerksam zu machen. Gutes Kino ist, wenn nicht mehr alle Filme ins Kino müssen.

Diese bunte Mischung aus Wunsch­kino-Denken und Film­för­de­rungs­kritik notierte ich mir im Jahr 2018. Das war im Vorfeld der ersten Runden Tische zur anste­henden Novel­lie­rung des Film­för­de­rungs­ge­setzes, zu denen die damalige Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters geladen hatte. Der Haupt­ver­band Cine­philie befand sich gerade in Gründung, das war gefühlte Ewig­keiten vor den globalen Krisen, in denen wir jetzt massiv stecken (bzw. deren Anfang wir vermut­lich gerade erst erleben), und wir waren alle noch vom Idea­lismus ange­trieben. Den Prag­ma­tismus über­ließen wir anderen. Heute stellt sich das anders dar. »Die traurige Realität der letzten Wochen«, so Christian Pfeil als Gastgeber der dies­jäh­rigen Verlei­hung der Münchner Kino­pro­gramm­preise, würde der (in diesem Fall absicht­lich) spärlich besetzte Kinosaal wider­spie­geln. »Die Förderung« – für den Corona-Ausgleich – falle vermut­lich nächstes Jahr weg, und dann werde man sehen, ob das so weiter­gehen kann. Das klingt alles andere als opti­mis­tisch.

Kino­pro­gramm­preise statt Kultur­för­de­rung

Es besteht drin­gender Hand­lungs­be­darf, notierte ich mir weiter, will man das Kino als kultu­rellen Ort erhalten: Subven­tio­nie­rung von Abspielstätten, die bestimmten cine­philen Gesichts­punkten genügen (siehe oben), Subven­tio­nie­rung von Abspielstätten in struk­tur­schwa­chen Regionen. Ziel­vor­gabe: Bestands­er­halt und Moder­ni­sie­rung. Einmi­schung in den darwi­nis­ti­schen Struggle for Life durch Maßnahmen durch die öffent­liche Hand. Die Kino­be­treiber müssen soli­da­risch denken. Das ist zu erreichen, indem man den Druck vom Markt nimmt und kommer­zi­elle Inter­essen zurück­drängt zugunsten kultu­reller Aspekte. Es braucht Hand­lungs­spiel­räume, notierte ich mir.

Kino jedoch wird dem privat­wirt­schaft­li­chen Markt­seg­ment zuge­ordnet, sie sind, ebenso wie die soge­nannten kleinen Privat­theater, nicht subven­tio­nierbar. Die Förder­stellen versuchen die Schief­lage auszu­glei­chen, dass Kinos in der Verwer­tungs­kette hinter Produk­tion und Verleih als einzige keine Förderung, etwa eine Abspiel­för­de­rung, bean­tragen können. Die öffent­liche Hand, sprich die FFA, die BKM, die Landes­film­för­de­rungen (in Bayern der FFF) und die Kommunen, in unserem Fall die Stadt München, versuchen dies durch die Vergabe von Kino­pro­gramm­preisen auszu­glei­chen. Sie sind für ein anspruchs­volles, nicht vorder­gründig kommer­zi­elles Programm gedacht, belohnen das kultu­relle Enga­ge­ment der Kino­be­treiber*innen und gehorchen in etwa den Wunsch­kri­te­rien an gutes Kino.

Die Kino­pro­gramm­preise der Stadt München

Die Stadt München zeichnet Kinos aus, die »besonders zum viel­fäl­tigen Münchner Kino­pro­gramm beitragen«. Erhöht wurde erstmals von sechs auf neun Kinos, jeder Programm­preis ist mit 7500 Euro dotiert. »Stadt­rats­be­schluss« im Rahmen­pro­gramm »Mit Kultur aus der Krise«, betont Kultur­bür­ger­meis­terin Katrin Haben­schaden. Was als Ausnah­me­zu­stand beun­ru­hi­gend klingt, auch weil das für jedes Kino erst einmal maximal eine Über­brü­ckungs­hilfe ist, etwa so viel wie eine Monats­miete. In der Summe macht das aber über 65.000 Euro, die die Stadt für die Kinos bereit­hält, die Förder­gelder für bestimmte Reihen oder Festivals sind da natürlich nicht enthalten, die kommen zusätz­lich hinzu. Auch das sollte erst einmal als super gelten.

München war einmal eine ausge­spro­chene Kinostadt, und selbst wenn es in den letzten Jahren zu struk­tur­be­dingten Schließungen kam – ein Droge­rie­markt wollte Lager­räume, ein Kaufhaus verlangte ebenfalls mehr Platz, Miet­for­de­rungen waren nicht mehr zu erfüllen, es gab Clubs, die mehr Geld auf den Tresen legen konnten – ist die Kinoszene hier immer noch sehr vital, was sich auch an den bundes­weit einzig­ar­tigen Film­kunst­wo­chen ablesen lässt, die nächsten Mittwoch im Cincin­nati-Kino in Giesing eröffnen.

Etliche der ausge­zeich­neten Kinos nehmen auch bei den Film­kunst­wo­chen teil. Das eine bedingt natürlich nicht das andere, für den Kino­pro­gramm­preis aber kann die Teilnahme aber schon als Beweis herhalten, Mut in der Kino-Program­mie­rung zu haben, aus dem Verleih­pro­gramm auszu­scheren, und sich auch darüber hinaus etwas für die Besucher*innen auszu­denken, damit diese gerne wieder­kommen.

Kinoprogrammpreis
V.l.: Christoph und Fritz Preßmar (Send­linger Tor), Bastina Hauser, Claire Schleeger (Theatiner), Bernd Brehmer (Werk­statt­kino), Christian Pfeil (Rio, Arena), Regine Stoiber, Anne Harder (Maxim), Markus Eisele, Kerstin Schmidt (Rio), Margit Blümel (ABC), Kino Solln, Susi Schmidt, Thomas Wilhelm (Rottmann), Stadt­di­rektor Marek Wiechers (Foto: Alescha Birken­holz)

Thomas Kuchen­reu­ther vom ABC Kino etwa weiß, was seine Schwa­binger wollen, er ist eine Insti­tu­tion an der Münchner Freiheit. Oder Markus Eisele und Christian Pfeil vom Arena Film­theater und neuer­dings auch Rio Film­pa­last: Sie haben eine präzise Vorstel­lung davon, was »hippes« Kino sein könnte, mit einem abwechs­lungs­rei­chen Programm – auch wenn sie hin und wieder über den Abspiel­zwang für geför­derte Filme klagen, der sich weder für das Publikum noch leider für die Filme und schon gar nicht für die Kinos lohnt. Hier ist auch gleich das Neue Maxim von Anne Harder zu nennen, die mit Eisele und Pfeil eine soge­nannte Dispo­si­ti­ons­ge­mein­schaft einge­gangen ist. Mit ihrem über hundert­jäh­rigen Kino gehört sie zu den jüngsten Kino­be­treiber*innen der Stadt, mit einem anspruchs­vollen Programm für Neuhausen. In der Liga der Nach­bar­schafts­kinos spielt auch das Kino Solln von François Duplat und des Berliner Kino-Moguls Georg Kloster (Yorck-Kino­gruppe), die im Süden der Stadt einen wichtigen kultu­rellen Anker­punkt für die Sollner bietet, der auf eine lange Tradition zurück­blickt. Auch wenn sie bei den Film­kunst­wo­chen nicht mehr dabei sind, war das Kino Solln unter der Familie Wilhelm eines der ersten Kinos, die ab 1953 bei dem Kino-Festival mitmachten. Thomas Wilhelm, der Spross der legen­dären Münchner Kino­fa­milie betreibt über München verteilt drei Kinos: das Cincin­nati in Giesing, das Neue Rex in Laim und das Neue Rottmann in der Maxvor­stadt, das dieses Jahr ebenfalls den Kino­pro­gramm­preis bekam.

In der Innen­stadt herrscht die größte Gefahr im kapi­ta­lis­ti­schen Verdrän­gungs­wett­be­werb. Fritz und Christoph Preßmar liefern sich seit ein paar Jahren eine Zitter­partie mit einer Erben­ge­mein­schaft, die das Film­theater Send­linger Tor in andere Hände geben will, hier gibt es wohl auch viel ungute Chemie, die sich seit Kriegs­ende aufge­türmt hat – solange exis­tieren die Eigen­tümer und Kino­be­treiber in Koexis­tenz. Bestens ist die Stimmung dagegen in der Theatiner Filmkunst der cine­as­ti­schen Betrei­berin Marlies Kirchner. Auch wenn sie heute nicht mehr im Kassen­häu­schen ihres denk­mal­ge­schützten Fünf­zi­ger­jahre-Kinos anzu­treffen ist, macht sie doch maßgeb­lich das Programm, Thea­ter­leiter Bastian Hauser ist dann gewis­ser­maßen ihr Unter­händler, der die Film­be­stel­lungen und Sonder­pro­gramme auf den Weg bringt, u.a. viele Koope­ra­tionen mit Museen und der nahe gelegenen Oper. Im Theatiner arbeitet auch Bernd Brehmer. Er ist einer der vier Mitglieder des Kino­kol­lek­tivs des als Verein geführten Werk­statt­kinos – neben Wolfgang Bihlmeier, Doris Kuhn und Erich Wagner. Idyllisch im Hinterhof der Fraun­ho­fer­straße 9 unter Apfel­bäumen gelegen, ist es das einzige Under­ground­kino der Stadt, mit haus­ei­genem Archiv, das bundes­weit mit seinem Programm von »Entle­genem und Verwe­genem« einen legen­dären Ruf genießt.

Kino als Beruf

Übrigens gibt es in Frank­reich an der berühmten Film­hoch­schule Fémis in Paris den Diplom-Studi­en­gang »Kino­be­treiber« (Direction d’exploita­tion ciné­ma­to­gra­phique). Kino als Beruf: das scheint hier­zu­lande, anders als noch vor ein paar Jahren, auch keine Zukunfts­musik mehr zu sein. Jetzt geht es erst einmal um den Bestands­er­halt. Und um eine neue Lust auf Kino, trotz explo­die­render Neben­kos­ten­ab­rech­nung, Long-Covid-Kultur­mü­dig­keit und Streaming-Abos, die man gar nicht mehr ausschöpfen kann. Wenn die Option »runter vom Sofa« ist, dann könnte man bei der gerade gras­sie­rende Hitze auch mal wieder sagen: »Komm, wir gehen ins Kino!«