18.08.2022

Der Revisionist

Wolfgang Petersen
Wolfgang Petersen (1941-2022) im Jahr 2006 bei der Premiere von Poseidon
(Foto: S Pakhrin from DC, USA, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons)

Überlegungen bei der Erinnerung an Wolfgang Petersen – ein Nachruf

Von Rüdiger Suchsland

Die Schienen führen in eine weite Ebene, in ein Moor. Es wird Torf gestochen. Die Kamera zeigt schnell, dass die Moor­ste­cher beauf­sich­tigt werden. Es sind offen­sicht­lich Häftlinge bei der Arbeit, einer von ihnen ist Dieter Brod­schella, gespielt von Jürgen Prochnow. Wir sehen seine Blicke. Die Blicke der Wachleute. Wir sehen ihn durch einen Maschen­draht­zaun. Wir sehen die schwere Arbeit. Und wir sehen an seinem Blick, der sich irgend­wann mit dem des wach­ha­benden Poli­zisten trifft, schon früh, das gleich etwas passieren muss.
Eine Zwei­takter-Loko­mo­tive fährt den Torf weg. Prochnow hangt sich an ihn dran, versteckt sich, und kann fliehen...

Jagd­re­vier (1973) ist die Geschichte dieses verletzten jungen Mannes, der gar nicht so 'angry' ist, aber zum Rächer werden will an dem Mörder seiner Freundin. Dies ist einer­seits »nur« ein ARD-Tatort, Aber eben einer jener vor allem frühen Tatorte, die die Kinofilme funk­tio­nieren und nicht schlechter sind als diese Jagd­re­vier ist ein Western eigene Art irgendwo in Nord­deutsch­land, die Sierra Nevada ist hier eine Kiesgrube – diese ist als exem­pla­ri­scher Schau­platz des deutschen Films der Siebziger und Achtziger noch gar nicht entdeckt worden. In wie viel deutschen Filmen von damals alles eine Kiesgrube vorkommt.

Melan­cholie, von der von Anfang an alles durch­zogen ist. Sie ist eine verlorene Sache diese Welt, und gleich­zeitig ist in dieser verlo­renen Sache ein großer Opti­mismus und eine Unbe­schwert­heit. Das einzige, was hier möglich ist, in dieser Welt, in der alles unmöglich ist, ist das Glück.

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Dies ist ein Film, in dem wirklich richtig rumge­bal­lert wird, wie in einem Western. Der Ermittler ist Kommissar Fink. Petersen kreierte die Figur dieses Poli­zisten ohne Vornamen, drehte sechs der sieben Fink-Folgen; darunter neben Jagd­re­vier auch den nicht minder legen­dären Skan­dal­tatort Reife­zeugnis (1977), der Nastasja Kinski zum Star machte. Von Klaus Schwarz­kopf wurde Fink so gespielt, dass man sich auch nach 50 Jahren noch an ihn erinnert. Auch das ist ein Melan­cho­liker. Auch ein Revi­sio­nist, einer der zweimal auf die Dinge schaut, viel­leicht auch dreimal, und der sie jeweils ein bisschen anders sieht– die Welt als Kalei­do­skop. Kommissar Fink ist einer, der Verständnis für die Verbre­cher hat, Mitleid mit ihnen, der sich in sie einfühlt, nicht ein Vertreter der Staats­macht, sondern ein Zivilist.
Aber Fink ist nicht feige. Er ist hier wie Gary Cooper in High Noon – 12 Uhr Mittags: Er tut was getan werden muss.

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In diesem Film kann man wie in vielen anderen der frühen Filme von Wolfgang Petersen schon entdecken, dass dieser Regisseur immer auf Hollywood blickt und sich als Filme­ma­cher an ameri­ka­ni­schen Erzähl­weisen orien­tiert.
Deutsch waren seine Themen und sie waren auch rebel­li­scher, tabu­bre­chender, als viele ameri­ka­ni­sche Filme: Umwelt­krisen, Homo­se­xua­lität, die Provinz, die Männer­welten, die Männer, die gebrochen waren, sich bewähren mussten.

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Die Zeit zwischen 1979 und 1985 sind ja nicht nur in der Welt­ge­schichte, sondern auch in der deutschen Film­ge­schichte ein Kipp­mo­ment: Volker Schlön­dorff gewann den Oscar, wie zuvor schon Wim Wenders, wie etwas später auch Werner Herzog ging er nach Amerika. Und eigent­lich war es da schon, nicht erst mit Fass­bin­ders Tod 1982, zu Ende mit dem »Neuen Deutschen Film«.

Petersen, 1941 in Emden geboren, bemer­kens­wer­ter­weise als Sohn eines Mari­ne­of­fi­ziers, war immer dabei, aber ob er wirklich so richtig dazu­gehört hatte? Eher nicht.
Er war dabei 1966, beim legen­dären ersten Jahrgang der Berliner dffb (der Deutschen Akademie für Film und Fernsehen Berlin), zu dem auch Harun Farocki und Holger Meins gehörten, die persön­lich durchaus zwei Rich­tungen verkör­perten des Jahres der kultu­rellen Revolte von 1967/68.
Petersen verkör­perte die dritte Variante: Die, die nicht oppo­si­tio­nell zu dieser Revolte standen, sie aber doch eher in Kauf genommen als voran­ge­trieben haben, und die ganz wesent­lich viel­leicht noch mehr als die anderen von ihr profi­tierten.

Diese Zeit war aber nicht nur die Zeit der »Last Picture Show« des Neuen Deutschen Films, sondern auch die Zeit, die so ähnlich wie New Hollywood mit dem großen Knall von Heaven’s Gate zu Ende ging, auch das Autoren­kino in West­deutsch­land wieder zu dem Produ­zen­ten­kino wurde, das es vor 1962 gewesen war.
Und der Mann, der daran einen wesent­li­chen Anteil hatte, war Wolfgang Petersen.

Die Rück­wen­dung zum Produ­zen­ten­kino war das eine. Das andere war die Wendung zur Geschichte: 1981 drehte die Bavaria mit der Constantin Das Boot (viel­leicht war die Serie Holocaust, die kurz davor in West­deutsch­land ausge­strahlt wurde der Anlass). Jeden­falls war dies eine Zäsur für das deutsche Verhältnis gegenüber der Vergan­gen­heit. Auch die zweite Nach­kriegs­zeit war nun vorbei und es begann die dritte Nach­kriegs­zeit: Filme wie Heimat von Edgar Reitz entstanden, und Das Boot.

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Das Boot ist ein echter »Männ­er­film«. Der Alltag der Besatzung an Bord eines deutschen U-Boots im Zweiten Weltkrieg. Die Einzel­schick­sale der Prot­ago­nisten und die Welt­ge­schichte, wieder der tragische Grundton. Das monotone Warten. Soldaten waren wie Fabrik­ar­beiter.
Die enorm beweg­liche, entfes­selte Kamera.

Ist das ein Anti-Kriegs­film oder ein Kriegs­ver­herr­li­chungs­film? Viel­leicht beides, denn natürlich wird das Bild vom sadis­ti­schen ideo­lo­gisch getrie­benen Nazi zerstört und auch das Bild des voll­kommen ahnungs­losen nur tapferen Soldaten ande­rer­seits. Der Enthu­si­asmus und die Faszi­na­tion für den Krieg. Jeden­falls Kino vor der Wehr­machts­aus­stel­lung.

Das Boot wurde jeden­falls im Ausland aner­ken­nend wahr­ge­nommen. Die Kino­ver­sion wurde von der Director’s Guilds of America für sechs Oscars nominiert. Für Petersen war der Weg geebnet.

Vorher noch der »New Age«-Klassiker Die unend­liche Geschichte. Auch der ist unter­schwellig politisch, denn hier geht es gegen die Zerstö­rung des Reichs der Phan­ta­sien, das vom Nichts verschlungen wird. Die Darstel­lung des Nichts erinnert stark an atomar zerstörte Land­schaften. Fantasy für die »No Future«-Genera­tion.

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Im Unter­schied zu den anderen kam Wolfgang Petersen nicht zurück aus Amerika. Höchstens Werner Herzog, ungefähr gleich alt, hat eine ähnlich klare, aber doch völlig andere Erfolgs­ge­schichte vorzu­weisen.

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In den USA war Petersen weiterhin ein Kämpfer für das Gute, auch als Regisseur: Für Homo­se­xua­lität und gegen Rassismus in Enemy Mine. In der Thriller-Trilogie der 90er Jahre erkennt man drama­tur­gisch dann aber mehr und mehr komplett ameri­ka­ni­sche Drama­tur­gien, Erzähl­weisen und Unter­hal­tungs­vor­stel­lungen. Thema­tisch aber immer noch deutsche Romantik und deutsche Bezüge. Auch Outbreak ist wie Smog (1973) ein Öko-Thriller mit nur scheinbar glück­li­chem Ausgang, mit bitteren Beige­schmack der poten­zi­ellen Bedrohung. In the Line of Fire geht es um das ameri­ka­ni­sche Trauma des Präsi­den­ten­mordes. Und Petersen versucht die Über­win­dung des Traumas: Der Präsident selbst wird wenigs­tens auf der Leinwand zum aufrechten Helden in Air Force One.
Hier wurde Petersen zum ameri­ka­ni­schen Revi­sio­nisten, der am Ende der Clinton-Ära noch einmal den Traum vom reinen Amerika, vom anstän­digen Land mit den aufrechten Helden träume. Und die trau­ma­ti­sche Vietnam-Erfahrung hilft hier plötzlich beim Kampf gegen das Böse – Vietnam ist also hier wie der Zweite Weltkrieg für die Deutschen eine Art notwen­dige Höllen­fahrt, ein Stahl­ge­witter, das sie besser und härter macht.

Ameri­kaner, die auf Petersen nach der Hitler Ära als Erlösung wirkten, als Vertreter einer schöneren Welt, die reicher, mächtiger und freund­li­cher ist. Offen­sicht­lich hat es der Mann genossen, sich unbe­schwert einem Patrio­tismus hinzu­geben, wenn es auch nur der ameri­ka­ni­sche war. Einem Patrio­tismus, der einem Deutschen für sein eigenes Land nicht zusteht, weil die Erin­ne­rung ans Dritte Reich Demut fordert.
Für Petersen barg Amerika die Möglich­keit, die Art von Kino zu machen, die er machen wollte: Kino zwischen Effekt­ha­scherei und intel­lek­tu­eller Elite­kunst, frei von Dünkel gegenüber populärer oder auch popu­lis­ti­scher Unter­hal­tung.

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Aus Anlass des Todes von Wolfgang Petersen zeigt ARTE am Freitag, 19. August 2022 eine Hommage:
Das Boot – Welterfolg aus der Tiefe läuft bereits um 15.30 Uhr und bis zum 17.09.2022 in der ARTE Mediathek.
Um 20.15 Uhr läuft der legendäre Tatort: Reife­zeugnis – von einer Ausstrah­lung in der Mediathek ist in diesem Fall nicht die Rede.