Der Revisionist |
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Wolfgang Petersen (1941-2022) im Jahr 2006 bei der Premiere von Poseidon | ||
(Foto: S Pakhrin from DC, USA, CC BY 2.0 , via Wikimedia Commons) |
Die Schienen führen in eine weite Ebene, in ein Moor. Es wird Torf gestochen. Die Kamera zeigt schnell, dass die Moorstecher beaufsichtigt werden. Es sind offensichtlich Häftlinge bei der Arbeit, einer von ihnen ist Dieter Brodschella, gespielt von Jürgen Prochnow. Wir sehen seine Blicke. Die Blicke der Wachleute. Wir sehen ihn durch einen Maschendrahtzaun. Wir sehen die schwere Arbeit. Und wir sehen an seinem Blick, der sich irgendwann mit dem des wachhabenden Polizisten
trifft, schon früh, das gleich etwas passieren muss.
Eine Zweitakter-Lokomotive fährt den Torf weg. Prochnow hangt sich an ihn dran, versteckt sich, und kann fliehen...
Jagdrevier (1973) ist die Geschichte dieses verletzten jungen Mannes, der gar nicht so 'angry' ist, aber zum Rächer werden will an dem Mörder seiner Freundin. Dies ist einerseits »nur« ein ARD-Tatort, Aber eben einer jener vor allem frühen Tatorte, die die Kinofilme funktionieren und nicht schlechter sind als diese Jagdrevier ist ein Western eigene Art irgendwo in Norddeutschland, die Sierra Nevada ist hier eine Kiesgrube – diese ist als exemplarischer Schauplatz des deutschen Films der Siebziger und Achtziger noch gar nicht entdeckt worden. In wie viel deutschen Filmen von damals alles eine Kiesgrube vorkommt.
Melancholie, von der von Anfang an alles durchzogen ist. Sie ist eine verlorene Sache diese Welt, und gleichzeitig ist in dieser verlorenen Sache ein großer Optimismus und eine Unbeschwertheit. Das einzige, was hier möglich ist, in dieser Welt, in der alles unmöglich ist, ist das Glück.
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Dies ist ein Film, in dem wirklich richtig rumgeballert wird, wie in einem Western. Der Ermittler ist Kommissar Fink. Petersen kreierte die Figur dieses Polizisten ohne Vornamen, drehte sechs der sieben Fink-Folgen; darunter neben Jagdrevier auch den nicht minder legendären Skandaltatort Reifezeugnis (1977), der Nastasja Kinski zum Star machte. Von Klaus Schwarzkopf wurde Fink so gespielt, dass man sich auch nach 50 Jahren noch an ihn erinnert. Auch das ist ein Melancholiker. Auch ein Revisionist, einer der zweimal auf die Dinge schaut, vielleicht auch dreimal, und der sie jeweils ein bisschen anders sieht– die Welt als Kaleidoskop. Kommissar Fink ist einer, der Verständnis für die Verbrecher hat, Mitleid mit ihnen,
der sich in sie einfühlt, nicht ein Vertreter der Staatsmacht, sondern ein Zivilist.
Aber Fink ist nicht feige. Er ist hier wie Gary Cooper in High Noon – 12 Uhr Mittags: Er tut was getan werden muss.
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In diesem Film kann man wie in vielen anderen der frühen Filme von Wolfgang Petersen schon entdecken, dass dieser Regisseur immer auf Hollywood blickt und sich als Filmemacher an amerikanischen Erzählweisen orientiert.
Deutsch waren seine Themen und sie waren auch rebellischer, tabubrechender, als viele amerikanische Filme: Umweltkrisen, Homosexualität, die Provinz, die Männerwelten, die Männer, die gebrochen waren, sich bewähren mussten.
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Die Zeit zwischen 1979 und 1985 sind ja nicht nur in der Weltgeschichte, sondern auch in der deutschen Filmgeschichte ein Kippmoment: Volker Schlöndorff gewann den Oscar, wie zuvor schon Wim Wenders, wie etwas später auch Werner Herzog ging er nach Amerika. Und eigentlich war es da schon, nicht erst mit Fassbinders Tod 1982, zu Ende mit dem »Neuen Deutschen Film«.
Petersen, 1941 in Emden geboren, bemerkenswerterweise als Sohn eines Marineoffiziers, war immer dabei, aber ob er wirklich so richtig dazugehört hatte? Eher nicht.
Er war dabei 1966, beim legendären ersten Jahrgang der Berliner dffb (der Deutschen Akademie für Film und Fernsehen Berlin), zu dem auch Harun Farocki und Holger Meins gehörten, die persönlich durchaus zwei Richtungen verkörperten des Jahres der kulturellen Revolte von 1967/68.
Petersen verkörperte die dritte
Variante: Die, die nicht oppositionell zu dieser Revolte standen, sie aber doch eher in Kauf genommen als vorangetrieben haben, und die ganz wesentlich vielleicht noch mehr als die anderen von ihr profitierten.
Diese Zeit war aber nicht nur die Zeit der »Last Picture Show« des Neuen Deutschen Films, sondern auch die Zeit, die so ähnlich wie New Hollywood mit dem großen Knall von Heaven’s Gate zu Ende ging, auch das Autorenkino in Westdeutschland wieder zu dem Produzentenkino wurde, das es
vor 1962 gewesen war.
Und der Mann, der daran einen wesentlichen Anteil hatte, war Wolfgang Petersen.
Die Rückwendung zum Produzentenkino war das eine. Das andere war die Wendung zur Geschichte: 1981 drehte die Bavaria mit der Constantin Das Boot (vielleicht war die Serie Holocaust, die kurz davor in Westdeutschland ausgestrahlt wurde der Anlass). Jedenfalls war dies eine Zäsur für das deutsche Verhältnis gegenüber der Vergangenheit. Auch die zweite Nachkriegszeit war nun vorbei und es begann die dritte Nachkriegszeit: Filme wie Heimat von Edgar Reitz entstanden, und Das Boot.
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Das Boot ist ein echter »Männerfilm«. Der Alltag der Besatzung an Bord eines deutschen U-Boots im Zweiten Weltkrieg. Die Einzelschicksale der Protagonisten und die Weltgeschichte, wieder der tragische Grundton. Das monotone Warten. Soldaten waren wie Fabrikarbeiter.
Die enorm bewegliche, entfesselte Kamera.
Ist das ein Anti-Kriegsfilm oder ein Kriegsverherrlichungsfilm? Vielleicht beides, denn natürlich wird das Bild vom sadistischen ideologisch getriebenen Nazi zerstört und auch das Bild des vollkommen ahnungslosen nur tapferen Soldaten andererseits. Der Enthusiasmus und die Faszination für den Krieg. Jedenfalls Kino vor der Wehrmachtsausstellung.
Das Boot wurde jedenfalls im Ausland anerkennend wahrgenommen. Die Kinoversion wurde von der Director’s Guilds of America für sechs Oscars nominiert. Für Petersen war der Weg geebnet.
Vorher noch der »New Age«-Klassiker Die unendliche Geschichte. Auch der ist unterschwellig politisch, denn hier geht es gegen die Zerstörung des Reichs der Phantasien, das vom Nichts verschlungen wird. Die Darstellung des Nichts erinnert stark an atomar zerstörte Landschaften. Fantasy für die »No Future«-Generation.
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Im Unterschied zu den anderen kam Wolfgang Petersen nicht zurück aus Amerika. Höchstens Werner Herzog, ungefähr gleich alt, hat eine ähnlich klare, aber doch völlig andere Erfolgsgeschichte vorzuweisen.
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In den USA war Petersen weiterhin ein Kämpfer für das Gute, auch als Regisseur: Für Homosexualität und gegen Rassismus in Enemy Mine. In der Thriller-Trilogie der 90er Jahre erkennt man dramaturgisch dann aber mehr und mehr komplett amerikanische Dramaturgien, Erzählweisen und Unterhaltungsvorstellungen. Thematisch aber immer noch deutsche Romantik
und deutsche Bezüge. Auch Outbreak ist wie Smog (1973) ein Öko-Thriller mit nur scheinbar glücklichem Ausgang, mit bitteren Beigeschmack der potenziellen Bedrohung. In the Line of
Fire geht es um das amerikanische Trauma des Präsidentenmordes. Und Petersen versucht die Überwindung des Traumas: Der Präsident selbst wird wenigstens auf der Leinwand zum aufrechten Helden in Air Force One.
Hier wurde Petersen zum amerikanischen Revisionisten, der am Ende der Clinton-Ära noch einmal den Traum vom reinen Amerika, vom anständigen Land mit den aufrechten
Helden träume. Und die traumatische Vietnam-Erfahrung hilft hier plötzlich beim Kampf gegen das Böse – Vietnam ist also hier wie der Zweite Weltkrieg für die Deutschen eine Art notwendige Höllenfahrt, ein Stahlgewitter, das sie besser und härter macht.
Amerikaner, die auf Petersen nach der Hitler Ära als Erlösung wirkten, als Vertreter einer schöneren Welt, die reicher, mächtiger und freundlicher ist. Offensichtlich hat es der Mann genossen, sich unbeschwert einem Patriotismus hinzugeben, wenn es auch nur der amerikanische war. Einem Patriotismus, der einem Deutschen für sein eigenes Land nicht zusteht, weil die Erinnerung ans Dritte Reich Demut fordert.
Für Petersen barg Amerika die Möglichkeit, die Art von Kino zu
machen, die er machen wollte: Kino zwischen Effekthascherei und intellektueller Elitekunst, frei von Dünkel gegenüber populärer oder auch populistischer Unterhaltung.
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Aus Anlass des Todes von Wolfgang Petersen zeigt ARTE am Freitag, 19. August 2022 eine Hommage:
Das Boot – Welterfolg aus der Tiefe läuft bereits um 15.30 Uhr und bis zum 17.09.2022 in der ARTE Mediathek.
Um 20.15 Uhr läuft der legendäre Tatort: Reifezeugnis – von einer Ausstrahlung in der Mediathek ist in diesem Fall nicht die Rede.