Der Einbruch des Schicksals in die Banalität |
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The Ad(d)am(s) Driver Familiy | ||
(Foto: © Netflix/ Filmfestspiele Venedig) |
»Die Abteilung für Popkultur... ein kurioser Haufen. Der Lehrkörper setzt sich fast ausschließlich aus New Yorker Immigranten zusammen, die clever und brutal sind, verrückt nach Kino und Filmen. Sie sind hier, um die natürliche Sprache der Kultur zu dechiffrieren, und die glänzenden Vergnügungen, die sie in ihrer Europa-geprägten Kindheit genossen haben, zu einer formalen Methode zu machen, einem aristotelischen Gedankengefüge aus Kaugummi-Papierchen und Margarine-Reklame. Zusammen sehen sie aus wie Funktionäre an der Lastwagenfahrergewerkschaft, die sich versammelt haben, um den verstümmelten Körper eines Kollegen zu identifizieren. Sie vermitteln einen Eindruck von alles durchdringender Bitterkeit, von Verdacht und Intrigen.«
Aus: »White Noise« von Don DeLillo
Noah Baumbach ist ein New Yorker Filmemacher. Eine Weile hat man ihn für einen Nachfolger von Woody Allen gehalten, weil er jüdische Milieus porträtiert hat, bildungsbürgerliche und intellektuelle Milieus.
Sein neuer Film White Noise, der am gestrigen Mittwoch das Festival von Venedig eröffnete, ist etwas völlig anderes. »White Noise« (»Weißes Rauschen«) ist nämlich auch ein Roman von
Don DeLillo. Das Buch stammt aus den 80er Jahren und es spielt im Middle West in einem imaginären Kaff namens Blacksmith, das auch eine kleine, durchschnittlich unbedeutende Universität hat. Und es erzählt von einer kleinen durchschnittlichen Familie, die etwas besser als der Durchschnitt situiert ist. Die Hauptfigur ist ein Universitätsprofessor namens Jack, der auf Hitler-Studien spezialisiert ist.
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Wie das Buch ist der Film eine sarkastische Beobachtung und Dekonstruktion des amerikanischen Traums. Baumbach hält sich weitgehend an die Handlung von DeLillos Vorlage, allerdings dreht er die Schraube noch ein bisschen weiter in Richtung sarkastischer abgründiger Humor. Er vereinfacht auch den Humor eher, visualisiert ihn. Manche Subtilitäten des Romans gehen dabei verloren, weil sie sich auf der Leinwand nicht entfalten können. Gleichzeitig sind die Hauptfiguren ein
bisschen jünger und schöner als im Roman. Sie werden gespielt von Adam Driver, der offenbar jetzt in jedem zweiten Festival-Eröffnungsfilm mitspielen muss, und von Greta Gerwig, die auch im wahren Leben Baumbachs Ehefrau ist – und ein Star des US-Independent-Kinos. Hier spielt sie die Frau von Adam Driver.
Dies ist das Paar in der Mitte der Geschichte. Beide sind Materialisten, beide haben insgeheim große Angst vor dem Tod. Und als dann in dieser Stadt etwas passiert, es zu einem
Chemieunfall kommt und eine möglicherweise giftige schwarze Wolke über der Stadt schwebt, wie zuvor jeder Tag dem anderen in seiner Langeweile und Banalität glich, da bricht in dieses Leben dann plötzlich das Schicksal hinein und erschüttert diese Familie, erschüttert den amerikanischen Traum, dem diese Familie irgendwie anhängt, und bringt die versteckten und verdrängten Ängste zum Vorschein. Das ist die eigentliche Geschichte bei Don DeLillo, wie bei Noah Baumbach. Hier wird sie
als Komödie, als sarkastisches Porträt dieser Lebensverhältnisse auf die Leinwand geworfen – in mancher Hinsicht entpuppt sich dieser 40 Jahre alte Stoff als ein Film, der sehr sehr zeitgemäß ist, denn er handelt von Phänomenen, die wir alle kennen: Das, was wir Paranoia nennen, Verschwörungstheorien, er handelt vor allem von der latenten Angst in der weißen wohlsituierten Mittelstandsgesellschaft der westlichen Länder. Die Geschichte spielt eigentlich in den 80ern, vor
Tschernobyl. Aber wenn man ihn heute sieht, denkt man: Wie brennend aktuell ist das denn!
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Wir haben diese Corona- und Lockdownerfahrungen mit der latenten Angst und unsichtbaren, womöglich tödlichen Bedrohungen hinter uns; wir haben im Alltag des westlichen Wohlstandslebens als eine Art Hintergrundrauschen den Ukraine-Konflikt – und das »weiße Rauschen« des Titels ist das Rauschen unter der Hörschwelle. Bereits im Roman spielt es eine große Rolle in Form von Geräuschen: Geplärr, Gedudel, Dröhnen der Autobahnen; es spielt auch im Film eine große Rolle. Geräusche sind wichtig, ein latentes Hintergrundrauschen hört und spürt man hier sehr oft. Zugleich ist dieses Rauschen natürlich nicht nur wörtlich gemeint, sondern als Metapher: Es ist das Hintergrundrauschen der latenten Katastrophe, des Weltuntergangs, der Apokalypse. Eigentlich spüren wir es auch in unserem realen Leben, es ist schon längst in den Köpfen drin, wir spüren es im eigenen Leben fortwährend. Dafür muss man noch nicht einmal die Nachrichten anschauen. Um diesen Zustand geht es und um diese latente Angst in uns allen, die erstickt wird in Konsum und Materialismus.
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Die kommenden anderthalb Wochen werden uns in Venedig sehr viel amerikanische Filme zeigen. Venedig ist seit jeher die Startplattform für das Rennen um die Oscar-Vergabe im kommenden Frühjahr. Es ist eine Art Startrampe für die gesamte Herbstsaison, hier laufen natürlich auch Filme aus Frankreich, aus Italien und allen möglichen Ländern der Welt. Es gibt einen argentinischen und einen iranischen Film, von Jafar Panahi. Es gibt sehr viel Filme von Netflix und anderen Streaming Services. Der halbe Lido ist an Netflix-Mitarbeiter vermietet.
Geld ist das, was hier eine Hauptrolle spielt: Es geht ums Geschäft und um ganz viel Geld. Viele Filmhändler hoffen, dass sich ihre Filme gut verkaufen, haben zugleich Angst, dass das nicht der Fall ist – das ist die Hauptsache.
(to be continued)