15.09.2022

Zwei Seiten einer Medaille

Wie eine Katze auf der Autobahn - Die Rückkehr
Wie eine Katze auf der Autobahn – Die Rückkehrr
(Foto: Cinema! Italia!)

Zum 25. Mal tourt das Filmfestival CINEMA! ITALIA! bereits durch Deutschland

Von Elke Eckert

. Im Jubiläums­jahr wird in 40 Kinos und 36 Städten neben fünf aktuellen Produk­tionen auch ein Film­klas­siker gezeigt. In München machen die italie­ni­schen Filmtage vom 15. bis 28. September Station, wie immer im Theatiner Film­theater. Im Mittel­punkt der Dramen und Komödien stehen diesmal gegen­sätz­liche Prot­ago­nis­tinnen und Prot­ago­nisten, die Span­nungs­felder in der italie­ni­schen Gesell­schaft symbo­li­sieren. Das können Freun­dinnen sein, Brüder- und Ehepaare, aber auch Zufalls­be­kannt­schaften und Schick­sals­ge­nossen.

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Die 15-jährige Benedetta fühlt sich weder wohl in ihrer Haut noch in ihrem Leben. Weil sie nicht so schlank ist wie viele ihre Mitschü­le­rinnen, wird sie gemobbt. Auch zuhause kommt sie sich gegenüber ihren jüngeren Geschwis­tern manchmal wie eine Außen­sei­terin vor. Als eines Tages direkt neben der Wohnung der Familie Schau­steller ihre Zelte aufschlagen, öffnet sich für Benedetta ein Fenster zu einer anderen Welt. Sie lernt Amanda kennen, eine junge Frau, die ganz anders ist als sie. Aber genau das zieht Benedetta magisch an… Chiara Bellosi erzählt in ihrem zweiten Spielfilm Karussell (Calcin­culo) von einer unglei­chen Freund­schaft und beant­wortet ganz nebenbei exis­ten­zi­elle Fragen wie „Wer bin ich und wer will ich sein?“ Die tief­grün­dige Coming-of-Age-Geschichte wurde bei der dies­jäh­rigen Berlinale urauf­ge­führt. (Donnerstag, 15. September, 18 Uhr und Donnerstag, 22. September, 16 Uhr)

Grund­ver­schieden sind auch Monica, eine schrille Vors­täd­terin, und Giovanni, ein intel­lek­tu­eller Haupt­städter. Schon vor vier Jahren flogen die Fetzen, als sich die beiden zum ersten Mal auf der Kino­lein­wand begegnet sind. In Wie eine Katze auf der Autobahn – Die Rückkehr (Come un gatto in tangen­ziale – Ritorno a Coccia di Morto) geraten die zwei wieder anein­ander, als Monica unfrei­willig mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Ihre Schwes­tern haben Diebesgut bei ihr versteckt und sie muss deshalb ins Gefängnis. Giovanni ist genervt, aber es gelingt ihm, ihre Haft­strafe in gemein­nüt­zige Arbeit umzu­wan­deln. Leider geht Monica ihrem sozialen Enga­ge­ment an einem eher ungüns­tigen Ort nach. Nämlich unweit des Kultur­zen­trums, das Giovanni demnächst eröffnen will… Die Fort­set­zung der Erfolgs­komödie von Riccardo Milani ist ebenso witzig und entlar­vend wie der Vorgänger, aber weniger klischee­haft. (Samstag, 17. September, 18 Uhr / Montag, 26. September, 18 Uhr und Mittwoch, 28. September, 15.45 Uhr)

Die Gegen­spieler in Verrie­gelte Luft (Ariaferma) sind ein inhaf­tierter Mafioso und der leitende Wärter des Gefäng­nisses. Der alte, marode Kasten mitten in den Bergen soll geschlossen werden. Nur noch wenige Häftlinge warten auf ihre Verlegung in einen anderen Knast. Eine seltsame Spannung liegt in der Luft, die üblichen Regeln scheinen nicht mehr zu gelten. In dieser Gemenge­lage entbrennt plötzlich ein Macht­kampf zwischen dem altge­dienten Wärter und dem Dauer­in­sassen Carmine um die Kontrolle über das Gefängnis. – Das Psycho­drama ist erst der dritte Spielfilm von Leonardo Di Costanzo. Bis vor zehn Jahren drehte der 64-Jährige ausschließ­lich Doku­men­tar­filme. Bereits sein Debütwerk wurde mit dem „David di Donatello“ ausge­zeichnet, sein neuester Film erhielt den begehrten italie­ni­schen Filmpreis ebenfalls in zwei Kate­go­rien: Silvio Orlando wurde für seine Rolle des Mafioso als bester Schau­spieler geehrt, die zweite Auszeich­nung gab es für das beste Origi­nal­dreh­buch, an dem Regisseur Di Costanzo mitge­schrieben hat. (Freitag, 16. September, 18 Uhr und Samstag, 24. September, 15.30 Uhr)

Die Prot­ago­nisten des nächsten Filmes sind wie zwei Seiten einer Medaille. Sie sind Brüder und gehören einer alten Fischer­fa­milie an, die auf einer der Inseln lebt, aus denen Venedig besteht. Der eine, Pietro, möchte weiterhin der Fischerei nachgehen und die für die Lagune typischen Krebse fangen, und zwar von seinem Eltern­haus aus. Genau das aber will Alvise, der andere, nutzen, um ins Immo­bi­li­en­ge­schäft einzu­steigen. Beide sind davon überzeugt, dass sie im Sinne der ganzen Familie handeln. Doch die leidet zunehmend unter dem Klein­krieg der Brüder… Regisseur Andrea Segre setzt sich in Welcome Venice nicht zum ersten Mal filmisch mit Venedig ausein­ander. Sowohl in seinem Drama Vene­zia­ni­sche Freund­schaft (2011) als auch in seinem erfolg­rei­chen Doku­men­tar­film Moleküle der Erin­ne­rung – Venedig, wie es niemand kennt (2021) spielte seine Heimat­stadt eine Haupt­rolle. Berührend und authen­tisch zeigt er ein Venedig am Wende­punkt, das, wie Segre selbst sagt, »Gefahr läuft, von seiner eigenen Schönheit und seinem Ruhm verschlungen zu werden«. (Sonntag, 18. September, 15.30 Uhr / Dienstag, 20. September, 18 Uhr und Sonntag, 25. September, 18 Uhr)

Auch das Brüder­paar in Der Legionär (Il Legio­nario) steht auf entge­gen­ge­setzten Seiten. Das war nicht immer so. Beide sind als Söhne afri­ka­ni­scher Eltern in Rom geboren und aufge­wachsen. In einem besetzten Gebäude, das nun geräumt werden soll. Zur Poli­zei­ein­heit, die das erledigen muss, gehört Daniel, einer der Brüder. Seine Kollegen wissen nicht, dass seine Familie nach wie vor in dem Haus lebt und sein Bruder Patrick der Anführer der Haus­be­setzer ist. Im Lauf der Ausein­an­der­set­zung gerät Daniel immer mehr zwischen die Fronten. – Das Erzählen dieser Geschichte war für Hleb Papou, der selbst bela­rus­si­scher Einwan­derer ist, eine Herzens­an­ge­le­gen­heit. Bereits 2017 drehte er den Kurzfilm „Il Legio­nario“, aus dem fünf Jahre später der gleich­na­mige Spielfilm entstand. Beim Film­fes­tival von Locarno gewann er dafür den Preis als bester Nach­wuchs­re­gis­seur. (Mittwoch, 21. September, 18 Uhr und Freitag, 23. September, 16 Uhr)

Der Film­klas­siker Die rote Wüste von 1964 ist eine Hommage an die Regie-Legende Michel­an­gelo Antonioni – und an Haupt­dar­stel­lerin Monica Vitti, die im Februar dieses Jahres verstorben ist.
Vitti spielt die Frau eines Inge­nieurs und Fabrik­be­sit­zers in Ravenna, der die Kälte ihrer Umgebung zu schaffen macht. Während ihr Mann von den neuen Tech­no­lo­gien faszi­niert ist, entfremdet sich Giuliana immer mehr von ihrer Familie. Ein Auto­un­fall verschärft die Situation. Der Einzige, der Giuliana zu verstehen scheint, ist Corrado, ein Freund ihres Mannes. Doch die Affäre mit ihm lindert die Einsam­keit der jungen Frau nur vorü­ber­ge­hend… Die eindring­liche, psycho­lo­gi­sche Studie war Anto­nionis erster Farbfilm. Der Regisseur setzte die neuen visuellen Effekte bewusst als drama­tur­gi­sches Mittel ein. Er habe versucht, »die ausdrucks­volle Funktion der Farbe zu nutzen, die Farbe sollte dazu beitragen, den Ton zu setzen, den jede Szene benötigt«, so Antonioni. Der Film wurde 1964 bei den Inter­na­tio­nalen Film­fest­spielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausge­zeichnet. (Montag, 19. September, 18 Uhr)

Monica Vitti spielte in dem prämierten Drama bereits zum vierten Mal unter der Regie von Antonioni. Das Theatiner Film­theater zeigt mit Liebe 1962 (L’eclisse) noch ein weiteres Meis­ter­werk der beiden, aller­dings außer der Reihe. In dem in Cannes mit dem Sonder­preis der Jury ausge­zeich­neten Film war Alain Delon der Mann an Vittis Seite. (Dienstag, 27. September, 18 Uhr)

Alle Filme werden im italie­ni­schen Original mit deutschen Unter­ti­teln gezeigt.