Stummfilmstar in der TikTok-Welt |
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Die Veralltäglichung des royalen Charisma in Netflix' The Crown | ||
(Foto: Netflix) |
»Früher, da mussten wir uns nur auf Pferderücken gerade halten, und einigermaßen eine gute Figur machen. Jetzt sind wir dazu verpflichtet, uns in die Wohnräume der Menschen zu begeben, uns bei ihnen einzuschmeicheln. Wir sind zu der würdelosesten Lebensform degradiert worden, die es gibt, der des Schauspielers.«
- Georg V. von England, in: The King’s Speech
In der kommenden Woche wird das auf uns zukommen, was man dann so »ein Medienereignis« nennt: Liveübertragungen von Gottesdiensten, Blumenmeeren, trauernden Gesichtern, schönen Chorälen; daneben Archivmaterial aus der Senderkonserve.
Das Erstaunlichste daran ist, dass dies weltweit funktioniert, in Republiken nicht minder wie in Königreichen. Und zwar obwohl Elisabeth Windsor – bei allem Respekt Ma'am – nicht die gleiche historische Bedeutung hat, wie
ein Winston Churchill. Die Bilder von dessen Staatsbegräbnis im Januar 1965, den wir auch am Montag wieder hören werden, können auch republikanische Betrachter noch immer rühren, nicht nur wegen des schönsten aller Choräle, »I vow to thee«, mit denen sie unterlegt sind, sondern auch wegen der unvergleichlichen Schönheit des brillanten analogen Farbfilmmaterials, in dem alles
aufgenommen ist. Und weil sich in allen Gesichtern das Bewusstsein spiegelt, es mit einem der ganz Großen zu tun zu haben, dem Retter des Vaterlandes und der Freiheit Europas. Damals wurde wirklich ein Jahrhundert zu Grabe getragen, und das Britische Empire mit ihm.
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Geboren wurde sie noch in der Zeit des Stummfilms, gestorben ist sie in der Ära von Netflix und TikTok. Sie war undurchsichtig wie ein Stummfilmstar und sie war die »Königin des Jahrhunderts« wie jemand kommentiert hat, und ohne Zweifel war sie in mancher Hinsicht nicht nur die Königin von England, sondern die von Europa, die Königin der Demokratie, auch mit allen Schattenseiten, die das bedeutet – die Queen of England, Elisabeth II, geboren 1926, gestorben am letzten Donnerstag im Alter von 96 Jahren in ihrem Schloss Balmoral.
Die Queen war vieles auf einmal – und eben längst nicht nur eine politische Figur, die manchen als Anachronismus, anderen als letzte Bastion des ewigen England erscheint, sondern auch eine Pop-Ikone und ein Film-Charakter. Über diese Rolle, über die Queen als Figur in Filmen und Serien und darüber, warum das Kino gerade in der gegenwärtigen TikTok-Welt monarchistisch ist, soll es jetzt gehen.
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Die Queen im Kino – ist das überhaupt ein Thema? Natürlich gibt es da die berühmte Netflix-Serie The Crown, die Veralltäglichung des royalen Charisma, die angeblich sogar die Royal Family selbst mit großem Amüsement gesehen hat.
Und dann natürlich The Queen vom Engländer Stephen Frears, der wohl bekannteste Film über Elisabeth II und das Strickmuster für alle weiteren Queen-Filme und für The Crown: The Queen erzählt von jener denkwürdigen Woche, die auf den Tod der Lady Di am 31. Juli 1997 folgte. Damals reagierte Königin Elisabeth II. in den Augen der parteiischen Beobachter allzu lange nicht mit öffentlich zur Schau getragener Betroffenheit auf das Geschehen, sondern verharrte – verständlicherweise wenig persönlich berührt – unerschüttert im Dienst nach Vorschrift im Ferienschloss Balmoral, was zu einer tiefen Entfremdung in der innigen Beziehung zwischen der Queen und ihren Untertanen führte. Es waren dramatische Tage, erfährt man aus dieser behaupteten Innenansicht eines höfischen Lebens in unseren Tagen, die Frears mit ähnlichem Feingefühl entfaltete, wie er dies vor bald 40 Jahren in Gefährliche Liebschaften mit der Gesellschaft des Ancien Regime tat. The Queen ist eine Komödie der Macht und zur gleichen Zeit ein Thriller der Emotionen. Denn Frears nimmt die Königin und ihre Anverwandten nicht über Gebühr ernst, lässt ihr aber immer ihre Würde, und zeigt, wie sie mit sich und ihrer Wut auf die oberflächliche Glamourprinzessin ringt, die noch im Tod die Monarchie in Gefahr bringt. Zugleich zeigt er auch seine Version des Parallelhofes, der Familie und Berater des seinerzeit frischgewählten Tony Blair, der schnell erkennt, wie er von Dianas Popularität profitieren kann, aber zugleich die Monarchie rettet, indem er die Königin am Ende erfolgreich drängt, ihr Verhalten zu verändern.
The Queen, an der Oberfläche durchaus eine unterhaltsame Komödie, ist zugleich ein Film über die Spannung zwischen Monarchie und Demokratie, Tradition und Moderne. Helen Mirren verkörperte die Königin wunderbar, freilich mit einer Intelligenz und Ironie, die man dem realen Vorbild bei allem Respekt doch nicht zutraut, der Darstellerin, einem ehemaligen wilden Hippie-Girl, aber einen Oscar
einbrachte.
Und auch Michael Sheen war glänzend als Premier, der anfangs als unerfahrener Spießer erscheint, der mehr und mehr an Profil gewinnt und am Ende ins Zentrum von Film und Handlung rückt – was natürlich auch ein Kommentar zur Sache ist.
Überraschen kann Frears Film aber auch im Rückblick an keiner Stelle, und filmisch brachte er schon vor 16 Jahren nichts Neues. Zudem bleiben hier die Gründe von Blairs Handeln – das auch historisch nicht belegt ist – ebenso im Dunkeln wie die Gründe für Frears, diesen Stoff zu verfilmen – will man sich nicht damit begnügen, dass hier einer eben eine gute Geschichte erzählen will.
Was hat das alles mit uns zu tun, was könnten wir aus der Story erfahren? »Uneasy lies
the head, that wears a crown«, zitiert der Film eingangs Shakespeares Heinrich IV. Aber die Dimension eines Königsdramas fehlt dem Film, und die sollte er wohl auch nicht haben, aber es bietet sich hier natürlich auch ein anderer Vergleich an: der Film Sofia Coppolas: Marie Antoinette. Der hatte einen Stilbegriff, eine Haltung, wo Frears nur schmunzelt, und erwartet, dass wir alle das mit ihm tun.
Coppola war im Zweifelsfall progressiv und anstößig und einfallsreich, wo Frears gefällig ist, konservativ und konventionell.
Frears zeigt die Queen, so wie viele sie allzu gern sehen wollen: Menschlich, außergewöhnlich. Klüger als der Durchschnitt.
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Was gibt es sonst noch neben diesem Film?
272 Filmauftritte der Queen listet ein Internetportal auf. Bei den meisten handelt es sich natürlich um Dokumentarfilme, in denen die Queen selbst irgendwann vorkommt. Aber während ihrer langen Amtszeit bot das Leben von Queen Elizabeth II. immer wieder auch Inspiration für Spielfilme und Serien.
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Kennen könnte man The King’s Speech, der zwar von ihrem mit seinem Stottern hadernden Vater König Georg VI. handelt. Elizabeth ist darin immerhin als Mädchen zu sehen. Und der Film zeigt en passent, wie die für die Kronprinzessin historisch wichtige Beziehung zu Winston Churchill begründet wird.
Gerade in den letzten 15 Jahren gibt es viele Filme um die britische Königsfamilie. Vielleicht ist dies das Symptom für ein Konservativerwerden unserer Gesellschaften, für heimliche Sehnsüchte nach Pomp und Ritualen.
Zugleich suchen sehr viele Filme nach einer Antwort auf die Frage: Wie war sie so? Dass wussten nur ihre engsten Freunde und ihre Familie. So einigermaßen. Queen Elisabeth hat es geschafft, der Tyrannei der Intimität zu entkommen, und einigermaßen der Souverän der Öffentlichkeit zu sein, nicht ihre Sklavin.
Oder doch nicht: Denn gerade ihre königliche Zurückhaltung, ihre teilnahmslose Mimik, nährte die Spekulationen, machte sie unwiderstehlich. Sie war nur die Hülle eines
Menschen, den alle nach Belieben ausfüllen konnten.
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In A Royal Night Out von 2015 geht es darum, wie Lilibeth und ihre Schwester Margaret mitten in der Euphorie des V-E Day in London im Jahr 1945 einmal ausbüxten und sich für ein paar Stunden der Dauerbewachung des Sicherheitspersonals entzogen, und inkognito unter die ekstatische Menge mischten. Sie verbringen eine wilde Nacht mit Trinken, Tanzen, Flirten, Waten in einem Brunnen und Busfahren. Angeblich hatte die zukünftige Königin da eine Romanze mit einem Mann aus dem Volk. Unglaublich!
Für das Volkstümliche war dann später eine andere zuständig: Die »Peoples Princess« Diana Spencer. In Diana wird sie von Naomi Watts gespielt, in Spencer, der erst im letzten Jahr in die Kinos kam, verkörpert Kristin Stewart die kulleräugige, nur vermeintlich naive Königin der
Herzen.
Elisabeth II. ist in solchen Stücken jeweils eine klare Rolle zugeschrieben: Die der kalten Mächtigen, der hartherzigen oder verwöhnenden Prinzenmami und der in jedem Fall garstigen Schwiegermutter.
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Ganz anders trieb es Regisseur Peter Richardson in unserem persönlichen Geheimtipp: Churchill: The Hollywood Years heißt seine wilde Parodie des United Kingdoms in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Dort spielt Christian Slater einen überraschend verjüngten Churchill, der eigentlich ein US-Agent ist, und Neve Campell eine Prinzessin mit Camouflage-Mantel, Krönchen im Haar und Maschinenpistole in der Hand, die sich gegen Nazi-Agenten verteidigt, die sie entführen wollen und zur Braut des Führers machen. Und irgendwann sogar Hitler trifft.
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Sind die übrigen Queen-Filme nicht eigentlich alle zu unkritisch? Man müsste doch mit so einer anachronistischen Figur wie einer Königin ganz anders umgehen?
Auch das gibt es sehr wohl im Kino. Im Slapstick-Film Die nackte Kanone von 1988 wird ein Attentat auf die Königin geplant, ihr Double Jeannette Charles tritt darin an der Seite von Leslie Nielsen auf. In Zeichentrickfilmen war die Monarchin ebenfalls zu sehen, hatte Auftritte in »Die Simpsons«, der Kinder-Serie »Peppa Wutz« und im Animationsfilm Minions von 2015. Um ihre pelzigen Lieblinge drehte sich der belgische Animationsfilm Royal Corgi – Der Liebling der Queen aus dem Jahr 2019.
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Trotzdem: Das Kino ist grundsätzlich monarchistisch. Es kennt nur absolute Regenten, und es liebt die Despoten – auf dem roten Teppich auf der Kinoleinwand, ich möchte keine allzu große Differenzierung, keine Demokratie, keinen Widerspruch. Die Stars regieren das Kino, und Demokratie in der Kunst ist ein Widerspruch in sich und bewirkt, wo sie auftritt, selten Gutes.
Auch gute Regisseure sind solche absolutistischen Monarchen. Natürlich nicht, wenn sie ihre Macht
missbrauchen. Wo sie das aber nicht tun, da ist man froh, wenn sie einen in ästhetische Gefilde zwingen, an Orte bringen, die wir nicht einmal erahnt haben, uns Erfahrungen bieten, die unser Weltbild auf den Kopf stellen.
Vorsicht also vor den populistischen Königs- und Königsdenkmalstürmern – allzu schnell ist auch hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, die Kunst mit der Unmoral.