15.09.2022
Jean-Luc Godard 1930-2022

LIEBE – ARBEIT – KINO

Buch Godard
Wenn ich aber darüber nachdenke, wie mich Godard als Filmemacher am meisten beeinflusst hat in meiner Arbeit, dann ist es ein Film von ihm, den ich nie gesehen habe...
(Foto: Privat)

Godard ist tot. Eigentlich müsste man jetzt einen kleinen Film zum Thema drehen. Aber wir sind noch nicht ganz im Zeitalter des Bildes angekommen (Godard war es schon), sondern sind noch im Zeitalter des Wortes. Daher also dieser Text!

Von RP Kahl

Die Verach­tung. Klar, irgendwie muss der Film hier vorkommen. Film im Film. Nach dem Roman von Alberto Moravia. Oskar Roehler zeigte Marie Zielcke und mir 1996 den Film als Vorbe­rei­tung für unseren Dreh von Silvester Countdown. Wir spielten dann ganz anders, aber der starke Eindruck des Filmes blieb nun für immer. Auf Capri suchte ich irgend­wann die Film­lo­ca­tion Casa Malaparte am Meer. Sie blieb verschlossen. Noch ein paar Jahre später nahm ich die erste Szene von Die Verach­tung, eine lange Film-im-Film-Kame­ra­fahrt in einer Einstel­lung und darüber gespro­chene Titel­ta­feln, als Vorbild für eine Art Remake für einen Kino­trailer unseres Film­starts von Europe – 99euro-films 2 (2003). Mehrere Kino­be­treiber lehnten ab, wollten den Trailer nicht spielen, »Was soll der Quatsch?«. In Bedways (2010) dann adap­tierte ich eine von Moravias/ Godards Szenen, in der Bardot und Piccoli im Bad, im Schlaf­zimmer, in der ganzen Wohnung streiten: „Du liebst mich nicht mehr. – Ganz was Neues.“

Wenn ich aber darüber nachdenke, wie mich Godard als Filme­ma­cher am meisten beein­flusst hat in meiner Arbeit, dann ist es ein Film von ihm, den ich nie gesehen habe! Oder besser ein Buch über diesen Film aus dem Merve-Verlag aus dem Jahre 1981: JEAN LUC GODARD – LIEBE ARBEIT KINO. Darin finden sich die Dreh­buch­kon­zepte zum Film Rette sich, wer kann (das Leben), wie auch Schreiben Godards an die Mitglieder des Projekt­för­de­rau­schusses, Texte und Inter­views von Godard, sowie von Lothar Kurzawa und Michael Klier.

Das Buch ist mitt­ler­weile meine Drehbuch-Bibel, sozusagen mein Beweis, dass Syd Field nicht immer Recht hat. Schon auf der dritten Seite gibt es eine grafische Darstel­lung des Inhalts von Rette sich, wer kann (das Leben), die eigent­lich alles enthält, um den Film zu verstehen: Wer spielt wo, was passiert und was das Ganze eigent­lich meint. Ein System des Denkens für Film: Mit einem Bild eines Ausschnitts aus einer Landkarte. Den Figu­ren­namen Jacques, Denise, Isabelle. Den Über­schriften „Die Hölle“, „Jenseits“, „Die Mitte“, welche jeweils einem Namen zuge­ordnet sind. Dann Pfeile, mal weg vom Ort auf der Landkarte, mal dahin, einmal hin- und her, dies auch wieder bezogen auf das Dreieck aus den Über­schriften incl. der Namen. Diese grafische Darstel­lung macht ein Drehbuch in Bildern – in einem Denk­mo­dell sichtbar. So würde ich sogar meine eigenen Dreh­bücher verstehen. Dem folgen u.a. sehr lustige und eigent­lich miss­ge­launte Schreiben oder eigent­lich das Unter­laufen eines Director’s Memo Godards an den Film­för­der­aus­schuss. Und das Drehbuch vom 15. Mai 1979 auf nur drei Seiten: Erste Bewegung – (Jacques) – Von der Hölle zur Mitte; Zweite Bewegung – (Isabelle) – Von der Mitte zur Mitte; Dritte Bewegung – (Denise) – Von der Mitte zum Jenseits. Danach jeweils kurze Beschrei­bungen der Situa­tionen. Perfekt!

Im abge­druckten Interview „Wie kann man sexuelle Bezie­hungen filmen“ mit Libéra­tion antwortet Godard: »Sagen wir mal, man ist nicht in der Lage, die sexuellen Bezie­hungen zu filmen. Dazu braucht man noch einige Zeit.« 2008/ 2009, einige Jahre nachdem ich das Merve-Buch für mich entdeckt hatte, glaubte ich, die Zeit wäre nun gekommen. Ich nahm mir also vor, es zu probieren, wie man sexuelle Bezie­hungen filmen kann: Es wurde ein Film-im-Film, der wie schon beschrieben eine Szene aus Moravias »Verach­tung« adap­tierte und den ich nach dem Dreh­buch­mo­dell Godards entwi­ckelte. Sehr klar, sehr streng und ohne Produk­ti­ons­för­de­rung der Film­för­derer. Und ich drehte genau so, wie ich den Film machen wollte. Es wurde mein kommer­ziell erfolg­reichster Film: Bedways (2010).

Danke JEAN LUC GODARD für die Filme, das Denken, das Einläuten des Zeitalter des Bildes (u.a. zuletzt mit Bildbuch). Und jetzt werde ich endlich Rette sich, wer kann (das Leben) auch als Film gucken, verspro­chen!