Jean-Luc Godard 1930-2022
LIEBE – ARBEIT – KINO |
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Wenn ich aber darüber nachdenke, wie mich Godard als Filmemacher am meisten beeinflusst hat in meiner Arbeit, dann ist es ein Film von ihm, den ich nie gesehen habe... | ||
(Foto: Privat) |
Von RP Kahl
Die Verachtung. Klar, irgendwie muss der Film hier vorkommen. Film im Film. Nach dem Roman von Alberto Moravia. Oskar Roehler zeigte Marie Zielcke und mir 1996 den Film als Vorbereitung für unseren Dreh von Silvester Countdown. Wir spielten dann ganz anders, aber der starke Eindruck des Filmes blieb nun für immer. Auf Capri suchte ich irgendwann die Filmlocation Casa Malaparte am Meer. Sie blieb verschlossen. Noch ein paar Jahre später nahm ich die erste Szene von Die Verachtung, eine lange Film-im-Film-Kamerafahrt in einer Einstellung und darüber gesprochene Titeltafeln, als Vorbild für eine Art Remake für einen Kinotrailer unseres Filmstarts von Europe – 99euro-films 2 (2003). Mehrere Kinobetreiber lehnten ab, wollten den Trailer nicht spielen, »Was soll der Quatsch?«. In Bedways (2010) dann adaptierte ich eine von Moravias/ Godards Szenen, in der Bardot und Piccoli im Bad, im Schlafzimmer, in der ganzen Wohnung streiten: „Du liebst mich nicht mehr. – Ganz was Neues.“
Wenn ich aber darüber nachdenke, wie mich Godard als Filmemacher am meisten beeinflusst hat in meiner Arbeit, dann ist es ein Film von ihm, den ich nie gesehen habe! Oder besser ein Buch über diesen Film aus dem Merve-Verlag aus dem Jahre 1981: JEAN LUC GODARD – LIEBE ARBEIT KINO. Darin finden sich die Drehbuchkonzepte zum Film Rette sich, wer kann (das Leben), wie auch Schreiben Godards an die Mitglieder des Projektförderauschusses, Texte und Interviews von Godard, sowie von Lothar Kurzawa und Michael Klier.
Das Buch ist mittlerweile meine Drehbuch-Bibel, sozusagen mein Beweis, dass Syd Field nicht immer Recht hat. Schon auf der dritten Seite gibt es eine grafische Darstellung des Inhalts von Rette sich, wer kann (das Leben), die eigentlich alles enthält, um den Film zu verstehen: Wer spielt wo, was passiert und was das Ganze eigentlich meint. Ein System des Denkens für Film: Mit einem Bild eines Ausschnitts aus einer Landkarte. Den Figurennamen Jacques, Denise, Isabelle. Den Überschriften „Die Hölle“, „Jenseits“, „Die Mitte“, welche jeweils einem Namen zugeordnet sind. Dann Pfeile, mal weg vom Ort auf der Landkarte, mal dahin, einmal hin- und her, dies auch wieder bezogen auf das Dreieck aus den Überschriften incl. der Namen. Diese grafische Darstellung macht ein Drehbuch in Bildern – in einem Denkmodell sichtbar. So würde ich sogar meine eigenen Drehbücher verstehen. Dem folgen u.a. sehr lustige und eigentlich missgelaunte Schreiben oder eigentlich das Unterlaufen eines Director’s Memo Godards an den Filmförderausschuss. Und das Drehbuch vom 15. Mai 1979 auf nur drei Seiten: Erste Bewegung – (Jacques) – Von der Hölle zur Mitte; Zweite Bewegung – (Isabelle) – Von der Mitte zur Mitte; Dritte Bewegung – (Denise) – Von der Mitte zum Jenseits. Danach jeweils kurze Beschreibungen der Situationen. Perfekt!
Im abgedruckten Interview „Wie kann man sexuelle Beziehungen filmen“ mit Libération antwortet Godard: »Sagen wir mal, man ist nicht in der Lage, die sexuellen Beziehungen zu filmen. Dazu braucht man noch einige Zeit.« 2008/ 2009, einige Jahre nachdem ich das Merve-Buch für mich entdeckt hatte, glaubte ich, die Zeit wäre nun gekommen. Ich nahm mir also vor, es zu probieren, wie man sexuelle Beziehungen filmen kann: Es wurde ein Film-im-Film, der wie schon beschrieben eine Szene aus Moravias »Verachtung« adaptierte und den ich nach dem Drehbuchmodell Godards entwickelte. Sehr klar, sehr streng und ohne Produktionsförderung der Filmförderer. Und ich drehte genau so, wie ich den Film machen wollte. Es wurde mein kommerziell erfolgreichster Film: Bedways (2010).
Danke JEAN LUC GODARD für die Filme, das Denken, das Einläuten des Zeitalter des Bildes (u.a. zuletzt mit Bildbuch). Und jetzt werde ich endlich Rette sich, wer kann (das Leben) auch als Film gucken, versprochen!