Der Indie Spirit lebt! |
||
Ein ähnlicher Kultfilm wie Donnie Darko? Linoleum von Colin West | ||
(Foto: 29. Filmfest Oldenburg) |
Von Eckhard Haschen
Es ist schon faszinierend zu sehen, wie es dem Filmfest Oldenburg jedes Jahr aufs Neue gelingt, seinen Platz unter den vielen im Spätsommer und Frühherbst stattfindenden Filmfestivals zu behaupten. Denn das von Teilen der internationalen Branchenpresse gern als »European Sundance« bezeichnete Festival liegt ja nicht nur zwischen den A-Festivals von Venedig und San Sebastián, sondern konkurriert zum einen mit den Traditionsfestivals von Hof und Mannheim-Heidelberg, sowie den finanziell deutlich besser ausgestatteten Großstadtfestivals von München und Hamburg. Und nicht zuletzt fand es in diesem Jahr – zumindest für diesen, in Hamburg lebenden Rezensenten – wieder einmal gleichzeitig mit dem Fantasy Filmfest statt. Letzteres ist auch deshalb nicht ganz unerheblich, weil Oldenburg, mehr als die vorn genannten Festivals, schon immer auch auf Genrefilme gesetzt hat.
Endlich wieder ohne irgendwelche Einschränkungen durchgeführt, war der »Indie Spirit« diesmal nicht nur in den Filmen wieder so deutlich spürbar wie in den Zeiten vor der Pandemie. Gleich an mehreren Arbeiten des gewohnt gut aufeinander abgestimmten Programms konnte man ein Jahr vor dem 30-jährigen Jubiläum sehen, aus welchem Geist das Festival in den Neunzigern entstanden ist. So gab es zum Beispiel in der Retrospektive, die diesmal dem Vater-Sohn-Gespann Peter und John Hyams gewidmet war, One Dog Day, den ersten Film von John Hyams aus dem Jahr 1997: Ein Tag lang folgt Hyams Kamera Künstlern und Killern, Betrügern und Brokern, Fanatikern und Melancholikern auf ihren Wegen durch die Straßen von New York. Einen derartigen Erfindungsreichtum strahlt dieser komplett unabhängig produzierte und in Schwarzweiß gedrehte Film in jeder Szene aus, dass man sich fragt, warum er seinerzeit so gut wie nicht wahrgenommen wurde. Man glaubt dem Regisseur sofort, wenn er erzählt, dass er damals vorhatte, der neue Jim Jarmusch oder Richard Linklater zu werden. Doch fünf Jahr später legte Hyams dann erstmal den faszinierenden Dokumentarfilm The Smashing Machine vor, der einen hautnahen Einblick in die Szene der professionellen Mixed-Martial-Arts-Kämpfer gibt. Und schließlich begab sich John Hyams mit zwei packend inszenierten Universal Soldier-Filmen doch auf die Spuren seines Vaters, von dem die Thriller Capricorn One und Narrow Margin sowie der Sci-Fi-Western Outland gezeigt wurden. Exemplarisch für John und Peter Hyams' unprätentiösen, blitzsauberen Regie-Stil sind Johns neueste Arbeiten Alone und Sick. Ersterer ist ein minimalistischer Thriller, der seinen Vorbildern Duel und Deliverance in nichts nachsteht. Letzterer ist ein von Kevin Williamson produzierter und geschriebener Slasher-Film, bei dem man spätestens nach einer halben Stunde merkt, dass er sehr viel mehr ist als ein weiterer Aufguss des »Scream«-Franchises, nämlich unter anderem ein bitterer Kommentar zum Verhalten der Menschen während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020.
Unter den weiteren neuen Filmen ragte am meisten das mit Science-Fiction- und Fantasy-Elementen angereicherte Familienporträt Linoleum heraus. Regisseur Colin West hat den Fernsehstar Jim Gaffigan fürs Kino entdeckt und lässt ihn einen Familienvater in einer typischen Vorstadtsiedlung spielen, der schon als kleiner Junge Astronaut werden wollte und dessen Traum nun doch noch konkrete Formen anzunehmen scheint. Es würde nicht überraschen, wenn Linoleum einmal ein ähnlicher Kultfilm wird wie Donnie Darko – von dem er eingestandenermaßen nicht unmaßgeblich inspiriert ist.
Eine weitere große Überraschung war Jean-Paul Civeyracs A Woman, das Psychogramm einer von Sophie Marceau gespielten Polizistin. War man als Festival-Chronist nach den eher gemischten Kritiken aus Locarno schon fast geneigt, diesen Film trotz seiner Hauptdarstellerin auszulassen, war es dann doch gut, auf den eigenen Instinkt vertraut zu haben. Vielleicht ist es der leicht melodramatische Einschlag und die Konsequenz, mit der die Charakterstudie zu Ende erzählt ist, mit der viele nicht zurechtkommen. In Oldenburg scheut man sich jedenfalls nicht davor.
Ein schönes Beispiel für das junge wilde Kino, von dem Festivalleiter Torsten Neumann so gerne schwärmt, ist der ganz ohne Förderung produzierte Paranoia-Thriller Subjekt 101. Für seinen ersten langen Film hat sich der Hamburger Regisseur Tom Bewilogua, der schon mit mehreren Kurzfilmen auf dem Festival vertreten war, John Frankenheimers Botschafter der Angst zum Vorbild genommen und lässt einen obdachlosen Migranten zu einer Marionette in einem Albtraum Orwell'schen Ausmaßes werden. Mag der Film zuweilen auch noch so roh und unbehauen daherkommen, strahlt er doch eine Energie aus, die man in deutschen Filmen gerne öfter sähe.