Das andere Kino – Texte zur Zukunft des Kinos |
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Die Printversion von »Das andere Kino – Texte zur Zukunft des Kinos« | ||
(Foto: LICHTER Filmkultur e.V.) |
Von Axel Timo Purr
Die von Kenneth Hujer betreute Publikation „Das andere Kino“ möchte der Neudeutung des Kinos Raum geben. Die Texte und Gespräche sind bewusst unter einem Titel versammelt, der bereits einige Jahrzehnte zurückreicht: in das Aufbruchs-Jahr 1968. Denn die Zukunft ist nicht nur morgen, sondern war auch bereits gestern. Oder um es mit den Worten Edgar Reitz’ zu sagen: »Häufig findet man Lösungen und Impulse zur Erneuerung in der Vergangenheit, in Gestalt von Versuchen und Projekten, die ihrer Zeit voraus waren.«
Seinerzeit zielte „das andere Kino“ auf die etablierten Filmfestivals in Oberhausen und Mannheim, die viele Arbeiten des Filmnachwuchses ins Nebenprogramm verbannten oder gar nicht erst zuließen. „Das andere Kino“ wurde von seinem Wortschöpfer Helmut Herbst für den Versuch in Anschlag gebracht, neue Wege der Filmaufführung zu gehen. In einem umfassenderen Sinn steht diese Haltung allen Texten dieser Publikation voran: Das Kino als Ort, Geschehen und Haltung soll neu gedacht werden – jenseits seiner eingeschliffenen Formen. Warum das so bitternötig ist, schildert Daniela Kloock in ihrem „Aufsatz Licht an – Licht aus?“.
Und einmal mehr Edgar Reitz: »Wenn ein System wie das Kino nach seiner über hundertjährigen Geschichte wieder einmal in der Krise steckt, so kann man das als Gefahr, aber auch als Chance zur Erneuerung verstehen.« Dieses wie auch das vorherige Zitat sind seinem Text „Kinotopia“ entnommen, mit dem die Publikation eröffnet wird und dessen optimistischer Sound gleichsam alle weiteren Überlegungen begleitet.
Anstatt kulturpessimistisch einen etwaigen Verlust zu beklagen, schaut „Das andere Kino“ in die Zukunft des Kinos. Wobei es auch das nicht ganz trifft, wie Sebastian Selig in seinem Text „Kinobesuche. Eine kleine Phänomenologie“ offenbart: Es gibt nicht das Kino, sondern Kinos, und folglich auch mehr als eine Möglichkeit, sie neu zu denken. Davon zeugen vor allem die hier versammelten Texte. Beispielsweise Daniel Moerseners „Plädoyer für ein Non-Stop-Kino“ oder Simone Arcagnis Text „Cinema Futuro“, der ein Vokabular zur Konzeptualisierung des zukünftigen Kinos an die Hand gibt. Ein solches Konzept (wenngleich mit anderem Vokabular), in diesem Fall für ein Haus der Filmkulturen, wird in dem auszugsweise transkribierten Roundtable-Gespräch zwischen Rüdiger Suchsland, RP Kahl und Gabu Heindl diskutiert.
Ein anderes Gespräch zwischen Niklas Maak und Lars Henrik Gass verbindet das Nachdenken über neue Kinobauten mit Überlegungen zur Stadt der Zukunft. Apropos Kinobauten und Stadt: Das niederländische Architekturbüro UNStudio erklärt in einem Beitrag seinen Kinoentwurf „Le Centre Culturel Dédié au 7ème Art“, der den Stadtboden auf den Dächern von drei ineinander verschlungenen Baukörpern hätte fortsetzen sollen. Ermöglicht werden sollten dadurch Freiluftkino, Ausblick auf die Pariser Skyline sowie das Zusammenfallen von Film-Produktion und -Rezeption.
Dass es nochmals andere (Kino-)Räume braucht, weil sich manche der gegenwärtigen Bewegtbilder nicht nur von der Leinwand lösen, um durch VR-Brillen als räumliche Umgebungen wahrgenommen zu werden, sondern diese körperlich-produktiv erkundet werden wollen, zeigen Angela Rabing und Franziska Wagner anhand der VR-Installation „Carne y Arena“.
Anstiftung zur Kontroverse betreibt schließlich Rüdiger Suchsland mit seinen „10 Thesen zur Zukunft des Kinos“. Dass der immer wieder proklamierte Tod des Kinos eine Farce ist, weiß Drehli Robnik neben seiner Losung „Warthaus statt Arthouse“ zu entwickeln. Dass Kino nicht nur ein Ort, sondern wie bereits erwähnt, auch ein Geschehen und überraschenden Transformationsprozessen unterworfen ist, zeigt Vinzenz Hediger in seinem Text „Goodbye Hollywood, Welcome Lagos and Seoul“.