Die Hausfrau und die Hure |
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Französisches Plakat zu Jeanne Dielman zum Filmstart 1975 | ||
(Plakat: Wikicommons) |
Von Jutta Brückner
Als ich las, dass bei der letzten Kritikerumfrage von »sight & sound« die Palme für den 'besten Film aller Zeiten' an Jeanne Dielman, 23 Quai du Commerce, 1080 Bruxelles von Chantal Akerman gegangen ist, las ich gleich nochmal, denn ich konnte es nicht glauben.
Jeanne Dielman ist der erste wirklich feministische Film der Filmgeschichte. Nicht weil er dokumentarisch oder parolenhaft Thesen der Frauenbewegung proklamierte. Das taten andere Filme, und es sind wichtige und gute darunter. Und ich habe auch wenig gegen Parolen oder Thesen, wenn sie angebracht sind. Aber die Schwierigkeit mit Filmen ist eben die, dass sie sehr viel mehr sein
müssen, als nur Trägermaterial für Parolen oder Thesen.
In den überraschten Kritiken wurde Jeanne Dielman jetzt gerühmt als ein bis dahin nicht gesehener Blick auf den Alltag einer Hausfrau. Das ist auch nicht falsch. Aber es ist der Alltag einer Hausfrau, die heimlich und nebenbei als Prostituierte arbeitet. Das war etwas, was zu jener Zeit als der Film entstand, zwischen Frauen
heftig diskutiert wurde: Ob nicht auch die verheiratete Hausfrau eine Hure ist, da der Mann für ihren Unterhalt bezahlt und dafür das Recht hat, jederzeit von ihr Sex einzufordern, den sie »ihm ohne Zeichen von Protest oder Widerwillen zu gewähren habe«. Das stand in einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 1966.
Der Bundesgerichtshof war sich sicherlich nicht darüber im Klaren, dass er damit das Dasein einer verheirateten Frau dem einer Prostituierten gleichgestellt hatte. Auch Jean-Luc Godard hat sich zumindest in Deux ou trois choses que je sais d’elle mit diesem Problem beschäftigt. Aber er tat es mit dokumentarischem Gestus in den Grenzen und dem Muster eines 90 Minuten langen Films. Filmzeit war erzählte Zeit, nicht erlebte Zeit. Und so wird es bei Godard zu einem interessanten Problem, was bei Chantal Akerman zu etwas ganz anderem wird. Die Routinen eines Alltags werden hier ungekürzt und in Echtzeit vorgeführt, meistens in einem geschlossenen Raum, der Wohnung, die für viele Frauen die Welt ist. Die Ausgrenzung der Frau aus der Gesellschaft und der Geschichte führt zu einem anderen Erleben von Raum und Zeit. Die Dramaturgie, die sich (mehr oder weniger lose) auch heute noch an der Geschichte des Helden orientiert, wird hier vollkommen geleugnet. So wie auch im Alltag von Frauen vieles in der Bedeutungslosigkeit dessen verschwindet, was jeden Tag von neuem getan werden muss. Das ist für mich das Umstürzende gewesen, als ich diesen Film das erste Mal gesehen habe.
Und deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich die Nachricht las, dass endlich dieser Film die Bedeutung erfährt, die ihm gebührt. An ihm wird deutlich, dass in den letzten 40-50 Jahren filmende Frauen so viel zum Weltkulturerbe des Films beigetragen haben, das aber meistens unbemerkt geblieben ist. Man kann gegen jeden Kanon einwenden, dass er bestenfalls ein Spiegelbild seiner Zeit ist und oft nur der jeweiligen Borniertheiten. Aber weil er in dem verwirrenden Mediendurcheinander unserer Zeit auch wie ein Hilfsmittel funktioniert, sind solche Umfragen wichtig. Und ohnehin weiß jeder und jede, dass es den besten Film aller Zeiten gar nicht gibt. So wie mit dem Feminismus die Subjektivität der Frauen in die Geschichte einbrach, so wird mit dieser Wahl endlich klar, dass dies auch für die Filmkultur gilt. Vielleicht ist Chantal Akermans Film nicht der beste Film der Filmgeschichte, aber das war Citizen Kane auch nicht. Und der Film, der beim nächsten Mal den Spitzenplatz einnimmt, wird es auch nicht sein.