Schweizer Supertrips |
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Dreharbeiten zu WerAngstWolf | ||
(Foto: Keystone Press/Christian Beutler.) |
Von Dunja Bialas
Sie sind zwar still und gemächlich, dafür sehr eigen und revolutionieren gerade heimlich das deutschsprachige Filmschaffen. Die Rede ist von den Schweizern, die mit ihren Filmen gerade mit Wucht das Kino erobern. Der auf den ersten Blick an die Berglerfilme von Erich Langjahr erinnernde Drei Winter des Luzerners Michael Koch entpuppt sich alsbald als hintergründiger Thriller mit Laiendarstellern und war die diesjährige Schweizer Oscar-Einreichung für den besten fremdsprachigen Film (wiewohl auch mittlerweile aus dem Rennen geschieden). Cyril Schäublin lässt das Kinopublikum bei tickenden Stoppuhren und gleichzeitiger Entschleunigung den Atem anhalten. Sein Unruh ist ein Historienfilm über das einstige anarchistische Zentrum der Berner Uhrenfabriken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vergessen werden darf auch nicht, dass die soeben verstorbenen Urgesteine der Filmavantgarde, Jean-Luc Godard und Jean-Marie Straub, im Schweizer Rolle am Genfer See lebten und arbeiteten. Die Enge der Berge, in Verbindung mit einer erhabenen Weite der Seen und sich auftuendem Himmel muss eine unvergleichliche Inspirationskraft haben. Mit einem völlig anderen Ergebnis als die alpinen Nachbarn, die Österreicher, die eher die Abgründe sehen.
Das Werkstattkino München überlässt nun einer zentralen Figur des Schweizer Autorenfilms die Leinwand für eine Carte Blanche. Der 1944 im Berner Kanton geborene Clemens Klopfenstein gilt als Wegbereiter des »Cinéma Copain«, also der bei niedrigem Budget mit Freunden zu machenden Filme. Bereits 2009 hat das Filmmuseum München ihm eine Retrospektive gewidmet, und nun macht sich der Initiator der Werkschau, Ulrich Mannes, der als Herausgeber des »SigiGoetz-Entertainment« in enger Verbindung zu dem Filmemacher steht, daran, die Linien seiner Einflüsse im Schweizer Filmschaffen nachzuzeichnen. 17 Filme hat Clemens Klopfenstein zusammengetragen von überwiegend Schweizer Filmemacher*innen, die ihn besonders beeinflusst oder beeindruckt haben oder auch, auf die er – in aller Bescheidenheit – einen Einfluss gehabt haben mag. Daher ist es folgerichtig, wenn er auch eigene Filme ins Programm gehoben hat, darunter das wahnwitzige Roadmovie Der Ruf der Sibylla (1985), dessen Inhalt sich auf der DVD wie folgt liest: »Ein Pärchen in Krise crasht durch Italien und verschwindet für immer in den sibyllinischen Bergen. Ein gutgemeinter Ratschlag eines umbrischen Mönchs entwickelt sich zum Horrortrip, zur Zauberei und zur Magie. Aber die Ehe wird für immer gerettet!«
WerAngstWolf (2000) schließt sich direkt daran an, auch er führt in die sibyllinischen Berge. Ebenso sind Klopfensteins Macao oder Die Rückseite des Meeres (1987) über einen mit dem Flugzeug abgestürzten Dialektforscher und der experimentelle Geschichte der Nacht (1981) verheißungsvolle »Supertrips« (Klopfenstein), von denen die Vorführung seines neuesten Films als Work in Progress Das Ächzen der Asche – Die Glocke der Santa Chiara kaum abweichen wird: »Aus den Ruinen des abgebrannten Kinos von Bevagna entflieht ein Phoenix«, textet Klopfenstein. Schließlich lässt sich in Eine Nacht lang Feuerland (1981) noch ins Berner Nachtleben eintauchen.
Es gilt zu entdecken, ob einer seiner Mentoren, der 1979 verstorbene Zürcher Kurt Früh, ähnliche Amalgame zwischen dem Imaginären, Phantastischen und der dokumentarischen Erzählweise pflegte. Die Carte Blanche zeigt zwei seiner Filme. Hinter den sieben Gleisen (1959) ist ein Outcast-Schelmenstück über drei Landstreicher und eine Alleinerziehende, Der Fall (1972) ist der letzte Film von Früh, der ins »triste Zürich der trüben 70er Jahre« eintaucht und ein spätes Meisterwerk ist über »das Gefängnis, das die Schweiz auch sein kann« (Hans Schifferle).
Einflusslinien werden aber auch zu den eingangs erwähnten, vergleichsweise jungen und stillen Kino-Revoluzzern gezogen. Cyril Schäublin wird sein gefeiertes Debüt vorstellen. Dene wos guet geit (2017) kann ähnlich wie Unruh als historische Bestandsaufnahme aufstrebender Medialität gelten, diesmal spielt der Film in der Jetztzeit in einem Callcenter und entwickelt einen Krimi-Plot. Sein Altersgenosse Tizian Büchi unternimmt mit L’îlot (2022) die aufregende Gratwanderung des magischen Dokumentarfilms und betrachtet gleichermaßen Rentner und Migranten in einem randständigen Viertel von Lausanne und ein stilles Gewässer, dem plötzliche Gefahren zu entsteigen drohen.
Die Schweizer Filmemacherin Carmen Stadler schließlich hat eng mit Klopfenstein als Kamerafrau zusammengearbeitet. Sie präsentiert im Rahmen der Carte Blanche ihren Film Sekuritas (2019) über ein Bürogebäude, das bald abgerissen werden soll, und eine Mischung aus Alltagsstudie und Märchen verspricht. Daneben hat Clemens Klopfenstein auch noch Filme von Jean-Luc Godard, Jean-Pierre Melville, Roberto Rossellini, Agnès Varda und Allen Baron für seine Carte Blanche ausgewählt. Zu allen Filmen und Vorstellungen wird Klopfenstein, der immer wieder auch als Kameramann für Münchner HFF-Filme eingesprungen ist, persönlich zugegen sein.
Carte Blanche für Clemens Klopfenstein
12.-18. Januar 2023
Werkstattkino München
Zu Gast: Clemens Klopfenstein, Cyril Schäublin, Tizian Büchi und Carmen Stadler