Wenn Kühe zu Kindern werden |
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Die Welt aus den Fugen... | ||
(Foto: 21. Dhaka International Filmfestival) |
Von Axel Timo Purr
»Take my Saree to wipe out your tears...« – Hochzeitslied in Saatao
»We are one of the others.« – Marshall Sahlins, 2003
Wenn man selbst bis in den Kinosaal die leidenschaftlichen Demonstrationen und Gegendemonstrationen für faire Wahlen Ende dieses Jahres hört, wird spätestens dann deutlich, dass Bangladesch in diesem Jahr schwere Zeiten bevorstehen. Harte Zeiten, die eigentlich schon seit einem Jahr begonnen haben, wie es vor wenigen Tagen auch der Guardian bemerkte, nachdem erste Journalisten und Oppositionsmitglieder wie der Karikaturist Ahmed Kabir Kishore nach Folter, Gefängnisstrafen und ersten Todesopfern bereits das Land verlassen haben. Das aber auch, weil Medien und Künstler die staatliche Zensur inzwischen völlig internalisiert haben, und das nicht nur wegen der zunehmend oppressiven Politik der gegenwärtigen Regierung, sondern auch, weil seit Jahren eine fanatische islamische Minderheit Morde an unabhängigen Bloggern, Journalisten und Verlegern wie Faisal Arefin Deepan zu verantworten hat.
Deshalb ist es vielleicht nicht allzu überraschend, dass sich ein bemerkenswerter Anteil der bengalischen Filme auf dem diesjährigen, 21. Dakha Filmfest mit historischem Material beschäftigt hat, das immer wieder auf den unsäglichen Genozid des damaligen West-Pakistans an Ost-Pakistanis, also dem heutigen Bangladesch, im Jahr 1971 und den Kampf für die Unabhängigkeit rekurriert, zum Teil mit beeindruckendem kreativen Furor, wie etwa Raihan Rafis Damal, der aus einem Fußballfilm einen Kriegsfilm macht, der so überrascht wie elektrisiert.
Umso höher ist es dem mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichneten Saatao – Memories of Gloomy Monsoons von Khandaker Sumon anzurechnen, die wichtige Geschichte des Landes einmal links liegen zu lassen und sich auf die ebenso wichtige Gegenwart zu konzentrieren, der das widerfährt, was so oft schon passiert ist, wie etwa in Chinua Achebes Roman Things Fall Apart – das Alte stirbt und das Neue reicht kaum zum Leben.
Doch das ist zu Anfang in Saatao – im Rangpur-Dialekt des Bengali mit den sieben unvermeidlichen Tagen einer Woche zu übersetzen – noch gar nicht so offensichtlich. Denn da zeigt die suggestive Kameraarbeit von Sozal Hossain, Ihtesham Ahmed und Khandaker Sumon, die immer neue Einstellungen sucht, noch das Alte, das im Lot scheint, etwa in einer großartigen Anfangsszene ein traditionelles Bootsrennen, das in eine traditionelle Hochzeit übergleitet und schon hier deutlich wird, dass jede Transformation in einen neuen Zustand, selbst eine Hochzeit, immer auch Schmerz bedeutet.
Die Braut, Aynun (Aynun Putul), versucht ihren schweren Abschied von der Familie mit einer neu gekauften Kuh zu trösten, die ihr die emotionale Bindung gibt, die ihr Mann Fazlul (Fazlul Haque) ihr nicht bieten kann. Er muss trotz aller aufrichtiger Nähe die Reisfelder bewirtschaften und Aynun allein lassen. Khandaker Sumon, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist, schildert diesen Alltag und mit seinen beiden bislang im bengalischen Kino kaum aufgefallenen Hauptdarstellern und souverän aufspielenden Laiendarstellern, mit dichtem lyrischen Blick und einer originellen, formal beeindruckenden Bildästhetik, die mehr sagt, als es die spärlichen Dialoge der Protagonisten ausdrücken könnten; Blumen, Bienen, Vögel werden gegen die Mühsal des Lebens geschnitten, und als die Kuh plötzlich stirbt und die Frau nach einer Fehlgeburt in eine depressive Krise stürzt, findet Sumon auch dafür eindrückliche Bilder, die mit überraschenden Schnitten von der lebenden Kuh auf ihre skelettierten Überreste die gnadenlose Vergänglichkeit des Lebens zeigen.
Sind diese Geschichten, wie auch die eindringlich gefilmten Rituale des kollektiven Fischens und die ebenfalls gruppengeprägte Herstellung der saisonalen Reiskuchen Momente, wie sie auch aus europäischer bäuerlicher Tradition bekannt sind – und von Władysław Reymonts Die Bauern bis Knut Hamsuns Segen der Erde auch eindringlich beschrieben wurden – setzt nach der Hälfte von Sumons Film etwas ganz Neues ein, gerät das Gleichgewicht von Schönheit und Grausamkeit aus dem Takt.
Zwar fängt sich Aynun wieder, durch eine neue Kuh im Haushalt, zu der sie eine noch intensivere, im Grunde schon eine Mutter-Kind-Beziehung aufbaut, doch durch den dadurch notwendig gewordenen Kredit wird plötzlich deutlich, dass hier eigentlich nichts mehr stimmt. Denn was noch vor zwanzig Jahren auf dem bengalischen Land undenkbar gewesen wäre, wird plötzlich manifest – Korruption bestimmt auch hier den Erfolg und das Überleben, nicht anders als in der Stadt und in der gegenwärtigen Politik. Sumon zeigt diese Abgründe subtil, fast nebensächlich, um die Folgen für seine Helden kümmert er sich umso mehr: Wir sehen die ersten jungen Bauern in die Sweat-Shops Dhakas abwandern und hören dann auch von den Tragödien, etwa der auch in westlichen Medien rezipierten eingestürzten Rana-Plaza-Fabrik, in der auch ehemalige Bauern vom Land umgekommen sind; statt Leben und Erfolg der Tod zurück aufs Land kehrt.
Und dann ist da noch die Natur. Auch hier stimmt es nicht mehr, ist die Welt aus dem Takt, sind die Flüsse erst ausgetrocknet, dann überflutet und die Ernte vernichtet.
Sumon findet dafür Bilder von gewalttätiger Schönheit, verknüpft spielerisch, mit wuchtiger Poesie, die wirtschaftliche und klimatechnische Globalisierung mit dem Menschen auf dem Lande, er bringt die Welt aufs Land und das Land in die Welt. Das sind Bilder und Narrative, die zum einen konkret von einer auseinanderfallenden Welt erzählen, die auch unsere Welt ist, die dann aber auch zu Hause bleibt und gleich noch eine weitere Tragödie erzählt, die von der Unfruchtbarkeit der Frau, die fast schon symbolischen Kraft hat und für Bangladesch selbst stehen könnte, mehr noch, als der Film zu einem letzten, subtilen Hieb auf die kaputten Strukturen der indigenen Gesellschaft ausholt, und – mutig und souverän – schildert, dass selbst die Religion, der Islam, an einem Festtag wie Eid ul-Adha, nicht mehr ist als die gegenwärtige Politik des Landes: ein von Raffgier gezeichnetes Wesen, dem nicht einmal das während Eid ul-Adha so wichtige Erbarmen für den Nächsten heilig ist.
Und dann überrascht Sumon noch einmal, indem er für sein Ende das Land verlässt und in das gerade zur umweltbelastetsten Stadt der Welt erklärte Dhaka schwenkt, um die saisonale Arbeit der Rikscha-Puller zu zeigen und selbst das letzte Band aller Bande, das Private zu implodieren droht.
Sumon entscheidet sich hier sinnvollerweise gegen eine allzu eindeutige Verurteilung und bietet die Kernbeziehung, die Familie und die Liebe als letzten, verlässlichen Funken Hoffnung auf. Das wäre immerhin genug für einen Neuanfang, so wie ihn Marshall Sahlins in seinen Stone Age Economics beschrieben hat.
Das macht Saatao – Memories of Gloomy Monsoons zu einem der raren, universellen Filme, der das Große über das Kleine erklärt, der nicht nur in Bangladesch verstanden werden kann, sondern auch jedem westlichen Kinobesucher eindringlich darlegt, wie unsere Welt beschaffen ist und wir eigentlich niemand anders sind als die bengalischen Bauern von morgen.