Content versus Film |
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Domink Graf | ||
(Foto: Caroline Link) |
Von Dominik Graf
Eins der folgenreichsten Widerspruchs-Paare im konkreten Filmemachen des Moments ist: auf der einen Seite im Business der sogenannte »Content«, so wie ihn die zuständigen Branchen-Tagungen verstehen, wenn sie den Begriff in ihren Ankündigungen im Munde führen. Content – englisch einfach nur »Inhalt«, neudeutsch inzwischen auch »Medieninhalt« – beschreibt eine Perspektive auf den Film, die den Film selbst nun ganz und gar nicht meint, sondern sie meint das, was zum User »delivered« werden soll. Der »Selling-Point«, der »Pitch«, der »Plot«, die »Story«, auch das »Setting«, was weiß ich, die konstruierte Figuren-Konstellation, der Look, das Feeling, die Mood, das Casting und im portionierten Serienformat dann letztlich auch sowas wie den Cliffhanger. Kurz das Große, Ganze eines rundum gestylten Plans, an den sich die Regisseur:Innen dann vertraglich halten müssen.
Content ist eine tote Konzeptmasse, mit der man den Geldgeber:Innen und später den Zuschauern imponieren kann. Eine Kiste mit Aufschrift, die zumeist auf einen segmentierten Markt zielt, Fernsehen oder Kino ganz egal, nach Video-Schubladen geordnet, weit über die klassischen Genres hinaus säuberlich in Interessengebiete getrennt.
Was da nicht passgenau hinein stimmt, das wird dann zu Arthaus. Aber auch das Arthaus ist leider inzwischen ein international verbundenes Genre, qualitativ vermeintlich über dem eigentlichen traditionellen kommerziellen Kinofilm schwebend, mit sehr viel Selbstbezug, viel gesuchter Originalität, die aber oft nur wenige interessiert.
Wie man beispielsweise an der Berlinale vor zwei Jahren sehen konnte, als Pandemie-bedingt – so wurde es jedenfalls behauptet – die Jury nur aus ein paar zu Hause sitzenden Arthaus-Regisseur:Innen bestand, die dann folgerichtig auch einen osteuropäischen Arthausfilm als »Golden Bear« wählten. Das heißt, sie wählten ihr eigenes Geschäftsmodell. Man kann im Urteil über solche Abläufe auch ruhig noch etwas böser werden, finde ich.
Auch Arthaus degeneriert sich so selbst zu Billig-Content-Konzepten, Ramsch-Regal. Aber lassen wir das Arthaus, bleiben wir beim Kern-Konflikt.
»Film« – als Gegensatz zum »Content« – Film, so wie ich ihn im Kino und auch oft im Fernsehen erlebt habe und heute noch verstehe – will und ist etwas ganz anderes. Film ist nicht Inhalt-Transfer sondern geformte Erzählung. Nicht Look sondern Ästhetik.
Ich sehe das, was ich mit Film meine, als eine flüssige Form an..., als eine Verteidigungsbastion des konkreten szenischen Details und des Unerwarteten. Sozusagen auf der Jagd nach den Momenten, den immer flüchtigen Wildtieren des Kinos, nach den Szenen, die einen verunsichern, und eben deshalb sich der Welt neu versichern können. Hier geht’s immer mehr ums »Wie« als ums »Was«.
»Film« in diesem Sinn ist nicht auf Publikumsbefragungen zugeschliffener Trend. Im »Film« ist das Drehbuch ein Entwurf, eine Guideline für die Regie, jederzeit variierbar, slalomartig um-spielbar. Der Film ist eine lebendige Struktur, aber eben auch nur, wenn das Detail glänzt, glitzert, fasziniert, überrascht – nur dann lebt am Ende vielleicht auch das Ganze. Gerade wenn das Detail sich erst während der Arbeit ergibt – und oft nirgendwo genau so aufgeschrieben stand.
Content erkennt man auch an einer grausigen Art der deutschsprachigen Schauspielerei, die ich als Scriptacting bezeichnen würde, an miserablen Standard-Dialogen, weil sie eben alle nur am Inhalt der Szenen kleben. Die Schauspielerin Marie Lou Sellem hat bei einer Studentenübung in Ludwigsburg mal 20 deutsche Standard-Drehbuchsätze hintereinander losgelassen, à la »Ich glaube, wir sollten mal miteinander reden«.
Nur Pflicht-Sätze für Schauspieler, keinerlei Kür ist gestattet. Keinerlei Form der Sprache. Wie reden denn die Menschen? Na, jedenfalls reden sie nicht so wie die Schauspieler. Man sieht: Die Verpackungs-Sprache infiziert den Gegenstand.
Es gab mal Hoffnung in die Populärkultur. Denn innovativer Film ist eben nicht, das sei hier deutlich gesagt, per se immer nur »Film-Kunst«. Um Gottes willen, das bildet sich das Arthaus-Kino nur ein, dass sie die stets Progressivsten im Stall sind. Im Gegenteil: Es geht auch um eine Art von Film, der durchaus kunstlos sein kann, aber unterhaltsam und für ein größeres Publikum beeindruckend. Sagen wir’s mit Cocteau abgewandelt: kommerzielle Filme wie ich sie hier meine, »dürfen keine Kunst sein wollen. Aber das darf ihnen nicht gelingen.«
Grundsätzlich gilt nun heute, dass der filmische Kommerz immer dümmer wird – und der Arthaus-Bereich immer dünnsuppiger, immer arthausiger sozusagen… Fatale Entwicklung. Und die Midculture im Kino bricht komplett weg, beziehungsweise sie wird dem Arthaus zugeschlagen. Französische Schnulzen über Lavendel anbauende Jüngling:Innen werden inzwischen der Filmkunst zugerechnet.
So, jetzt mal praxisnah: Wenn es ein ganz pragmatisches Symptom gibt, das die Gefährlichkeit dieser Planorgien-Entwicklungen und Widersprüche spiegelt, dann zeigt sich dies allem voran an den endlos gewordenen konzeptionellen Drehbuchdebatten in der Branche. Jedes Buch geht in 17 Fassungen, wird um- und umgedreht, und vor allem: jeder Funktionär (ich verwende hier das generische Maskulin!!) aus der 3. Reihe darf auch zur 17. Fassung nochmal seinen Senf geben. Viel zu viele Mitredner wetzen an jeder Figuren-Charakterisierung oder Story-Wendung oder auch mal Einzelszene oder Dialog ihr Messer, um zu schlachten, was nicht in ihrem Sinn des Verkaufbaren ist, was nicht vorhersehbar ist, und um all das zu verhindern, wo sich Unberechenbares plötzlich Bahn bricht und den Zuschauer verwirren, verstören, abstoßen könnte. Dafür gibt es einen Aparatschik-Begriff, der freudig Anwendung findet, überall da, wo ein Augenblick eben nicht sofort den nächsten Augenblick erkennen lässt: »Da war ich lost.«
Die Entscheider:Innen der Branche, die sich selbst so bezeichnen, sehen in jedem Umweg eines Films eine bösartige absichtliche Desorientierung.
Ein Produzent rief vor ein paar Jahren einer »Kontrakt 18«-Autor:Innen-Versammlung zu: »Für ein sehr gutes Drehbuch reicht auch ein mittelmäßiger Regisseur.« Laut »Süddeutsche Zeitung« folgte tosender Beifall. (Schließt sich natürlich sofort die Frage an, was ist ein sehr gutes Drehbuch? Die sinnlos unterschiedlichen Positionen hierzu müsste man auch mal durchdeklinieren.) Ersichtlich wird, worum es allen eigentlich geht: um Macht über das Erzeugnis. Leider inzwischen auch bei Autor:Innen, die alle Showrunner werden wollen. Macht und Kontrolle über das Produkt.
Der Drehbuchautor William Goldman schrieb seinen berühmtesten Satz übers Drehbuchschreiben und Projekte-Basteln 1983: »Nobody knows anything.« Ist in Vergessenheit geraten.
Aber. Die praktische und für uns alle – auch für die Content-Anwälte selbst – verheerendste Folge der Vielstimmigkeit im Drehbuchprozess ist: die Bücher – also die wirklich letzte Dreh-Ausgabe der Drehbücher – werden meistens viel zu knapp vor Drehstart fertig. Häufig wird heute in deutschen Drehbüchern auch noch während des Drehs umgeschrieben, und zwar nicht etwa vom Regisseur, der sich das ganze ja wie einen Elfmeter zurechtlegen muss – sondern: vom Funktionärskollektiv verlangt soll Drehbuchautor:In noch eine Runde drehen, weil irgendein/e Producer:in, Entscheider:in, der/die – was weiß ich in einem Sabatical war oder wo auch immer kurzfristig verschollen, nun jedoch – zurückgekehrt ist und unbedingt nochmal ihren/seinen schlechten Dramaturgiegeschmack im Film abgebildet haben möchte... Das kostet alles enorm viel Zeit und kostet vor allem auch Geld. Offenbar haben wir das, ja? In diesem Fall habe ich häufig auch mal Mitleid mit Produzent:Innen, die ja gegen diese systemischen »Entscheider« gar nicht rebellieren dürfen und die die Zeche jedes Mal neu zusammenrechnen müssen, die auf sie zukommen wird. Es ist ein kleines Alt-Hollywood, was hier bei uns teilweise gespielt wird, nur nicht mit einem Tycoon hinterm Schreibtisch, der meint, bestimmen zu müssen, sondern mit 17 meinungsstarken Nichtswisser:Innen.
Befreien wir also bitte schnell den Film wieder von den Content und Packages-Tendenzen und von Mentalitäten, die bewirken – wie Klaus Lemke es einst formulierte –, dass wir, die Regisseure (hier kurz wieder generisches Maskulin) zu »soft skill Kastraten« mutieren – und dass aus Produzenten »Veredelungsjunkies« werden. Content-Denken und vor allem – ja – Content-Handeln greift in seiner hemmungslosen Banalität den Kern des Filmischen an, es entwertet das Medium selbst.
Sie können es überall sehen: Produktionen, die primär dem programmiert Contenthaften unterworfen sind, werden automatisch zügig zu Schrottware. Gerade in den Wiederholungsorgien des Fernsehens lässt sich diese Entwicklung exemplarisch beobachten. Je mehr Planungs-Diktatur und Verkaufs-ideologische Hybris in den deutschen Filmen stecken, umso schneller wirken sie uralt.
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Der Text war zuerst Keynote für das 20. Akademie-Gespräch der Akademie der Künste, Berlin. Die Veranstaltung fand am 13.02.2023 statt
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Akademie der Künste Berlin
20. Akademie-Gespräch: Content versus Film
»Was macht gute Filme aus? Wann entstand und woher kommt die Haltung, den Content eines Films über seine ästhetische Form zu stellen? Wo bleibt die Wertschätzung für Filmkunst als eine Komposition von Bildern, Farben, Klängen?«
Jeanine Meerapfel und Dominik Graf sprachen mit Thomas Heise, Nicolette Krebitz und Carolin Schmitz über das Wesen des Kinos, über das, was Filme einzigartig macht.