04.05.2023

No Music

Music
Angela Schanelecs preisgekrönter Music: Film ohne Verleihförderung
(Foto: Grandfilm)

Trotz Silbernem Berlinale-Bären muss zum wiederholten Mal ein BKM-geförderter Film ohne Verleih-Förderung in den Kinostart. Cancelt die BKM ihre eigenen Filme?

Von Dunja Bialas

Cancelt die bundes­deut­sche BKM (die Beauf­tragte der Bundes­re­gie­rung für Kultur und Medien, der Claudia Roth vorsitzt) einen Film, den sie im Entste­hungs­pro­zess selbst gefördert hatte? Schon wieder trifft es einen Film von Angela Schanelec. Die deutsche Regis­seurin, Berliner Schule, ist nun nicht gerade Main­stream, das ist bekannt. Aber sie ist eine der inter­na­tional renom­mier­testen deutschen Film­schaf­fenden. Mit ihrem neuesten Werk Music erhielt sie bereits zum zweiten Mal, nach Ich war zuhause, aber... (2019), den Silbernen Bären der Berlinale-Jury. Und nun gibt es, wie der zustän­dige Verleih Grandfilm jetzt meldet, für ihren Film wieder keine Verleih­för­de­rung von der BKM, wie es auch für den Verleih Piffl des letzten, ebenfalls preis­ge­krönten Films keine BKM-Unter­stüt­zung gab. Der Film von Schanelec, eine kunst­volle Ödipus-Phantasie, muss nun also ohne nennens­werten finan­zi­ellen Rücken­wind (es gab 10.000 Euro vom Medien­board Berlina-Bran­den­burg) und ohne Budget für eine Werbe­kam­pagne mit Plakaten, Anzeigen, Social Media, inten­siver Pres­se­ar­beit und Kino-Tour in den Kino­be­trieb gehoben werden. Die 40 Kino­be­treiber, die der Verleih fürs Abspielen gefunden hat, werden sich bedanken.

Was passiert hier?

Bekann­ter­maßen ist die Sicht­bar­keit von Filmen und der Erfolg der Kino­aus­wer­tung nicht nur von der Anzahl der Film­ko­pien, sondern auch von der Inten­sität der Werbe­kam­pagne abhängig. Das gilt auch für Filme wie die von Schanelec, die ohnehin nicht für das große Publikum konzi­piert sind und erwartbar weniger Geld einspielen werden – sie haben aber auch weit weniger in der Entste­hung gekostet als soge­nannte Besu­cher­mil­lionäre wie derzeit zum Beispiel Manta Manta – Zwoter Teil. Der mit über 3 Millionen Euro in der Produk­tion geför­derte Film von Til Schweiger (Music: knapp 500.000 Euro) erhielt von der Film­för­de­rungs­an­stalt FFA eine Verleih­för­de­rung von 300.000 Euro, dazu kommen Verleih­för­de­rungen der Film- und Medien­stif­tung NRW mit weiteren 100.000 und des Film­fern­seh­fonds Bayern mit 250.000 Euro. Macht summa summarum 650.000 Euro für Manta Manta – Zwoter Teil.

Die Berlinale, deren berufene Jury den Film von Schanelec ausge­zeichnet hat, ist, nur fürs Protokoll, das Vorzeige-Festival Deutsch­lands. Das A-Festival wird maßgeb­lich von Steu­er­gel­dern finan­ziert, um die 11 Millionen Euro ist dies dem Bund wert, was ein Drittel des Berlinale-Gesamt­etats ausmacht. Man sollte meinen, dass die Preise, die dieses Millio­nen­pro­jekt durch hoch­karä­tige Fachjurys vergibt, dem Bund ebenfalls etwas wert sein sollten. Die Strahl­kraft nicht nur für den inter­na­tio­nalen Markt entwi­ckeln, sondern auch als bedeut­same Werke dem heimi­schen Publikum zugäng­lich gemacht werden. Claudia Roth, die Beauf­tragte für Kultur und Medien, findet: »Die Berlinale ist das wich­tigste deutsche Film­fes­tival, das eine große inter­na­tio­nale Ausstrah­lung und Anzie­hungs­kraft hat und ein echter Publi­kums­ma­gnet ist.«

Aha. Filme, die auf der Berlinale Preise gewinnen, sind aber wohl keines­wegs zwingend auch die »wich­tigsten Filme«, wenn sie nach Ansicht des zustän­digen Entschei­dungs­gre­miums der BKM für Verleih­för­de­rung mit einem Etat von null Euro in die Kinos gebracht werden sollen. Ja, das gilt sogar für Projekte, die von der BKM selbst gefördert wurden, wie Music (und zuvor Ich war zuhause, aber...). Es gibt nun mal keinen Förder-Auto­ma­tismus. Basta.

Über die Vergabe der Förde­rungen entscheidet hingegen ein sechs­köp­figes »pari­tä­tisch besetztes« Gremium. Abstim­mungen sollen nach Insider-Wissen erst im Votum von 5:1 positiv ausfallen, bei einem Ergebnis von vier Ja- gegen zwei Nein-Stimmen gilt das einge­reichte Projekt als abgelehnt. Zu dumm, dass ange­sichts solch rigoroser Abstim­mungs­ver­hält­nisse ein Mitglied des BKM-Gremiums in zwei Gremien sitzt: Andreas Fink, Film­ein­käufer bei Cineplex Deutsch­land, entscheidet sowohl über die BKM-Verleih­för­de­rung, deren Ziel es ist, »künst­le­risch anspruchs­volle deutsche Filme in die Kinos zu bringen«, als auch über die Verleih- und Betriebs­för­de­rung der Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA), die eben auch Besu­cher­mil­lionäre wie Manta Manta – Zwoter Teil in ihrem Portfolio 2023 hat. Hat der Mann ohne Not zwei Hüte auf, um souverän zwischen künst­le­ri­schen und kommer­zi­ellen Filmen zu unter­scheiden? Oder sollte hier nicht lieber eine Ausschluss­re­ge­lung greifen, entweder dem einen oder dem anderen Gremium angehören zu dürfen?

Heikel wird es, wenn in Betracht gezogen wird, dass die BKM-Verleih­för­de­rung unter dem Eindruck von Corona mit dem Programm »Neustart Kultur« einer modi­fi­zierten Regelung gehorcht, nach der auch höher budge­tierte Projekte in den Topf der BKM fallen (während sie früher nicht antrags­be­rech­tigt waren). Auch dieses Frühjahr (ist eigent­lich immer noch »Neustart«?) ist die maximale Förder­summe von 50.000 Euro auf 150.000 Euro je Verleih­pro­jekt erhöht und die Begren­zung auf 40 Kopien zum Kinostart aufge­hoben. Heißt im Klartext: auch teurere und größere Filme können nun bei der BKM einen Antrag auf Förderung stellen.

Inter­es­san­ter­weise aber gilt für die BKM, anders als für die FFA, wo die Förde­rer­geb­nisse bis 2009 auf der Website nach­zu­lesen sind, wohl nicht das Trans­pa­renz­gebot. Entschei­dungen zur Verleih­för­de­rung sind auf der Website der Bundes­re­gie­rung und auch anderswo schlichtweg nicht zu finden. Dazu sei angemerkt, dass die Verfas­serin dieses Textes selbst stell­ver­tre­tendes Gremi­ums­mit­glied für Verleih­för­de­rung ist. Weder aber weiß ich, welche Projekte einge­reicht wurden, noch, welche Projekte positiv beschieden wurden. Auf Anfrage hieß es bei der zustän­digen Stelle Ende März, dass die Förde­rer­geb­nisse in den nächsten Wochen auf der Website veröf­fent­licht werden und »dann für alle zugäng­lich« seien – was bis heute nicht der Fall ist. Als stell­ver­tre­tendes Mitglied des Gremiums habe ich also keinerlei Einblicke, die nicht auch sonst bekannt wären, was mich an eine Schwei­ge­pflicht binden würde. Bis zum heutigen Tag aber ist schlichtweg überhaupt nichts bekannt.

Veröf­fent­licht sind jedoch die Ergeb­nisse von November 2022, die einige Rück­schlüsse auf die Förder­praxis zulassen. Big Player Warner Bros. Enter­tain­ment wurde in der letzten Förder­sit­zung des Gremiums in zwei Fällen mit 130.000 Euro für den Verleih gefördert – einer von den Filmen, Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war, läuft derzeit noch mit 186 Kopien im Kino, wurde also fast fünf Mal so groß heraus­ge­bracht, als es für die BKM-berech­tigten Filme bislang üblich war. Es ist zu vermuten, dass auch dieses Mal mit den modi­fi­zierten »Neustart«-Förder­richt­li­nien das für die BKM geltende Prinzip der kultu­rellen Förderung aufge­weicht wurde. Und es ist zu fragen: Verändert sich damit nicht der Blick des Gremiums auf andere, künst­le­ri­sche Projekte, die nicht durch viel veran­schlagtes Geld und vergan­gene Besu­cher­re­korde beein­dru­cken können? Die wissen, was sie reprä­sen­tieren und die durchaus zufrieden wären mit einer maximalen Verleih­för­de­rung von 50.000 Euro und einem Kinostart von 40 Kopien? Grandfilm zumindest lässt keine über­zo­genen Erwar­tungen erkennen, wenn er schreibt: »Der Verleih eines solchen Films (Music, d. Red.) ist wichtig für die Film­kultur in Deutsch­land, aber leider nicht wirt­schaft­lich rentabel. Genau deswegen gibt es die kultu­relle Verleih­för­de­rung der BKM.«

Mit der Absage an die kultu­relle Verleih­för­de­rung aber erstickt die BKM ein Projekt, das sie selbst gefördert hat und das mit einem wichtigen inter­na­tio­nalen Preis ausge­zeichnet wurde – und cancelt damit eine der renom­mier­testen deutschen Film-Autorinnen, die mit Ausstel­lungen im MoMA und Retro­spek­tiven in Frank­reich im Ausland mehr gilt als im eigenen Land.

Das kann man als große Pein­lich­keit abtun. Es ist aber ein hand­fester Skandal: Der Fehler liegt eindeutig im System.