38. DOK.fest München 2023
Aufstand der Regenschirme |
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Hongkong: Straßenkampf mit Regenschirmen | ||
(Foto: DOK.fest München | Lia Erbal) |
Von Hermann Barth
Ach richtig, Hongkong. Aus den Medien, aus dem Sinn. Dabei hatten wir doch 2014 mit Spannung die Regenschirm-Bewegung verfolgt, als Hunderttausende für freie Wahlen auf die Straße gingen. Und 2019 die Hoffnung geteilt, dass die erneuten Proteste gegen die Aushebelung des liberalen Rechtssystems, gegen die Peking-nahe Regierung unter Carrie Lam Erfolg haben könnten. Und hatten nicht die beiden gefeierten Aktivist*innen Joshua Wong und Glacier Kwong im Herbst 2019 bei der Bundespressekonferenz um Unterstützung gebeten … Drei Jahre später, nach dem Inkrafttreten des »Gesetzes zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong«, der brutalen Niederschlagung aller Proteste, der Zerschlagung der Gewerkschaften, der Parteien, der Studentenvereinigungen, der Vernichtung der freien Presse, der Inhaftierung, Verurteilung oder Vertreibung aller, die sich widersetzten, ist klar: Das alles war nur der Anfang.
Wer mit dabei war, sich erinnert, jetzt darüber spricht, bleibt besser anonym. Eine in Berlin gestrandete Ex-Aktivistin erzählt von den Hoffnungen ihrer Generation, dem Unverständnis ihrer Großeltern, der fehlenden Unterstützung ihrer Eltern, die ihre eigene Beteiligung an den Protesten 1989 auf dem Tianmen-Platz heute für einen Fehler halten. Ihre Erzählung verbindet sich mit den Stimmen vieler anderer, mit nie gesehenen Bildern von den Demonstrationen, den von Mal zu Mal enthemmter agierenden Polizeikräften – wo sich das direkte Abbild verbietet, ergänzen sehr gelungene Animationen im Graphic-Novel-Stil die vielen, für sich sprechenden Handy-Aufzeichnungen aus den Kampfzonen.
Während die einen ihr Leben aufs Spiel setzen, ringen die anderen in Berlin, Strasbourg oder Anchorage um Analysen, Positionen, Haltung. Reinhard Bütikofer, grüner EU-Parlamentarier und China-Experte im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, fordert Zhang Ming, den chinesischen Botschafter, heraus: »Genug mit den immer gleichen, nie eingehaltenen Versprechungen.« Der kontert mit Statistiken über die Zufriedenheit des chinesischen Volkes, verbittet sich die Einmischung
in innere Angelegenheiten. Und Chefdiplomat Yang Jiechi belehrt Anthony Blinken: »Sie sprechen ja nicht für die internationale Gemeinschaft. Nur für die US-Regierung.«
»Ihr seid Abschaum! Ich verachte Euch! Ihr seid Menschen ohne Prinzipien. Verantwortungslos. Kakerlaken! Träumer!« ruft ein Polizist den fliehenden Student*innen hinterher, die als letzte auf dem Universitätsgelände ausgeharrt haben.
»Globaler Handel darf nie auf Kosten von Freiheit und Würde getrieben werden.« Soll man EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen noch Glauben schenken, wenn sie in gewohnt floskelhafter Rhetorik die Bereitschaft Europas beschwört, seine Werte zu verteidigen?!
Lia Erbals* beeindruckendem Film gelingt es, das ganze, auch uns betreffende Ausmaß der Missachtung und gezielten Zerstörung demokratischer Werte unmittelbar erlebbar zu machen – und der so schrecklich
gescheiterten Protestbewegung ein würdiges filmisches Denkmal zu setzen.
* Um sich vor denkbaren Repressionen zu schützen, verwenden Mitglieder des Filmteams, darunter auch die Regisseurin, Pseudonyme.