Hybride Formen allerorten |
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Stop Filming Us but Listen: Überraschender Ansatz einer nicht mehr postkolonialen Perspektive | ||
(Foto: 20. Dokumentarfilmwoche Hamburg) |
Von Eckhard Haschen
»Ein Programm, das dazu einlädt, über die Welt nachzudenken, empathisch mit dem Unbekannten zu sein und sich auf neue Perspektiven einzulassen«, diesen Anspruch hatte sich
das 13-köpfige Kollektiv der Dokumentarfilmwoche Hamburg für seine Jubiläumsausgabe selbst gesetzt. Und nach Ansicht des überwiegenden Teils der diesjährigen Auswahl lässt sich konstatieren: Es wurde nicht zu viel versprochen.
Dass es überhaupt möglich war, einen so großen Anteil der gezeigten Film auf der Leinwand zu sehen, lag daran, dass das Festival – auch um seinem Namen endlich einmal wieder gerecht zu werden – diesmal um zwei Tage verlängert wurde und so gleichsam von Kino zu Kino wanderte. Was aber nicht heißt, dass es kein Zentrum gab, Dieses befand sich in der fux eG, einer ehemaligen Kaserne, wo es neben täglichen Werkstattgesprächen, ergänzenden Filmen in einem kleinen Kino und dem Festival-Club die faszinierende Ausstellung »Die fünfte Wand – Navina Sudaram: Innenansichten einer Außenseiterin oder Außenansichten eine Innenseiterin« zu sehen gab. Hervorgegangen aus dem gleichnamigen Online-Archiv haben die Kuratorinnen Mareike Bernien und Merle Kröger hierfür Filme, Reportagen, Moderationen, Texte, Briefe und Fotos der vor einem Jahr gestorbenen Filmemacherin und Redakteurin aus 40 Jahren Tätigkeit für das Fernsehen zusammengestellt und mustergültig präsentiert.
Gibt es hier immerhin schon zuweilen überraschende Ansätze einer nicht mehr postkolonialen Perspektive, so wird diese eigentlich erst in Filmen wie Stop Filming Us but Listen von Bernadette Vivuya und Kagoma Ya Twahirwa voll eingelöst. Das kongolesische Regie-Duo überschreibt und rekontextualisiert hier nämlich den Film Stop Filming Us, in dem der niederländische Regisseur Boris Postema vor zwei Jahren die lokale Kunst und Filmszene porträtierte und dabei den Blick eines weißen Europäers nie ganz ablegen konnte.
So vorurteilsfrei wie überhaupt nur möglich blickt seit Jahrzehnten der schon lange in Schweden lebende Peter Nestler auf die Welt und die Menschen. Folglich auch in seinen zwei neuesten Arbeiten Unrecht und Widerstand sowie Der offene Blick – Künstlerinnen und Künstler der Sinti und Roma, die so etwas wie Zwillingsfilme sind, und in denen sich Nestler auf meinetwegen klassische Weise dem Leben von Sinti und Roma in Deutschland nähert, aber sich in keinem Moment über die Menschen erhebt, die bis heute kaum als gleichberechtigte Bürger anerkannt werden.
Vergleichsweise klassisch kommt auch noch Für die Vielen – Die Arbeiterkammer Wien von Constantin Wulff daher. Ohne belehrenden Kommentar und dabei nicht selten an die Filme von Frederick Wiseman erinnernd, porträtiert Wulff eine Institution in all ihren Facetten. Einen durchgehenden Kommentar hat zwar Nuclear Family von Erin und Travis Wilkerson (letzterem widmete das Festival 2018 eine Retrospektive), – ein Roadtrip zu den Orten amerikanischer Atombombenversuche – doch ist der so persönlich gehalten, dass man sich nie belehrt fühlt. Dem Fiktiven, das den Filmbildern ja schon ihrer Natur nach stets eingeschrieben ist, nähert sich Jan Peters‘ Tagebuchfilm Eigentlich eigentlich Januar, der als Eröffnungsfilm gezeigt wurde. Hier kann man den vorgeblich aus Super-8 gedrehten Bildern genauso wenig trauen wie dem wunderbar mäanderndem Kommentar. In The Plains von David Easteal, haben die von der Rückbank gefilmten Autofahren eines Anwalts aus Melbourne sicherlich stattgefunden, aber nicht erst, wenn man weiß, dass der Kollege, den er gelegentlich mitnimmt, der Regisseur des Films ist, merkt man, dass hier so einiges gescriptet wurde. Aber dies eben so gut, dass man es sich gern drei Stunden lang anschaut.