»Das hilft auf den ersten Metern« |
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After-Award-Beisammensein: Die Starter-Filmpreisträger*innen und -Produzent*innen | ||
(Foto: privat) |
Von Dunja Bialas
Die Freude über die wiedergefundene Selbstverständlichkeit, im Kino zu sein, war groß bei der diesjährigen Verleihung der Starter-Filmpreise, die im Rahmen des Filmfests München am vergangenen Montag in den City-Kinos stattfand. Ein Schatten lag dennoch über der Veranstaltung. Stadtrat David Süß mahnte, unter dem Eindruck gestiegener Kosten in Folge des Ukrainekrieges nicht die Nerven zu verlieren. »Strategisches Ziel der Kriegsführung« durch Putin sei es, »dass wir uns im Streit spalten und den demokratischen Zusammenhalt verlieren.« Und setzte mit Nachdruck den Appell: »Lassen wir das nicht geschehen.« Als Gegenmaßnahme empfahl er, Filme zu sehen und dabei »zu informieren, zu lernen«, auch dies sei eine Aufgabe des Kinos.
In der Tat fand der Angriffskrieg gegen die Ukraine auch ein Echo in den mit den Starter-Filmpreisen prämierten Filmen. Der aus der Ukraine stammende und bereits seit 2013 in Deutschland lebende Mykyta Gibalenko zeichnete in I See Them Bloom ein feinfühliges Portrait zweier Schwestern, die vor dem Krieg nach München geflohen sind und sich nun im Umfeld der Hochschule für Fernsehen und Film wiederfinden. Zwei Erlebniswelten montiert Gibalenko in Erinnerung an seine eigene Ankunft – das war während der ersten ukrainischen Demokratiebewegungen, die von der Regierung in brügerkriegsähnlichen Szenarien niedergeschlagen wurden. Schon hier und dennoch noch dort, hier der Frieden, die Lebensplanung, eine Party. Dort, zurückgelassen: Chaos, Krieg, Trümmer. Hier: Ruhe. Dort: größtmögliche Unsicherheit. Im Aufeinandertreffen der Welten, der inneren Erinnerungsebene und den neuen Eindrücken, können sich harmlose Geräusche zur Bedrohung türmen, kann Party-Talk zum Zynismus entgleiten. Die sinnlichen Cinemascope-Bilder schälen im Dunkel der Räume, in denen der Staub im einfallenden Licht schwebt, die eine Schwester aus ihrer Lethargie, während die andere schon angekommen ist. Ein zartes Statement, das zeigt, wie das Leben der Brutalität eines Krieges entkommen kann.
Gibalenkos Film, dessen Weltpremiere noch aussteht, ist sicherlich ein Höhepunkt der diesjährigen Preisträger. Zu I See Them Bloom hätte gut der neue Kurzfilm Waking up in silence von Daniel Asadi Faezi und Mila Zhluktenko gepasst, den sie in einer Schweinfurter Flüchtlingsunterkunft mit ukrainischen Kindern gedreht haben. Ihr jetzt mit dem Pharos-Produktionspreis ausgezeichneter Kurzfilm Aralkum lief bereits letztes Jahr sehr erfolgreich auf Festivals und gewann u.a. auf dem wichtigen Schweizer Dokumentarfilmfestival »Visions du Réel« den Preis für den Besten Kurzdokumentarfilm. Aralkum ist eine Meditation über das Verschwinden der Natur und das Alleinsein des Menschen im Anthropozän, so zumindest fasst die Jurybegründung den Film zusammen. Weil der große Aralsee austrocknet, sterben die Tiere aus, die Fischer verlieren ihre Lebensgrundlage. Sie fristen nur noch ihr Dasein, zwischen kargen Pflanzen, die sich verzweifelt das Wasser in Mikrolitern aus der trockenen Wüstenluft holen.
Auch hier wird mittels der Bild-Ton-Montage die Vergangenheit in die Gegenwart hereingeholt. Auch hier geht es um das Verschwinden der Lebensgrundlage. Auch hier steht der Mensch an einem Endpunkt seiner Existenz.
Bisweilen hatte man im Laufe der Veranstaltung den Eindruck, mit der Verleihung der Starter-Filmpreise halte man das Verschwinden einer Ära auf, so sehr wurden die geladenen Gäste auf die Kraft des Kinos eingeschworen. Kino als Kulturort sei aus einer lebendigen Stadt nicht wegzudenken, mahnte der Stadtrat. Erst im Kino bekäme der Inhalt der Filme Strahlkraft. Und er ließ noch kurz den Gedanken auf die legendären Eisverkäuferinnen aufblitzen, die in der Hochzeit des Kinos vor dem Hauptfilm im Kinosaal Eis aus dem Bauchladen anboten. Wir erinnern uns an ein zähes Unterfangen, das den Beginn der Vorstellung immer unnötig verzögerte. Aber ja, im Rückblick war das fantastisch.
Kulturreferent Anton Biebl sprach die Digitalisierung von Film und Kino an und die damit einhergehenden Veränderungen im »Content«: Filme richten sich nun stärker nach Verkaufbarkeit und Publikumserwartungen aus, so könnte man ihn zusammenfassen. Die Starter-Filmpreise würden sich dieser Entwicklung widersetzen, schließlich werden mit den Preisen doch Werke ausgezeichnet, die vor allem »Innovationsfreude«, nicht beflissen Formate be- und Erwartungen erfüllen.
Marie Zrenners mit dem Starter-Filmpreis ausgezeichneter Kurzspielfilm Alex in den Feldern zeigt diese Unterminierung von Formaten und Erwartungen. Als weibliche Regisseurin erzählt sie ein Buddy-Movie unter Männern, allein schon die Perspektivumkehrung ist erwähnenswert. Sie lässt dabei im Vagen, ob sich vielleicht eine homoerotische Geschichte auf dem Hof der Schweinemast entwickeln könnte, der als therapeutischer Bauernhof für junge, suchtkranke Männer dient. Die Geschichte von Alex, der über die Felder auf den Hof kommt, und Adrian, der seine Sucht kuriert, entwickelt sie ganz allmählich und auf ganz natürliche Weise, so eben, wie man auch im richtigen Leben die Menschen kennenlernt: Da wartet man auch nicht gleich mit seiner ganzen Vorgeschichte auf, sondern gibt sich lieber erst einmal als fragiles Rätselwesen.
Da hilft dann auch keine K.I. und Personenerkennungssoftware. Viktor Schimpf hat in seinem ausgezeichneten Film Machines Of Loving Grace eine utopische Dystopie (oder dystopische Utopie?) realisiert, in der das Anthropozän bereits abgelöst wird. Auf den autoleeren Straßen wachsen Pflanzen, die Diversität im Sinne des vielgestaltigen und phantasievollen Aussehens der Menschen ist selbstverständlich. Eine Künstliche Intelligenz lernt über das Wesen der Welt und der Menschen und vor allem auch das eigenständige Denken und erhebt unerwartet Forderungen für die Zukunft. Auch visuell ist dieser ins Phantastische übergehende Starter-Film sehr reichhaltig, ein wahrer Aufbruch in eine andere Welt. Die Künstliche Intelligenz wird bei Schimpf nicht als Bedrohung gezeichnet, sondern fast schon als Erlöserfigur. Auch zeigt Machines Of Loving Grace, dass politische Filme nicht plakativ oder thesenhaft sein müssen, sondern auch zartfühlend und subtil sein dürfen.
Der Preisträger Viktor Schimpf verkörpert bei seinem Auftritt auf der Bühne des City-Kinos genau diese Doppeldeutigkeit. Auf seinem zerrissenen altrosa T-Shirt prangt zugleich kämpferisch und ironisch das Statement »Eat the Rich«. Und er sagt dann noch einmal sehr nachdenklich stimmende Worte, auch weil Kulturreferent Biebl zuvor den jungen Menschen für ihre mutige Berufswahl gedankt hat. Es sei nicht so »easy«, nach der Filmschule Fuß zu fassen. Dankbar sei er seinen Eltern, die ihn immer noch unterstützen, obwohl er mit ihnen permanent diskutiere. Der Starter-Filmpreis, sagt er, »hilft auf den ersten Metern«.
Ein Statement, das auch die anderen Preisträger*innen im Anschluss an die Preisverleihung bestätigen. Der Starter-Filmpreis (mit je 8000 Euro dotiert), das ist für sie ein wichtiger Türöffner und eine Hilfe beim schwierigen Start, sich ohne Schutz der Filmhochschule in der Filmwelt zu behaupten.