13.07.2023

Poesie und Politik aus dem Iran

The Football Aficionado
Aktuell und nah an der prosaischen Wirklichkeit: The Football Aficionado
(Foto: Cinema Iran 2023)

Das Filmfestival »Cinema Iran« von Filmstadt München greift das Motto der feministisch geprägten Revolte »Frau – Leben – Freiheit« auf und stellt in der diesjährigen Filmauswahl Frauen in den Mittelpunkt

Von Wolfgang Lasinger

Auch wenn die dring­liche Situation im Iran nicht mehr für die großen Schlag­zeilen sorgt: die ungeheure Welle an Protesten seit dem September 2022 und die repres­sive Reaktion der Staats­macht bestimmen immer noch die Lage.
Das Film­fes­tival Cinema Iran von Filmstadt München greift das Motto der femi­nis­tisch geprägten Revolte »Frau – Leben – Freiheit« auf und stellt in der dies­jäh­rigen Film­aus­wahl Frauen in den Mittel­punkt. Der weibliche Kampf gegen patri­ar­chale Bevor­mun­dung und Unter­drü­ckung, der Kampf der Frauen um Gleich­be­rech­ti­gung und um Teilhabe am öffent­li­chen Leben zieht sich als roter Faden durch das Programm: mit Filmen, die entweder von Frauen gemacht wurden oder die weibliche Figuren ins Zentrum rücken.

In dem Spielfilm I Am Forough (HP 8 Do, 13. Juli 2023; 19:00 Uhr als Eröff­nungs­film) von Jahangir Kosari wird das unglück­liche Leben der Dichterin und Filmerin Forough Farrokhzad (1935-1967) zum Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt für Forough, eine Iranerin der Gegenwart, die sich in ihrem Ringen um die Selbst­be­stim­mung als Frau mit ihrer histo­ri­schen Namens­vet­terin iden­ti­fi­ziert. Sie setzt sich in einer filmi­schen Arbeit mit der Poesie und dem Schicksal der histo­ri­schen Forough ausein­ander. Im den Film tragenden Biopic der Dichterin der Schahzeit spiegelt sich die Situation der Kultur­schaf­fenden der Jetztzeit: die patri­ar­chalen Formen der Ächtung gleichen sich auf erschre­ckende Weise. In elegi­schem Schwarz-Weiß gehalten, zitiert der Film visuell den poeti­schen Realismus und den Neorea­lismus. Er inte­griert histo­ri­sche Aufnahmen vom Begräbnis der Dichterin sowie kurze Auss­chitte aus Das Haus ist schwarz, einem doku­men­ta­ri­schen Kurzfilm, den Forough 1962 über Lepra­kranke in Persien drehte. Bei den Kurz­film­tagen 1963 in Ober­hausen erhielt dieses für das iranische Kino eminent ikonische Werk den Großen Preis für Doku­men­tar­film. Produ­ziert wurde er damals von dem Grand­sei­gneur persi­scher Dichtung und Filmkunst Ebrahim Golestan (den man im letzten Jahr in einem skurrilen filmi­schen Dialog mit Jean-Luc Godard in À Vendredi, Robinson erleben konnte).
Der Name und die Poesie von Forough Farrokhzad, die 1967 viel zu früh durch einen Auto­un­fall ums Leben kam, haben bis heute eine enorme Strahl­kraft nicht nur für die femi­nis­ti­sche Bewegung im Iran, sondern für die Kraft des Poeti­schen insgesamt: wie man Poesie politisch macht, wie Poesie bis in den Alltag hinein­wirkt, das kann man wohl kaum irgendwo besser als in der irani­schen Kultur sehen. Passagen aus den Werken von Farrokhzad werden von der bedeu­tenden irani­schen Künst­lerin und Filme­ma­cherin Shirin Neshat in ihrem Selbst­por­trät Unveiling (Enthüllen/Entschleiern) aus dem Jahr 1993 prominent zitiert. Und auf der dies­jäh­rigen Berlinale war von der Inderin Sreemoyee Singh der Doku­men­tar­film And, Towards Happy Alleys zu sehen, der den Spuren der Poesie Farrokhzads im Leben der Frauen im gegen­wär­tigen Iran folgt.

Den Klang der Poesie vernehmen wir auch in Beyond the Fences of Lalehzar (HP 8 Fr 14. Juli 2023 – 18:00 Uhr). Auf der Tonspur ist hier die poetische Prosa der Thea­ter­schau­spie­lerin und Regis­seurin Elham Korda zu hören, die das Drehbuch für den Film verfasste. Sie wird zusammen mit dem Regisseur des Films, Amen Feizabadi, anwesend sein. Es handelt sich hier um eine poetische Doku-Collage, die musi­ka­li­sche und perfor­me­ri­sche Elemente zu einer surrea­lis­ti­schen Kame­ra­sym­phonie zusam­men­fügt. Das ehemalige Teheraner Vergnü­gungs­viertel Lalehzar, wo man einst so etwas wie die Champs Élysées der irani­schen Metropole ansie­delte, wird über Kind­heits­er­in­ne­rungen erschlossen und explo­riert und in eine Zone zwischen Realität und Fiktion trans­fe­riert. Nostalgie mischt sich dabei mit trau­ma­ti­schen Momenten: im Unwie­der­bring­li­chen findet sich auch Verdrängtes, das besser nie geschehen wäre.

Aktueller und näher an der prosa­ischen Wirk­lich­keit dann der Doku­men­tar­film The Football Afici­o­nado (HP 8 Sa, 15. Juli 2023 – 18:00 Uhr) von Sharmin Mojta­hedzadeh und Paliz Khoshdel. Frauen sind im Iran seit 1979 (seit der isla­mi­schen Revo­lu­tion) bis auf seltene Ausnahmen nicht als Zuschaue­rinnen in Fußball­sta­dien zuge­lassen (so wie sie in der Öffent­lich­keit nicht singen dürfen): wie weibliche Fans damit umgehen (sich als Männer verkleiden, zum Beispiel) und welchen Repres­sa­lien sie ausge­setzt sind, das bringt einem diese lebendige Doku­men­ta­tion nahe. Dass das iranische Regime seit kurzem gewillt ist, dieses allge­meine Verbot aufzu­heben, kann man womöglich der Brisanz dieses Films zuschreiben. Ob Frauen dann tatsäch­lich in die Stadien dürfen, muss die neue Saison ab August dann zeigen.

Unge­wöhn­liche Frau­en­schick­sale stehen dann im Zentrum erzähl­mäch­tiger und bild­starker Filme, wie sie das iranische Kino immer wieder bereit­hält: TiTi von der Regis­seurin Ida Pana­handeh (HP 8 Fr, 14. Juli 2023 – 20:00 Uhr) oder der als Abschluss­film gezeigte Subtrac­tion (HP 8 So, 16. Juli 2023 – 20:00 Uhr) von Mani Haghighi, der um den Ehemann einer jungen Fahr­schul­leh­rerin eine vertrackte Doppel­gän­ger­ge­schichte thril­ler­haft aufbaut.

Es sei hier noch besonders auf zwei Kurz­film­pro­gramme im Rahmen des Festivals hinge­wiesen, die vor allem die Möglich­keit von Begeg­nungen mit irani­schen Kunst- und Film­schaf­fenden (u.a. auch aus München) bieten. Mind the Gap (HP 8, So 16. Juli 2023 – 18:00 Uhr) mit Gesprächen und Kurz­filmen zur Situation irani­scher Kultur­schaf­fender im Exil, in der Diaspora und im Iran (mit Amirali Ghasemi, Raha Faridi und Narges Kalhor) sowie Breaking Boun­da­ries (HP 8, Sa 15. Juli 2023 – 15:00 Uhr) mit Arbeiten junger irani­scher Video­künst­le­rinnen aus der Factory TT Video Art Coll­ec­tion (dieses Programm wird von dem Kura­to­ren­team Asieh Salimian und Shahram Entekhabi präsen­tiert).