Poesie und Politik aus dem Iran |
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Aktuell und nah an der prosaischen Wirklichkeit: The Football Aficionado | ||
(Foto: Cinema Iran 2023) |
Auch wenn die dringliche Situation im Iran nicht mehr für die großen Schlagzeilen sorgt: die ungeheure Welle an Protesten seit dem September 2022 und die repressive Reaktion der Staatsmacht bestimmen immer noch die Lage.
Das Filmfestival Cinema Iran von Filmstadt München greift das Motto der feministisch geprägten Revolte »Frau – Leben – Freiheit« auf und stellt in der diesjährigen Filmauswahl Frauen in den Mittelpunkt. Der weibliche Kampf gegen patriarchale
Bevormundung und Unterdrückung, der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung und um Teilhabe am öffentlichen Leben zieht sich als roter Faden durch das Programm: mit Filmen, die entweder von Frauen gemacht wurden oder die weibliche Figuren ins Zentrum rücken.
In dem Spielfilm I Am Forough (HP 8 Do, 13. Juli 2023; 19:00 Uhr als Eröffnungsfilm) von Jahangir Kosari wird das unglückliche Leben der Dichterin und Filmerin Forough Farrokhzad (1935-1967) zum Kristallisationspunkt für Forough, eine Iranerin der Gegenwart, die sich in ihrem Ringen um die Selbstbestimmung als Frau mit ihrer historischen Namensvetterin identifiziert. Sie setzt
sich in einer filmischen Arbeit mit der Poesie und dem Schicksal der historischen Forough auseinander. Im den Film tragenden Biopic der Dichterin der Schahzeit spiegelt sich die Situation der Kulturschaffenden der Jetztzeit: die patriarchalen Formen der Ächtung gleichen sich auf erschreckende Weise. In elegischem Schwarz-Weiß gehalten, zitiert der Film visuell den poetischen Realismus und den Neorealismus. Er integriert historische Aufnahmen vom Begräbnis der Dichterin sowie
kurze Ausschitte aus Das Haus ist schwarz, einem dokumentarischen Kurzfilm, den Forough 1962 über Leprakranke in Persien drehte. Bei den Kurzfilmtagen 1963 in Oberhausen erhielt dieses für das iranische Kino eminent ikonische Werk den Großen Preis für Dokumentarfilm. Produziert wurde er damals von dem Grandseigneur persischer Dichtung und Filmkunst Ebrahim Golestan (den man im letzten Jahr in einem skurrilen filmischen Dialog mit Jean-Luc Godard in À Vendredi, Robinson erleben konnte).
Der Name und die Poesie von Forough Farrokhzad, die 1967 viel zu früh durch einen Autounfall ums Leben kam, haben bis heute eine enorme Strahlkraft nicht nur für die feministische Bewegung im Iran, sondern für die Kraft des Poetischen insgesamt: wie man Poesie politisch macht, wie Poesie bis in den Alltag hineinwirkt, das kann man wohl kaum
irgendwo besser als in der iranischen Kultur sehen. Passagen aus den Werken von Farrokhzad werden von der bedeutenden iranischen Künstlerin und Filmemacherin Shirin Neshat in ihrem Selbstporträt Unveiling (Enthüllen/Entschleiern) aus dem Jahr 1993 prominent zitiert. Und auf der diesjährigen Berlinale war von der Inderin Sreemoyee Singh der Dokumentarfilm And, Towards Happy Alleys zu sehen, der den Spuren der Poesie Farrokhzads im
Leben der Frauen im gegenwärtigen Iran folgt.
Den Klang der Poesie vernehmen wir auch in Beyond the Fences of Lalehzar (HP 8 Fr 14. Juli 2023 – 18:00 Uhr). Auf der Tonspur ist hier die poetische Prosa der Theaterschauspielerin und Regisseurin Elham Korda zu hören, die das Drehbuch für den Film verfasste. Sie wird zusammen mit dem Regisseur des Films, Amen Feizabadi, anwesend sein. Es handelt sich hier um eine poetische Doku-Collage, die musikalische und performerische Elemente zu einer surrealistischen Kamerasymphonie zusammenfügt. Das ehemalige Teheraner Vergnügungsviertel Lalehzar, wo man einst so etwas wie die Champs Élysées der iranischen Metropole ansiedelte, wird über Kindheitserinnerungen erschlossen und exploriert und in eine Zone zwischen Realität und Fiktion transferiert. Nostalgie mischt sich dabei mit traumatischen Momenten: im Unwiederbringlichen findet sich auch Verdrängtes, das besser nie geschehen wäre.
Aktueller und näher an der prosaischen Wirklichkeit dann der Dokumentarfilm The Football Aficionado (HP 8 Sa, 15. Juli 2023 – 18:00 Uhr) von Sharmin Mojtahedzadeh und Paliz Khoshdel. Frauen sind im Iran seit 1979 (seit der islamischen Revolution) bis auf seltene Ausnahmen nicht als Zuschauerinnen in Fußballstadien zugelassen (so wie sie in der Öffentlichkeit nicht singen dürfen): wie weibliche Fans damit umgehen (sich als Männer verkleiden, zum Beispiel) und welchen Repressalien sie ausgesetzt sind, das bringt einem diese lebendige Dokumentation nahe. Dass das iranische Regime seit kurzem gewillt ist, dieses allgemeine Verbot aufzuheben, kann man womöglich der Brisanz dieses Films zuschreiben. Ob Frauen dann tatsächlich in die Stadien dürfen, muss die neue Saison ab August dann zeigen.
Ungewöhnliche Frauenschicksale stehen dann im Zentrum erzählmächtiger und bildstarker Filme, wie sie das iranische Kino immer wieder bereithält: TiTi von der Regisseurin Ida Panahandeh (HP 8 Fr, 14. Juli 2023 – 20:00 Uhr) oder der als Abschlussfilm gezeigte Subtraction (HP 8 So, 16. Juli 2023 – 20:00 Uhr) von Mani Haghighi, der um den Ehemann einer jungen Fahrschullehrerin eine vertrackte Doppelgängergeschichte thrillerhaft aufbaut.
Es sei hier noch besonders auf zwei Kurzfilmprogramme im Rahmen des Festivals hingewiesen, die vor allem die Möglichkeit von Begegnungen mit iranischen Kunst- und Filmschaffenden (u.a. auch aus München) bieten. Mind the Gap (HP 8, So 16. Juli 2023 – 18:00 Uhr) mit Gesprächen und Kurzfilmen zur Situation iranischer Kulturschaffender im Exil, in der Diaspora und im Iran (mit Amirali Ghasemi, Raha Faridi und Narges Kalhor) sowie Breaking Boundaries (HP 8, Sa 15. Juli 2023 – 15:00 Uhr) mit Arbeiten junger iranischer Videokünstlerinnen aus der Factory TT Video Art Collection (dieses Programm wird von dem Kuratorenteam Asieh Salimian und Shahram Entekhabi präsentiert).