10.08.2023

Bon Voyage, Billy!

The Exorcist
Body Horror
(Foto: Warner Bros.)

Eine Würdigung von William Friedkins Meisterschaft

Von Lilith Stangenberg

»I don’t have the soul of a cop – but I like the thrill.«
W.F.

Am Montag hat sich William Friedkin verab­schiedet. Er ist 87 Jahre geworden. In den vielen Inter­views, die ich über die letzten Jahre gesehen hab, wirkte er jedoch eher wie 17, also von der spru­delnden hecken­schüt­zen­haften Energie und der subver­siven Kraft seiner Einstel­lung. Sehr unter­haltsam und sehr anstif­tend, und ich empfand es immer als äußerst beru­hi­gend, dass er da ist, das William Friedkin lebt und Filme macht. Nicht nur, weil ich ihm so viele betörende, hypno­ti­sche, spek­ta­kuläre und fiebrige Film­stunden verdanke, sondern auch, weil seine Filme eine unver­kenn­bare Stimme im Kino verkör­pern. Die ich heute kaum noch wieder­finde und nach der ich mich aber so sehr sehne: Friedkins Figuren sind Besessene, Manische, Menschen voller Fehler und Sünde, getrieben und geheim­nis­voll. Sie kommen vom Weg ab, verirren sich, strau­cheln, finden die Kraft zum Willen wieder und offen­baren sich schließ­lich in ihrer voll­kom­menen funkelnden Mensch­lich­keit, abgründig, unbe­re­chenbar und ambi­va­lent. Und immer so körper­lich wie einzig es die große himm­li­sche Leinwand des Kinos zu trans­por­tieren weiß, wo Schweiß, Blut, Tränen und Kotze die Ängste, Sehn­süchte, Verzweif­lung und den Schmerz der Menschen wie durch ein Vergröße­rungs­glas erglühen lassen. Diese Filme nehmen die Wirk­lich­keit verstiegen ernst, in ihrer Aggres­si­vität, Bruta­lität, Unbe­greif­lich­keit und zerstö­re­ri­schen Kraft. Mir kommt es manchmal so vor, als könnte ich seine Filme sogar riechen und schmecken, weil die so real, so dreckig und rau sind.

Jeder Mensch, der mit Filmen zu tun hat, könnte bei Friedkin eine Lektion lernen in puncto: MUT! Die Bild­ar­beit, der vibrie­rende zuckende Sound, der gestört unbe­re­chen­bare konfron­ta­tive Schnitt.

Sein Film The Exorcist ist für mich persön­lich von funda­men­taler Bedeutung und hat mein Kunst­ver­s­tändnis tief­gründig geprägt, so ist das Wort »Exor­zismus« für mich wie zu einen Synonym für »schau­spielen« geworden. Linda Blair faszi­niert mich in dem Film über die Maßen, ich begreife ihren »Demon« als die anima­li­sche Urkraft der weib­li­chen Sexua­lität, die das puber­tie­rende Mädchen befällt und von der Kindheit und ihrer Mutter trennt, die christ­liche Antwort dämo­ni­siert und vernichtet. Ich liebe die Farben, die Räume, die Treppen, den Look des Films. Für die Stimme des »Demon« hat er übrigens mit der Method-Schau­spie­lerin Mercedes McCam­bridge gear­beitet, die gewöhnte sich zur Vorbe­rei­tung das Ketten­rau­chen an und ließ sich dann für die Aufnahmen eine Woche an ihren Stuhl im Studio fesseln, um die echtestem Emotionen zu trans­por­tieren, hinterher war sie so bescheiden, dass sie darum bat, nicht im Abspann zu erscheinen, weil sie Lindas Perfor­mance nichts stehlen wollte.
Die andere Friedkin-Figur, die mich unlängst über­wäl­tigt hat, ist Linda Fioren­tino in Jade; auch sie ist gleichsam besessen: ein vom versteckten Eros gejagter Körper, unglaub­lich betörend und sexy. Ich liebe auch die Autojagd auf dem Chinatown-Festival: Das Auto kann sich nur in Milli­meter-Schritt­chen vorwärts­be­wegen, die lang­samste Verfol­gungs­jagd des Kinos, sehr seltsam und besonders im Hinblick auf die Spek­ta­kulärst-Verfol­gung in The French Connec­tion sehr lustig.

Das Kino hat einen wahren »Meister« (und ich finde, man muss mit diesem Wort äußerst sparsam umgehen) verloren. Frieden für Friedkin, Gott oder Teufel, dein neuer Gastgeber möge diese edle Seele mit beson­derer Zärt­lich­keit beher­bergen! Danke! Bonne Voyage und Rest in Power, Billy!