24.08.2023
Kinos in München – Werkstattkino 2023

Schämt Euch!

Werkstattkino
Das Hinterhof-Kino liegt in einer der letzten Idyllen im Gärtnerplatzviertel
(Foto: Sebastian Grünwald)

Das Münchner Werkstattkino ging bei den Kinoprogrammpreisen der BKM zum zweiten Mal leer aus. Das bedroht ausgerechnet die vielgelobte Programmvielfalt des Kinos

Von Dunja Bialas

Nach dem Urteil des Land­ge­richts München über den zu erwirt­schaf­tenden Pachtzins des fami­li­en­be­trie­benen Film­thea­ters Send­linger Tor und der statt­ge­ge­benen Räumungs­klage stehen nun einem zweiten Kino in München zumindest harte Zeiten bevor. Das kultige Werk­statt­kino, das bundes­weit wegen seines ausge­fal­lenen Programms Repu­ta­tion genießt, geht zum zweiten Jahr infolge beim Kino­pro­gramm­preis der BKM (Bundesbauf­tragte für Kultur und Medien) leer aus. Lapidar heißt es in dem »artechock« vorlie­genden Ableh­nungs­be­scheid: »Aus einer Vielzahl von Vorschlägen hatte die unab­hän­gige Fachjury für den Kino­pro­gramm­preis bei der BKM eine Auswahl zu treffen. Die zustän­dige Fachjury gab hierbei anderen Film­pro­grammen den Vorzug.«

In andere Worte übersetzt heißt das: Zum zweiten Mal hinter­ein­ander tut sich eine Lücke von 7500 Euro im Jahres­budget des Keller­kinos auf, die sich jetzt auf 15.000 Euro summiert. Ein budge­tärer Ausgleich ist da nicht mehr drin. Auch nicht durch extreme Maßnahmen kann das ohnehin selbstlos wirt­schaf­tende Kino im fünf­stel­ligen Bereich einsparen – bei einmalig 7500 Euro, wonach es im letzten Jahr noch aussah, konnte man noch auf den rück­wir­kenden Jahres­aus­gleich hoffen. Diese Hoffnung ist mit dem formellen Ableh­nungs­be­scheid 2023 vorbei. Wie das Kino im nächsten Jahr für Programm­viel­falt sorgen kann, ist offen.

Alles vorschrifts­gemäß einge­scannt und einge­reicht

Wolfi Bihlmeir, der die Finanzen des Werk­statt­kino-Kollek­tivs im Blick hat und auch die Anträge für die Kino­pro­gramm­preise stellt, steht vor einem Rätsel. Immer hätten sie einen BKM-Kino­pro­gramm­preis für ihr bundes­weit einzig­ar­tiges Programm bekommen, mal waren es 7500 Euro für das Jahres­pro­gramm, mal kamen noch 2500 Euro obendrauf, weil sie so viele Doku­men­tar­filme spielen. Es habe aber immer einen Preis gegeben. Als sie letztes Jahr leer ausge­gangen waren, hatte Bihlmeir dies auf die Umstel­lung auf den Digi­tal­an­trag zurück­ge­führt, was sie unvor­be­reitet getroffen habe. Die Hand­zettel-Unikate, mit denen das Werk­statt­kino seit Gründung 1976 das Programm bewirbt (sie werden einmal die Archive und Kino-Histo­riker eupho­risch stimmen), konnten damit nicht einge­reicht werden. Dieses Jahr aber habe man umge­stellt und alles vorschrifts­gemäß einge­scannt und einge­reicht. Auch für den BKM-Kino­pro­gramm­spe­zi­al­preis in der Sparte »Doku­men­tar­film« sei ein separater Antrag gestellt worden, wie es die Vorschriften verlangen. Aber anders als vergleich­bare Kinos wie das Berliner Kino in der Brot­fa­brik oder das ebenfalls in Berlin ansässige Kino Krokodil ging das Münchner Werk­statt­kino leer aus.

Natürlich gibt es »keinen Rechts­an­spruch«, wie es auf der Seite des BKM heißt, auf einen Preis, noch kann irgend­eine Form von Gewohn­heits­recht geltend gemacht werden. Das weiß natürlich auch das Kollektiv im Werk­statt­kino. Es konnte aber stets auf einen Preis hoffen und hat das Programm mit den Jahren auch auf aktuelle Entwick­lungen angepasst – so ist das einstige Under­ground-Kino nun auch Erst­auf­füh­rungs­kino für viele kleinere Filme, die von den größeren Arthouse-Kinos als »Kassen­gift« gefürchtet (und diskre­di­tiert) werden. Das kino­ei­gene Archiv kommt immer noch in ausge­wählten Reihen zum Einsatz, meist in der Spät­vor­stel­lung, die andere Kinos bereits als nicht rentabel abge­schafft haben. Auch hier also eine Einzig­ar­tig­keit, die sich dem Enga­ge­ment und der cine­as­ti­schen Über­zeu­gung verdankt, dass Filme zu unter­schied­li­chen Tag- und Nacht­zeiten anders rezipiert werden und bestimmte Filme erst im »Mitter­nachts­kino« ihre Kraft entfalten.

Wildern in der Nische

Viel­leicht ist dieses Film­seg­ment der BKM-Jury suspekt. Viel­leicht spielt hier aber auch die Tatsache mit hinein, dass dank Digi­ta­li­sie­rung jetzt selbst die große Yorck-Kino­gruppe in der neuen Reihe »Creepy Crypt« Horror­klas­siker spielen kann und damit dem Under­ground­film zu einer gewissen Main­stream­haf­tig­keit verhelfen mag. Wildern in der Nische kann man das nennen, auch wenn das Werk­statt­kino ange­sichts solcher Programm-Popu­la­ri­sie­rungen nur müde durch­winkt. Das Kollektiv vertraut auf seine Expertise, die breit gefächert ist. Wohl oder übel nimmt es auch hin, dass das Arsenal Institut in Berlin das im alter­na­tiven Spielort »Silent Green« einge­rich­tete »Kino« (eine aufge­spannte Leinwand mit Klapps­tühlen im ehema­ligen Krema­to­rium) ohne Not »Werk­statt­kino« nennt und an dieser Praxis trotz Bitten und Protests unbeirrt festhält. Und dies, obwohl das Münchner Werk­statt­kino seit Jahr­zehnten die unter Auswer­tungs­aspekten als »schwierig« zu bezeich­nenden Filme des Institut-Verleihs spielt. Von Rück­sicht­nahme, Kolle­gia­lität oder Soli­da­rität kann hier keine Rede sein. Eher gelten sogar im Segment der Nischen­kinos zunehmend die Gesetze des Kultur­dar­wi­nismus: Der Stärkere gewinnt. Nicht anders als in der neoli­be­ralen Markt­wirt­schaft, der jetzt vermut­lich die Betreiber des Film­thea­ters Send­linger Tor zum Opfer fallen.

Folgen von Corona

Seit dem Ende der Pandemie herrscht ein zunehmend rauer Ton im Kultur­sektor. In Aussicht gestellte Förde­r­er­höhungen werden im Kultur­be­reich zurück­ge­nommen, in Einzel­fällen sogar die bereits zugesagte Förderung für ganze Projekte. Unter dem staatlich verord­neten Corona-Betriebs­verbot für Kinos war die Öffent­lich­keit alarmiert, eine breite Soli­da­ri­sie­rungs­welle schloss sich an. Es gab BKM-Sonder­mittel und BKM-Sonder­preise, es wurde gar der Neustart Kultur ausge­rufen. Jetzt jedoch bewahr­heitet sich, dass die Folgen von Corona erst mit Verzö­ge­rung sichtbar werden. Eine Folge ist die flächen­de­ckende Digi­ta­li­sie­rung. Eine zweite ist die Forderung von Effizienz. Eine dritte ist, dass man Dinge anders machen will und deshalb auch dem seit langem Beste­henden den Garaus macht. Stichwort der Stunde ist »Inno­va­tion«, alles soll jetzt neu, jung und modern werden, obwohl die Kultur gerade eine Renais­sance unter dem Vorzei­chen der Nostalgie erlebt, wie die erfolg­rei­chen Wieder­auf­füh­rungen von Kino­klas­si­kern und nach altem Stil gestal­tete neue Kinosäle zeigen.

Für München ist das Jahr 2023, das Jahr eins nach Corona, ein alar­mie­rendes Kinojahr, in dem man sich kaum noch sorglos in den Kino­sessel fallen lassen kann. Obwohl die Besucher*innen nicht nur zu BARBENHEIMER massiv ins Kino zurück­kehren, muss sich die Stadt dieses Jahr drei alar­mie­renden Entwick­lungen stellen.

Da sind: 1. Der Rückzug von Kino­be­trei­berin Anne Harder aus dem Maxim-Kino, die ange­sichts des auf sie zukom­menden Wirt­schafts­drucks die Reißleine gezogen hat. Das Kino wechselte zu Christian Pfeil und Markus Eisele, die auch das Arena, Monopol und seit letztem Jahr den Rio Film­pa­last betreiben und als Gesamt­ge­sell­schaft Ausgleich zwischen den einzelnen Häusern schaffen können. 2. Die statt­ge­ge­bene Räumungs­klage für das Film­theater Send­linger Tor, weshalb die Betreiberfa­milie Preßmar wohl aufgeben muss – sie hat den Gang in eine höhere gericht­liche Instanz zwar angekün­digt, geräumt werden darf in der Zwischen­zeit aber dennoch. 3. Das wieder­holte Übergehen des Werk­statt­kinos bei den bundes­weiten Kino­pro­gramm­preisen durch die BKM-Jury, was eine bedroh­liche Lücke ins Budget reißt und ausge­rechnet das gefährdet, weshalb es das Kino überhaupt gibt: die ausge­fal­lenen Programme. Das kann man dann auch exis­tenz­be­droh­lich nennen.

Der Fehler im System

Der Fehler im System in allen drei Fällen ist, dass es keine Kultur­för­de­rung für Kinos gibt und keinen Schutz vor der Markt­wirt­schaft. Nur kommunale, also von der Stadt oder den Gemeinden unter­hal­tene Kinos werden insti­tu­tio­nell gefördert, der Rest ist den Gesetzen der Privat­wirt­schaft ausge­lie­fert. Das gilt auch für Kinos wie das Werk­statt­kino, das zwar ehren­amt­lich betrieben werden darf, aber dennoch gewinn­brin­gend nach kommer­zi­ellen Kriterien wirt­schaften muss.

Die Frage ist, ob es nun wieder die Stadt richten soll (bzw. überhaupt kann). Eine Möglich­keit wäre nämlich, dem Werk­statt­kino einen dem kommu­nalen Kino vergleich­baren Status zu verleihen, mit einer entspre­chenden finan­zi­ellen Ausstat­tung. Der gangbare Weg aber kann und darf auf lange Sicht kein Sonderweg sein. Vom Film­theater Send­linger Tor mal abgesehen, stehen wohl auch anderen inha­ber­ge­führten Kinos unsichere Zeiten, viel­leicht auch gravie­rende Umbrüche bevor. München, die Kinostadt, sollte hier noch einmal ganz neu nach­denken.

Und die BKM-Jury soll sich gefäl­ligst in Grund und Boden schämen!