Kinos in München – Werkstattkino 2023
Schämt Euch! |
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Das Hinterhof-Kino liegt in einer der letzten Idyllen im Gärtnerplatzviertel | ||
(Foto: Sebastian Grünwald) |
Von Dunja Bialas
Nach dem Urteil des Landgerichts München über den zu erwirtschaftenden Pachtzins des familienbetriebenen Filmtheaters Sendlinger Tor und der stattgegebenen Räumungsklage stehen nun einem zweiten Kino in München zumindest harte Zeiten bevor. Das kultige Werkstattkino, das bundesweit wegen seines ausgefallenen Programms Reputation genießt, geht zum zweiten Jahr infolge beim Kinoprogrammpreis der BKM (Bundesbauftragte für Kultur und Medien) leer aus. Lapidar heißt es in dem »artechock« vorliegenden Ablehnungsbescheid: »Aus einer Vielzahl von Vorschlägen hatte die unabhängige Fachjury für den Kinoprogrammpreis bei der BKM eine Auswahl zu treffen. Die zuständige Fachjury gab hierbei anderen Filmprogrammen den Vorzug.«
In andere Worte übersetzt heißt das: Zum zweiten Mal hintereinander tut sich eine Lücke von 7500 Euro im Jahresbudget des Kellerkinos auf, die sich jetzt auf 15.000 Euro summiert. Ein budgetärer Ausgleich ist da nicht mehr drin. Auch nicht durch extreme Maßnahmen kann das ohnehin selbstlos wirtschaftende Kino im fünfstelligen Bereich einsparen – bei einmalig 7500 Euro, wonach es im letzten Jahr noch aussah, konnte man noch auf den rückwirkenden Jahresausgleich hoffen. Diese Hoffnung ist mit dem formellen Ablehnungsbescheid 2023 vorbei. Wie das Kino im nächsten Jahr für Programmvielfalt sorgen kann, ist offen.
Wolfi Bihlmeir, der die Finanzen des Werkstattkino-Kollektivs im Blick hat und auch die Anträge für die Kinoprogrammpreise stellt, steht vor einem Rätsel. Immer hätten sie einen BKM-Kinoprogrammpreis für ihr bundesweit einzigartiges Programm bekommen, mal waren es 7500 Euro für das Jahresprogramm, mal kamen noch 2500 Euro obendrauf, weil sie so viele Dokumentarfilme spielen. Es habe aber immer einen Preis gegeben. Als sie letztes Jahr leer ausgegangen waren, hatte Bihlmeir dies auf die Umstellung auf den Digitalantrag zurückgeführt, was sie unvorbereitet getroffen habe. Die Handzettel-Unikate, mit denen das Werkstattkino seit Gründung 1976 das Programm bewirbt (sie werden einmal die Archive und Kino-Historiker euphorisch stimmen), konnten damit nicht eingereicht werden. Dieses Jahr aber habe man umgestellt und alles vorschriftsgemäß eingescannt und eingereicht. Auch für den BKM-Kinoprogrammspezialpreis in der Sparte »Dokumentarfilm« sei ein separater Antrag gestellt worden, wie es die Vorschriften verlangen. Aber anders als vergleichbare Kinos wie das Berliner Kino in der Brotfabrik oder das ebenfalls in Berlin ansässige Kino Krokodil ging das Münchner Werkstattkino leer aus.
Natürlich gibt es »keinen Rechtsanspruch«, wie es auf der Seite des BKM heißt, auf einen Preis, noch kann irgendeine Form von Gewohnheitsrecht geltend gemacht werden. Das weiß natürlich auch das Kollektiv im Werkstattkino. Es konnte aber stets auf einen Preis hoffen und hat das Programm mit den Jahren auch auf aktuelle Entwicklungen angepasst – so ist das einstige Underground-Kino nun auch Erstaufführungskino für viele kleinere Filme, die von den größeren Arthouse-Kinos als »Kassengift« gefürchtet (und diskreditiert) werden. Das kinoeigene Archiv kommt immer noch in ausgewählten Reihen zum Einsatz, meist in der Spätvorstellung, die andere Kinos bereits als nicht rentabel abgeschafft haben. Auch hier also eine Einzigartigkeit, die sich dem Engagement und der cineastischen Überzeugung verdankt, dass Filme zu unterschiedlichen Tag- und Nachtzeiten anders rezipiert werden und bestimmte Filme erst im »Mitternachtskino« ihre Kraft entfalten.
Vielleicht ist dieses Filmsegment der BKM-Jury suspekt. Vielleicht spielt hier aber auch die Tatsache mit hinein, dass dank Digitalisierung jetzt selbst die große Yorck-Kinogruppe in der neuen Reihe »Creepy Crypt« Horrorklassiker spielen kann und damit dem Undergroundfilm zu einer gewissen Mainstreamhaftigkeit verhelfen mag. Wildern in der Nische kann man das nennen, auch wenn das Werkstattkino angesichts solcher Programm-Popularisierungen nur müde durchwinkt. Das Kollektiv vertraut auf seine Expertise, die breit gefächert ist. Wohl oder übel nimmt es auch hin, dass das Arsenal Institut in Berlin das im alternativen Spielort »Silent Green« eingerichtete »Kino« (eine aufgespannte Leinwand mit Klappstühlen im ehemaligen Krematorium) ohne Not »Werkstattkino« nennt und an dieser Praxis trotz Bitten und Protests unbeirrt festhält. Und dies, obwohl das Münchner Werkstattkino seit Jahrzehnten die unter Auswertungsaspekten als »schwierig« zu bezeichnenden Filme des Institut-Verleihs spielt. Von Rücksichtnahme, Kollegialität oder Solidarität kann hier keine Rede sein. Eher gelten sogar im Segment der Nischenkinos zunehmend die Gesetze des Kulturdarwinismus: Der Stärkere gewinnt. Nicht anders als in der neoliberalen Marktwirtschaft, der jetzt vermutlich die Betreiber des Filmtheaters Sendlinger Tor zum Opfer fallen.
Seit dem Ende der Pandemie herrscht ein zunehmend rauer Ton im Kultursektor. In Aussicht gestellte Fördererhöhungen werden im Kulturbereich zurückgenommen, in Einzelfällen sogar die bereits zugesagte Förderung für ganze Projekte. Unter dem staatlich verordneten Corona-Betriebsverbot für Kinos war die Öffentlichkeit alarmiert, eine breite Solidarisierungswelle schloss sich an. Es gab BKM-Sondermittel und BKM-Sonderpreise, es wurde gar der Neustart Kultur ausgerufen. Jetzt jedoch bewahrheitet sich, dass die Folgen von Corona erst mit Verzögerung sichtbar werden. Eine Folge ist die flächendeckende Digitalisierung. Eine zweite ist die Forderung von Effizienz. Eine dritte ist, dass man Dinge anders machen will und deshalb auch dem seit langem Bestehenden den Garaus macht. Stichwort der Stunde ist »Innovation«, alles soll jetzt neu, jung und modern werden, obwohl die Kultur gerade eine Renaissance unter dem Vorzeichen der Nostalgie erlebt, wie die erfolgreichen Wiederaufführungen von Kinoklassikern und nach altem Stil gestaltete neue Kinosäle zeigen.
Für München ist das Jahr 2023, das Jahr eins nach Corona, ein alarmierendes Kinojahr, in dem man sich kaum noch sorglos in den Kinosessel fallen lassen kann. Obwohl die Besucher*innen nicht nur zu BARBENHEIMER massiv ins Kino zurückkehren, muss sich die Stadt dieses Jahr drei alarmierenden Entwicklungen stellen.
Da sind: 1. Der Rückzug von Kinobetreiberin Anne Harder aus dem Maxim-Kino, die angesichts des auf sie zukommenden Wirtschaftsdrucks die Reißleine gezogen hat. Das Kino wechselte zu Christian Pfeil und Markus Eisele, die auch das Arena, Monopol und seit letztem Jahr den Rio Filmpalast betreiben und als Gesamtgesellschaft Ausgleich zwischen den einzelnen Häusern schaffen können. 2. Die stattgegebene Räumungsklage für das Filmtheater Sendlinger Tor, weshalb die Betreiberfamilie Preßmar wohl aufgeben muss – sie hat den Gang in eine höhere gerichtliche Instanz zwar angekündigt, geräumt werden darf in der Zwischenzeit aber dennoch. 3. Das wiederholte Übergehen des Werkstattkinos bei den bundesweiten Kinoprogrammpreisen durch die BKM-Jury, was eine bedrohliche Lücke ins Budget reißt und ausgerechnet das gefährdet, weshalb es das Kino überhaupt gibt: die ausgefallenen Programme. Das kann man dann auch existenzbedrohlich nennen.
Der Fehler im System in allen drei Fällen ist, dass es keine Kulturförderung für Kinos gibt und keinen Schutz vor der Marktwirtschaft. Nur kommunale, also von der Stadt oder den Gemeinden unterhaltene Kinos werden institutionell gefördert, der Rest ist den Gesetzen der Privatwirtschaft ausgeliefert. Das gilt auch für Kinos wie das Werkstattkino, das zwar ehrenamtlich betrieben werden darf, aber dennoch gewinnbringend nach kommerziellen Kriterien wirtschaften muss.
Die Frage ist, ob es nun wieder die Stadt richten soll (bzw. überhaupt kann). Eine Möglichkeit wäre nämlich, dem Werkstattkino einen dem kommunalen Kino vergleichbaren Status zu verleihen, mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung. Der gangbare Weg aber kann und darf auf lange Sicht kein Sonderweg sein. Vom Filmtheater Sendlinger Tor mal abgesehen, stehen wohl auch anderen inhabergeführten Kinos unsichere Zeiten, vielleicht auch gravierende Umbrüche bevor. München, die Kinostadt, sollte hier noch einmal ganz neu nachdenken.
Und die BKM-Jury soll sich gefälligst in Grund und Boden schämen!