28.09.2023

Nur der Augenblick zählt!

Confinés
Die allergrößte Entdeckung: Confinés von Isild Le Besco
(Foto: 30. Filmfest Oldenburg)

Auch die 30. Ausgabe des Internationalen Filmfests Oldenburg wurde vom Indie-Spirit in all seinen Ausprägungen getragen

Von Eckhard Haschen

Keine aufwendig insze­nierten Zeitreisen, sondern Beschrei­bungen des Hier und Jetzt, herge­stellt mit den Mitteln, die gerade zur Verfügung stehen – das hatte Festi­val­leiter und Mitbe­gründer Torsten Neumann als Motto für die Jubiläums­aus­gabe ausge­geben. Und: nach fünf Tagen inten­siven Schauens lässt sich konsta­tieren: Er und sein Team haben es wieder einmal geschafft. Es gab aufre­gendes Weltkino genauso wie über­ra­schendes Inde­pen­dent-Kino aus den USA und Deutsch­land. Und dazu zwei Tributes, die dem seit nunmehr drei Jahr­zehnten gepflegten Geist des Festivals nicht besser hätten entspre­chen können.

Gleich mehrere Filme waren diesmal auf die eine oder andere Weise aus dem Leben der jewei­ligen Filme­ma­cher/innen inspi­riert. So bedient sich die auch als Schrift­stel­lerin und Photo­gra­phin hervor­ge­tre­tene Mona Achache in ihrem Dokudrama Little Girl Blue eines beson­deren Kunst­griffs, um das Leben ihrer frei­willig aus dem Leben geschie­denen Mutter Carole ein wenig besser zu verstehen. Sie lässt Carole, die ein Leben im Schatten ihrer Mutter, der Schrift­stel­lerin und Verle­gerin Monique Lange geführt hatte, von Marion Cotillard spielen und zeigt sehr schön den Prozess, wie sich die Ausnah­me­schau­spie­lerin anhand einer Fülle von Briefen, Fotos, Film- und Tonauf­nahmen Carole aneignet, sodass die Regis­seurin irgend­wann fast meint, ihre verstor­bene Mutter leib­haftig vor sich zu haben.

Von einem einschnei­denden Erlebnis des bisher vor allem als Agenten und Produ­zenten bekannten Cassian Elwes ist Passenger C inspi­riert, mit dem Elwes sein Regie­debüt gibt. Auf einem Nachtflug nach Los Angeles setzt Cassian sich frei­willig neben den Ex-Marine Marco, der offen­sicht­lich an PTSD leidet und durch sein aggres­sives Verhalten auffällig wird und damit eine Zwischen­lan­dung der Maschine in Denver verur­sacht. Als Elwes später erfährt, dass Marco eine lange Haft­strafe droht, beginnt er sich für ihn einzu­setzen – während er gleich­zeitig versucht, die an einem seidenen Faden hängende Finan­zie­rung von Dallas Buyers Club auf die Beine zu stellen. In nüch­ternem Schwarz­weiß gedreht, besticht in diesem schnör­kellos insze­nierten Drama vor allem das präzise Spiel von Jon Jacobs, der dafür denn auch mit dem German Inde­pen­dence Award als bester Darsteller ausge­zeichnet wurde.

Einer der schönsten und für das Festival in mehr­fa­cher Hinsicht typischen Filme war der als Welt­pre­miere gezeigte Whenever I’m Alone with You, der zweite Film des Regie-Duos Guillaume Campa­n­acci und Vesper Egon, der auch die Haupt­rollen spielen. Jeweils auf einem Nullpunkt in ihrem Leben ange­kommen, treffen sich die Beiden auf einer Party und verlieben sich inein­ander, ohne dass es ihnen zunächst klar wird. Ganz offen­sicht­lich von den frühen Godard-Filmen, vor allem von Pierrot le Fou inspi­riert, hält er sich an keine der gängigen Regeln und funk­tio­niert am Ende doch irgendwie als roman­ti­sche Komödie. Schon lange nicht mehr hat Anspie­lungs­reichtum im Kino so erfri­schend unbe­fangen gewirkt.

Die aller­größte Entde­ckung aber – soweit man das nach inzwi­schen fünf Regie-Arbeiten überhaupt noch sagen kann – waren in Oldenburg die Filme und vor allem der neueste während der Pandemie gedrehte Confinés der fran­zö­si­schen Regis­seurin und Schau­spie­lerin Isild Le Besco. Schon 2010 mit Bas Fonds auf dem Festival vertreten und nun mit einem Tribute geehrt, entwi­ckelt Le Besco in Confinés eine Meis­ter­schaft, die schlicht atem­be­rau­bend ist, gerade weil sie so scheinbar kunstlos daher­kommt. Wie all ihre Filme von ihrer eigenen Kindheit und Jugend als ältester von drei Geschwis­tern inspi­riert, reichert sie in Confinés das Drama von täglicher häus­li­cher Gewalt und den verzwei­felten Versuchen daraus auszu­bre­chen, mit so vielen poeti­schen Momenten an, dass man nur von einem traum­wand­le­risch sicheren Instinkt für Kino – und damit einem großen Geschenk für uns Zuschauer – sprechen kann.