Nur der Augenblick zählt! |
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Die allergrößte Entdeckung: Confinés von Isild Le Besco | ||
(Foto: 30. Filmfest Oldenburg) |
Von Eckhard Haschen
Keine aufwendig inszenierten Zeitreisen, sondern Beschreibungen des Hier und Jetzt, hergestellt mit den Mitteln, die gerade zur Verfügung stehen – das hatte Festivalleiter und Mitbegründer Torsten Neumann als Motto für die Jubiläumsausgabe ausgegeben. Und: nach fünf Tagen intensiven Schauens lässt sich konstatieren: Er und sein Team haben es wieder einmal geschafft. Es gab aufregendes Weltkino genauso wie überraschendes Independent-Kino aus den USA und Deutschland. Und dazu zwei Tributes, die dem seit nunmehr drei Jahrzehnten gepflegten Geist des Festivals nicht besser hätten entsprechen können.
Gleich mehrere Filme waren diesmal auf die eine oder andere Weise aus dem Leben der jeweiligen Filmemacher/innen inspiriert. So bedient sich die auch als Schriftstellerin und Photographin hervorgetretene Mona Achache in ihrem Dokudrama Little Girl Blue eines besonderen Kunstgriffs, um das Leben ihrer freiwillig aus dem Leben geschiedenen Mutter Carole ein wenig besser zu verstehen. Sie lässt Carole, die ein Leben im Schatten ihrer Mutter, der Schriftstellerin und Verlegerin Monique Lange geführt hatte, von Marion Cotillard spielen und zeigt sehr schön den Prozess, wie sich die Ausnahmeschauspielerin anhand einer Fülle von Briefen, Fotos, Film- und Tonaufnahmen Carole aneignet, sodass die Regisseurin irgendwann fast meint, ihre verstorbene Mutter leibhaftig vor sich zu haben.
Von einem einschneidenden Erlebnis des bisher vor allem als Agenten und Produzenten bekannten Cassian Elwes ist Passenger C inspiriert, mit dem Elwes sein Regiedebüt gibt. Auf einem Nachtflug nach Los Angeles setzt Cassian sich freiwillig neben den Ex-Marine Marco, der offensichtlich an PTSD leidet und durch sein aggressives Verhalten auffällig wird und damit eine Zwischenlandung der Maschine in Denver verursacht. Als Elwes später erfährt, dass Marco eine lange Haftstrafe droht, beginnt er sich für ihn einzusetzen – während er gleichzeitig versucht, die an einem seidenen Faden hängende Finanzierung von Dallas Buyers Club auf die Beine zu stellen. In nüchternem Schwarzweiß gedreht, besticht in diesem schnörkellos inszenierten Drama vor allem das präzise Spiel von Jon Jacobs, der dafür denn auch mit dem German Independence Award als bester Darsteller ausgezeichnet wurde.
Einer der schönsten und für das Festival in mehrfacher Hinsicht typischen Filme war der als Weltpremiere gezeigte Whenever I’m Alone with You, der zweite Film des Regie-Duos Guillaume Campanacci und Vesper Egon, der auch die Hauptrollen spielen. Jeweils auf einem Nullpunkt in ihrem Leben angekommen, treffen sich die Beiden auf einer Party und verlieben sich ineinander, ohne dass es ihnen zunächst klar wird. Ganz offensichtlich von den frühen Godard-Filmen, vor allem von Pierrot le Fou inspiriert, hält er sich an keine der gängigen Regeln und funktioniert am Ende doch irgendwie als romantische Komödie. Schon lange nicht mehr hat Anspielungsreichtum im Kino so erfrischend unbefangen gewirkt.
Die allergrößte Entdeckung aber – soweit man das nach inzwischen fünf Regie-Arbeiten überhaupt noch sagen kann – waren in Oldenburg die Filme und vor allem der neueste während der Pandemie gedrehte Confinés der französischen Regisseurin und Schauspielerin Isild Le Besco. Schon 2010 mit Bas Fonds auf dem Festival vertreten und nun mit einem Tribute geehrt, entwickelt Le Besco in Confinés eine Meisterschaft, die schlicht atemberaubend ist, gerade weil sie so scheinbar kunstlos daherkommt. Wie all ihre Filme von ihrer eigenen Kindheit und Jugend als ältester von drei Geschwistern inspiriert, reichert sie in Confinés das Drama von täglicher häuslicher Gewalt und den verzweifelten Versuchen daraus auszubrechen, mit so vielen poetischen Momenten an, dass man nur von einem traumwandlerisch sicheren Instinkt für Kino – und damit einem großen Geschenk für uns Zuschauer – sprechen kann.