05.10.2023

Halb-berührend, halb-schlau, halb-geglückt...

Das winkende Mädchen
Damals ein BRD-Witz – heute bitterer Ernst? Gunter Rometsch' Das winkende Mädchen...
(Foto: Film Archives Online / Gunter Rometsch)

Wo steht der deutsche Film und sein Nachwuchs? Lebenszeichen aus dem Debattenfriedhof – Push-Vortrag beim Filmfest Hamburg am 2. Oktober 2023

Von Dominik Graf

Zu den inter­es­san­testen Reihen beim Filmfest Hamburg, das im Augen­blick statt­findet, gehörten seit einigen Jahren die »Industry Days«. Hier werden in Diskus­si­ons­ver­an­stal­tungen norma­ler­weise Fragen von allge­meiner Relevanz für die Film­branche debat­tiert – in diesem Jahr erstmals nicht mehr unter Leitung von Katrin Klamroth, sondern von Faysal Omer, der auch für die Berlinale arbeitet.
Den Auftakt bildete am Montag eine Follow-Up-Veran­stal­tung zu der Diskus­si­ons­runde Angst essen Kino auf zur üblen Lage des deutschen Film­nach­wuchs', die im April beim Frank­furter Lichter Filmfest für einige Furore gesagt hatte. Der von den Münchner Regis­seu­rinnen Pauline Roen­ne­berg und Eileen Byrne sowie anderen Film­stu­den­tinnen initi­ierte Appell Angst essen Kino auf bekam nach der Frank­furter Vorstel­lung binnen weniger Tage über 1000 Unter­schriften.

Nun hieß es in Hamburg in erwei­terter Besetzung: Der deutsche Film und sein Nachwuchs.

Die Keynote zu der Veran­stal­tung hielt der Münchner Regisseur Dominik Graf.

Wir freuen uns sehr, diesen anre­gungs­rei­chen und gehalt­vollen Impuls­vor­trag hier auch für all jene veröf­fent­li­chen zu dürfen, die in Hamburg nicht dabei sein konnten – umso mehr, weil leider die aller­meisten Anre­gungen Dominik Grafs in der nach­fol­genden Diskus­sion ganz und gar nicht aufge­griffen, sondern traurig ignoriert wurden.

Ein ausführ­li­cher Bericht zur Veran­stal­tung und dem Filmfest Hamburg folgt in der kommenden Woche. (Rüdiger Suchsland)

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Guten Tag. Thema: Wo steht der deutsche Film und vor allem wie steht es um die Situation des nach­rü­ckenden Nach­wuchses? An welcher Straßenecke, an welcher Abbruch­kante, an welchem hoff­nungs­vollen Anfang oder hoff­nungs­losem Ende stehen wir, jetzt in diesem Herbst-Moment 2023?

Erstmal ein paar Worte allgemein zur Situation. Der Chef des Zürcher Film­fes­ti­vals Christian Jungen schrieb gerade zum Auftakt seiner dies­jäh­rigen Festival-Ausgabe eine Vertei­di­gung des deutschen Films und zwar gegen seine deutschen Kritiker. Man würde gerne einstimmen. Herr Jungen zeigt bei sich dieses Jahr zwei deutsche Premieren, einer davon im unter­ge­henden Nazi­berlin spielend, mit Groß-Spannung erwartet – hätte der nicht auch auf der Berlinale laufen können, müssen, fragt man sich? – aber gut, die Berlinale ist sowieso ein eigenes Thema.

Der deutsche Film hat mal wieder ein paar ersehnte Oscars noch halb frisch in der Tasche, es waren immerhin vier für einen eindrucks­vollen Kriegs­film...Und alle zehn Jahre in Hollywood ausge­zeichnet zu werden, das klingt doch im Grunde ganz okay. Aber da gab’s auch schnell Wider­worte im Land, vor allem hinsicht­lich der bösen Plattform, die den Film finan­ziert hat. Ich fand, kurz gesagt, Freude war erlaubt.

Aber das deutsche Kino ist ja seit Jahr­zehnten ein Debat­ten­friedhof, und da muss man entgegen dem freund­li­chen Hinweis des Herrn aus Zürich zur tollen Qualität der deutschen Filme immer wieder eben nicht nur über die Filme reden – von denen es jedes Jahr übrigens tatsäch­lich einige sehr gute hier gibt – ....Aber unter all den Filmen fließt eben nun mal der unter­ir­di­sche Fluss der Entschei­dungen, die die Branche beein­flussen und bestimmen. Entschieden wird ja kräftig in den öffent­lich recht­li­chen Medien auch gerade beispiels­weise über den Umgang mit Kultur allgemein, vor allem mit Literatur, und natürlich wird diese Menta­lität, die sich da offenbart, auch bald als Auswir­kung fürs deutsche Kino sichtbar, spürbar werden. Aber noch – wie gesagt – gibt es jedes Jahr ein paar wirklich sehr gute deutsche Filme.

Ästhetik, jaja, das war mal wichtig

Viel­leicht hat der deutsche Film selbst ja einen falschen Blick auf den deutschen Film. Kann das sein? Wir zersplit­tern in Inter­es­sen­gruppen, in Vettern­wirt­schaft, guter Film-Geschmack spielt da über­wie­gend gar keine Rolle mehr, sondern es geht mehr und mehr darum, ob Filme den richtigen Trigger pullen, die richtige Haltung haben, gesell­schaft­lich, gruppen-spezi­fisch akzep­tabel sind, und Freund­schaften zu Kolleg*Innen gelten im Wahlvolk des Film­preises mehr als kine­ma­to­gra­phi­sche Fähig­keiten – sofern Fähig­keiten überhaupt noch erkannt werden.
Ästhetik, jaja, das war mal wichtig, ist aber seit Jahren nur noch insofern ein Mini-Kampf­platz als eben die soge­nannte »Berliner Schule« – das sind die, die im Februar die Berlinale teils abräumten, und sind eben teils dieselben, deren Vertreter dieses Jahr in der Filmpreis-Vorauswahl gekippt wurden – als eben deren stör­ri­sche Ästhetik zwar bei der Kritik beliebt ist, aber in der Branche gemobbt wird. Und dadurch, dass auf diese Weise die Qualitäts-Kriterien für unsere vielen großen und kleinen Preise allent­halben allmäh­lich in völlig kindische Kriterien verkommen, dadurch verkommt irgend­wann auch meine Mitglied­schaft bei der Akademie zu einem Karni­ckel­züchter-Vereins­aus­weis.

Aber die Preise sind wichtig für den Nachwuchs, sie sind fast alles, was er hat, was die Film­stu­die­renden auf einen Weg schicken kann, der viel­leicht mal in sowas wie eine konsis­tente Filmo­gra­phie mündet. Man traut sichs kaum noch auszu­spre­chen, dieses Wort... Eine »Filmo­gra­phie« – unter den Bedin­gungen des hiesigen Systems überhaupt noch zu schaffen?

Aber jedes Jahr machen wir zwei­fellos ein paar sehr gute Filme hier. Und so viele ganz schlechte Filme machen wir, glaube ich, gar nicht, das Problem sind viel­leicht eher die unendlich vielen halb guten, die halb lustigen, die manchmal schon ganz witzigen aber..., die halb-emotio­nalen, die halb-berüh­renden, die halb-schlauen oder die allzu-schlauen, die halb-geglückten.

Zwischen öffent­lich-recht­li­chem Arthaus-Würge­griff und Netflix-Knast

Reden wir über die Situation der Jungen. Aus deren Perspek­tive sieht es schon ein wenig so aus, als wäre die Branche jetzt objektiv am Ende einer Fahnen­stange ange­kommen. Finan­ziell, künst­le­risch, ist der Nachwuchs nach der Film­schule in jeder Hinsicht gefangen im Budget-Prekariat, das wir Älteren ja auch längst kennen, ausge­lie­fert dem öffent­lich recht­li­chen Arthaus-Würge­griff oder dem Netflix-Knast, je nachdem.

Im Frühjahr gab es einen Aufschrei der Student*Innen, man solle sich ihrer kata­stro­phalen finan­zi­ellen Berufs-Situation nach dem Studium annehmen. Was soll man ihnen sagen? Ich will den jungen Regis­seurInnen innerhalb dieses Systems keine unbe­rech­tigten Hoff­nungen machen. Keine Förderung mehr für Erst­lings­filme aus den öffent­lich recht­li­chen Sendern, hörte man vergan­genes Jahr. Aha. Einfach kein Geld mehr da für sie – zum Beispiel? Soll man ihnen das wirklich sagen?

In diesem Moment in diesem Herbst sind sie alle auf die Parameter des Systems ange­wiesen, das »deutscher Film« oder »German Movie­ma­king« heißt. Und dem sie ja überall zwangs­läufig begegnen, in den Schulen, in den Sendern, in den meisten Förde­rungen, in den deutschen »Produk­ti­ons­buden« (ich zitiere mit diesem Ausdruck nochmal den Herrn aus Zürich) und bei den inzwi­schen recht zahl­rei­chen Preis­ver­lei­hungen, Kurzfilme, Langfilme, auf die sie – wie bereits gesagt – ja immer hoffen.

Das, was man mal großes Kino nannte – ist das noch gern gesehen?

Aber es ist ja auch so – ein Student, vom Dozenten ange­spro­chen, ob er seine Haupt­figur nicht in dieser oder jener Situation ein wenig sympa­thi­scher machen wolle....antwor­tete nach kurzem Überlegen: »Nein, das ist nicht nötig, denn er mache ja einen Festi­val­film.«

Ok, der Festi­val­film, alles klar, ein neues Genre. In dem man mit sympa­thi­schen Figuren keinen Blumen­topf gewinnt, sondern nur mit gewich­tigen Themen, kann das sein? Wenn ja, dann ist dies sich eines von vielen Problemen, in denen wir syste­misch fest­ste­cken. Sympa­thi­sche packende Figuren könnten ein Weg zum Erfolg sein. Es gab sogar ein paar davon im letzten deutschen Film­jahr­gang. Aber ist ein Weg dorthin, jenseits all des Quäker­tums der freud­losen gesell­schaft­li­chen Problem­zonen-Erzäh­lungen an den Film­schulen noch vorge­sehen? Träume verein­zelter Studenten und Studen­tInnen in Richtung kommer­zi­el­lere Filme, Komödien gar oder Genre oder das, was man mal großes Kino nannte – kann es sein, dass die gar nicht mehr so gerne gesehen werden?

Für solch eine verfah­rene Situation hatte Herbert Achtern­busch aller­dings einen Rat. Der hieß: »Du hast keine Chance, aber nutze sie«. Also. Ihr – ich würde jetzt gerne die anwe­senden Jüngeren direkt anspre­chen – ihr müsstet jetzt eigent­lich eine andere Film­sprache, andere Themen als den gängigen Konsens­quatsch, andere Erzähl­stile, andere Schau­spiel­in­sze­nie­rungen, weg vom elenden deutschen Script­ac­ting, statt­dessen andere Dialog­spra­chen entwi­ckeln.
Aber bitte bloß nicht Impro­vi­sa­tion, das konnten die Leute nur bei Klaus Lemke, denn wenn Schau­spie­lerInnen impro­vi­sieren, kommen zu 99 Prozent wiederum gut bekannte Dreh­buchsätze heraus.

Raus aus dem grauen freud­losen Arthaus-Jutesack des mittelstän­digen deutschen Film­schaf­fens

Jeden­falls: Aus dem grauen freud­losen Arthaus-Jutesack des mittelstän­digen deutschen Film­schaf­fens sollte durch euch plötzlich eine glit­zernde, unver­schämte, möglichst extrem politisch unkor­rekte Filmwelle springen wie ein geküsster Frosch mit Frage­zei­chen über dem Kopf, weil er sich fragt, warum er kein Prinz geworden ist, sondern eben ein kleiner Frosch bleibt... – und dann grinst er aber viel­leicht plötzlich, der kleine hässliche Film­frosch, weil er viel­leicht doch genau so, quasi no budget, die beste, die tollste aller Chancen hat? Und wenn die Funk­ti­onärInnen und Aparat­schi­kInnen bei euren Sehn­süchten nicht mitziehen, dann filmt mit dem Handy, entwi­ckelt gleich fünf Dreh­bücher gleich­zeitig, das beste geht ihr dann gleich mal selber an, alle Stoffe sollten erstmal saubillig sein, am besten sollte alles auf der Straße spielen, am besten vor eurer Haustür, das schont ja auch im Greenfilm-Sinn die Ressourcen – was aber bitte nicht heißt, daß das wieder lahm­ar­schige Tage­buch­filme sein müssen.

Produ­ziert das Ganze möglichst selber, klar Selbst­aus­beu­tung, keine Frage, was sonst, aber das haben wir – wie soll ich uns nennen »Erwach­sene?« wenn ihr der Nachwuchs seid? – das haben wir ja jetzt »im System« auch. Über­stunden bis der Arzt kommt. Also orga­ni­siert eure Drehs alleine, ohne Wohn­mo­bile und ohne Catering und ohne Toitoi und 50 Firmen­be­dan­kungen am Ende, die dann immer diesen pein­li­chen Kotau-Abspann ergeben wie einstmals beim berühmten BRD-Witz-Kurzfilm Das winkende Mädchen, der aus nicht mehr bestand, als einem langen Cine­ma­scope Vorspann und einem langen Abspann – und einem winkenden Mädchen in der Mitte. Aber Spaß beiseite.

Während ihr auf die Entschei­dungen des Systems wartet – nehmt jetzt die Beine in die Hand und findet neue Lösungen, oder leiht euch ganz alte Lösungen aus, lernt Film­ge­schichte neu, als kreativen Ratgeber, da sind die besten Ideen und Tricks für die Zukunft verborgen. Die hatten oft auch alle lange Zeit kein Geld. Und die Möglich­keiten, mit nichts zu filmen, die sind seit meinen HFF-Zeiten deutlich besser geworden.

Filme sind, man glaubt es kaum, echt »Film«, also sie sind Fleisch und Blut, sie sind Materie, sie sind keine Thema-Abar­bei­tung, sie sind kein fucking Selling-Point-Content. Also – könnte eigent­lich viel­leicht gerade jetzt ein Super-Moment werden. Denn alle sind wir lost. Endlich. Macht was draus. Zeiten­wende. Dennoch.....jedes Jahr gibt’s ja wie immer ein paar sehr gute Filme aus Deutsch­land. Viel­leicht reicht das ja? Denn mehr kriegen wir viel­leicht gar nicht hin?

Einen hab ich letztes Jahr gesehen, der hatte alles, der ließ mir das Herz hüpfen. Sowas wie den nannte man früher »Publi­kums­film«. Daran sollte man mal viel­leicht wieder denken, anstatt daran, wie man am schnellsten nach Cannes kommt.