Halb-berührend, halb-schlau, halb-geglückt... |
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Damals ein BRD-Witz – heute bitterer Ernst? Gunter Rometsch' Das winkende Mädchen... | ||
(Foto: Film Archives Online / Gunter Rometsch) |
Von Dominik Graf
Zu den interessantesten Reihen beim Filmfest Hamburg, das im Augenblick stattfindet, gehörten seit einigen Jahren die »Industry Days«. Hier werden in Diskussionsveranstaltungen normalerweise Fragen von allgemeiner Relevanz für die Filmbranche debattiert – in diesem Jahr erstmals nicht mehr unter Leitung von Katrin Klamroth, sondern von Faysal Omer, der auch für die Berlinale
arbeitet.
Den Auftakt bildete am Montag eine Follow-Up-Veranstaltung zu der Diskussionsrunde Angst essen Kino auf zur üblen Lage des deutschen Filmnachwuchs', die im April beim Frankfurter Lichter Filmfest für einige Furore gesagt hatte. Der von den Münchner Regisseurinnen Pauline
Roenneberg und Eileen Byrne sowie anderen Filmstudentinnen initiierte Appell Angst essen Kino auf bekam nach der Frankfurter Vorstellung binnen weniger Tage über 1000 Unterschriften.
Nun hieß es in Hamburg in erweiterter Besetzung: Der deutsche Film und sein Nachwuchs.
Die Keynote zu der Veranstaltung hielt der Münchner Regisseur Dominik Graf.
Wir freuen uns sehr, diesen anregungsreichen und gehaltvollen Impulsvortrag hier auch für all jene veröffentlichen zu dürfen, die in Hamburg nicht dabei sein konnten – umso mehr, weil leider die allermeisten Anregungen Dominik Grafs in der nachfolgenden Diskussion ganz und gar nicht aufgegriffen, sondern traurig ignoriert wurden.
Ein ausführlicher Bericht zur Veranstaltung und dem Filmfest Hamburg folgt in der kommenden Woche. (Rüdiger Suchsland)
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Guten Tag. Thema: Wo steht der deutsche Film und vor allem wie steht es um die Situation des nachrückenden Nachwuchses? An welcher Straßenecke, an welcher Abbruchkante, an welchem hoffnungsvollen Anfang oder hoffnungslosem Ende stehen wir, jetzt in diesem Herbst-Moment 2023?
Erstmal ein paar Worte allgemein zur Situation. Der Chef des Zürcher Filmfestivals Christian Jungen schrieb gerade zum Auftakt seiner diesjährigen Festival-Ausgabe eine Verteidigung des deutschen Films und zwar gegen seine deutschen Kritiker. Man würde gerne einstimmen. Herr Jungen zeigt bei sich dieses Jahr zwei deutsche Premieren, einer davon im untergehenden Naziberlin spielend, mit Groß-Spannung erwartet – hätte der nicht auch auf der Berlinale laufen können, müssen, fragt man sich? – aber gut, die Berlinale ist sowieso ein eigenes Thema.
Der deutsche Film hat mal wieder ein paar ersehnte Oscars noch halb frisch in der Tasche, es waren immerhin vier für einen eindrucksvollen Kriegsfilm...Und alle zehn Jahre in Hollywood ausgezeichnet zu werden, das klingt doch im Grunde ganz okay. Aber da gab’s auch schnell Widerworte im Land, vor allem hinsichtlich der bösen Plattform, die den Film finanziert hat. Ich fand, kurz gesagt, Freude war erlaubt.
Aber das deutsche Kino ist ja seit Jahrzehnten ein Debattenfriedhof, und da muss man entgegen dem freundlichen Hinweis des Herrn aus Zürich zur tollen Qualität der deutschen Filme immer wieder eben nicht nur über die Filme reden – von denen es jedes Jahr übrigens tatsächlich einige sehr gute hier gibt – ....Aber unter all den Filmen fließt eben nun mal der unterirdische Fluss der Entscheidungen, die die Branche beeinflussen und bestimmen. Entschieden wird ja kräftig in den öffentlich rechtlichen Medien auch gerade beispielsweise über den Umgang mit Kultur allgemein, vor allem mit Literatur, und natürlich wird diese Mentalität, die sich da offenbart, auch bald als Auswirkung fürs deutsche Kino sichtbar, spürbar werden. Aber noch – wie gesagt – gibt es jedes Jahr ein paar wirklich sehr gute deutsche Filme.
Vielleicht hat der deutsche Film selbst ja einen falschen Blick auf den deutschen Film. Kann das sein? Wir zersplittern in Interessengruppen, in Vetternwirtschaft, guter Film-Geschmack spielt da überwiegend gar keine Rolle mehr, sondern es geht mehr und mehr darum, ob Filme den richtigen Trigger pullen, die richtige Haltung haben, gesellschaftlich, gruppen-spezifisch akzeptabel sind, und Freundschaften zu Kolleg*Innen gelten im Wahlvolk des Filmpreises mehr als
kinematographische Fähigkeiten – sofern Fähigkeiten überhaupt noch erkannt werden.
Ästhetik, jaja, das war mal wichtig, ist aber seit Jahren nur noch insofern ein Mini-Kampfplatz als eben die sogenannte »Berliner Schule« – das sind die, die im Februar die Berlinale teils abräumten, und sind eben teils dieselben, deren Vertreter dieses Jahr in der Filmpreis-Vorauswahl gekippt wurden – als eben deren störrische Ästhetik zwar bei der Kritik beliebt ist, aber in der
Branche gemobbt wird. Und dadurch, dass auf diese Weise die Qualitäts-Kriterien für unsere vielen großen und kleinen Preise allenthalben allmählich in völlig kindische Kriterien verkommen, dadurch verkommt irgendwann auch meine Mitgliedschaft bei der Akademie zu einem Karnickelzüchter-Vereinsausweis.
Aber die Preise sind wichtig für den Nachwuchs, sie sind fast alles, was er hat, was die Filmstudierenden auf einen Weg schicken kann, der vielleicht mal in sowas wie eine konsistente Filmographie mündet. Man traut sichs kaum noch auszusprechen, dieses Wort... Eine »Filmographie« – unter den Bedingungen des hiesigen Systems überhaupt noch zu schaffen?
Aber jedes Jahr machen wir zweifellos ein paar sehr gute Filme hier. Und so viele ganz schlechte Filme machen wir, glaube ich, gar nicht, das Problem sind vielleicht eher die unendlich vielen halb guten, die halb lustigen, die manchmal schon ganz witzigen aber..., die halb-emotionalen, die halb-berührenden, die halb-schlauen oder die allzu-schlauen, die halb-geglückten.
Reden wir über die Situation der Jungen. Aus deren Perspektive sieht es schon ein wenig so aus, als wäre die Branche jetzt objektiv am Ende einer Fahnenstange angekommen. Finanziell, künstlerisch, ist der Nachwuchs nach der Filmschule in jeder Hinsicht gefangen im Budget-Prekariat, das wir Älteren ja auch längst kennen, ausgeliefert dem öffentlich rechtlichen Arthaus-Würgegriff oder dem Netflix-Knast, je nachdem.
Im Frühjahr gab es einen Aufschrei der Student*Innen, man solle sich ihrer katastrophalen finanziellen Berufs-Situation nach dem Studium annehmen. Was soll man ihnen sagen? Ich will den jungen RegisseurInnen innerhalb dieses Systems keine unberechtigten Hoffnungen machen. Keine Förderung mehr für Erstlingsfilme aus den öffentlich rechtlichen Sendern, hörte man vergangenes Jahr. Aha. Einfach kein Geld mehr da für sie – zum Beispiel? Soll man ihnen das wirklich sagen?
In diesem Moment in diesem Herbst sind sie alle auf die Parameter des Systems angewiesen, das »deutscher Film« oder »German Moviemaking« heißt. Und dem sie ja überall zwangsläufig begegnen, in den Schulen, in den Sendern, in den meisten Förderungen, in den deutschen »Produktionsbuden« (ich zitiere mit diesem Ausdruck nochmal den Herrn aus Zürich) und bei den inzwischen recht zahlreichen Preisverleihungen, Kurzfilme, Langfilme, auf die sie – wie bereits gesagt – ja immer hoffen.
Aber es ist ja auch so – ein Student, vom Dozenten angesprochen, ob er seine Hauptfigur nicht in dieser oder jener Situation ein wenig sympathischer machen wolle....antwortete nach kurzem Überlegen: »Nein, das ist nicht nötig, denn er mache ja einen Festivalfilm.«
Ok, der Festivalfilm, alles klar, ein neues Genre. In dem man mit sympathischen Figuren keinen Blumentopf gewinnt, sondern nur mit gewichtigen Themen, kann das sein? Wenn ja, dann ist dies sich eines von vielen Problemen, in denen wir systemisch feststecken. Sympathische packende Figuren könnten ein Weg zum Erfolg sein. Es gab sogar ein paar davon im letzten deutschen Filmjahrgang. Aber ist ein Weg dorthin, jenseits all des Quäkertums der freudlosen gesellschaftlichen Problemzonen-Erzählungen an den Filmschulen noch vorgesehen? Träume vereinzelter Studenten und StudentInnen in Richtung kommerziellere Filme, Komödien gar oder Genre oder das, was man mal großes Kino nannte – kann es sein, dass die gar nicht mehr so gerne gesehen werden?
Für solch eine verfahrene Situation hatte Herbert Achternbusch allerdings einen Rat. Der hieß: »Du hast keine Chance, aber nutze sie«. Also. Ihr – ich würde jetzt gerne die anwesenden Jüngeren direkt ansprechen – ihr müsstet jetzt eigentlich eine andere Filmsprache, andere Themen als den gängigen Konsensquatsch, andere Erzählstile, andere Schauspielinszenierungen, weg vom elenden deutschen Scriptacting, stattdessen andere Dialogsprachen entwickeln.
Aber
bitte bloß nicht Improvisation, das konnten die Leute nur bei Klaus Lemke, denn wenn SchauspielerInnen improvisieren, kommen zu 99 Prozent wiederum gut bekannte Drehbuchsätze heraus.
Jedenfalls: Aus dem grauen freudlosen Arthaus-Jutesack des mittelständigen deutschen Filmschaffens sollte durch euch plötzlich eine glitzernde, unverschämte, möglichst extrem politisch unkorrekte Filmwelle springen wie ein geküsster Frosch mit Fragezeichen über dem Kopf, weil er sich fragt, warum er kein Prinz geworden ist, sondern eben ein kleiner Frosch bleibt... – und dann grinst er aber vielleicht plötzlich, der kleine hässliche Filmfrosch, weil er vielleicht doch genau so, quasi no budget, die beste, die tollste aller Chancen hat? Und wenn die FunktionärInnen und AparatschikInnen bei euren Sehnsüchten nicht mitziehen, dann filmt mit dem Handy, entwickelt gleich fünf Drehbücher gleichzeitig, das beste geht ihr dann gleich mal selber an, alle Stoffe sollten erstmal saubillig sein, am besten sollte alles auf der Straße spielen, am besten vor eurer Haustür, das schont ja auch im Greenfilm-Sinn die Ressourcen – was aber bitte nicht heißt, daß das wieder lahmarschige Tagebuchfilme sein müssen.
Produziert das Ganze möglichst selber, klar Selbstausbeutung, keine Frage, was sonst, aber das haben wir – wie soll ich uns nennen »Erwachsene?« wenn ihr der Nachwuchs seid? – das haben wir ja jetzt »im System« auch. Überstunden bis der Arzt kommt. Also organisiert eure Drehs alleine, ohne Wohnmobile und ohne Catering und ohne Toitoi und 50 Firmenbedankungen am Ende, die dann immer diesen peinlichen Kotau-Abspann ergeben wie einstmals beim berühmten BRD-Witz-Kurzfilm Das winkende Mädchen, der aus nicht mehr bestand, als einem langen Cinemascope Vorspann und einem langen Abspann – und einem winkenden Mädchen in der Mitte. Aber Spaß beiseite.
Während ihr auf die Entscheidungen des Systems wartet – nehmt jetzt die Beine in die Hand und findet neue Lösungen, oder leiht euch ganz alte Lösungen aus, lernt Filmgeschichte neu, als kreativen Ratgeber, da sind die besten Ideen und Tricks für die Zukunft verborgen. Die hatten oft auch alle lange Zeit kein Geld. Und die Möglichkeiten, mit nichts zu filmen, die sind seit meinen HFF-Zeiten deutlich besser geworden.
Filme sind, man glaubt es kaum, echt »Film«, also sie sind Fleisch und Blut, sie sind Materie, sie sind keine Thema-Abarbeitung, sie sind kein fucking Selling-Point-Content. Also – könnte eigentlich vielleicht gerade jetzt ein Super-Moment werden. Denn alle sind wir lost. Endlich. Macht was draus. Zeitenwende. Dennoch.....jedes Jahr gibt’s ja wie immer ein paar sehr gute Filme aus Deutschland. Vielleicht reicht das ja? Denn mehr kriegen wir vielleicht gar nicht hin?
Einen hab ich letztes Jahr gesehen, der hatte alles, der ließ mir das Herz hüpfen. Sowas wie den nannte man früher »Publikumsfilm«. Daran sollte man mal vielleicht wieder denken, anstatt daran, wie man am schnellsten nach Cannes kommt.