Cinema Moralia – Folge 306
Kulturelle Kanonenbootpolitik |
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Zerstörte Kulturgüter, erschossene Frauen und Kinder im 1925 erschienen Film von Sergei Michailowitsch Eisenstein, seinem Kanonenboot, dem Panzerkreuzer Potemkin... | ||
(Foto: Wikicommons) |
»Trotzdem halte ich das deutsche Zögern in dieser Situation für falsch und gefährlich...« Dies und so vieles mehr schrieb Christoph Hochhäusler nach Beginn des Ukraine-Kriegs, 24. April 2022 auf Facebook. Der Filmemacher als Militärexperte, Politratgeber, Moralist und Theoretiker des
Tyrannenmords.
Um so auffälliger das Schweigen zu Israel. Wo sind jetzt die Ukraine-Versteher von 2022, wo die Empörung über das genozidale Verhalten der Araber und Moslems gegenüber Juden? Wo ist der Unterschied zwischen Butscha und Kfar Asa?
Ich möchte Stimmen aus der deutschen Filmszene zu Israel hören, keine wohlfeile Empörung, aber erkennbare, glaubhafte Erschütterung und unzweideutige Solidarität.
Bestimmt habe ich etwas übersehen.
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Hochhäusler sorgt sich auch zwei Tage nach den Hamas-Attacken öffentlich bislang nur um den Aufstieg der extremen Rechten in Deutschland.
Der ist schlimm. Aber was in Israel geschieht, ist schlimmer.
Hochhäusler hat ganz recht, wenn er schreibt: »Welchen Weg man auch immer einschlägt: ich glaube, wir sind gefordert, uns einzumischen. Mit allem, was wir haben. Ich weiß nicht, ob es mir gegeben ist, einen Film zu machen, der politisch wirksam wird, aber – ich will es versuchen. Wer ist dabei?«
Wir müssen vielleicht aber, bevor irgendeiner einen guten Film »für die Demokratie« und »gegen die neuen Nazis« macht, gegen den schwindenden finanziellen und gesellschaftlichen Spielraum für die Kultur kämpfen und agitieren – wie ich das hier oft versuche.
Noch wichtiger aber ist die deutliche Solidarität mit Israel und ein Ende aller BDS-Flirts, wie sie in und um Berlin so beliebt sind.
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Letzte Woche schrieben wir hier über die nun bekanntgewordenen beschämenden Kürzungspläne beim Goethe-Institut und im Kulturetat des Auswärtigen Amts. Heute (SZ 11.10.2023) legt nun die Süddeutsche nach, und schreibt offen über »Baerbocks Verachtung«: Die geplante Schließung von Goethe-Instituten zeuge »von katastrophaler Ignoranz«.
Das Goethe-Institut wirbt mit seiner Aufgabe der »Verständigung zwischen Deutschland, Europa und der Welt« und gehört »ganz sicher ... zu den besten politischen Ideen, die die Bundesrepublik in ihrer gesamten Geschichte hatte.«
»Krämerisch-kleingeistig« sei, so die SZ, der von Annalena Baerbock verantwortete Beschluss, und nennt ihn »in einer Zeit, da in Europa und in der Welt aggressive, populistische Nationalismen und Diktaturen die freiheitlichen Gesellschaften im Kern bedrohen« einen »Wahnsinn«. »Denn was Außenministerin Annalena Baerbock mit Füßen tritt, ist nichts weniger als das europäische Erbe und insbesondere die deutsche-französische Freundschaft, auf die sich nicht nur ihr auswärtiges Haus, sondern unser demokratisches Deutschland gründet. Ein immenser Schaden der Kategorie 'historisch'. Der bedauerlicherweise ins große Bild passt: Die gegenwärtige Regie im Auswärtigen Amt – wie überhaupt beinahe die gesamte deutsche Regierung – hat die deutsch-französischen Beziehungen in so vielem so heftig demoliert wie noch keine zuvor.«
»Noch immer fehlt die konzeptionelle Antwort der deutschen Politik auf Macrons große Sorbonne-Rede von 2017, in der der Präsident Frankreichs eine weitere, differenzierte Vertiefung der Europäischen Union fordert – Frankreich wartet seitdem. In genau dieser Perspektive sieht unser Nachbar nun die Entscheidung der Schließungen – und ist entsetzt, verstört, enttäuscht. Diplomatisch ein Mega-Debakel, 'une décision prise de manière unilatérale' heißt es auf Seiten Frankreichs in rituell höflicher französischer Manier, sprich: eine brutal einseitige Entscheidung. Deutsche Kanonenbootpolitik 2023 auf höchster diplomatischer Ebene.«
Denn unsere Situation ist ernst, der Universalismus der Moderne in Gefahr: »alles kann auch ganz schnell wieder kippen, auch in westeuropäischen Ländern geschieht es längst.«
»Was daraus spricht, ist die Verachtung für den Wert von Kultur – im weitesten Sinne wohlgemerkt ... es ist die Verachtung für das, was ein amerikanischer Verteidigungsminister einst als 'Altes Europa' bezeichnete, ein musealer, überkommener Kontinent, der keine Zukunft habe. Anscheinend – und es ist unfasslich, das sagen zu müssen – mittlerweile auch in den Augen der deutschen Außenministerin und Bundesregierung.
Das Europa, dem sie auf diese
Weise kalt den Rücken zuwenden, ist das Europa, das unsere Freiheit verteidigt wie für unseren Wohlstand sorgt. Deutschland sollte nicht an dem europäischen Haus zündeln, sondern es gemeinsam mit unseren Nachbarn weiter ausbauen, vor allem mit unseren französischen Freunden.«
Und das im Zeichen einer angeblich wertegeleiteten Außenpolitik. Welche Werte denn? Meine nicht.
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Ebenfalls heute ergänzen die »Internationale Kurzfilmtage Oberhausen« die traurige Goethe-Nachricht und richten den Fokus auf die bisher von mir und allen anderen übersehene »Einstellung der Filmfestivalförderung durch das Goethe-Institut«.
Es geht hierbei um Finanzhilfen für Künstler aus »devisenschwachen«, also armen Ländern, die zu Filmfestivals und Ähnlichem eingeladen werden.
Die als »Zukunftskonzept«, »umfassende Transformation« und »Fokussierung« verkaufte Kultur-Abwicklung Baerbocks sieht die Beendigung der Filmfestivalförderung vor. Sie war aus dem Verwaltungsbereich des Auswärtigen Amts an das Goethe-Institut übertragen worden. Weitere Bürokratisierung statt überfälliger Etaterhöhung war die Folge gewesen.
Nun wird die gesamte Filmfestivalförderung ersatzlos gestrichen.
Dies trifft nur das Kino, dessen spezielle Verachtung durch grüne Kulturpolitik hier ein weiteres Mal unter Beweis gestellt wird: »Internationale Kulturprogramme« für andere Kunst-Sparten, die weiterhin im Auswärtigen Amt verblieben sind, sind davon nicht betroffen.
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Lars Henrik Gass, Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, kommentiert diese fatale Entscheidung: »Die Kurzfilmtage können folglich weitaus weniger Gästen aus 'devisenschwachen' Ländern den Besuch in Deutschland ermöglichen.
Die internationalen Filmfestivals in Deutschland leisten einen wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen den Kulturen. Auswärtiges Amt und Goethe-Institut opfern diesen internationalen Kulturaustausch geopolitischen
Interessen und der Finanzierung von Militärhilfen. Mit dem Übergang der Filmfestivalförderung an das Goethe-Institut war das Versprechen einer fachliche Stärkung und Weiterentwicklung verbunden, nicht die Aussicht auf eine Abwicklung. Wir fordern daher die Wiedereingliederung der Filmfestivalförderung in das Auswärtige Amt unter den bislang bekannten Bedingungen.«
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Wo bleibt hier eigentlich die Stimme der noch recht neuen »AG Filmfestival« [https://ag-filmfestival.de/]? Wäre eine klare, zeitnahe, solidarische Stellungnahme der vereinten deutschen Festivals in dieser Frage nicht ihre Kernaufgabe?
Oder lähmt hier die falsche Sympathie für die Grünen die kulturpolitische Arbeit?
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Es gehört zu den Legenden der gegenwärtigen Medienwelt, dass sich kaum noch jemand für Kultur interessiere, dass die Feuilletons nicht gelesen würden, angeblich, weil sie als »elitär« wahrgenommen werden, und so weiter...
Schon die schlichte Alltagserfahrung widerlegt eine solche Auffassung. Als Bahn-Vielfahrer habe ich Zutritt zur Bahn-Comfort-Lounge und dort zu den ausliegenden Zeitungen. In 50 Prozent der Fälle fehlt bei der ausliegenden Zeitung ein Teil. Der Wirtschaftsteil ist immer da, die Politik auch; was fehlt, sind Sport und Kultur.
Die Behauptung von der Kulturfeindlichkeit der Menschen ist eigentlich nur eine Funktionärs-Auffassung kulturfeindlicher Entscheider.
Denn Kultur stört. Kultur ist zwar ein Standortfaktor, wenn man am Abend mit der Ehefrau in die Oper gehen kann. Wenn man diese aber tagsüber mit der Praktikantin betrügt, dann möchte man ja als flotter Schnell-Entscheider dastehen, abgeklärt wirken und keine Störfaktoren zur Kenntnis nehmen müssen.
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Zu hören sind vom sogenannten Kulturstaatsministerium nur Nachrichten, die mit Kultur nichts zu tun haben: »einheitlicher CO2-Bilanzierungsstandard für Kultureinrichtungen samt zugehörigem CO2-Rechner«.
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Von Claudia Roth wird bleiben... der Wind, der durch ihre Ohren hindurchweht. Und der Kulturpass. Auf den ist sie schon jetzt sooo stolz, dass ihr selbst dann nichts anderes einfällt, als tausend tote Israelis zu beklagen sind.
(to be continued)