02.11.2023

Frauen und Film

Weibliche Junggesellen
Weibliche Junggesellen – Stummfilm mit Live-Musik
(Foto: Arsenal Institut)

Zwei Koryphäen des feministischen Films erhalten beim 29. Bimovie in München eine Carte Blanche, und auch im übrigen Programm geht es diesmal in die historische Tiefe

Von Dunja Bialas

Sagt man Schlüp­mann, ergänzen alle, die sie kennen: Gramann. Heide Schlüp­mann und Karola Gramann sind zwei Grandes Dames des femi­nis­ti­schen Films, die in Deutsch­land Kino­ge­schichte geschrieben haben. Sie wurden mit unzäh­ligen Preisen ausge­zeichnet, zuletzt vor wenigen Tagen vom Kine­ma­theks­ver­bund für die von ihnen gegrün­dete Kinothek Asta Nielsen. Heide Schlüp­mann, die dieses Jahr 80 Jahre alt geworden ist, hatte die erste Professur für Film­wis­sen­schaft an der Goethe-Univer­sität in Frankfurt am Main inne und hat auf Gene­ra­tionen von Film­wis­sen­schaftler*innen gewirkt. Karola Gramann leitete in den Acht­zi­ger­jahren die Kurz­film­tage Ober­hausen. 2018 haben sie gemeinsam das Frau­en­film­fes­tival Remake in Frankfurt initiiert.

Diese Koryphäen des femi­nis­ti­schen Films und Exper­tinnen des Stumm­films hat das 29. Bimovie jetzt zu einer Carte Blanche einge­laden. Die Wahl von Schlüp­mann & Gramann fiel auf Norr­tull­sliganWeibliche Jung­ge­sellen, einen von Per Lindberg im Jahr 1923 reali­sierten Film über den Alltag von vier Frauen, die in Fabriken und Büros arbeiten – also von der klas­si­schen Arbei­terin bis zur Büro­an­ge­stellten eines neuen, modernen und urbanen Lebens. Der Spielfilm geht zurück auf eine sozio­lo­gi­sche Unter­su­chung von Elin Wägner, einer schwe­di­schen Akti­vistin. Der Film »atmet Moderne«, schreiben die Frank­furter Kura­to­rinnen, »aber eine, die von unten aufge­nommen wurde, aus der Wahr­neh­mung der Frauen, die sich in den verän­derten Lebens­ver­hält­nissen zurecht­finden müssen.« Die Vorfüh­rung wird live von Michaela Dietl begleitet (So 5.11. 15:30 und Di 7.11. 18:00).

Bimovie ist auch dieses Jahr wieder in seinem Stammkino anzu­treffen, dem Maxim an der Lands­huter Allee, zu dem die Anhän­ge­rinnen der »Frau­en­film­reihe«, wie das Festival im Unter­titel heißt, in Scharen kommen. Ein Team aus acht streit­baren Frauen, darunter Katrin Gebhardt-Seele und Karin Hofmann als Grün­de­rinnen, zeigen vom 2. bis 8. November ein erlesenes Programm aus sieben Filmen, dazu kommen die Carte Blanche und ein Kurz­film­pro­gramm.

Im Programm findet sich auch der estnische Doku­men­tar­film Smoke Sauna Sister­hood von Anna Hints, die seit der Urauf­füh­rung auf dem Festival von Sundance, wo sie mit dem Preis für die Beste Regie ausge­zeichnet wurde, alle möglichen Preise abräumt, zuletzt bekam der Film auf der Viennale den Preis der inter­na­tio­nalen Film­kritik Fipresci. Es geht um eine Rauch­sauna in Estland, in der Frauen gemeinsam saunieren. Sie lassen auch die Hüllen ihrer Seele fallen, erzählen sich gegen­seitig von ihren Geheim­nissen und Ängsten, brechen Tabus und füllen uns Zuschauer*innen mit Mut an (So 5.11. und Mo 6.11., jeweils 18 Uhr).

Die Frau­en­film­reihe eröffnet am 2.11. um 18 Uhr mit dem schwe­di­schen Film So Damn Easy Going, eine Romantic Comedy, die vom anstren­genden Leben einer Heran­wach­senden mit ADHS erzählt, die noch dazu gerade die Liebe entdeckt. Da kann schnell einiges zu viel werden, Regisseur Chris­toffer Sandler aber schenkt seinen Prot­ago­nis­tinnen viel sorg­fäl­tige Aufmerk­sam­keit, die sie niemals ausstellt.

Die junge Leila Keita ist in München gerade omni­prä­sent. Gerade war sie noch mit einer Arbeit bei der Video­kunst-Biennale Videodox zu sehen und bei einem femi­nis­ti­schen Gespräch im Werk­statt­kino anzu­treffen. Jetzt präsen­tiert sie bei Bimovie ihren dreißig­mi­nü­tigen Doku­men­tar­film Außer Männer hatten wir nichts zu verlieren, den sie zusammen mit Hanna Hocker reali­siert hat. Sie tauchen ein in die Geschichte der Münchner Frau­en­be­we­gung seit den Sieb­zi­ger­jahren und stoßen dabei auf Lillemor’s, den ersten Frau­en­buch­laden Deutsch­lands, einem geschützten Raum, zu dem nur Frauen Zutritt haben. Im Gespräch mit den Mitbe­grün­de­rinnen erfahren sie, wie viel Brisanz auch heute noch viele der alten Ideen haben. Im Anschluss an die Vorfüh­rung (3.11., 18 Uhr) wird das Gespräch mit alten und neuen Buch­händ­le­rinnen und den Filme­ma­che­rinnen fort­ge­führt.

Nicht entgehen lassen sollte man sich schließ­lich Claudia Richarz Film über Helke Sander (Sa 4.11. 15:30 und Mi 8.11. 18 Uhr). Helke Sander: Aufräumen hat sie ihn ganz schlicht genannt – und sieht der 86-Jährigen dabei zu, wie sie ihre Dinge ordnet, begleitet von einem Erin­ne­rungs­strom an ihr Leben als femi­nis­ti­sche Akti­vistin und viel Archiv­ma­te­rial. Helke Sander ist Filme­ma­cherin, Pionierin der Frau­en­be­we­gung der Nach­kriegs­zeit und Gründerin der maßgeb­li­chen Zeit­schrift »Frauen und Film«. Heide Schlüp­mann und Karola Gramann wiederum waren später, zusammen mit der Film­wis­sen­schaft­lerin Gertrud Koch, Heraus­ge­be­rinnen der Zeit­schrift. Als beglei­tende Lektüre zum Festival empfehlen wir daher die letzte Ausgabe von »Frauen und Film«: Sie widmet sich dem Thema »Femi­nis­ti­sche Ökonomien und Zeit­lich­keit«.