Abschied von Rumänien |
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Der den Wind sucht: Mihai Sofroneas Abschlussfilm des Festivals | ||
(Foto: Rumänisches Filmfestival München) |
Von Dunja Bialas
Er macht sich wieder einen Spaß draus, nimmt die böse Weltgeschichte und auch die große Filmgeschichte mit Humor. Radu Jude sinniert in seinem Kurzfilm The Potemkinists, der zum Auftakt des am heutigen Donnerstag eröffnenden Rumänischen Filmfestivals gezeigt wird, über Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin nach, über seine Besatzung, die in Rumänien politisches Asyl beantragt hatte. Aber, ja, die russische Kultur, das hatte Weltniveau, lässt er eine der Filmfiguren sagen, die eine Blumenwiese durchstreifen. Schöne, bunte Blümchen stehen auf grasgrünem Untergrund, baumeln unschuldig an ihren Stielen. Das Ende von Panzerkreuzer Potemkin aber, die Verbrüderung der Matrosen, das seien doch wohl nur Lügen und ideologischer Müll. Jude ist ein Meister der Kontrastierungen, sie entfalten sarkastischen Humor.
Über den Figuren thront ein modernes Denkmal, nicht zu entscheiden, was es darstellen soll, einen Hammer? Die Nike von Samothrake? Die Reliefs am Sockel wurden gestohlen, echtes Eisen, viel wert.
»Festes Kino«, so hat der Orientalist Paul Mus Reliefs genannt. Mit diesen eingefrorenen, plastischen Narrativen über eine heroische Zeit beginnt der eigentliche Eröffnungsfilm Metronom, den der Kurator Klaus Volkmer für das von der Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und Tradition veranstaltete Festival ausgesucht hat. Wie in einem Sprung zurück in die Zeit stehen wieder eine Frau und ein Mann vor einem Denkmal, es ist das Relief am Fuße der Bukarester »Carol I Defense University«, benannt nach dem rumänischen König. Auf der Uni wird innere Sicherheit und nationale Verteidigung unterrichtet – das perfekte Setting für das, was kommen wird.
Ana und Sorin sind ein Liebespaar, sie sind 17. Es ist das Jahr 1972, Ceaușescu war am Ende seiner ersten Regierungsphase, die reformistisch begonnen hatte und auch eine kurze »Tauwetter«-Periode umfasste, wie die Zeit des umsichtig handelnden Staats und die Liberalisierung der Kultur im Ostblock genannt wurde. Das Jahr 1972 war noch nahe genug an 68 dran, um sich an den Prager Frühling zu erinnern, während sich hinter den Rumänen schon wieder, langsam, aber merklich, der Eiserne Vorhang zuzog. Ana und Sorin haben noch dieses letzte Zeitfenster entdecken können, jetzt aber wird die Familie von Sorin nach Deutschland ausreisen. Dass dies nur gegen Gegenleistung möglich ist, wird der Plot des Films werden.
Am Nachmittag findet eine Party in der Wohnung einer Schulfreundin statt. Die jungen Leute trinken, rauchen und tanzen, zur Musik von »Radio Free Europe«. Dann wird die Party ausgehoben, und Ana macht Bekanntschaft mit dem rumänischen Geheimdienst.
Dem Film gelingt es, die Perspektive der jungen Menschen von damals einzunehmen, ihre Leichtigkeit und Lebendigkeit spüren zu lassen, die Freude über Jimi Hendrix und Joan Baez. Wie dann der Staat brutal zuschlägt und die Beat-Begeisterten verhaftet, lässt bereits den Schatten des späteren Monsters Ceaușescu erahnen. Das Land, in dem die jungen Menschen »Radio Free Europe« hören, gab es schon nicht mehr, als sie noch dazu tanzten.
Alexandru Belc gewann mit seinem Film in der Reihe »Un Certain Regard« in Cannes den Preis für die Beste Regie, zur Eröffnung des Rumänischen Filmfestivals kommt Schauspieler Vlad Ivanov nach München, einer der großen Stars Rumäniens, der in Filmen von Corneliu Porumboiu, Cristian Mungiu, Călin Peter Netzer und anderen Größen der Rumänischen Welle, aber auch bei Bong Jon-hoo, Maren Ade und László Nemes mitgewirkt hat. Wie der Letztgenannte drehte auch Alexandru Belc seinen Film im Academy Format, das das Eingeschlossenenwerden und die Enge ganz unmittelbar miterzählt. (09.11., 19 Uhr, Filmmuseum)
Was später geschah… Die rumänische Geschichte als Briefwechsel, der schließlich verstummt, zeigt der auf dem Forum der Berlinale uraufgeführte, genialisch montierte Intre revolutii (Between Revolutions) von Vlad Petri, der komplett aus Archivmaterial kompiliert ist. Petri führt zwei Ländergeschichten eng: Viele Iranerinnen kamen in den Siebzigerjahren zum Studium nach Rumänien, eine imaginiert Petri, lässt sie in den Iran zurückkehren. Sie berichtet in Briefen an ihre rumänische Freundin von der iranischen Revolution, die zum Sturz des Schahs führte, unterlegt mit den historischen Aufnahmen der Aufstände, Menschen von damals in Großaufnahme, bei ihren Freizeitaktivitäten, das Leben wird plastisch und nahe. Die rumänische Freundin erzählt von ihrem sozialistischen Alltag, später kommt das Ende des Ostblocks. Und mit ihm, man traut fast seinen Augen nicht, so stupend wirkt es, der Siegeszug von Lucky Strike, Coca und Pepsi Cola, die die Wessis wie die GIs nach dem Zweiten Weltkrieg mit beiden Händen ins Volk werfen. Ein überaus lohnenswerter Film. (11.11., 21 Uhr, Filmmuseum)
In der Gegenwart die Vergangenheit finden: Das gelingt Mihai Sofronea Cautatorul de Vant (The Wind Seeker), der auf dem Filmfestival von Sofia mit dem Fipresci-Preis der internationalen Filmkritik ausgezeichnet wurde. Im Zentrum des Films steht ein einsamer Protagonist, wie wir es oft im rumänischen Kino haben. Radu (Dan Bordeianu) erhält die schreckliche Diagnose einer schon sehr bald tödlich wirkenden Krankheit, drei Monate bleiben ihm noch. Klassisch geht es mit einem Roadmovie weiter, das finale Sterben vor Augen, so will es das Genre. Doch es kommt anders.
In einem Dorf fast am Ende Rumäniens, abgeschirmt von dem neoliberalen Bukarest, wo der Film beginnt – gläserne Aufzüge und kühle Stahlkonstruktionen zeugen von einer abstrakt gewordenen Welt –, finden sich Menschen, mit denen es sich gut schweigen lässt, in deren Anwesenheit dem Leben nachgespürt werden kann. Radu, Ingenieur für Windkraft, gibt vor, an diesem stillen Ort neue Standplätze für seine Windräder zu suchen. Onkel Pavel (Adrian Titieni), der den völlig Entkräfteten von der Straße aufgelesen hat, zeigt ihm die stürmischen Hügel. Eine Frau bekocht die Männer, sie ist Strohwitwerin, der Ehemann nach Italien zum Arbeiten gegangen. Auch Pavel ist verlassen, sein Sohn ist nach Spanien, er wird nicht mehr zurückkehren. Sie alle nehmen Abschied von einem Rumänien, das es nicht mehr gibt: Das Leben in der Familie, das Zusammensein, ein erfüllter Ort. Und so tragen sie selbst, in dieser abgelegenen Gegend, wo ein Pferdefuhrwerk das wichtigste Verkehrsmittel ist, dann auch die Einsamkeit der Moderne in sich. Cautatorul de Vant ist ein seufzender Film, mit einer wunderschönen Poetik, die niemals kitschig und niemals Klischee wird. Mihai Sofroneas Debütfilm lässt trotz seiner Sanftheit und Stille eine starke Stimme hören, die man sich für das rumänische Kino merken wird. Gezeigt wird auch sein Kurzfilm Copacul (The Tree), eine existentialistische Etude wie der Langfilm, die einen sprachlos werden lässt. (19.11., 17 Uhr, Filmmuseum)
Klaus Volkmer hatte, als er am Telefon das Programm vorstellte, Cautatorul de Vant seinen Abschiedsfilm genannt. Irgendwann müsse er aufhören. Das sei sein Abschied vom Filmland Rumänien, das er uns bekannt gemacht hat.