Greece Inside |
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Besonderer Blick auf die griechische Gesellschaft: Black Stone | ||
(Foto: 37. Griechische Filmwoche) |
Von Elke Eckert
Eröffnet wird die Filmwoche mit Inside, einem Mix aus Psychothriller und Survivaldrama. Nemo soll aus einem New Yorker Penthouse Kunstwerke in Millionenhöhe entwenden. Für einen Meisterdieb wie ihn sollte das kein Problem sein, und zunächst sieht auch alles nach einem erfolgreichen Raubzug aus. Doch plötzlich werden durch das Sicherheitssystem, das der wohlhabende Sammler installiert hat, alle Ein- und Ausgänge verriegelt und Nemo sitzt in einem Luxusgefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt. Weil ihm weder seine Komplizen zu Hilfe kommen noch der Hausherr oder die Polizei ihn aus seiner verzweifelten Lage befreien, beginnt für den Eingeschlossenen ein dramatischer Kampf ums Überleben… Willem Dafoe, bereits viermal für den Oscar nominiert, liefert mit dieser Solovorstellung sein Meisterstück ab. Es ist beklemmend und beängstigend mitanzusehen, wie sein Nemo langsam aber sicher den Verstand verliert. Regisseur Vasilis Katsoupis gelingt es in seinem Spielfilmdebüt, diese schauspielerische Tour de Force visuell perfekt umzusetzen. Drehort war Köln, wo das Appartement im Filmstudio entstand. Das fesselnde Drama feierte auf der letzten Berlinale seine Weltpremiere. (Eröffnung: Samstag, 18.11. um 19.30 Uhr, Rio Filmpalast / Mittwoch, 22.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)
Haroula, die Heldin und Hauptdarstellerin von Black Stone, verliert nicht den Kontakt zur Außenwelt, sondern zu ihrem ältesten Sohn Panos. Der ist von einer Minute auf die andere wie vom Erdboden verschluckt und für seine Mutter nicht mehr zu erreichen. Weder telefonisch noch an seinem Arbeitsplatz. Stattdessen trifft Haroula auf ein Filmteam, das eine Dokumentation über Behörden und Beamte drehen will. Die verzweifelte Mutter glaubt, dass die Kameraleute vom Fernsehen sind und hofft mit ihrer Hilfe, Panos zu finden. Und so nimmt eine skurrile Geschichte ihren Lauf, in der vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint… Die schräge Tragikomödie punktet mit einer originellen Story und einem überzeugenden Cast. Neben Eleni Kokkidou als Haroula macht vor allem Julio George Katsis, der den jüngeren, körperbehinderten Sohn spielt, Spiros Jacovides‘ Regiedebüt sehenswert. Sein besonderer Blick auf die griechische Gesellschaft wurde beim Internationalen Filmfestival in Thessaloniki mit insgesamt vier Preisen ausgezeichnet und erhielt beim Triest Film Festival den Publikumspreis. (Sonntag, 19.11. um 20 Uhr, Rio Filmpalast / Sonntag, 26.11. um 20 Uhr, Neues Rottmann)
Eine Familie steht auch im Mittelpunkt von Dimitris Katsimiris‘ Drama Dignity. Der 80. Geburtstag ihres Vaters bringt die drei Geschwister Manolis, Sofia und Alexis wieder zusammen. Manolis will sich nicht mehr alleine um seinen schwerkranken Vater kümmern, der nach einem Schlaganfall permanente Pflege braucht. Er möchte, dass auch sein Bruder und seine Schwester in Zukunft Verantwortung übernehmen. Beim Versuch, eine Lösung zu finden, bröckeln mühsam errichtete Fassaden und vermeintlich Vergessenes aus der Vergangenheit kommt auf den Tisch… Regisseur Katsimiris lässt in seinem Film, der an ein Theaterstück erinnert, ein Familientreffen aus dem Ruder laufen. Weil die Kamera nah an den Protagonisten ist, hat man als Zuschauer das Gefühl, mittendrin zu sein. (Mittwoch, 22.11. um 20.30 Uhr, Gasteig HP8)
Behind the Haystacks spielt im Jahr 2015. Bauer Stergios lebt mit seiner Familie an der Grenze zu Nordmazedonien. Weil ihn wegen hoher Steuerschulden finanzielle Sorgen plagen, lässt er sich auf einen Deal mit der örtlichen Mafia ein und schmuggelt Flüchtlinge über den Grenzsee. Auch seine Frau Maria und seine Tochter Anastasia verhalten sich nicht den dörflichen Konventionen entsprechend. Maria sympathisiert mit den Flüchtlingen und will ihnen helfen. Anastasia tritt nach ihrem Job im Krankenhaus als Sängerin in einem Nachtclub auf. All diese Heimlichkeiten haben tragische Konsequenzen für die ganze Familie… Regisseurin und Autorin Asimina Proedrou erzählt ihre gesellschaftskritische Geschichte in drei Kapiteln. So gelingt ihr eine genaue Charakterzeichnung der handelnden Personen, die alle auf sehr persönliche Art und Weise mit politischen Herausforderungen konfrontiert werden. Das Drama ist vielfach preisgekrönt, unter anderem erhielt es 2023 den Iris Award für die beste Regie, das beste Originaldrehbuch und das beste Spielfilmdebüt. (Samstag, 25.11. um 20 Uhr, Neues Rottmann)
Ein Jahr früher, 2022, wurde Magnetic Fields als bester Spielfilm des Jahres ausgezeichnet. Elena und Antonis begegnen sich auf dem Schiff nach Kefalonia, einer Insel im Ionischen Meer. Elena hat es zufällig dorthin verschlagen. Antonis hat ein konkretes Ziel: den Inselfriedhof. Dort will er die Urne seiner Tante beisetzen. Weil bürokratische Hürden die Beerdigung behindern, beschließen die beiden, die Insel zu erkunden und auf eigene Faust einen Ort für die Urne zu finden. Comicbuchautor Yorgos Goussis ließ sich für sein Regiedebüt von Richard Linklaters Before-Trilogie inspirieren. Sein melancholischer Film lebt aber nicht nur von der Anziehung zwischen den zwei Hauptdarstellern, sondern auch von der besonderen Stimmung und Stille, die beim Dreh während der Corona-Pandemie auf der Insel herrschte. (Dienstag, 21.11. um 20 Uhr, Gasteig HP8 / Sonntag, 26.11. um 18 Uhr, Neues Rottmann)
Jeden Tag von 6 Uhr bis 9 Uhr ist es auch in der griechischen Küstenstadt, in der Christos Passalis‘ surreales Drama Silence 6-9 spielt, absolut still. Aris, ein junger Mann, soll dort einen EDV-Job antreten. Doch plötzlich verschwinden um ihn herum Menschen, und keiner weiß, wohin. Mitten in diesem Albtraum lernt Aris Anna kennen, die im selben Hotel wohnt. Die beiden verbringen Zeit miteinander und verlieben sich, bis auch Anna verschwindet… Passalis‘ Regiedebüt ist eine Parabel über Verlust und Vergessen. Die futuristische Liebesgeschichte erhielt sechs Nominierungen bei den Iris Awards, unter anderem für Ton und Kamera. (Sonntag, 19.11. um 18 Uhr, Rio Filmpalast)
Sotiris Goritsas‘ Where We Live wirkt ebenfalls wie aus Raum und Zeit gefallen. Dreh- und Angelpunkt der tragikomischen Geschichte ist der Athener Antonis, seines Zeichens Anwalt, Sohn und Freund. An seinem 40. Geburtstag bekommt er die Gelegenheit, sein in allen Bereichen eher glück- und erfolgloses Leben noch einmal entscheidend zu ändern… Regisseur Goritsas hat auch das Drehbuch geschrieben, zusammen mit Christos Kythreotis, auf dessen gleichnamigem Roman sein Film basiert. Das Drama feierte im vergangenen Mai beim Greek Film Festival in Berlin Deutschlandpremiere. (Samstag, 25.11. um 18 Uhr, Neues Rottmann)
Neben diesen aktuellen Spielfilmen hat die Filmwoche auch vier Dokumentationen im Programm, die sich mit Bildungsperspektiven und Gerechtigkeits- und Gleichberechtigungsfragen in der griechischen Gesellschaft befassen. Die Doku Kristos: The Last Child nimmt die Zuschauer mit auf die kleine Insel Arki. Dort leben nur 30 Menschen, einer von ihnen ist Kristos. Weil es keine weiteren Kinder mehr auf Arki gibt, ist der Junge auch der einzige Schüler der örtlichen Grundschule. Um eine weiterführende Schule zu besuchen, müsste er die Insel verlassen. Dafür haben seine Eltern nicht genügend Geld, sie wollen, dass er Hirte wird wie seine Brüder. Kristos Lehrerin ist jedoch überzeugt davon, dass er studieren könnte, und sucht nach einer Lösung, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen… Regisseurin Giulia Amati hat Kristos und sein Umfeld ein Jahr lang begleitet und nimmt für ihren Dokumentarfilm die Perspektive des Jungen ein. Ihr emotionales Porträt wurde mit dem DOK.fest-Preis der SOS-Kinderdörfer ausgezeichnet, beim Dokumentarfilmfestival in Thessaloniki erhielt es unter anderem den Preis für die beste Regie. (Montag, 20.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8 / Dienstag, 21.11. um 9 Uhr, Gasteig HP8, Schulvorführung nur über Voranmeldung bei DOK.education)
Zwei Jahre lang war Regisseur Lucas Paleocrassas an der Seite seiner jungen Protagonisten, die während Pandemie und Wirtschaftskrise ihren Abschluss an einem staatlichen Gymnasium in Athen gemacht haben. Sein Dokumentarfilm erzählt von den Schwierigkeiten und Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern, die ihren Alltag auch trotz Lockdowns und Schulprotesten für Bildungsreformen meistern müssen. Unterrichtet von Lehrern, von denen sie sich oft nicht verstanden fühlen. Final Year zeigt die Griechische Filmwoche in Zusammenarbeit mit dem Club der Griechischen Akademiker in München. Mit dieser Kooperation soll auf den psychologischen Druck aufmerksam gemacht werden, dem griechische Jugendliche in der Abschlussklasse des Gymnasiums ausgesetzt sind, aber auch die Beziehung von Kindern und Jugendlichen zum Kino gestärkt werden. (Dienstag, 21.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8 / Samstag, 25.11. um 16 Uhr, Neues Rottmann, in Anwesenheit des Regisseurs)
Für Grief: Those Who Remain trafen die Regisseurinnen Maria Louka und Myrto Patsalidou Angehörige von drei Menschen, die in den vergangenen Jahren Opfer rassistischer und diskriminierender Gewalt wurden. Pavlos Fyssas, ein junger griechischer Rapper und Aktivist, wurde 2013 von einem Mitglied der neonazistischen Organisation „Goldene Morgenröte“ ermordet. Der Pakistani Shahzad Luqman starb im Athener Stadtteil Petralona durch einen Angriff von zwei Motorradfahrern. Im September 2018 kam Zak Kostopoulos, ein LGBTIQ-Aktivist, ebenfalls bei einem Mordanschlag in der griechischen Hauptstadt ums Leben. Die beiden Regisseurinnen legen den Fokus ihrer Dokumentation auf die Trauer und die Erfahrungen der Hinterbliebenen und zeigen, wie deren Schmerz über die schweren Verluste sie dazu veranlasst hat, für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen. Die berührende Doku feiert bei der Griechischen Filmwoche ihre Deutschlandpremiere. (Donnerstag, 23.11. um 20 Uhr, Gasteig HP8)
Der Dokumentarfilm AKOE/AMFI: The Story of a Revolution (*Just to Sleep on Their Chest?) ist eine Hommage an die erste griechische LGBTQ+-Gemeinschaftsbewegung (AKOE). Die Bewegung für die Befreiung von Homosexuellen und Transsexuellen entstand 1977, weil die demokratischen Parteien trotz des Endes der griechischen Militärdiktatur an einem Gesetz festhielten, nach dem Homosexuelle, die öffentlich nach einem Partner suchten, mit Gefängnis bestraft werden sollten. Ein wesentlicher Teil der Bewegung war das Printmagazin „Amfi“, das als Sprachrohr und wichtigste Informationsquelle queerer Menschen diente. Iossif Vardakis‘ Doku würdigt das mutige Engagement der Aktivistinnen und Aktivisten und ihren Kampf für Akzeptanz und Gleichberechtigung. Der Film feiert auf der Griechischen Filmwoche seine Deutschlandpremiere und wird in Zusammenarbeit mit dem QFFM | Queer Film Festival München gezeigt. (Donnerstag, 23.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)
Nikos Nikolaidis, einem der bedeutendsten Regisseure des Neuen Griechischen Kinos, ist die diesjährige Retrospektive gewidmet. Nikolaidis wurde beim Thessaloniki Film Festival fünfmal als bester Regisseur ausgezeichnet, häufiger als jeder andere. Nichtsdestotrotz sorgten die Filme des 1939 in Athen geborenen Filmemachers stets für Kontroversen. Auch 16 Jahre nach seinem Tod haben seine unkonventionellen Werke, die meistens Menschen am Rand der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen, nichts von ihrer Faszination verloren. Auf der Filmwoche zu sehen sind zwei seiner Dramen, die den ersten und letzten Teil einer Trilogie bildeten.
In The Wretches Are Still Singing von 1979 geht es um fünf Freunde, die sich nach langer Zeit wiedertreffen. Ihre Leben sind mittlerweile von Gewalttaten, Gefängnis, Obdachlosigkeit und psychischen Problemen geprägt. Beim Wiedersehen entsorgen Alkis und sein Kumpel Konstantinos erstmal eine Leiche. Trotz dieses Freundschaftsdienstes will sich die alte Verbundenheit aus Jugendtagen nicht mehr einstellen… Mit seinem Drama malt Nikolaidis ein düsteres und verstörendes Bild des Nachkriegsgriechenlands. Seine Protagonisten sind Zyniker, die sich von der Gesellschaft und dem politischen System abgewandt haben und ihre innere Leere mit Verbrechen füllen. Der surreale Film Noir gewann beim Thessaloniki Filmfestival 1979 unter anderem den Preis für die beste Regie. (Freitag, 24.11. um 18 Uhr, Gasteig HP8)
Den letzten Teil der Trilogie Die Jahre der Cholera drehte Nikolaidis 2002. The Loser Takes It All erzählt von einer Handvoll Außenseiter, die alle mit ihren inneren Dämonen zu kämpfen haben und nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung streben. Als sie aufeinandertreffen, lassen sie sich auf ein Spiel ohne Regeln ein, bei dem die Grenzen zwischen Verlierern und Gewinnern fließend sind. (Freitag, 24.11. um 20.15 Uhr, Gasteig HP8)
Wie immer wird das Programm der Griechischen Filmwoche durch eine Auswahl von Kurzfilmen abgerundet. Gezeigt werden sieben kleine Kunstwerke, mit denen junge Filmemacherinnen und Filmemacher auf sich aufmerksam gemacht und ihr Talent unter Beweis gestellt haben. Das Kurzfilmprogramm ist eine gelungene Mischung aus schwarzen Komödien, originellem Animationsfilm und sehr persönlichen Dokumentarfilmen. (Sonntag, 26.11. ab 15 Uhr, Neues Rottmann)
Inside, Behind the Haystacks und Kristos, Kristos: The Last Child sind im griechischen Original mit deutschen Untertiteln zu sehen, alle anderen Filme werden in der Originalfassung mit englischen Untertiteln gezeigt.