23.11.2023

Dem Gesichtslosen ein Gesicht geben

Bad Dream
Eins der Higlights: Bad Dream von Arnold Ghazaryan
(Foto: Kino Asyl 2023)

Dass Asyl nicht unbedingt eine Einbahnstraße für Asylanten sein muss, sondern auch ein befreiender Ort des künstlerischen Austausches, zeigt auch dieses Jahr wieder Kino Asyl

Von Axel Timo Purr

Es reicht ja eigent­lich schon, sich Edgar Reitz‘ groß­ar­tigen Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht anzusehen, um ein Gespür dafür zu kriegen, dass es mit der Migration und dem Asyl nicht immer den globalen Süden treffen muss, sondern irgend­wann mal jeden treffen wird, jede Nation, jeden Kultur­raum. So wie es halt in der Vergan­gen­heit auch schon jeden getroffen hat.

Dass auch diese Bewe­gungen alles andere als einfach waren, darüber erzählen noch heute Gemeinden auf der ganzen Welt, in denen Sprache und Kultur nicht mit den Sprachen und der Kultur des Landes »über­ein­stimmen«, in der sie eine neue Heimat gefunden haben und erzählen natürlich auch davon, was ihre kultu­relle Identität einst ausmachte. Also ein Art von Museum Asyl, die der verlo­renen Heimat Identität und ein Gesicht gibt.

Es geht natürlich auch schneller und leichter und fast noch trans­pa­renter, sieht man sich das seit mitt­ler­weile neun Jahren exis­tie­rende Kino Asyl an, für das junge Erwach­sene mit Flucht­er­fah­rung Filme aus ihrer Heimat auswählen und kura­tieren und das Publikum eine Reise durch die verschie­densten Film- und Asyl­kul­turen erleben kann; persön­liche Geschichten von Menschen, die ihre Heimat durch die ausge­wählten Filme zeigen. Film­ge­spräche mit den Kuratoren bieten dabei zusätz­liche Einblicke und Anknüp­fungs­punkte, um zu verstehen, was der Verlust von Heimat und die mühselige Assi­mi­la­tion in eine andere Kultur wirklich bedeutet.

Fanden die ersten Kino Asyl-Veran­stal­tungen fast noch ausschließ­lich in den Räum­lich­keiten des Bellevue di Monaco statt, konnte man in den letzten Jahren eine deutliche Diver­si­fi­zie­rung beob­achten, die dieses Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Beginnend mit einer feier­li­chen Eröff­nungs­ver­an­stal­tung am 26. November in den Münchner Kammer­spielen, setzt Kino Asyl seinen Weg zum NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum fort, pausiert im Kunstlabor2, im Gasteig HP8, der Hoch­schule für Fernsehen und Film, um schließ­lich im Bellevue di Monaco den Festi­val­ab­schluss zu feiern.
Das Festival präsen­tiert auf diesem Weg ein breites Spektrum an Doku­men­tar­filmen, Spiel­filmen und Expe­ri­men­tal­filmen und ermög­licht dem Publikum nicht nur, faszi­nie­rende Geschichten zu erleben, sondern auch viel­fäl­tige Regionen, Lebens­wege und Welt­an­schau­ungen kennen­zu­lernen. Während der Film­ge­spräche mit den Kurator:innen sind die Besucher:innen wie immer einge­laden, sich persön­lich auszu­tau­schen, tiefer­ge­hende Einblicke zu erhalten und zum Nach­denken angeregt zu werden. Für die jüngsten Kino­gänger*innen bietet KINO ASYL außerdem ein eigenes Kinder­pro­gramm mit Film­vor­füh­rungen für Schü­le­rinnen der zweiten bis vierten Klasse.

Alle Filme sind Spiegel ihrer Kurator:innen und der verschie­denen Kulturen, die sie reprä­sen­tieren. Die Kuratorin Maria wählte dieses Jahr den Kurzfilm Bad Dream aus, der am 30. November in der Hoch­schule für Fernsehen und Film München zu sehen sein wird. Mit der Eroberung Arzach (Berg­ka­ra­bachs) und der Vertrei­bung der dort lebenden Armenier*innen im September 2023 könnte das Thema des Films kaum aktueller sein. Um es mit Marias Worten auszu­drü­cken: »Dieser Kurzfilm zeigt den großen Lebens­willen, den Exis­tenz­kampf, die Wider­stands­kraft und die Fähigkeit der Armenier, Schmerz in Stärke umzu­wan­deln.« Regisseur Arnold Ghazaryan wird für das Screening am 30. November aus Armenien anreisen und bei der Vorfüh­rung und der anschließenden Publi­kums­dis­kus­sion anwesend sein. Neben Bad Dream wird an diesem Abend auch ein weiterer Kurzfilm, der afgha­ni­sche My Name is Hand (2023) und der jeme­ni­ti­sche Spielfilm The Burdened (2023) gezeigt.

Ein weiteres Highlight ist am zweiten Tag des Festivals der Spielfilm Kabul Kinder­heim, der im Afgha­ni­stan der 80er Jahre unter sowje­ti­scher Besatzung spielt. Er erzählt die Geschichte des 15-Jährigen Quodrat, der auf den Straßen Kabuls lebt und in der Bollywood Welt Trost findet. Unser Kurator Mostafa hat den Film aufgrund des eindrück­li­chen Blicks auf den Alltag in einem afgha­ni­schen Kinder­heim ausge­wählt. Kabul Kinder­heim verbindet auf einfühl­same Weise das dortige Leben mit der heilenden Kraft der Kunst. Der Film, für den es auf artechock auch ein Film­ge­spräch mit dem afghanischen Studenten Safiuallah Rahman zu sehen gibt, wird nach dem Screening des deutsch-ukrainischen Kurzfilms Ich mag keinen Krieg mit anschließendem Publikumsgespräch am 27. November um 19 Uhr im NS-Dokumentationszentrum gezeigt.

Eröffnet wird aller­dings einen Tag zuvor, am 26. November um 19 Uhr im Werkraum der Münchner Kamm­spiele mit drei Kurz­filmen. Dem ugandisch-ameri­ka­ni­schen Kurz­spiel­film The Night I Left America (2021), dem afgha­ni­schen Kurzdrama Kunst unter dem schwarzen Vorhang (2020) und der jeme­ni­tisch-deutschen Kurz­film­bio­grafie Inside (2023)

Auch die Film­vor­füh­rungen im Kunst­labor 2 am 28. November um 19 Uhr ermög­li­chen über die grie­chi­sche Kurz­do­ku­men­ta­tion Stop Pushback (2023) und den Spielfilm Die Schwim­merin (2023) einen diversen, multi­kul­tu­rellen Erfah­rungs­aus­tausch.

Am 29. November ist der Projektor im Gasteig HP8 Gastgeber von Kino Asyl. Am Morgen um 9 Uhr für das Kinder­pro­gramm und den ukrai­ni­schen Anima­ti­ons­film Mavka – Hüterin des Waldes, am Abend um 19 Uhr für das iranisch-ameri­ka­ni­sche Drama The Stoning of Soraya M. (2008)

Seinen Festi­val­ab­schluss feiert Kino Asyl am 1. Dezember um 20 Uhr im Bellevue di Monaco mit einem letzten Spielfilm, dem ameri­ka­nisch-phil­ip­pi­ni­schen Lingua Franca (2019) und einem weiteren Kurzfilm, dem in Deutsch­land entstan­denen Der Geschmack von Safran (2023).

Weitere Infor­ma­tionen auch auf Englisch auf den Webseiten des Festivals und den Socials unter www.fb.me/kinoasyl und www.instagram.com/kinoasyl/.