Dem Gesichtslosen ein Gesicht geben |
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Eins der Higlights: Bad Dream von Arnold Ghazaryan | ||
(Foto: Kino Asyl 2023) |
Von Axel Timo Purr
Es reicht ja eigentlich schon, sich Edgar Reitz‘ großartigen Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht anzusehen, um ein Gespür dafür zu kriegen, dass es mit der Migration und dem Asyl nicht immer den globalen Süden treffen muss, sondern irgendwann mal jeden treffen wird, jede Nation, jeden Kulturraum. So wie es halt in der Vergangenheit auch schon jeden getroffen hat.
Dass auch diese Bewegungen alles andere als einfach waren, darüber erzählen noch heute Gemeinden auf der ganzen Welt, in denen Sprache und Kultur nicht mit den Sprachen und der Kultur des Landes »übereinstimmen«, in der sie eine neue Heimat gefunden haben und erzählen natürlich auch davon, was ihre kulturelle Identität einst ausmachte. Also ein Art von Museum Asyl, die der verlorenen Heimat Identität und ein Gesicht gibt.
Es geht natürlich auch schneller und leichter und fast noch transparenter, sieht man sich das seit mittlerweile neun Jahren existierende Kino Asyl an, für das junge Erwachsene mit Fluchterfahrung Filme aus ihrer Heimat auswählen und kuratieren und das Publikum eine Reise durch die verschiedensten Film- und Asylkulturen erleben kann; persönliche Geschichten von Menschen, die ihre Heimat durch die ausgewählten Filme zeigen. Filmgespräche mit den Kuratoren bieten dabei zusätzliche Einblicke und Anknüpfungspunkte, um zu verstehen, was der Verlust von Heimat und die mühselige Assimilation in eine andere Kultur wirklich bedeutet.
Fanden die ersten Kino Asyl-Veranstaltungen fast noch ausschließlich in den Räumlichkeiten des Bellevue di Monaco statt, konnte man in den letzten Jahren eine deutliche Diversifizierung beobachten, die dieses Jahr einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Beginnend mit einer feierlichen Eröffnungsveranstaltung am 26. November in den Münchner Kammerspielen, setzt Kino Asyl seinen Weg zum NS-Dokumentationszentrum fort, pausiert im Kunstlabor2, im Gasteig HP8, der Hochschule
für Fernsehen und Film, um schließlich im Bellevue di Monaco den Festivalabschluss zu feiern.
Das Festival präsentiert auf diesem Weg ein breites Spektrum an Dokumentarfilmen, Spielfilmen und Experimentalfilmen und ermöglicht dem Publikum nicht nur, faszinierende Geschichten zu erleben, sondern auch vielfältige Regionen, Lebenswege und Weltanschauungen kennenzulernen. Während der Filmgespräche mit den Kurator:innen sind die Besucher:innen wie immer eingeladen, sich
persönlich auszutauschen, tiefergehende Einblicke zu erhalten und zum Nachdenken angeregt zu werden. Für die jüngsten Kinogänger*innen bietet KINO ASYL außerdem ein eigenes Kinderprogramm mit Filmvorführungen für Schülerinnen der zweiten bis vierten Klasse.
Alle Filme sind Spiegel ihrer Kurator:innen und der verschiedenen Kulturen, die sie repräsentieren. Die Kuratorin Maria wählte dieses Jahr den Kurzfilm Bad Dream aus, der am 30. November in der Hochschule für Fernsehen und Film München zu sehen sein wird. Mit der Eroberung Arzach (Bergkarabachs) und der Vertreibung der dort lebenden Armenier*innen im September 2023 könnte das Thema des Films kaum aktueller sein. Um es mit Marias Worten auszudrücken: »Dieser Kurzfilm zeigt den großen Lebenswillen, den Existenzkampf, die Widerstandskraft und die Fähigkeit der Armenier, Schmerz in Stärke umzuwandeln.« Regisseur Arnold Ghazaryan wird für das Screening am 30. November aus Armenien anreisen und bei der Vorführung und der anschließenden Publikumsdiskussion anwesend sein. Neben Bad Dream wird an diesem Abend auch ein weiterer Kurzfilm, der afghanische My Name is Hand (2023) und der jemenitische Spielfilm The Burdened (2023) gezeigt.
Ein weiteres Highlight ist am zweiten Tag des Festivals der Spielfilm Kabul Kinderheim, der im Afghanistan der 80er Jahre unter sowjetischer Besatzung spielt. Er erzählt die Geschichte des 15-Jährigen Quodrat, der auf den Straßen Kabuls lebt und in der Bollywood Welt Trost findet. Unser Kurator Mostafa hat den Film aufgrund des eindrücklichen Blicks auf den Alltag in einem afghanischen Kinderheim ausgewählt. Kabul Kinderheim verbindet auf einfühlsame Weise das dortige Leben mit der heilenden Kraft der Kunst. Der Film, für den es auf artechock auch ein Filmgespräch mit dem afghanischen Studenten Safiuallah Rahman zu sehen gibt, wird nach dem Screening des deutsch-ukrainischen Kurzfilms Ich mag keinen Krieg mit anschließendem Publikumsgespräch am 27. November um 19 Uhr im NS-Dokumentationszentrum gezeigt.
Eröffnet wird allerdings einen Tag zuvor, am 26. November um 19 Uhr im Werkraum der Münchner Kammspiele mit drei Kurzfilmen. Dem ugandisch-amerikanischen Kurzspielfilm The Night I Left America (2021), dem afghanischen Kurzdrama Kunst unter dem schwarzen Vorhang (2020) und der jemenitisch-deutschen Kurzfilmbiografie Inside (2023)
Auch die Filmvorführungen im Kunstlabor 2 am 28. November um 19 Uhr ermöglichen über die griechische Kurzdokumentation Stop Pushback (2023) und den Spielfilm Die Schwimmerin (2023) einen diversen, multikulturellen Erfahrungsaustausch.
Am 29. November ist der Projektor im Gasteig HP8 Gastgeber von Kino Asyl. Am Morgen um 9 Uhr für das Kinderprogramm und den ukrainischen Animationsfilm Mavka – Hüterin des Waldes, am Abend um 19 Uhr für das iranisch-amerikanische Drama The Stoning of Soraya M. (2008)
Seinen Festivalabschluss feiert Kino Asyl am 1. Dezember um 20 Uhr im Bellevue di Monaco mit einem letzten Spielfilm, dem amerikanisch-philippinischen Lingua Franca (2019) und einem weiteren Kurzfilm, dem in Deutschland entstandenen Der Geschmack von Safran (2023).
Weitere Informationen auch auf Englisch auf den Webseiten des Festivals und den Socials unter www.fb.me/kinoasyl und www.instagram.com/kinoasyl/.