25.01.2024
Cinema Moralia – Folge 315

Im deutschen Film geht's um die Wurst

SPIOFILM
Was genau meint ihr damit, liebe SPIO?
(Foto: SPIO/Instagram)

Feierlaune bei Weißwurst, zehn Prozent Lohnkürzung für Filmschaffende und das Schwarzbrot der Anti-Antisemitismuspolitik – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 315. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ein System das sich seine eigenen wehrlosen Mitar­beiter schafft scheint unzer­störbar.«
– Aus: »Wo keine Götter sind, walten Gespenster« von Bastian Gascho

»Was genau meint ihr damit, liebe SPIO? 'Wir wollen feiern und den Zusam­men­halt unserer Film­branche zele­brieren. Den Zusam­men­halt von enga­gierten und mutigen Unter­nehmen, Film­schaf­fenden und Freund*innen unserer Film­fa­milie aus Politik und Gesell­schaft.' (Zitat aus der Begrüßung des Präsi­denten der SPIO Christian Sommer zur Eröffnung des deutschen Filmballs gestern Abend!)
Welcher Zusam­men­halt? Für was engagiert? In welchen Kontext mutig?
In diesem Zusam­men­hang möchten wir beispiels­weise kurz daran erinnern, dass letzten Montag ein Teil der 'Film­fa­milie' (Produ­zen­ten­al­lianz) von einem anderen Teil der Film­fa­milie (allen Film­schaf­fenden) verlangt hat, auf 10 Prozent des Lohns zu verzichten. Mutig? Eher sitten­widrig.«

Soweit der jeden­falls mutige und klare Post des CrewU­nited-Chefs Oliver Zenglein am letzten Sonntag.

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Anlass war der deutsche Filmball, der glück­li­cher­weise eben nicht reprä­sen­tativ für »die Branche« ist, sondern nur für die, deren Politik, Haltung und Kunst­feind­lich­keit wir bekämpfen. Anlass war die feist-bräsige Feier­laune der dortigen Funk­ti­onäre, die aus so ziemlich jedem Bild spritzt, das die Einzelnen und ihre Verbände danach verbrei­teten und die in einem obszönen Kontrast steht zur Lage der Branche, die die gleichen Funk­ti­onäre – im Bild hier oben etwa Björn Böhning von der Produ­zen­ten­al­lianz und Christian Bräuer von der AG Kino – werktags zu Auffor­de­rungen, man müsse »den Gürtel enger schnallen benutzen«, und zu Forde­rungen wie der erwähnten.

Laut Tarif­ver­hand­lungs­partner Verdi forderten die Vertreter der Produ­zen­ten­al­lianz, also entgegen des Namens nur einer von drei Produ­zen­ten­ver­bänden in Deutsch­land, Gagen­ab­sen­kungen und bestehen auf einem KI-Einsatz, der de facto zu weniger Drehtagen führen wird.

Wir zitieren:
»Die Produ­zen­ten­seite hat für die Gewerk­schaften über­ra­schend eine neue Gagen­struktur mit deutlich nied­ri­geren Gagen für alle im Jahr 2024 und darüber hinaus ständig für Berufs­ein­steiger*innen gefordert. Als soge­nannten Krisen­me­cha­nismus will die Produ­zen­ten­al­lianz, dass im Jahr 2024 alle Tarif­gagen um 10 Prozent gekürzt werden. Dies solle Beschäf­ti­gung bei zurück­ge­henden Produk­ti­ons­auf­trägen sichern. Dem Einwand der Gewerk­schaften, dass Film­schaf­fende dann mögli­cher­weise weniger Aufträge und zusätz­lich auch noch weniger Gage bekämen, konnten die Produ­zenten nicht wider­spre­chen. Außerdem sollen künftig Berufs­ein­steiger*innen einen bestimmten noch nicht genannten Prozent­satz weniger als die jetzige Tarif-Mindest­gage bekommen. Für die Gewerk­schaften sind beides unan­nehm­bare Forde­rungen der Produ­zen­ten­al­lianz.«

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Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth hat derweil ihre Absicht, noch in diesem Jahr ein Film­för­der­ge­setz zu verab­schieden, offenbar endgültig aufge­geben. Die Novelle hätte eigent­lich (wir haben darüber geschrieben) bereits im Jahr 2021 passieren müssen, doch auch 2024 setzt sich die Aufschie­be­ritis der Kultur­staats­mi­nis­terin fort. Roth und ihr Minis­te­rium ließen jetzt zwei mögliche und angekün­digte Daten für eine Veröf­fent­li­chung des ersten Refe­ren­ten­ent­wurfs (!, mehr ist es nicht!) verstrei­chen.
Offenbar kann es auch deswegen keinen Refe­ren­ten­ent­wurf geben, weil es in Roths Plänen viele offene Fragen in Bezug auf das Verhältnis zu den Bundes­län­dern gibt, die bislang nicht geklärt sind. Manche Gesprächs­partner behaupten, es werde bis zum Sommer dauern, bis ein Refe­ren­ten­ent­wurf tatsäch­lich öffent­lich ist. Mindes­tens aber dauert es bis zur Berlinale, also auch schon vier Wochen zu spät. Der 1.1. 2025 für ein neues Gesetz ist damit unrea­lis­tisch geworden.
Wir erleben gerade die Kapi­tu­la­tion der Kultur­po­litik vor der Notwen­dig­keit zur Gestal­tung.

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Der Berliner Senat hat die umstrit­tene »Anti­se­mi­tis­mus­klausel« gekippt. Jeden­falls zunächst einmal. Angeblich wegen juris­ti­scher Bedenken, tatsäch­lich sicher auch wegen des Gegen­windes, vor allem inter­na­tional. Ich glaube, dass dies ein doppelter Pyrrhus-Sieg für die links­li­be­rale Kunst­szene ist: Zum einen wird der Senat sich überlegen, wie er es das nächste Mal besser, schlauer und juris­tisch unan­fecht­barer machen kann. Eine entspre­chende Klausel wird kommen. Zum Zweiten aber nutzt es absolut niemandem, dass irgend­welche Anonymen mit ebenso anonymen Cancel-Listen dabei Erfolg haben, Kultur­behörden in die Schranken zu weisen. Das, was die Berliner CDU gemacht hat, war ein Schnell­schuss. Aber der Grund­ge­danke war richtig, und wird im Übrigen auch von der SPD und den Grünen außerhalb Berlins geteilt. Der Schnell­schuss schadet jetzt vor allem den Leuten, die nicht die Freiheit der Kultur einschränken wollen, aber sehr wohl gewisse menschen­ver­ach­tende Exzesse verhin­dern.

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Eine »Anti­se­mi­tis­mus­klausel« will auch Claudia Roth. Sie nennt sie nur anders. Bei einem Treffen mit 125 vom BKM geför­derten Insti­tu­tionen und Einrich­tungen am vergan­genen Mittwoch (17.1.) sondierte Roth die Stimmung für einen »Code of conduct«, also einen Verhal­tens­kodex.

In einer Rede äußerte sich Roth gewohnt allgemein und schwammig: Man wolle eine diverse und viel­fäl­tige Gesell­schaft. Sie sprach von Flucht und Migration. Kultur­in­sti­tu­tionen sollen Freiräume ermög­li­chen und Orte für etwas sein, das sich mir anhört wie ein Revival der Hippie-Idee von »Kunst als Therapie«.

Kultur soll wieder einmal funk­tio­na­li­siert werden.

Deutlich ist, dass viele Kultur-Insti­tu­tionen von der neuen Situation, also der Konfron­ta­tion mit Anti­se­mi­tismus, Judenhass, BDS-Hetze und radikalen Arabien-Sympa­thien über­for­dert sind. Man will sich gegen radikale Tendenzen posi­tio­nieren, ein Code of Conduct ist gewünscht, aber kompli­ziert umzu­setzen.

In dem Zusam­men­hang verweisen wir zum Abschluss auf das Gutachten des Juristen Christoph Möllers über »Grund­recht­liche Grenzen und grund­recht­liche Schutz­ge­bote staat­li­cher Kultur­för­de­rung«.

Das steckt den Rahmen, den die Politik kreativ füllen muss.

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Ein erstes Beispiel für einen solchen Code of conduct und dessen Fall­stricke liefert jetzt ausge­rechnet die Berlinale. Auch dazu bald mehr!