Cinema Moralia – Folge 315
Im deutschen Film geht's um die Wurst |
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Was genau meint ihr damit, liebe SPIO? | ||
(Foto: SPIO/Instagram) |
»Ein System das sich seine eigenen wehrlosen Mitarbeiter schafft scheint unzerstörbar.«
– Aus: »Wo keine Götter sind, walten Gespenster« von Bastian Gascho
»Was genau meint ihr damit, liebe SPIO? 'Wir wollen feiern und den Zusammenhalt unserer Filmbranche zelebrieren. Den Zusammenhalt von engagierten und mutigen Unternehmen, Filmschaffenden und Freund*innen unserer Filmfamilie aus Politik und Gesellschaft.' (Zitat aus der Begrüßung des Präsidenten der SPIO Christian Sommer zur Eröffnung des deutschen Filmballs gestern Abend!)
Welcher Zusammenhalt? Für was engagiert? In welchen Kontext mutig?
In diesem Zusammenhang
möchten wir beispielsweise kurz daran erinnern, dass letzten Montag ein Teil der 'Filmfamilie' (Produzentenallianz) von einem anderen Teil der Filmfamilie (allen Filmschaffenden) verlangt hat, auf 10 Prozent des Lohns zu verzichten. Mutig? Eher sittenwidrig.«
Soweit der jedenfalls mutige und klare Post des CrewUnited-Chefs Oliver Zenglein am letzten Sonntag.
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Anlass war der deutsche Filmball, der glücklicherweise eben nicht repräsentativ für »die Branche« ist, sondern nur für die, deren Politik, Haltung und Kunstfeindlichkeit wir bekämpfen. Anlass war die feist-bräsige Feierlaune der dortigen Funktionäre, die aus so ziemlich jedem Bild spritzt, das die Einzelnen und ihre Verbände danach verbreiteten und die in einem obszönen Kontrast steht zur Lage der Branche, die die gleichen Funktionäre – im Bild hier oben etwa Björn Böhning von der Produzentenallianz und Christian Bräuer von der AG Kino – werktags zu Aufforderungen, man müsse »den Gürtel enger schnallen benutzen«, und zu Forderungen wie der erwähnten.
Laut Tarifverhandlungspartner Verdi forderten die Vertreter der Produzentenallianz, also entgegen des Namens nur einer von drei Produzentenverbänden in Deutschland, Gagenabsenkungen und bestehen auf einem KI-Einsatz, der de facto zu weniger Drehtagen führen wird.
Wir zitieren:
»Die Produzentenseite hat für die Gewerkschaften überraschend eine neue Gagenstruktur mit deutlich niedrigeren Gagen für alle im Jahr 2024 und darüber hinaus ständig für Berufseinsteiger*innen gefordert. Als sogenannten Krisenmechanismus will die Produzentenallianz, dass im Jahr 2024 alle Tarifgagen um 10 Prozent gekürzt werden. Dies solle Beschäftigung bei zurückgehenden Produktionsaufträgen sichern. Dem Einwand der Gewerkschaften, dass
Filmschaffende dann möglicherweise weniger Aufträge und zusätzlich auch noch weniger Gage bekämen, konnten die Produzenten nicht widersprechen. Außerdem sollen künftig Berufseinsteiger*innen einen bestimmten noch nicht genannten Prozentsatz weniger als die jetzige Tarif-Mindestgage bekommen. Für die Gewerkschaften sind beides unannehmbare Forderungen der Produzentenallianz.«
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Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat derweil ihre Absicht, noch in diesem Jahr ein Filmfördergesetz zu verabschieden, offenbar endgültig aufgegeben. Die Novelle hätte eigentlich (wir haben darüber geschrieben) bereits im Jahr 2021 passieren müssen, doch auch 2024 setzt sich die Aufschieberitis der Kulturstaatsministerin fort. Roth und ihr Ministerium ließen jetzt zwei mögliche und angekündigte Daten für eine Veröffentlichung des ersten Referentenentwurfs (!,
mehr ist es nicht!) verstreichen.
Offenbar kann es auch deswegen keinen Referentenentwurf geben, weil es in Roths Plänen viele offene Fragen in Bezug auf das Verhältnis zu den Bundesländern gibt, die bislang nicht geklärt sind. Manche Gesprächspartner behaupten, es werde bis zum Sommer dauern, bis ein Referentenentwurf tatsächlich öffentlich ist. Mindestens aber dauert es bis zur Berlinale, also auch schon vier Wochen zu spät. Der 1.1. 2025 für ein neues Gesetz ist damit
unrealistisch geworden.
Wir erleben gerade die Kapitulation der Kulturpolitik vor der Notwendigkeit zur Gestaltung.
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Der Berliner Senat hat die umstrittene »Antisemitismusklausel« gekippt. Jedenfalls zunächst einmal. Angeblich wegen juristischer Bedenken, tatsächlich sicher auch wegen des Gegenwindes, vor allem international. Ich glaube, dass dies ein doppelter Pyrrhus-Sieg für die linksliberale Kunstszene ist: Zum einen wird der Senat sich überlegen, wie er es das nächste Mal besser, schlauer und juristisch unanfechtbarer machen kann. Eine entsprechende Klausel wird kommen. Zum Zweiten aber nutzt es absolut niemandem, dass irgendwelche Anonymen mit ebenso anonymen Cancel-Listen dabei Erfolg haben, Kulturbehörden in die Schranken zu weisen. Das, was die Berliner CDU gemacht hat, war ein Schnellschuss. Aber der Grundgedanke war richtig, und wird im Übrigen auch von der SPD und den Grünen außerhalb Berlins geteilt. Der Schnellschuss schadet jetzt vor allem den Leuten, die nicht die Freiheit der Kultur einschränken wollen, aber sehr wohl gewisse menschenverachtende Exzesse verhindern.
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Eine »Antisemitismusklausel« will auch Claudia Roth. Sie nennt sie nur anders. Bei einem Treffen mit 125 vom BKM geförderten Institutionen und Einrichtungen am vergangenen Mittwoch (17.1.) sondierte Roth die Stimmung für einen »Code of conduct«, also einen Verhaltenskodex.
In einer Rede äußerte sich Roth gewohnt allgemein und schwammig: Man wolle eine diverse und vielfältige Gesellschaft. Sie sprach von Flucht und Migration. Kulturinstitutionen sollen Freiräume ermöglichen und Orte für etwas sein, das sich mir anhört wie ein Revival der Hippie-Idee von »Kunst als Therapie«.
Kultur soll wieder einmal funktionalisiert werden.
Deutlich ist, dass viele Kultur-Institutionen von der neuen Situation, also der Konfrontation mit Antisemitismus, Judenhass, BDS-Hetze und radikalen Arabien-Sympathien überfordert sind. Man will sich gegen radikale Tendenzen positionieren, ein Code of Conduct ist gewünscht, aber kompliziert umzusetzen.
In dem Zusammenhang verweisen wir zum Abschluss auf das Gutachten des Juristen Christoph Möllers über »Grundrechtliche Grenzen und grundrechtliche Schutzgebote staatlicher Kulturförderung«.
Das steckt den Rahmen, den die Politik kreativ füllen muss.
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Ein erstes Beispiel für einen solchen Code of conduct und dessen Fallstricke liefert jetzt ausgerechnet die Berlinale. Auch dazu bald mehr!