Wo Pommes???
Wo Pommes??? |
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Plastic Fantastic – Reisen in Vergangenheit und Zukunft | ||
(Foto: mindjazz pictures) |
Von Nora Moschuering
München befindet sich gerade in einer Testphase, in einem Pilotversuch, der seit dem 01.01.24 läuft und drei Jahre dauern wird. München kümmert sich nämlich um seinen Plastikmüll. Zukünftig. Momentan sammelt er sich gerade um die vollen Wertstoffcontainer hier um die Ecke. Jetzt werden die Holsysteme gelber Sack, gelbe Tonne und Wertstofftonne ausprobiert, mehr Informationen dazu hier.
Müll ist Material. Oft war er mal ein Objekt, ein Ding. Oft war er aber auch nur dazu da, ein anderes Ding einzupacken. In jedem Fall hat er seine Schuldigkeit getan, wenn man ihn Müll nennt, und jetzt dürfte er gepflegt verpuffen, tut er aber nicht.
Plastic Fantastic von Isa Willinger dreht sich um diesen eigentlich mal gar nicht so fantastischen Müll, aber auch um all das, was wir nicht unbedingt als Müll wahrnehmen können, wie Gummiabrieb von Reifen oder Schuhen, Mikroplastik in Kleiderfasern oder dem Filterstaub von Müllverbrennungsanlagen, der unter Tage, ähnlich wie Atommüll, eingelagert werden muss, weil er mit
zahlreichen Schadstoffen angereichert ist.
Der Film spannt ein globales Netz: Am Strand von Hawaii wird Plastik gesammelt und ausgesiebt, die dortige Universität analysiert ihn und beobachtet die Plastikströme im Meer. In Hamburg steht ein Professor an der Elbe und spricht von Plastik, das wir gar nicht sehen, aber einatmen und trinken. Ein Fotojournalist in Kenia fotografiert einen Affen, der in ein Stück Plastik beißt ... Das Problem herrscht überall auf der Welt, es ist
omnipräsent und sichtbar.
Daneben kommen Vertreter/Lobbyisten der Plastikhersteller zu Wort, einer in Frankfurt am Main, der andere in Washington. Beide sprechen von einer blühenden Zukunft, zu der nicht zuletzt die innovative, verantwortungsbewusste Plastikindustrie, ihr Arbeitgeber, ihren Teil beitragen soll. Beide sind dabei vage Visionäre: Sie fokussieren sich z.B. auf chemisches Recycling – dessen Nutzen aber noch nicht klar ist, denn es ist extrem
energieaufwendig und die praktische Umsetzung überhaupt fraglich – und die Selbstverpflichtungen der Industrie und sie schieben die Verantwortung auch gerne ab, z.B. auf die Konsument*innen, die ja auch nicht von ihrem Einweg-Coffee-To-Go-Becher lassen könnten. Dazu der Fotojournalist dann etwas später im Film: Es gibt keine Entscheidung – außer vielleicht tatsächlich allein bei den Kaffeebechern – überall sonst wurde die Entscheidung schon von anderen
gefällt, da müsse man nur einen x-beliebigen Supermarkt betreten: »Danach wurde ich nicht gefragt!« Natürlich ist es tricky, diese Leute zu befragen, die auf souveräne Antworten geschult sind und die die Vorwürfe kennen, aber dennoch entblößen sich ihre vagen Aussagen das ein oder andere Mal selber, aber auch die Rahmung macht ihre Absurdität klar, also eben z.B. das Sammeln von Plastikmüll am Strand von Hawaii oder auch die Aussagen anderer Protagonist*innen und das Benennen von Fakten.
Aber auch das Setting hilft, die Kamera, die immer ein wenig vor und nach dem Gespräch filmt, in einer Umgebung, die anders als die der anderen Protagonist*innen neutral, glatt und sauber ist und die so mit der Glätte der Antworten korrespondieren.
Obwohl die Probleme so offensichtlich sind, wächst die Plastikindustrie, bis 2050 wird ihr ein Wachstum von 3,5-4% prognostiziert und das bei einer Recyclingquote von nur 9%. Aber sie hat ein Image-Problem, gegen das die beiden
Herren angehen. Das ist auch nicht neu, wie der Film beschreibt, war Plastik schon Mitte der 80er unbeliebt. Die Frage war damals Recycling oder Advertising (Marketing), man entschied sich für Advertising – war wahrscheinlich günstiger. Es ging also schon damals nicht darum, sein Produkt besser zu machen, sondern nur es besser aussehen zu lassen: cool, hipp, stylisch, neon ... 80er halt. Heute ist das Thema u.a. Nachhaltigkeit/Recycling und es besteht die Gefahr, dass es von
Seiten der Industrie weniger mit Inhalt gefüllt wird und zu praktischen Änderungen führt, sondern dass nur eine Oberflächenbehandlung stattfindet, ohne wirkliche, immer auch teure, Umsetzungen. Aber wer weiß.
Aber es gibt von einer anderen Seite Hoffnung, auch das zeigt der Film, es gibt z.B. Alternativen zu Plastik, das Hamburger Start Up »Traceless« sucht nach plastikfreien Biomaterialien, der Professor aus Hamburg/Lüneburg spricht von Polyphonen, die selbststabil sind,
einschmelzbar und wiederverwertbar oder von Material aus dem Kohlendioxid der Erdatmosphäre, aber wichtig ist vor allen Dingen, meint er, dass man den gesamten Prozess mitdenkt, von der Gewinnung des Materials, der Herstellung, dem Gebrauch, bis hin zum Recycling, der Zurückgewinnung des Rohstoffs, so dass es zu einem wirklichen Kreislauf kommt. Daneben werden auch Bürgerinitiativen gezeigt, die Kampagne zum Plastik-Bann in Kenia (#banplasticKE) oder Bürger*innen in den USA die
sich gegen den Chemikalienhersteller Formosa stellen. Und ja, warum nicht: Die Nutzung verkaufen und nicht das Produkt selber, dazu im zweiten Film mehr.
Plastic Fantastic gelingt es, dieses Thema mit verschiedenen Facetten zu beleuchten, man begibt sich dabei auf eine Reise in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft, die trotz allem Mut macht. Und: Produzent*innen müssen
Verantwortung übernehmen, das wird hier ganz klar, damit in Zukunft kein Affe mehr beherzt ins Plastik beißt, Kinder in Plastiksand spielen und wir langsam in ihm ersticken, weil der Holservice nicht nachkommt.
Apropos Kreislauf und Verkauf von Nutzen, eine andere Art der Wiederbelebung erfahren die Dinge in Die Ausstattung der Welt von Susanne Weirich und Robert Bramkamp. Die Dinge dort leben in Film- und Theater-Requisitenlagern und im Fundus, sie werden dort gesammelt, entstaubt, repariert, geordnet, gelagert, archiviert und von Film- und Theaterausstatter*innen
wiederaktiviert. Weggeworfen wird hier nichts, es geht um die Möglichkeiten, die in den Dingen stecken, die in immer wieder neuen Konstellationen funktionieren können. Das Prinzip Ausleihen wird auch in Plastic Fantastic angesprochen, hier aber ist es zum absoluten Prinzip geworden.
Man trifft Menschen, die sich kümmern, die ein Auge haben für das, was uns alltäglich umgibt, für das,
was in einem Film so tut, als täte es das. Dinge, die für Menschen stehen, einen Charakter, eine Lebensweise, einen Habitus, Dinge, die zusammengestellt werden, die Gebilde werden, Hintergründe. Die Dinge werden befragt: Was ist ihre Form? Ihre Zeit? Was haben sie zu erzählen? Und nicht zuletzt: Wie ist die Filmwelt ausgestattet? Und was erzählt das auch über unsere Welt?
Immer wieder sind kurze Ausschnitte aus Filmen zu sehen, die ruhig etwas länger hätten stehen können, auch wäre es
schön, aber vielleicht auch inkonsequent gewesen, mal aus dem Fundus raus und an ein Filmset zu gehen und den Prozess der Auswahl von Dingen von hier aus zu folgen. Wie ist das visuelle Konzept eines Filmes? Wie wird ein Motiv entwickelt? Vielleicht auch: Was bedeutet historisch korrekt sein? Was ist künstlerische Freiheit?
Aber der Film hat sich entschieden, in diesen sehr besonderen Räumen zu bleiben, man lernt den Arbeitsalltag dort kennen: die Ordnung der Dinge, das
Ausstellen, Einpacken, Ausleihen, Abholen, Zusammenstellen, das Digitalisieren, die Verschlagwortung. Man begleitet und spricht mit den Mitarbeitenden, von denen wirklich alle eine Leidenschaft für Dinge haben und die Worte 'Sorgfalt' und 'Kümmern' in ihren Gesten liegen – Worte, die heute die wenigsten Mensch-Ding-Beziehungen betreffen. Sie sind Vermittler*innen, ohne Besitzansprüche. Diese Menschen haben selber Filmbilder im Kopf: »Die Dinge müssen was können«, sie
kombinieren, schaffen Räume, in denen die Suchenden Inspiration finden, denn »Die Leute wissen ja gar nicht, was es alles gibt«.
Begleitet wird man auch von einem kleinen, pfeifenden Fisch, eine Art Moderator oder Führer, der einen durch die Reihen leitet. Auch andere Dinge fangen immer wieder an zu leben, es ist ein bisschen magisch an diesen Orten.
Mit dabei ist außerdem eine fiktionale Doktorandin, die auf der Suche nach Gegenständen aus Afrika ist, von denen es aber wenige
gibt. In ihren Fokus rückt sehr bald das Gemälde einer schwarzen Frau mit Uhr aus dem Jahr 1558, ursprünglich Teil eines größeren Bildes, das aber in seiner Gesamtheit nicht mehr existiert. Das Bild wird zu einer Haupt-Protagonistin des Filmes, gemeinsam mit einer Mitarbeiterin wird es vergrößert und findet seinen geeigneten Rahmen.
Die Lebensdauer von Dingen spielt in beiden Filmen auf unterschiedliche Art eine Rolle, im ersten Fall ist sie ein Problem, im zweiten wird genau das genutzt. Wie wird die Zukunft die Ausstattung unserer heutigen Welt betreiben? Bällebad und pfeifende Fische forever? Aber bitte mit Folie drum rum, damit sie länger halten und länger und länger!