Sieben Figuren suchen eine Revolution |
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Szene aus Wo Keine Götter sind, walten Gespenster | ||
(Foto: dffb) |
»Wir sind hier, um den Krieg zu beenden. Wir sind hier, um zu trinken. Wir sind hier, um uns ineinander zu verstricken. So gut, dass wir sogar das Leben vermissen werden, wenn wir tot sind. Für was leben in einer Gesellschaft, in der alle nur für sich selbst leben? Nein, nein, nein – das ist der Tod das ist das Ende.«
– Aus: »Wo keine Götter sind, walten Gespenster« von Bastian Gascho
Es wird einmal... Die Welt ist ein Märchen aus der Zukunft. Jedenfalls die Welt beim Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken. Hier ist sie noch, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft des deutschen Films, auf Möglichkeiten des filmischen Ausdrucks jenseits der 89.30 Minuten im deutschen Fernsehen und jenseits der Normierungen und tollen Ideen kluger Drehbuchratgeber- und US-amerikanischer Storyhandbücher. Junge Filmemacher, nicht alle frustriert von den Reden der Älteren und
immer schon alten Funktionäre, nicht alle glattgeschmirgelt von den Redakteursbesuchen an ihren Hochschulen, und jenem Teil der Produzentenschar, der nur am Geldverdienen interessiert ist.
Das sind alles leider keine Klischees, wie auch manches Gespräch in Saarbrücken belegt. Wie es dem Filmnachwuchs geht,
das hat er selbst im letzten Jahr erzählt: Die Not der Macher – und auch wenn alle anderen auch vieles können, bleiben Regisseurinnen und Regisseure die künstlerischen Verantwortungsträger im Entscheidungszentrum, so wie Produzentinnen und Produzenten die ökonomischen Verantwortungsträger – diese Not der Macher haben sie selbst geschildert, in einem Aufruf der Selbstermächtigung, der auch den Wohlmeinenden unter den vielen Thinktanks der Branche nicht gestattet, »für den Nachwuchs zu sprechen und besser zu wissen, was der Nachwuchs angeblich braucht und ihm guttut, als er selber.«
Die Älteren und die Institutionen, auch Filmfestivals und Fernsehsender, sollten vor allem genug Geld geben und Filme zeigen, sich um »die Rahmenbedingungen« kümmern, und das möglichst selbstlos. Den Rest machen dann schon die Filmemacher selbst.
Die Zukunft ist nämlich keine Utopie, sondern ein Gestaltungsraum der Jüngeren, und wer die Rede vom ganz anderen als »utopisch« abtut, hat nicht verstanden, sondern repräsentiert das »Cine Papa«, »Papas Kino« der Zukunft.
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Phantomschmerzen – auffallend viele Filme beim Festival Max-Ophüls-Preis handeln von Mysterien, von Mythen, von Geistern, von Phantomen, von Dingen, die auf eine andere Art sind als das, was man anfassen kann, als die Hardware des Lebens.
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»Das was man nicht anfassen kann, ist die Software« – das sagt eine Figur in Bastian Gaschos Film schon ganz früh zu Beginn.
Wo keine Götter sind, walten Gespenster. Der Filmtitel ist ein Novalis-Zitat, und das mag man als Verweis auf die grundsätzlich romantische Haltung von Regisseur und Filmemacher deuten. Man könnte aber auch an Marx/Engels und ihr Manifest denken: »Ein Gespenst geht um in Europa...«
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Dies ist einer jener Filme, die einem sehr früh schon das sichere Gefühl geben, in sehr guten Händen zu sein. Es braucht nur die Eröffnungsszene und den Vorspann, dann weiß man: Hier bin ich richtig! Dann rollt der Film los, und kann kaum noch etwas falsch machen.
Nach einer Auftaktszene, die mit dem Rest nichts zu tun hat, oder vielleicht doch einfach erklärt, wie er funktioniert, und der mit Rudolf Thomes Supergirl schon eine wichtige Referenz benennt, der noch Dutzende weitere folgen werden, nach dieser Szene saugt einen der Vorspann in einem neonfarbenen Vertigo spiralförmig in ein Feuerwerk hinein. Kurz scheinen Experimentalfilme der Zwanziger Jahre auf, Hans Richter eher als Werner Ruttmann, dann landet man irgendwo in Meckpomm auf einem Landgut, das
manchmal auch wirkt wie der Schauplatz eines Tschechow-Stücks. Erst sind es fünf, dann sechs, dann sieben Figuren die gegen ein seltsames unzerstörbares »System«, das sich seine eigenen wehrlosen Mitarbeiter geschaffen hat, seltsame Widerstandsleistungen vollführen. Piraten der Moderne. Vielleicht sind sie auch nur eine Räuberbande, schließlich gibt es »Räuberessen«, aber dafür sind sie zu gut ausgerüstet und zu theoretisch informiert.
Die Figuren sind sehr individuell,
modisch fortgeschritten, und dafür erstaunlich praktisch ausgerüstet. Eine von ihnen ist tatsächlich ein Gespenst, das praktischerweise auf den Namen Buh hört. Mit ihnen verbringt der Film einen kurzen Frühling; die Handlung ist in sich konsequent und unterhaltsam, und schreitet in fünf Kapiteln voran, währenddessen man die Figuren und ihre Beziehungen, aber auch die Lage der Gruppe besser kennenlernt.
Irgendwann singt es aus dem Off von »Phantoms and Ghosts« und die Figuren
springen mit Fallschirmen aus dem Flugzeug.
»Wir sehen uns unten!« Noch mal ein schöner letzter Satz, ein tolles Ende.
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Aber man muss es sehen, denn alles Erzählen kratzt hier nur an der Oberfläche: Wo keine Götter sind, walten Gespenster ist erkennbar von Godard, Lemke und Thome, aber auch von der Berliner Volksbühne und von Max Linz und Julian Radlmaier beeinflusst, die beide an der dffb studierten – wie Regisseur Bastian Gascho. Allerdings ist dieser Film besser als Radlmaiers letzte Filme, und auch wenn hier kaum je eine Figur lacht (oder genau darum?), humorvoller. Kamera und Schnitt sind fehlerlos, Kostüme, Ausstattung, Musik sind in Auswahl und Einsatz exzellent, am meisten bewundern muss man aber das Buch und die Regie des Ensembles, bei dem keiner abfällt. Herausheben darf man aber Anais Urban, die mit Claude eine der Aktivsten der Widerständler beeindruckend spielt, und das Kostüm verantwortet. Und Leonie Jenning, ihre unvergessliche facettenreiche Gefährtin in der Gruppe, die zudem mit der Dramaturgie einen wesentlichen Baustein übernommen hat.
Dies ist ein großartiger Film, genau das, was das deutsche Kino so dringend braucht: Leichtigkeit, Lust und Spielfreude, auch Lust am Intellektuellen, ohne dass es in deutsche Schwere und Schwerblütigkeit mündet.
Ein Film, der frei ist, lustvoll und lustig, der die Angst überwunden hat, die so vieles bei uns lähmt, auch im Film.
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Das Festival eröffnete am Montag. Es hat die Pandemie hinter sich gelassen und ist wieder zur Normalform zurückgekommen: ein lebendiges Festival, das gute Filme in guter Auswahl zeigt, das die eigene politische Korrektheit immer wieder überwindet, wenn ihm ein Film in die Hände kommt, der vielleicht nicht korrekt sein will, aber gut ist. Ein Festival, das Diversität nicht auf Hautfarben und Herkünfte der Protagonisten reduziert, vor wie hinter der Kamera, sondern das ein offensichtliches Interesse an ästhetischer Diversität hat.
Nicht alles ist gelungen an den ersten zwei Tagen in Saarbrücken, viele Filmmoderationen rauschen so durch und wirken desinteressiert, obwohl der Eindruck vielleicht nur am enormen Zeitdruck bis zum nächsten Film liegt – eine Viertelstunde nach dem Film ist kein Filmgespräch, sondern ein Alibi. Die Filme, auch die kurzen, wäre längere Gespräche wert, einen echten Austausch, bei dem sich auch etwas entwickelt.
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Aber es gibt Wichtigeres: Da waren die Hinweise auf den Namensgeber Max Ophüls, die diesmal noch expliziter betont wurden, weil Ophüls ein deutsch-jüdischer Emigrant war, dessen Schicksal an die düstersten Zeiten Deutschlands erinnert, gegen deren gespenstische Wiederauferstehung sich Zivilgesellschaft und Filmkünstler gerade allmählich erheben. Der Hinweis auf Ophüls war aber auch bitter nötig, weil Antisemitismus eben heute nicht nur bei den Rechten zu finden ist,
sondern auch bei den Linken und manchen Filmschaffenden, nicht zuletzt gerade in Berlin.
Es war gut zu erleben, dass sich das Festival da gleich zu Anfang nahezu unzweideutig positionierte.
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Rund 190 Filme laufen in vier Wettbewerben und ein paar Nebenprogrammen. Der Eröffnungsfilm Rickerl – Musik is höchstens a Hobby von Adrian Goiginger kam aus Österreich, war gut gewählt, passte zum Anlass perfekt und wird nächste Woche besprochen.