25.01.2024

Sieben Figuren suchen eine Revolution

Wo Keine Götter sind, walten Gespenster
Szene aus Wo Keine Götter sind, walten Gespenster
(Foto: dffb)

Phantomschmerzen: Beim 45. Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken ist die bessere Zukunft des deutschen Films lebendig

Von Rüdiger Suchsland

»Wir sind hier, um den Krieg zu beenden. Wir sind hier, um zu trinken. Wir sind hier, um uns inein­ander zu verstri­cken. So gut, dass wir sogar das Leben vermissen werden, wenn wir tot sind. Für was leben in einer Gesell­schaft, in der alle nur für sich selbst leben? Nein, nein, nein – das ist der Tod das ist das Ende.«
– Aus: »Wo keine Götter sind, walten Gespenster« von Bastian Gascho

Es wird einmal... Die Welt ist ein Märchen aus der Zukunft. Jeden­falls die Welt beim Festival Max-Ophüls-Preis in Saar­brü­cken. Hier ist sie noch, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft des deutschen Films, auf Möglich­keiten des filmi­schen Ausdrucks jenseits der 89.30 Minuten im deutschen Fernsehen und jenseits der Normie­rungen und tollen Ideen kluger Dreh­buch­rat­geber- und US-ameri­ka­ni­scher Story­hand­bücher. Junge Filme­ma­cher, nicht alle frus­triert von den Reden der Älteren und immer schon alten Funk­ti­onäre, nicht alle glatt­ge­schmir­gelt von den Redak­teurs­be­su­chen an ihren Hoch­schulen, und jenem Teil der Produ­zen­ten­schar, der nur am Geld­ver­dienen inter­es­siert ist.
Das sind alles leider keine Klischees, wie auch manches Gespräch in Saar­brü­cken belegt. Wie es dem Film­nach­wuchs geht, das hat er selbst im letzten Jahr erzählt: Die Not der Macher – und auch wenn alle anderen auch vieles können, bleiben Regis­seu­rinnen und Regis­seure die künst­le­ri­schen Verant­wor­tungs­träger im Entschei­dungs­zen­trum, so wie Produ­zen­tinnen und Produ­zenten die ökono­mi­schen Verant­wor­tungs­träger – diese Not der Macher haben sie selbst geschil­dert, in einem Aufruf der Selbst­er­mäch­ti­gung, der auch den Wohl­mei­nenden unter den vielen Thinktanks der Branche nicht gestattet, »für den Nachwuchs zu sprechen und besser zu wissen, was der Nachwuchs angeblich braucht und ihm guttut, als er selber.«

Die Älteren und die Insti­tu­tionen, auch Film­fes­ti­vals und Fern­seh­sender, sollten vor allem genug Geld geben und Filme zeigen, sich um »die Rahmen­be­din­gungen« kümmern, und das möglichst selbstlos. Den Rest machen dann schon die Filme­ma­cher selbst.

Die Zukunft ist nämlich keine Utopie, sondern ein Gestal­tungs­raum der Jüngeren, und wer die Rede vom ganz anderen als »utopisch« abtut, hat nicht verstanden, sondern reprä­sen­tiert das »Cine Papa«, »Papas Kino« der Zukunft.

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Phan­tom­schmerzen – auffal­lend viele Filme beim Festival Max-Ophüls-Preis handeln von Mysterien, von Mythen, von Geistern, von Phantomen, von Dingen, die auf eine andere Art sind als das, was man anfassen kann, als die Hardware des Lebens.

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»Das was man nicht anfassen kann, ist die Software« – das sagt eine Figur in Bastian Gaschos Film schon ganz früh zu Beginn.
Wo keine Götter sind, walten Gespenster. Der Filmtitel ist ein Novalis-Zitat, und das mag man als Verweis auf die grund­sätz­lich roman­ti­sche Haltung von Regisseur und Filme­ma­cher deuten. Man könnte aber auch an Marx/Engels und ihr Manifest denken: »Ein Gespenst geht um in Europa...«

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Dies ist einer jener Filme, die einem sehr früh schon das sichere Gefühl geben, in sehr guten Händen zu sein. Es braucht nur die Eröff­nungs­szene und den Vorspann, dann weiß man: Hier bin ich richtig! Dann rollt der Film los, und kann kaum noch etwas falsch machen.
Nach einer Auftakt­szene, die mit dem Rest nichts zu tun hat, oder viel­leicht doch einfach erklärt, wie er funk­tio­niert, und der mit Rudolf Thomes Supergirl schon eine wichtige Referenz benennt, der noch Dutzende weitere folgen werden, nach dieser Szene saugt einen der Vorspann in einem neon­far­benen Vertigo spiral­förmig in ein Feuerwerk hinein. Kurz scheinen Expe­ri­men­tal­filme der Zwanziger Jahre auf, Hans Richter eher als Werner Ruttmann, dann landet man irgendwo in Meckpomm auf einem Landgut, das manchmal auch wirkt wie der Schau­platz eines Tschechow-Stücks. Erst sind es fünf, dann sechs, dann sieben Figuren die gegen ein seltsames unzer­stör­bares »System«, das sich seine eigenen wehrlosen Mitar­beiter geschaffen hat, seltsame Wider­stands­leis­tungen voll­führen. Piraten der Moderne. Viel­leicht sind sie auch nur eine Räuber­bande, schließ­lich gibt es »Räuber­essen«, aber dafür sind sie zu gut ausgerüstet und zu theo­re­tisch infor­miert.
Die Figuren sind sehr indi­vi­duell, modisch fort­ge­schritten, und dafür erstaun­lich praktisch ausgerüstet. Eine von ihnen ist tatsäch­lich ein Gespenst, das prak­ti­scher­weise auf den Namen Buh hört. Mit ihnen verbringt der Film einen kurzen Frühling; die Handlung ist in sich konse­quent und unter­haltsam, und schreitet in fünf Kapiteln voran, während­dessen man die Figuren und ihre Bezie­hungen, aber auch die Lage der Gruppe besser kennen­lernt.
Irgend­wann singt es aus dem Off von »Phantoms and Ghosts« und die Figuren springen mit Fall­schirmen aus dem Flugzeug.
»Wir sehen uns unten!« Noch mal ein schöner letzter Satz, ein tolles Ende.

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Aber man muss es sehen, denn alles Erzählen kratzt hier nur an der Ober­fläche: Wo keine Götter sind, walten Gespenster ist erkennbar von Godard, Lemke und Thome, aber auch von der Berliner Volks­bühne und von Max Linz und Julian Radlmaier beein­flusst, die beide an der dffb studierten – wie Regisseur Bastian Gascho. Aller­dings ist dieser Film besser als Radl­maiers letzte Filme, und auch wenn hier kaum je eine Figur lacht (oder genau darum?), humor­voller. Kamera und Schnitt sind fehlerlos, Kostüme, Ausstat­tung, Musik sind in Auswahl und Einsatz exzellent, am meisten bewundern muss man aber das Buch und die Regie des Ensembles, bei dem keiner abfällt. Heraus­heben darf man aber Anais Urban, die mit Claude eine der Aktivsten der Wider­s­tändler beein­dru­ckend spielt, und das Kostüm verant­wortet. Und Leonie Jenning, ihre unver­gess­liche facet­ten­reiche Gefährtin in der Gruppe, die zudem mit der Drama­turgie einen wesent­li­chen Baustein über­nommen hat.

Dies ist ein groß­ar­tiger Film, genau das, was das deutsche Kino so dringend braucht: Leich­tig­keit, Lust und Spiel­freude, auch Lust am Intel­lek­tu­ellen, ohne dass es in deutsche Schwere und Schwer­blü­tig­keit mündet.
Ein Film, der frei ist, lustvoll und lustig, der die Angst über­wunden hat, die so vieles bei uns lähmt, auch im Film.

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Das Festival eröffnete am Montag. Es hat die Pandemie hinter sich gelassen und ist wieder zur Normal­form zurück­ge­kommen: ein leben­diges Festival, das gute Filme in guter Auswahl zeigt, das die eigene poli­ti­sche Korrekt­heit immer wieder über­windet, wenn ihm ein Film in die Hände kommt, der viel­leicht nicht korrekt sein will, aber gut ist. Ein Festival, das Diver­sität nicht auf Haut­farben und Herkünfte der Prot­ago­nisten reduziert, vor wie hinter der Kamera, sondern das ein offen­sicht­li­ches Interesse an ästhe­ti­scher Diver­sität hat.

Nicht alles ist gelungen an den ersten zwei Tagen in Saar­brü­cken, viele Film­mo­de­ra­tionen rauschen so durch und wirken desin­ter­es­siert, obwohl der Eindruck viel­leicht nur am enormen Zeitdruck bis zum nächsten Film liegt – eine Vier­tel­stunde nach dem Film ist kein Film­ge­spräch, sondern ein Alibi. Die Filme, auch die kurzen, wäre längere Gespräche wert, einen echten Austausch, bei dem sich auch etwas entwi­ckelt.

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Aber es gibt Wich­ti­geres: Da waren die Hinweise auf den Namens­geber Max Ophüls, die diesmal noch expli­ziter betont wurden, weil Ophüls ein deutsch-jüdischer Emigrant war, dessen Schicksal an die düstersten Zeiten Deutsch­lands erinnert, gegen deren gespens­ti­sche Wieder­auf­er­ste­hung sich Zivil­ge­sell­schaft und Film­künstler gerade allmäh­lich erheben. Der Hinweis auf Ophüls war aber auch bitter nötig, weil Anti­se­mi­tismus eben heute nicht nur bei den Rechten zu finden ist, sondern auch bei den Linken und manchen Film­schaf­fenden, nicht zuletzt gerade in Berlin.
Es war gut zu erleben, dass sich das Festival da gleich zu Anfang nahezu unzwei­deutig posi­tio­nierte.

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Rund 190 Filme laufen in vier Wett­be­werben und ein paar Neben­pro­grammen. Der Eröff­nungs­film Rickerl – Musik is höchstens a Hobby von Adrian Goiginger kam aus Öster­reich, war gut gewählt, passte zum Anlass perfekt und wird nächste Woche bespro­chen.