Generalangriff auf die Kreativen |
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Was lange währt, ist endlich schlecht |
»Andere Kinoländer haben ihre Förderstrategien an die veränderte Lage angepasst, Deutschland nicht.«
FAZ, Andreas Kilb, 14.02.2024
Erste Szene: Interessensgebiet. Heute vor einer Woche besucht Claudia Roth eine Filmpremiere im Berliner Delphi-Kino. Es ist die Premiere eines Films, in dem zwar deutsche Schauspieler mitspielen – Sandra Hüller und Christian Friedel und einige mehr –, und in dem es um eines der deutschesten aller deutschen Themen geht – um Auschwitz, um die Familie Höß und um den ganz normalen Alltag im Angesicht des Grauens, um die Shoah und die schlimmste Zeit der deutschen
Geschichte –, den die deutsche Filmförderung aber mit keinem Cent gefördert hat. Aber das hindert die Kulturstaatsministerin nicht, sich auf dem Roten Teppich mit der Oscar-nominierten Sandra Hüller fotografieren zu lassen.
Als es dann während der Premiere dieses sehr besonderen Films später eine Diskussionsveranstaltung mit Historikern gab, stand sie mitten in der Diskussion einfach auf, weil es ihr ja offenbar genug war oder sie sich gelangweilt hat, verließ sie
den Raum für Viele sichtbar. Dieses geschmacklose Verhalten ist das eine, die Unnötigkeit von Claudia Roths Präsenz ist das andere.
Es ist alles nicht schlimm. Aber es sagt etwas. Symbolische Bilder für das kulturelle Desinteresse dieser sogenannten Kulturstaatsministerin.
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Zugegeben: Es hat keiner mehr geglaubt, dass dieser Referentenentwurf noch vor Berlinale-Beginn das Licht der Welt erblicken würde. Insofern hat es Kulturstaatsministerin Claudia Roth wieder einmal allen gezeigt.
Es scheinen diese kleinen Triumphe, diese Überraschungseffekte zu sein, aus denen die Kulturstaatsministerin noch ein bisschen Vergnügen in ihrem Amt zieht.
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»Ein schlechter Tag für den deutschen Kinofilm« – die deutschen Verleiher sind weit weniger enthusiasmiert. Mit diesem schmissigen Titel reagierte AG Verleih postwendend auf die Reformvorschläge zur Filmförderung.
Die Verleiher bemängeln sehr einleuchtend »eine völlig unangemessene Gewichtsverschiebung in Richtung Streaming und TV«. Das BKM hat nicht mitgedacht, dass der Publikumserfolg auch gute Auswertung voraussetzt. »Der vielfach beschworene Satz, die Herausbringung deutscher Kinofilme zu stärken, ist verschwunden. Eine nachhaltige Stärkung des Kinofilms und seiner Sichtbarkeit wurde leider verpasst, es fehlt ein überzeugendes Konzept für den Erfolg geförderter Filme an der Kinokasse oder auf Festivals.«
Hingegen spiegele der Gesetzentwurf »Partikularinteressen einzelner Branchenteilnehmer im Gesetzgebungsprozess. ... Im Sinne des Erfolges des deutschen Kinofilmes hätten wir einen ganzheitlicheren Ansatz gebraucht.«
Ausdrücklich begrüßt die AG Verleih die Vereinfachung und den Übergang zu automatischen Förderinstrumenten im Rahmen der vorgestellten Pläne. Nur der »kulturell wichtige Film« sei wieder einmal missachtet worden.
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Positiver, aber sehr auf eigene Interessen fixiert reagiert der »Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS)«: »Jahrzehntelang haben die Schauspielgewerkschaft, der Bundesverband Schauspiel (BFFS), und die für Filmschaffende zuständige Gewerkschaft ver.di von der Politik gefordert, endlich eine Tarifbindung im FFG zu verankern. Der Referentenentwurf enthält nun erstmals Vorschriften für 'Angemessene Beschäftigungsbedingungen'. Demnach wird jede Produktionsfirma, die künftig Referenzmittel nach dem FFG für einen Film erhalten will, angehalten sein, ihr dafür beschäftigtes Personal tarifgerecht zu entlohnen. Zudem müssen die Produktionsfirmen geeignete Maßnahmen zur Sicherung der Altersvorsorge des nur für die Produktionsdauer des Films beschäftigten Personals ergreifen.«
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Der Bund folgt also nicht allen Branchenverbänden, die ihre Forderungen mehrfach öffentlich vorgetragen haben. Der Gesetzesplan der Kulturstaatsministerin folgt in allen entscheidenden Punkten nur den Produzenten. Das genügt nicht. Dies ist in seiner Ignoranz ein Anschlag auf alle Kreativen.
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Das Papier der Kulturstaatsministerin, das uns vorliegt, besteht aus drei Teilen: Dem Referentenentwurf »zur Novellierung des Filmfördergesetzes (FFG)« und zwei »Diskussionsvorschlägen«, zum einen »zur Steuerförderung für in Deutschland durchgeführte Filmproduktionen« und dann »zur Investitionsverpflichtung für Streaming-Dienste«.
115 Seiten. Das alte FFG hatte über 230. Wir konnten sie, kaum überraschend für unsere Leser, am Tag vor der Berlinale nicht
lesen. Vielleicht ist das ja auch das Ziel. Vielleicht möchte man erstmal die nächsten zwei Wochen verstreichen lassen.
Denn dieser Entwurf ist, das ist auch im Schnellverfahren zu sehen, ein ziemlich chaotisches Geflausel und Gekruschel und Gefloskel, in dem wenig zusammenhängt, und noch weniger konkret ist. Stattdessen viel Wabern und sehr allgemeine Versprechungen. Es gibt eine Zusammenfassung am Anfang, die ziemlich vage ist. Im weiteren Entwurf aber steht dann zu vielen Punkten dieser Zusammenfassung überhaupt nichts – das deutet darauf hin, dass vieles noch unausgegoren und schlicht und einfach unfertig ist.
Fazit: Die sogenannte Kulturstaatsministerin legt ein halbgares, halbfertiges Papier als Referentenentwurf vor. Das ist nichts anderes als eine Frechheit den Beteiligten gegenüber. Und es ist eine politische Dummheit.
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Man muss sich das vorstellen: die Beamten und die Referenten haben etwa nach einem halben Jahr nach Amtsantritt von Claudia Roth das Engagement im Ministerium eingestellt. Sie machen vor allem noch Dienst nach Vorschrift, sie warten, bis ihre Ministerin in etwa eineinhalb Jahren abberufen werden wird. Egal aus welchen Parteien die neue Regierung zusammengesetzt ist, und ob am Ende vielleicht Ricarda Lang mit Friedrich Merz Schwarz-Grün lancieren wird – die Tage von Claudia Roth sind dann mit Sicherheit vorbei. Niemand glaubt gerade an eine Verlängerung ihrer Amtszeit über die Bundestagswahl 2025 hinaus.
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Andreas Kilb bemerkt in der FAZ noch etwas: »Dazu kommt ein juristisches Problem: Die Vereinigung von Kultur- und Wirtschaftsförderung unter dem Dach der FFA ist europarechtlich problematisch. Schon einmal, in den Jahren vor 2014, musste der Bund seine Förderstruktur bis zum Verfassungsgericht hin durchfechten und das Gesetz entsprechend anpassen. Die 'jurybasierte' und die abgabefinanzierte Förderung sind eben nicht zwei Seiten einer Medaille, sondern zwei verschiedene Modelle: Das eine fördert Filme, die Kasse machen, das andere solche, die bei Festivals Preise gewinnen sollen. Beides zusammen ist deutschen Filmen so gut wie nie gelungen.«
Interessant ist, welche Forderungen der Branche es nicht in den Entwurf geschafft haben. So sollen die kriselnden Kinos nicht mit fünfzig, sondern nur mit zehn Millionen Euro unterstützt werden, und die Filmverleiher bleiben auf die Gnade der FFA angewiesen, die 'mehr Freiheit zur Selbstregulierung' erhalten soll, wozu erstaunlicherweise die Einrichtung eines 'Diversitätsbeirats' gehört, also eines weiteren politischen Kontrollgremiums.
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Wie es jetzt weitergeht, ist völlig unklar. Theoretisch muss das BKM noch nicht einmal Stellungnahmen der verschiedenen Verbände einfordern. Das müssen sie nur, wenn die Opposition – und das heißt vor allem die CDU/CSU – dies einfordert. Man kann also alle auffordern, die sich auf der Berlinale umtun, jeden beliebigen CDU-Vertreter, der ihnen über den Weg läuft, darauf hin anzusprechen. Wichtig ist, jetzt offen Lobbyarbeit zu machen, um den demokratischen Prozess möglichst transparent zu halten und dafür zu sorgen, dass dieses FFG nicht im Schnellverfahren durchgeboxt wird.
Nun ist der Bundestag an der Reihe. Dort, insbesondere im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien, werden die Bundestagsfraktionen über das Gesetzesvorhaben beraten.