15.02.2024

Generalangriff auf die Kreativen

FFG novelle
Was lange währt, ist endlich schlecht

Die Kulturstaatsministerin und ihr (Des-)Interessensgebiet: Der Umbau der Filmförderung ist einseitig Produzenten-lastig und schwächt den Autorenfilm ebenso wie Kino und Verleih – »Ein schlechter Tag für den deutschen Kinofilm«

Von Rüdiger Suchsland

»Andere Kinoländer haben ihre Förder­stra­te­gien an die verän­derte Lage angepasst, Deutsch­land nicht.«
FAZ, Andreas Kilb, 14.02.2024

Erste Szene: Inter­es­sens­ge­biet. Heute vor einer Woche besucht Claudia Roth eine Film­pre­miere im Berliner Delphi-Kino. Es ist die Premiere eines Films, in dem zwar deutsche Schau­spieler mitspielen – Sandra Hüller und Christian Friedel und einige mehr –, und in dem es um eines der deut­schesten aller deutschen Themen geht – um Auschwitz, um die Familie Höß und um den ganz normalen Alltag im Angesicht des Grauens, um die Shoah und die schlimmste Zeit der deutschen Geschichte –, den die deutsche Film­för­de­rung aber mit keinem Cent gefördert hat. Aber das hindert die Kultur­staats­mi­nis­terin nicht, sich auf dem Roten Teppich mit der Oscar-nomi­nierten Sandra Hüller foto­gra­fieren zu lassen.
Als es dann während der Premiere dieses sehr beson­deren Films später eine Diskus­si­ons­ver­an­stal­tung mit Histo­ri­kern gab, stand sie mitten in der Diskus­sion einfach auf, weil es ihr ja offenbar genug war oder sie sich gelang­weilt hat, verließ sie den Raum für Viele sichtbar. Dieses geschmack­lose Verhalten ist das eine, die Unnö­tig­keit von Claudia Roths Präsenz ist das andere.
Es ist alles nicht schlimm. Aber es sagt etwas. Symbo­li­sche Bilder für das kultu­relle Desin­ter­esse dieser soge­nannten Kultur­staats­mi­nis­terin.

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Zugegeben: Es hat keiner mehr geglaubt, dass dieser Refe­ren­ten­ent­wurf noch vor Berlinale-Beginn das Licht der Welt erblicken würde. Insofern hat es Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth wieder einmal allen gezeigt.
Es scheinen diese kleinen Triumphe, diese Über­ra­schungs­ef­fekte zu sein, aus denen die Kultur­staats­mi­nis­terin noch ein bisschen Vergnügen in ihrem Amt zieht.

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»Ein schlechter Tag für den deutschen Kinofilm« – die deutschen Verleiher sind weit weniger enthu­si­as­miert. Mit diesem schmis­sigen Titel reagierte AG Verleih post­wen­dend auf die Reform­vor­schläge zur Film­för­de­rung.

Die Verleiher bemängeln sehr einleuch­tend »eine völlig unan­ge­mes­sene Gewichts­ver­schie­bung in Richtung Streaming und TV«. Das BKM hat nicht mitge­dacht, dass der Publi­kums­er­folg auch gute Auswer­tung voraus­setzt. »Der vielfach beschwo­rene Satz, die Heraus­brin­gung deutscher Kinofilme zu stärken, ist verschwunden. Eine nach­hal­tige Stärkung des Kinofilms und seiner Sicht­bar­keit wurde leider verpasst, es fehlt ein über­zeu­gendes Konzept für den Erfolg geför­derter Filme an der Kinokasse oder auf Festivals.«

Hingegen spiegele der Gesetz­ent­wurf »Parti­ku­lar­in­ter­essen einzelner Bran­chen­teil­nehmer im Gesetz­ge­bungs­pro­zess. ... Im Sinne des Erfolges des deutschen Kino­filmes hätten wir einen ganz­heit­li­cheren Ansatz gebraucht.«

Ausdrück­lich begrüßt die AG Verleih die Verein­fa­chung und den Übergang zu auto­ma­ti­schen Förder­instru­menten im Rahmen der vorge­stellten Pläne. Nur der »kulturell wichtige Film« sei wieder einmal miss­achtet worden.

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Positiver, aber sehr auf eigene Inter­essen fixiert reagiert der »Bundes­ver­band Schau­spiel e.V. (BFFS)«: »Jahr­zehn­te­lang haben die Schau­spiel­ge­werk­schaft, der Bundes­ver­band Schau­spiel (BFFS), und die für Film­schaf­fende zustän­dige Gewerk­schaft ver.di von der Politik gefordert, endlich eine Tarif­bin­dung im FFG zu verankern. Der Refe­ren­ten­ent­wurf enthält nun erstmals Vorschriften für 'Ange­mes­sene Beschäf­ti­gungs­be­din­gungen'. Demnach wird jede Produk­ti­ons­firma, die künftig Refe­renz­mittel nach dem FFG für einen Film erhalten will, ange­halten sein, ihr dafür beschäf­tigtes Personal tarif­ge­recht zu entlohnen. Zudem müssen die Produk­ti­ons­firmen geeignete Maßnahmen zur Sicherung der Alters­vor­sorge des nur für die Produk­ti­ons­dauer des Films beschäf­tigten Personals ergreifen.«

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Der Bund folgt also nicht allen Bran­chen­ver­bänden, die ihre Forde­rungen mehrfach öffent­lich vorge­tragen haben. Der Geset­zes­plan der Kultur­staats­mi­nis­terin folgt in allen entschei­denden Punkten nur den Produ­zenten. Das genügt nicht. Dies ist in seiner Ignoranz ein Anschlag auf alle Kreativen.

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Das Papier der Kultur­staats­mi­nis­terin, das uns vorliegt, besteht aus drei Teilen: Dem Refe­ren­ten­ent­wurf »zur Novel­lie­rung des Film­för­der­ge­setzes (FFG)« und zwei »Diskus­si­ons­vor­schlägen«, zum einen »zur Steu­er­för­de­rung für in Deutsch­land durch­ge­führte Film­pro­duk­tionen« und dann »zur Inves­ti­ti­ons­ver­pflich­tung für Streaming-Dienste«.
115 Seiten. Das alte FFG hatte über 230. Wir konnten sie, kaum über­ra­schend für unsere Leser, am Tag vor der Berlinale nicht lesen. Viel­leicht ist das ja auch das Ziel. Viel­leicht möchte man erstmal die nächsten zwei Wochen verstrei­chen lassen.

Denn dieser Entwurf ist, das ist auch im Schnell­ver­fahren zu sehen, ein ziemlich chao­ti­sches Geflausel und Gekru­schel und Gefloskel, in dem wenig zusam­men­hängt, und noch weniger konkret ist. Statt­dessen viel Wabern und sehr allge­meine Verspre­chungen. Es gibt eine Zusam­men­fas­sung am Anfang, die ziemlich vage ist. Im weiteren Entwurf aber steht dann zu vielen Punkten dieser Zusam­men­fas­sung überhaupt nichts – das deutet darauf hin, dass vieles noch unaus­ge­goren und schlicht und einfach unfertig ist.

Fazit: Die soge­nannte Kultur­staats­mi­nis­terin legt ein halbgares, halb­fer­tiges Papier als Refe­ren­ten­ent­wurf vor. Das ist nichts anderes als eine Frechheit den Betei­ligten gegenüber. Und es ist eine poli­ti­sche Dummheit.

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Man muss sich das vorstellen: die Beamten und die Refe­renten haben etwa nach einem halben Jahr nach Amts­an­tritt von Claudia Roth das Enga­ge­ment im Minis­te­rium einge­stellt. Sie machen vor allem noch Dienst nach Vorschrift, sie warten, bis ihre Minis­terin in etwa einein­halb Jahren abberufen werden wird. Egal aus welchen Parteien die neue Regierung zusam­men­ge­setzt ist, und ob am Ende viel­leicht Ricarda Lang mit Friedrich Merz Schwarz-Grün lancieren wird – die Tage von Claudia Roth sind dann mit Sicher­heit vorbei. Niemand glaubt gerade an eine Verlän­ge­rung ihrer Amtszeit über die Bundes­tags­wahl 2025 hinaus.

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Andreas Kilb bemerkt in der FAZ noch etwas: »Dazu kommt ein juris­ti­sches Problem: Die Verei­ni­gung von Kultur- und Wirt­schafts­för­de­rung unter dem Dach der FFA ist euro­pa­recht­lich proble­ma­tisch. Schon einmal, in den Jahren vor 2014, musste der Bund seine Förder­struktur bis zum Verfas­sungs­ge­richt hin durch­fechten und das Gesetz entspre­chend anpassen. Die 'jury­ba­sierte' und die abga­be­fi­nan­zierte Förderung sind eben nicht zwei Seiten einer Medaille, sondern zwei verschie­dene Modelle: Das eine fördert Filme, die Kasse machen, das andere solche, die bei Festivals Preise gewinnen sollen. Beides zusammen ist deutschen Filmen so gut wie nie gelungen.«

Inter­es­sant ist, welche Forde­rungen der Branche es nicht in den Entwurf geschafft haben. So sollen die kriselnden Kinos nicht mit fünfzig, sondern nur mit zehn Millionen Euro unter­s­tützt werden, und die Film­ver­leiher bleiben auf die Gnade der FFA ange­wiesen, die 'mehr Freiheit zur Selbst­re­gu­lie­rung' erhalten soll, wozu erstaun­li­cher­weise die Einrich­tung eines 'Diver­si­täts­bei­rats' gehört, also eines weiteren poli­ti­schen Kontroll­gre­miums.

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Wie es jetzt weiter­geht, ist völlig unklar. Theo­re­tisch muss das BKM noch nicht einmal Stel­lung­nahmen der verschie­denen Verbände einfor­dern. Das müssen sie nur, wenn die Oppo­si­tion – und das heißt vor allem die CDU/CSU – dies einfor­dert. Man kann also alle auffor­dern, die sich auf der Berlinale umtun, jeden belie­bigen CDU-Vertreter, der ihnen über den Weg läuft, darauf hin anzu­spre­chen. Wichtig ist, jetzt offen Lobby­ar­beit zu machen, um den demo­kra­ti­schen Prozess möglichst trans­pa­rent zu halten und dafür zu sorgen, dass dieses FFG nicht im Schnell­ver­fahren durch­ge­boxt wird.

Nun ist der Bundestag an der Reihe. Dort, insbe­son­dere im Bundes­tags­aus­schuss für Kultur und Medien, werden die Bundes­tags­frak­tionen über das Geset­zes­vor­haben beraten.