74. Berlinale 2024
»Wir stehen ganz am Anfang. Wir sind Pioniere.« |
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Edgar Reitz erhält an diesem Donnerstag den Berlinale Ehrenpreis für sein Lebenswerk... | ||
(Foto: Von Thomas Hönemann – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0) |
»Dont let the bastards grind you down.« – Margaret Atwood
Man könnte sehr viel erzählen über die Berlinale. Gutes wie Schlechtes, klarerweise bei so einem übervoll gestopften Programm. Und über die Filme wird es dieser Tage bei mir noch gehen. Aber jetzt geht es erstmal um grundsätzlichere Fragen, um die es bei einem Filmfestival auch immer gehen sollte und bei der Berlinale viel viel mehr gehen müsste: über Ästhetik, über Kunsttheorie, über Philosophie überhaupt. Über Haltung und Herangehensweise und über den Wert und die Funktion von Kunst. Die Veranstaltung des Bundesverband Regie (BVR) war eine Ausnahmeerscheinung im Berlinale-Programm, weil sie ja auch gar nicht richtig zum Berlinale-Programm gehörte, sondern eine unabhängige Entscheidung der im Vorstand des BVR im Vorfeld Verantwortlichen war, insbesondere von Connie Walter und Cornelia Grünberg.
Die Veranstaltung, hieß es in der Einladung »eröffnet den Diskurs und stellt die Filmkunst in den Mittelpunkt. Von ihr geht die Strahlkraft für die gesamte Branche aus. Damit im Kinodunkel wieder Schätze leuchten, muss er kommen: der Kulturwandel in der Filmbranche. Für die Filmkunst, für die Kreativen, in der Struktur, in den Förderwegen, im Abspiel.«
Dann folgten Frage, die mir selbst fast schon naiv in ihrer Zutraulichkeit erscheinen: »Was wird das neue Filmfördergesetz bringen? Wird es der große Wurf? Kommen die Strukturen, die den dringend nötigen Kulturwandel in der Filmbranche ermöglichen?«
Wir alle wissen doch, dass die Antwort hier mit Sicherheit Nichts! Nein! Nein! lauten wird. Denn die Verhältnisse sind, wie sie sind.
»Mehr Licht« hieß das Ganze, wie die letzten Worte von Goethe. Hoffentlich noch nicht die letzten Worte waren es von Edgar Reiz und Volker Schlöndorff, die ihren jüngeren und jungen Zuhörern ein paar Lektionen mit auf den Weg gaben, die die hoffentlich beherzigen (und nicht gleich altklug und besserwissend zurückweisen) werden, und die wir im folgenden vor allem dokumentieren möchten – schließlich bekommt der Münchner Regisseur Edgar Reitz an diesem Donnerstag auch den Berlinale Ehrenpreis für sein Lebenswerk.
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Reitz begann mit einer Attacke auf die gegenwärtige Filmpolitik: »Die Förder-Strukturen wirken sich sehr formend und in der Ästhetik sehr stark aus, sodass die Frage nach der künstlerischen Freiheit nach der subjektiven Darstellung einer Weltsicht oder überhaupt die künstlerische Analyse, die ja eine andere ist, als die intellektuelle, und die nicht über Begriffe, sondern über Erlebnisformen und über Bilder geht und über die Vieldeutigkeit der Bilder. Alles das hat es
nicht mehr nur mit dem Gerät oder einem Apparat zu tun, sondern auch mit den internationalen Großkonzernen. In denen sich die Kapitalmengen ballen.
Also die Rolle von diesem Plattformen wie Netflix sind nicht etwa Störungen des Kinobetriebs – sondern das ist die neue Welt! Das ist die Welt, mit der wir leben müssen, mit der die Bildkunst überhaupt in Zukunft zurechtkommen muss. Und insofern ist die Aufgabe, die ich sehe, von der ganz anderen Seite her zu betrachten, als sie
in der normalen Filmpolitik betrachtet wird.«
»Die normale Filmpolitik geht von den Produktionsbedingungen aus. Sie fragt: Was kostet der Film? Woher kommt das Geld? Welche Rolle spielt der Staat? Welche Rolle spielen die Gremien und das Fernsehen und so weiter – das war unser Thema, als wir zum ersten Mal die Dinge angingen. Heute kann man sagen: Egal wie diese Dinge geregelt werden, egal was Claudia Roth mit ihrem Wumms den Produzenten da an Möglichkeiten schafft – es ändert nichts an dieser großen Situation. Es ändert nichts daran, dass wir in der Zeit eines gewaltigen medialen Umbruchs leben, und die Kunst darauf reagieren muss.«
»Das Kino und die Aufführung eines Films im Kino, das ist der Höhepunkt dessen, was man als Filmemacher erleben kann. Das einmal zu erleben oder ein paar Mal im Leben, das reicht.«
»Es hat eine viel größere Wichtigkeit, als die Politik dem zubilligt. Film ist die Weltkultur überhaupt. In den anderen Künsten haben wir natürlich große Vorsprünge: Musik gibt es seit 4000 Jahren, Literatur und Malerei noch viel länger, und den Film gibt es seit 120 Jahren – das ist nix eigentlich. Wir stehen ganz am Anfang. Wir sind Pioniere.«
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Es gab Szenenapplaus und es gab lauten Beifall für Edgar Reitz.
Johanna Süß und Gregor Schubert, die beiden Co-Direktoren des Lichter-Filmfests in Frankfurt, die das voraufgezeichnete Edgar-Reitz-Gespräch moderiert hatten, machten eine wichtige Erkenntnis deutlich: »dass der Kampf niemals aufhört, dass der Kampf leider kein Ende nimmt. Umso wertvoller ist die Stimme all jener, die diesen Kampf seit Jahrzehnten führen. Ihre Erfahrung zurück ist für uns unverzichtbar.«
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Volker Schlöndorff verteidigte die Autonomie der Autorenregisseure: »Wir als Regisseure dürfen uns nicht klein machen lassen. Jeder von uns hat einen eigenen Weg gemacht.«
»Macht und Autorität braucht man tatsächlich. Es kann nichts funktionieren ohne Hierarchien am Set. Zum Schluss wird sowieso der eine verantwortlich gemacht – auch für den Misserfolg. Und das ist der Autor. Eine solche kollektive Arbeit, die es ist, kann nur funktionieren, wenn sie auch gleichzeitig hierarchisch strukturiert ist.«
»Für die Streamer ist der Regisseur nur dann wertvoll, wenn er dafür sorgt, dass ein paar Leute, die bis jetzt noch keinen Abo haben, ein Abo unterschreiben, weil sie den Namen des Regisseurs lesen. Das ist die ganze Wertschätzung, die man dort für einen Regisseur hat.
Wir müssen das Individuelle gegen die Streamingwelt verteidigen.«