22.02.2024
74. Berlinale 2024

»Wir stehen ganz am Anfang. Wir sind Pioniere.«

Edgar Reitz
Edgar Reitz erhält an diesem Donnerstag den Berlinale Ehrenpreis für sein Lebenswerk...
(Foto: Von Thomas Hönemann – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0)

Der Kampf nimmt niemals ein Ende: Edgar Reitz und Volker Schlöndorff haben den Jungen ein paar Dinge zu sagen. Fragt sich, ob die auch zuhören – Berlinale-Tagebuch, Folge 2

Von Rüdiger Suchsland

»Dont let the bastards grind you down.« – Margaret Atwood

Man könnte sehr viel erzählen über die Berlinale. Gutes wie Schlechtes, klarer­weise bei so einem übervoll gestopften Programm. Und über die Filme wird es dieser Tage bei mir noch gehen. Aber jetzt geht es erstmal um grund­sätz­li­chere Fragen, um die es bei einem Film­fes­tival auch immer gehen sollte und bei der Berlinale viel viel mehr gehen müsste: über Ästhetik, über Kunst­theorie, über Philo­so­phie überhaupt. Über Haltung und Heran­ge­hens­weise und über den Wert und die Funktion von Kunst. Die Veran­stal­tung des Bundes­ver­band Regie (BVR) war eine Ausnah­me­erschei­nung im Berlinale-Programm, weil sie ja auch gar nicht richtig zum Berlinale-Programm gehörte, sondern eine unab­hän­gige Entschei­dung der im Vorstand des BVR im Vorfeld Verant­wort­li­chen war, insbe­son­dere von Connie Walter und Cornelia Grünberg.

Die Veran­stal­tung, hieß es in der Einladung »eröffnet den Diskurs und stellt die Filmkunst in den Mittel­punkt. Von ihr geht die Strahl­kraft für die gesamte Branche aus. Damit im Kino­dunkel wieder Schätze leuchten, muss er kommen: der Kultur­wandel in der Film­branche. Für die Filmkunst, für die Kreativen, in der Struktur, in den Förder­wegen, im Abspiel.«

Dann folgten Frage, die mir selbst fast schon naiv in ihrer Zutrau­lich­keit erscheinen: »Was wird das neue Film­för­der­ge­setz bringen? Wird es der große Wurf? Kommen die Struk­turen, die den dringend nötigen Kultur­wandel in der Film­branche ermög­li­chen?«

Wir alle wissen doch, dass die Antwort hier mit Sicher­heit Nichts! Nein! Nein! lauten wird. Denn die Verhält­nisse sind, wie sie sind.

»Mehr Licht« hieß das Ganze, wie die letzten Worte von Goethe. Hoffent­lich noch nicht die letzten Worte waren es von Edgar Reiz und Volker Schlön­dorff, die ihren jüngeren und jungen Zuhörern ein paar Lektionen mit auf den Weg gaben, die die hoffent­lich beher­zigen (und nicht gleich altklug und besser­wis­send zurück­weisen) werden, und die wir im folgenden vor allem doku­men­tieren möchten – schließ­lich bekommt der Münchner Regisseur Edgar Reitz an diesem Donnerstag auch den Berlinale Ehren­preis für sein Lebens­werk.

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Reitz begann mit einer Attacke auf die gegen­wär­tige Film­po­litik: »Die Förder-Struk­turen wirken sich sehr formend und in der Ästhetik sehr stark aus, sodass die Frage nach der künst­le­ri­schen Freiheit nach der subjek­tiven Darstel­lung einer Weltsicht oder überhaupt die künst­le­ri­sche Analyse, die ja eine andere ist, als die intel­lek­tu­elle, und die nicht über Begriffe, sondern über Erleb­nis­formen und über Bilder geht und über die Viel­deu­tig­keit der Bilder. Alles das hat es nicht mehr nur mit dem Gerät oder einem Apparat zu tun, sondern auch mit den inter­na­tio­nalen Groß­kon­zernen. In denen sich die Kapi­tal­mengen ballen.
Also die Rolle von diesem Platt­formen wie Netflix sind nicht etwa Störungen des Kino­be­triebs – sondern das ist die neue Welt! Das ist die Welt, mit der wir leben müssen, mit der die Bildkunst überhaupt in Zukunft zurecht­kommen muss. Und insofern ist die Aufgabe, die ich sehe, von der ganz anderen Seite her zu betrachten, als sie in der normalen Film­po­litik betrachtet wird.«

»Die normale Film­po­litik geht von den Produk­ti­ons­be­din­gungen aus. Sie fragt: Was kostet der Film? Woher kommt das Geld? Welche Rolle spielt der Staat? Welche Rolle spielen die Gremien und das Fernsehen und so weiter – das war unser Thema, als wir zum ersten Mal die Dinge angingen. Heute kann man sagen: Egal wie diese Dinge geregelt werden, egal was Claudia Roth mit ihrem Wumms den Produ­zenten da an Möglich­keiten schafft – es ändert nichts an dieser großen Situation. Es ändert nichts daran, dass wir in der Zeit eines gewal­tigen medialen Umbruchs leben, und die Kunst darauf reagieren muss.«

»Das Kino und die Auffüh­rung eines Films im Kino, das ist der Höhepunkt dessen, was man als Filme­ma­cher erleben kann. Das einmal zu erleben oder ein paar Mal im Leben, das reicht.«

»Es hat eine viel größere Wich­tig­keit, als die Politik dem zubilligt. Film ist die Welt­kultur überhaupt. In den anderen Künsten haben wir natürlich große Vorsprünge: Musik gibt es seit 4000 Jahren, Literatur und Malerei noch viel länger, und den Film gibt es seit 120 Jahren – das ist nix eigent­lich. Wir stehen ganz am Anfang. Wir sind Pioniere.«

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Es gab Szenen­ap­plaus und es gab lauten Beifall für Edgar Reitz.

Johanna Süß und Gregor Schubert, die beiden Co-Direk­toren des Lichter-Filmfests in Frankfurt, die das vorauf­ge­zeich­nete Edgar-Reitz-Gespräch moderiert hatten, machten eine wichtige Erkenntnis deutlich: »dass der Kampf niemals aufhört, dass der Kampf leider kein Ende nimmt. Umso wert­voller ist die Stimme all jener, die diesen Kampf seit Jahr­zehnten führen. Ihre Erfahrung zurück ist für uns unver­zichtbar.«

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Volker Schlön­dorff vertei­digte die Autonomie der Autoren­re­gis­seure: »Wir als Regis­seure dürfen uns nicht klein machen lassen. Jeder von uns hat einen eigenen Weg gemacht.«

»Macht und Autorität braucht man tatsäch­lich. Es kann nichts funk­tio­nieren ohne Hier­ar­chien am Set. Zum Schluss wird sowieso der eine verant­wort­lich gemacht – auch für den Miss­erfolg. Und das ist der Autor. Eine solche kollek­tive Arbeit, die es ist, kann nur funk­tio­nieren, wenn sie auch gleich­zeitig hier­ar­chisch struk­tu­riert ist.«

»Für die Streamer ist der Regisseur nur dann wertvoll, wenn er dafür sorgt, dass ein paar Leute, die bis jetzt noch keinen Abo haben, ein Abo unter­schreiben, weil sie den Namen des Regis­seurs lesen. Das ist die ganze Wert­schät­zung, die man dort für einen Regisseur hat.
Wir müssen das Indi­vi­du­elle gegen die Strea­ming­welt vertei­digen.«