Wo Pommes???
Wo Pommes ??? |
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Ganz am Anfang der langen, schnellen, wilden Reise... | ||
(Foto: Little Dream) |
Von Nora Moschuering
Wir wollen an dieser Stelle mal vom roten Teppich sprechen, von Scheinwerfern, Pressewänden und anderen Insta-kompatiblen Backgrounds und Selfie-Partner*innen wie zum Beispiel Ruben Östlund. Letztes Jahr saß ich bei der Vorführung von And the King Said, What a Fantastic Machine hinter ihm, neben ihm saß eine Kameraperson, die ihn filmte, während er auf den Beginn des Filmes wartete, und eine Lichtperson, die einen Scheinwerfer anknipste, als sein Name genannt wurde und er aufstand, um zu nicken und zu winken. Der Fame von Regisseuren leitet sich meistens von ihren Filmen ab, Ruben Östlund hat u.a. Regie bei The Square und Triangle of Sadness gemacht, aber als Personen werden sie oft nur von »Filmmenschen« erkannt (Menschen, die sich haupt- und nebenberuflich dem Film verschrieben haben, vor oder hinter der Kamera oder eben in ihrem Umfeld existieren) oder eben dann, wenn Kamera und Licht, als Aufmerksamkeitsmarker, auf sie gesetzt werden und sie nicken und winken. Östlund ist ausführender Produzent bei And the King Said, What a Fantastic Machine und damit kann er einem Dokumentarfilm das geben, was Dokumentarfilme häufig nicht haben: Ein bisschen Glitzer. Ansonsten rollt der Dokumentarfilm den roten Teppich für die sogenannten »normalen« oder »echte« Menschen aus, im metaphorischen Sinn, denn man muss ja nicht in allem die fiktionalen Filme imitieren. Aber, um zu And the King Said, What a Fantastic Machine zu kommen, sind diese sogenannten »echten« Menschen dann eigentlich vergleichbar mit den Social-Media Stars, auf die wir im Film treffen? Das sind doch auch »echte«, »authentische« Menschen? Vorsicht, ganz dünnes Eis, denn hier müssen mehrere Lanzen gebrochen werden: für die Regie, das Team, das Thema des Filmes, die Haltung, die Umsetzung und die Rolle der Protagonist*innen innerhalb dieses künstlerischen Gebildes Film. Dokumentarfilme sind bei aller Liebe kein »noch ein weiterer Beautysalon« und sie sind auch kein Marketingprodukt, wie die Einblicke bei den Harrys und Meghans und Beckhams. Womit wir bei der Ökonomie der Bilder angekommen sind: Was sehen wir, wer macht die Bilder und wer profitiert davon? Alles Themen des Films, irgendwie.
Die beiden Regisseure Axel Danielson (der seit 2010 Partner in der von Ruben Östlund und Erik Hemmendorff gegründeten »Plattform Produktion« ist) und Maximilien van Aertryck nehmen uns mit, von den Anfängen des bewegten Bildes bis zur Gegenwart. Keine kurze Spanne, also an sich schon ein gewagtes Unternehmen. Zu Beginn sehen wir Menschen in einer riesigen Camera Obscura, quasi ein vollkörperliches Eintreten in das Medium. Wie entstehen Bilder ohne Technik? Wie malt Licht? Dann bewegen wir uns durch die Klassiker, von Niépce und der ältesten erhaltenen Fotografie seines Hinterhofs in Frankreich (1826), gehen weiter zum ersten, fotografisch aufgenommene Menschen von Daguerre (1838), zu Muybridges galoppierendem Pferd (1878) und natürlich zum Zug, der in den Bahnhof einfährt (1895/96) von den Brüdern Lumière und der Grundsatzdebatte darüber, wozu diese neue Technik gut ist: Soll man Fakten einfangen, das war die Position der Brüder Lumière (nennen wir sie die dokumentarische Position) oder Fiktion erschaffen, die Position von Méliès, der die Krönung des britischen Königs Edward VII (1902) verfilmt hat, auf den sich der Titel des Films bezieht. Dazu Teil 2 des königlichen Zitats: »Was für eine fantastische Maschine die Kamera ist! Sie hat sogar einen Weg gefunden, jene Teile der Zeremonie zu filmen, die gar nicht stattgefunden haben.« An diesen beiden Polen hat sich auch nicht wirklich etwas geändert, das Dazwischen ist aber weiter und vielfältiger geworden.
Dann geht es richtig los: Bilder werden sehr bald schon zur Ware und Bildrechte verkauft, sie werden Spektakel, Bluff, sie werden manipuliert und genutzt, um zu manipulieren. Despoten tun das: Hitler, Putin, Trump. Alles wird hier nebeneinander und gleich gesetzt. Immer wieder bremst er ein wenig ab, geht kurz ein bisschen tiefer in einzelne Themen rein, wie z.B. in das Thema »Perspektiven«, am Beispiel eines toten Mädchens nach dem Erdbeben auf Haiti, IS-Kämpfern im Jemen, die an einem Propaganda-Video arbeiten oder Recruiting-Videos des IS, die sehr stark an Trailer von US-amerikanischen Action-Filmen erinnern. Die globale Ausbreitung von Hollywood und ihre Storylines wird so am Rande angesprochen, wie irgendwie fast alles. Da steht die Punkte-Vergabe beim Eurovision-Songcontest neben Leni Riefenstahl, die in den 90ern über die Ästhetik ihrer Nazi-Propaganda-Filme spricht, neben den Dokumentationen, die die Befreiung der KZs nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, die versuchen eine Ästhetik der »Wahrheit« und »Glaubwürdigkeit« zu finden. Hier sind es lange Einstellungen, während Riefenstahl mit Schnitt und Kamerafahrten fiktionalisiert. Das ist insgesamt eine wilde Tour, bei der man immer wieder bei Bildern stehen bleiben, noch tiefer in die Analyse gehen möchte, aber da ist der Film schon wieder einen Schritt weiter. Er tut also genau das, was im Netz passiert und man fragt sich, ob das schlau ist. Vielleicht ist es das, weil er damit gerade dort sozialisierte Menschen anspricht, vielleicht ist es das aber auch nicht, weil er sich selber verrät.
Das Fernsehen und etwas später das Privatfernsehen kommen auf, es geht immer mehr um Ablenkung und Eskapismus, Ted Turner (TV-Produzent und späterer Medien-Mogul) führt das sehr selbstgefällig aus: Er will einen Ort schaffen, an dem die Menschen den Kopf frei für den Konsum haben, also das Gehirn sollte empfangsbereit für Werbung sein. Turner gründet etwas später CNN, einen Sender, in dem Nachrichten und Politik zum Spektakel werden.
Dann die sogenannte digitale Revolution, man sieht das Handyvideo eines Kindes, das einen Dirigenten nachahmt. Auch das Netz besteht zum großen Teil aus halbseidenen Nachahmungen und Remixen, parallel dazu aber auch aus dem merkwürdigen Willen nach »zumindest ein bisschen« Einzigartigkeit. So herrscht das Regime des Neuen, aber eben auch nie das des »Ganz-Neuen«, das würde uns auch gar nicht in die Timeline gespült. Außerdem – und damit sind wir wieder beim Fame –
gibt es eine merkwürdige Art des Startums, die z.B. darin besteht das eigene Leben zu streamen, was aber weniger kontrolliert ist, als bei den Beckhams und auch ins Unglück führen kann. Im Netz wird Fame oft weniger an ein Werk als an die Person gebunden.
YouTube, Tiktok und andere produzieren Realität, und da das Netz zum großen Teil affektgesteuert ist, es also unmittelbare Gefühle auslöst, es ist cute, es ist sexy, es ist spektakulär, es ist blutig ... aber trotzdem
oberflächlich und harmlos erscheint, wird der Einfluss oder das cui bono oft schwer oder eben erst nachhängend erkannt.
Es wäre interessant gewesen das »The winner takes it all«-Prinzip zu betrachten oder z.B. auch das Darknet, Kryptowährung oder die Macht der Big Five anzusprechen, aber das tut der Film nicht – kann er auch nicht, er will ja an die 200 Jahre durchrennen. And the King Said, What a Fantastic Machine will unterhalten und aufklären, wobei die Bildung ab und an hinten runterfällt, weil der Bildersog einen hineinzieht und vielleicht Vertiefung und Entschleunigung eine bessere Strategie gewesen wäre.
Durch die Chronologie, die Zitate und das Archivmaterial ist es, besonders zu Beginn, ein klassisches Lernvideo und für die, die sich damit auskennen, z.B. Filmmenschen, vielleicht nichts Neues. Später dann wird es immer unübersichtlicher und da kann es vielleicht gerade für Filmmenschen, die sich nicht so im Netz bewegen, schwieriger werden. Insgesamt hat man das Gefühl, dass man schon medientheoretisch gebildet sein muss, entweder durch Fakten oder durch ordentlich viel Social Media-Konsum, um bestimmte Dinge zu verstehen oder auch Widersprüche zu erkennen. Schön ist, dass der Film das macht, was im Netz oft passiert: Er nutzt das Material anderer Leute und kombiniert es neu, er arbeitet wie die Copy&Paste- und Remix-Kultur dort. Und ja, er macht Spaß und besorgt gleichzeitig, und dieses Gefühl hat man bei einem längeren Aufenthalt im Netz auch.
Wie ist das aber nun mit dem Fame der Protagonist*innen von Dokumentarfilmen? Bekommen sie ihn? Da stellt sich die Frage: Was wollen wir denn eigentlich sehen? Superhelden, wie The Avengers, die so gar nichts mit uns zu tun haben und Hollywood-Stars wie Meryl Streep? Oder den Jungen von Nebenan, der uns ähnlich ist, der sich nur sehr gut damit auskennt, seine Nägel zu designen und ein Schnittprogramm zu bedienen? Oder den Nachbarsjungen, jenseits seiner Nägel, inmitten seines Lebens, eingebettet in andere Menschen die mit ihm und seiner Komplexität interagieren? Oder Menschen mit Talent, Fähigkeiten oder Wissen, denen ich gerne zuhöre, um etwas von ihnen zu lernen? Kann man drüber nachdenken und vielleicht ist das bessere Wort, das ich statt Fame oder Ruhm nutzen würde, auch »Anerkennung«.
Zum Schluss empfehle ich noch den Kurzfilm Ten Meter Tower (2016) der beiden Regisseure, der mit einer so einfachen wie schönen Idee spielt: Er beobachtet sehr verschiedene Menschen dabei, wie sie von einem 10 Meter-Brett springen – oder vielleicht auch nicht. Das ähnelt ein bisschen dem Anfang von And the King Said, What a Fantastic Machine, in dem sie die Menschen in eine Camera Obscura stecken. Das ist kein Fame, sondern etwas anderes, etwas uns selbst Befragendes.
P.S., weil ich es nicht lassen kann:
Zu den 90ern und zu den Anfängen des Internets und der sogenannten Post-Moderne, mit all ihrem Spiel, ihrem Diebstahl, ihrem Anarchismus, ihrem Auflösen der großen Erzählungen, der Flexibilität, dem: Ich baue mir aus lauter frei-schwebenden Klötzchen mein Leben zusammen. Die Generation »Praktikum«, die dabei, trotz aller ökonomischer Probleme, frei floating war, sich in verschiedenen Stellen umsehen konnte, also dort arbeitete (und erst mit
35 begriff, dass das Ausbeutung war) und an Kunstakademien hedonistisch ins Nirgendwo studiert hat (und erst mit 35 begriff, dass damit kein Auskommen zu machen ist), ist mit einer anderen Netz-Idee aufgewachsen: Das Netz war kurios und frei und in erster Linie ein Abbild aller Möglichkeiten, wir dachten, es helfe dabei empathischer mit den Menschen umgehen zu können, weil wir dachten: durch reichlich Austausch, Kommunikation und billige Ryanair-Flüge (sorry dafür), wüchsen wir
zusammen und es entstände eine Art globale Solidarität (ja, so wie die Pioniere des Whole Earth Catalogs). Ernüchterung trat bei mir erst 10 Jahre später ein, als aus dem Ort der Möglichkeiten ein Ort der Abgrenzung, der Versteifung, der Unflexibilität und Radikalisierung althergebrachter oder uralthergebrachter Sichtweisen wurde.