22.02.2024
Wo Pommes???

Wo Pommes ???

AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE
Ganz am Anfang der langen, schnellen, wilden Reise...
(Foto: Little Dream)

Dokumentarfilme im Februar Teil 1 – Hall of Fame No. 1: Zu And the King Said, What a Fantastic Machine von Axel Danielson und Maximilien van Aertryck

Von Nora Moschuering

Wir wollen an dieser Stelle mal vom roten Teppich sprechen, von Schein­wer­fern, Pres­se­wänden und anderen Insta-kompa­ti­blen Back­grounds und Selfie-Partner*innen wie zum Beispiel Ruben Östlund. Letztes Jahr saß ich bei der Vorfüh­rung von And the King Said, What a Fantastic Machine hinter ihm, neben ihm saß eine Kame­ra­person, die ihn filmte, während er auf den Beginn des Filmes wartete, und eine Licht­person, die einen Schein­werfer anknipste, als sein Name genannt wurde und er aufstand, um zu nicken und zu winken. Der Fame von Regis­seuren leitet sich meistens von ihren Filmen ab, Ruben Östlund hat u.a. Regie bei The Square und Triangle of Sadness gemacht, aber als Personen werden sie oft nur von »Film­men­schen« erkannt (Menschen, die sich haupt- und neben­be­ruf­lich dem Film verschrieben haben, vor oder hinter der Kamera oder eben in ihrem Umfeld exis­tieren) oder eben dann, wenn Kamera und Licht, als Aufmerk­sam­keits­marker, auf sie gesetzt werden und sie nicken und winken. Östlund ist ausfüh­render Produzent bei And the King Said, What a Fantastic Machine und damit kann er einem Doku­men­tar­film das geben, was Doku­men­tar­filme häufig nicht haben: Ein bisschen Glitzer. Ansonsten rollt der Doku­men­tar­film den roten Teppich für die soge­nannten »normalen« oder »echte« Menschen aus, im meta­pho­ri­schen Sinn, denn man muss ja nicht in allem die fiktio­nalen Filme imitieren. Aber, um zu And the King Said, What a Fantastic Machine zu kommen, sind diese soge­nannten »echten« Menschen dann eigent­lich vergleichbar mit den Social-Media Stars, auf die wir im Film treffen? Das sind doch auch »echte«, »authen­ti­sche« Menschen? Vorsicht, ganz dünnes Eis, denn hier müssen mehrere Lanzen gebrochen werden: für die Regie, das Team, das Thema des Filmes, die Haltung, die Umsetzung und die Rolle der Prot­ago­nist*innen innerhalb dieses künst­le­ri­schen Gebildes Film. Doku­men­tar­filme sind bei aller Liebe kein »noch ein weiterer Beau­ty­salon« und sie sind auch kein Marke­ting­pro­dukt, wie die Einblicke bei den Harrys und Meghans und Beckhams. Womit wir bei der Ökonomie der Bilder ange­kommen sind: Was sehen wir, wer macht die Bilder und wer profi­tiert davon? Alles Themen des Films, irgendwie.

Die beiden Regis­seure Axel Danielson (der seit 2010 Partner in der von Ruben Östlund und Erik Hemmen­dorff gegrün­deten »Plattform Produk­tion« ist) und Maxi­mi­lien van Aertryck nehmen uns mit, von den Anfängen des bewegten Bildes bis zur Gegenwart. Keine kurze Spanne, also an sich schon ein gewagtes Unter­nehmen. Zu Beginn sehen wir Menschen in einer riesigen Camera Obscura, quasi ein voll­kör­per­li­ches Eintreten in das Medium. Wie entstehen Bilder ohne Technik? Wie malt Licht? Dann bewegen wir uns durch die Klassiker, von Niépce und der ältesten erhal­tenen Foto­grafie seines Hinter­hofs in Frank­reich (1826), gehen weiter zum ersten, foto­gra­fisch aufge­nom­mene Menschen von Daguerre (1838), zu Muybridges galop­pie­rendem Pferd (1878) und natürlich zum Zug, der in den Bahnhof einfährt (1895/96) von den Brüdern Lumière und der Grund­satz­de­batte darüber, wozu diese neue Technik gut ist: Soll man Fakten einfangen, das war die Position der Brüder Lumière (nennen wir sie die doku­men­ta­ri­sche Position) oder Fiktion erschaffen, die Position von Méliès, der die Krönung des briti­schen Königs Edward VII (1902) verfilmt hat, auf den sich der Titel des Films bezieht. Dazu Teil 2 des könig­li­chen Zitats: »Was für eine fantas­ti­sche Maschine die Kamera ist! Sie hat sogar einen Weg gefunden, jene Teile der Zeremonie zu filmen, die gar nicht statt­ge­funden haben.« An diesen beiden Polen hat sich auch nicht wirklich etwas geändert, das Dazwi­schen ist aber weiter und viel­fäl­tiger geworden.

Dann geht es richtig los: Bilder werden sehr bald schon zur Ware und Bild­rechte verkauft, sie werden Spektakel, Bluff, sie werden mani­pu­liert und genutzt, um zu mani­pu­lieren. Despoten tun das: Hitler, Putin, Trump. Alles wird hier neben­ein­ander und gleich gesetzt. Immer wieder bremst er ein wenig ab, geht kurz ein bisschen tiefer in einzelne Themen rein, wie z.B. in das Thema »Perspek­tiven«, am Beispiel eines toten Mädchens nach dem Erdbeben auf Haiti, IS-Kämpfern im Jemen, die an einem Propa­ganda-Video arbeiten oder Recrui­ting-Videos des IS, die sehr stark an Trailer von US-ameri­ka­ni­schen Action-Filmen erinnern. Die globale Ausbrei­tung von Hollywood und ihre Story­lines wird so am Rande ange­spro­chen, wie irgendwie fast alles. Da steht die Punkte-Vergabe beim Euro­vi­sion-Songcon­test neben Leni Riefen­stahl, die in den 90ern über die Ästhetik ihrer Nazi-Propa­ganda-Filme spricht, neben den Doku­men­ta­tionen, die die Befreiung der KZs nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, die versuchen eine Ästhetik der »Wahrheit« und »Glaub­wür­dig­keit« zu finden. Hier sind es lange Einstel­lungen, während Riefen­stahl mit Schnitt und Kame­ra­fahrten fiktio­na­li­siert. Das ist insgesamt eine wilde Tour, bei der man immer wieder bei Bildern stehen bleiben, noch tiefer in die Analyse gehen möchte, aber da ist der Film schon wieder einen Schritt weiter. Er tut also genau das, was im Netz passiert und man fragt sich, ob das schlau ist. Viel­leicht ist es das, weil er damit gerade dort sozia­li­sierte Menschen anspricht, viel­leicht ist es das aber auch nicht, weil er sich selber verrät.

Das Fernsehen und etwas später das Privat­fern­sehen kommen auf, es geht immer mehr um Ablenkung und Eska­pismus, Ted Turner (TV-Produzent und späterer Medien-Mogul) führt das sehr selbst­ge­fällig aus: Er will einen Ort schaffen, an dem die Menschen den Kopf frei für den Konsum haben, also das Gehirn sollte empfangs­be­reit für Werbung sein. Turner gründet etwas später CNN, einen Sender, in dem Nach­richten und Politik zum Spektakel werden.

Dann die soge­nannte digitale Revo­lu­tion, man sieht das Handy­video eines Kindes, das einen Diri­genten nachahmt. Auch das Netz besteht zum großen Teil aus halb­sei­denen Nach­ah­mungen und Remixen, parallel dazu aber auch aus dem merk­wür­digen Willen nach »zumindest ein bisschen« Einzig­ar­tig­keit. So herrscht das Regime des Neuen, aber eben auch nie das des »Ganz-Neuen«, das würde uns auch gar nicht in die Timeline gespült. Außerdem – und damit sind wir wieder beim Fame – gibt es eine merk­wür­dige Art des Startums, die z.B. darin besteht das eigene Leben zu streamen, was aber weniger kontrol­liert ist, als bei den Beckhams und auch ins Unglück führen kann. Im Netz wird Fame oft weniger an ein Werk als an die Person gebunden.
YouTube, Tiktok und andere produ­zieren Realität, und da das Netz zum großen Teil affekt­ge­steuert ist, es also unmit­tel­bare Gefühle auslöst, es ist cute, es ist sexy, es ist spek­ta­kulär, es ist blutig ... aber trotzdem ober­fläch­lich und harmlos erscheint, wird der Einfluss oder das cui bono oft schwer oder eben erst nach­hän­gend erkannt.
Es wäre inter­es­sant gewesen das »The winner takes it all«-Prinzip zu betrachten oder z.B. auch das Darknet, Kryp­towäh­rung oder die Macht der Big Five anzu­spre­chen, aber das tut der Film nicht – kann er auch nicht, er will ja an die 200 Jahre durch­rennen. And the King Said, What a Fantastic Machine will unter­halten und aufklären, wobei die Bildung ab und an hinten runter­fällt, weil der Bildersog einen hinein­zieht und viel­leicht Vertie­fung und Entschleu­ni­gung eine bessere Strategie gewesen wäre.

Durch die Chro­no­logie, die Zitate und das Archiv­ma­te­rial ist es, besonders zu Beginn, ein klas­si­sches Lernvideo und für die, die sich damit auskennen, z.B. Film­men­schen, viel­leicht nichts Neues. Später dann wird es immer unüber­sicht­li­cher und da kann es viel­leicht gerade für Film­men­schen, die sich nicht so im Netz bewegen, schwie­riger werden. Insgesamt hat man das Gefühl, dass man schon medi­en­theo­re­tisch gebildet sein muss, entweder durch Fakten oder durch ordent­lich viel Social Media-Konsum, um bestimmte Dinge zu verstehen oder auch Wider­sprüche zu erkennen. Schön ist, dass der Film das macht, was im Netz oft passiert: Er nutzt das Material anderer Leute und kombi­niert es neu, er arbeitet wie die Copy&Paste- und Remix-Kultur dort. Und ja, er macht Spaß und besorgt gleich­zeitig, und dieses Gefühl hat man bei einem längeren Aufent­halt im Netz auch.

Wie ist das aber nun mit dem Fame der Prot­ago­nist*innen von Doku­men­tar­filmen? Bekommen sie ihn? Da stellt sich die Frage: Was wollen wir denn eigent­lich sehen? Super­helden, wie The Avengers, die so gar nichts mit uns zu tun haben und Hollywood-Stars wie Meryl Streep? Oder den Jungen von Nebenan, der uns ähnlich ist, der sich nur sehr gut damit auskennt, seine Nägel zu designen und ein Schnitt­pro­gramm zu bedienen? Oder den Nach­bars­jungen, jenseits seiner Nägel, inmitten seines Lebens, einge­bettet in andere Menschen die mit ihm und seiner Komple­xität inter­agieren? Oder Menschen mit Talent, Fähig­keiten oder Wissen, denen ich gerne zuhöre, um etwas von ihnen zu lernen? Kann man drüber nach­denken und viel­leicht ist das bessere Wort, das ich statt Fame oder Ruhm nutzen würde, auch »Aner­ken­nung«.

Zum Schluss empfehle ich noch den Kurzfilm Ten Meter Tower (2016) der beiden Regis­seure, der mit einer so einfachen wie schönen Idee spielt: Er beob­achtet sehr verschie­dene Menschen dabei, wie sie von einem 10 Meter-Brett springen – oder viel­leicht auch nicht. Das ähnelt ein bisschen dem Anfang von And the King Said, What a Fantastic Machine, in dem sie die Menschen in eine Camera Obscura stecken. Das ist kein Fame, sondern etwas anderes, etwas uns selbst Befra­gendes.

P.S., weil ich es nicht lassen kann:
Zu den 90ern und zu den Anfängen des Internets und der soge­nannten Post-Moderne, mit all ihrem Spiel, ihrem Diebstahl, ihrem Anar­chismus, ihrem Auflösen der großen Erzäh­lungen, der Flexi­bi­lität, dem: Ich baue mir aus lauter frei-schwe­benden Klötzchen mein Leben zusammen. Die Gene­ra­tion »Praktikum«, die dabei, trotz aller ökono­mi­scher Probleme, frei floating war, sich in verschie­denen Stellen umsehen konnte, also dort arbeitete (und erst mit 35 begriff, dass das Ausbeu­tung war) und an Kunst­aka­de­mien hedo­nis­tisch ins Nirgendwo studiert hat (und erst mit 35 begriff, dass damit kein Auskommen zu machen ist), ist mit einer anderen Netz-Idee aufge­wachsen: Das Netz war kurios und frei und in erster Linie ein Abbild aller Möglich­keiten, wir dachten, es helfe dabei empa­thi­scher mit den Menschen umgehen zu können, weil wir dachten: durch reichlich Austausch, Kommu­ni­ka­tion und billige Ryanair-Flüge (sorry dafür), wüchsen wir zusammen und es entstände eine Art globale Soli­da­rität (ja, so wie die Pioniere des Whole Earth Catalogs). Ernüch­te­rung trat bei mir erst 10 Jahre später ein, als aus dem Ort der Möglich­keiten ein Ort der Abgren­zung, der Verstei­fung, der Unfle­xi­bi­lität und Radi­ka­li­sie­rung alther­ge­brachter oder ural­ther­ge­brachter Sicht­weisen wurde.