Was bringt die Zukunft? |
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Diese Blondine kann auch sprechen (Hi, AI) | ||
(Foto: Nonfiktionale | Isa Willinger) |
Von Dunja Bialas
Gerade ist eines der wenigen Festivals mit Weitblick für immer zu Ende gegangen. Ja, wir sprechen von der Chatrian-Berlinale, die man für die Ära seiner fünf Jahre genau so und nur so nennen sollte. Zukunftsweisend sind aber auch andere Festivals in Deutschland. Für den deutschen Dokumentarfilm maßgeblich ist zum Beispiel die Duisburger Filmwoche, die in den Jahrzehnten von Werner Ružička, der das Festival von 1985 bis 2018 geleitet hat, zum klügsten Dokumentarfilmfestival der Republik wurde. Mit intensiven Debatten über die gezeigten Filme – es gab und gibt immer nur eine Vorstellung pro Slot – hat Ružička dem Dokumentarfilm eine tiefe Ernsthaftigkeit verliehen. Die Gespräche nach der Vorstellungen waren unter seine Ära legendär – als kompromissloses Befragen der Filmemacher*innen. Das Festival ist auch heute noch ein Vorzeigefestival, wenn es darum geht, wie man sich sinnvollerweise mit Dokumentarfilm auseinandersetzen sollte und damit auch einfach nur das beste in der deutschen Dokumentarfilm-Festivallandschaft.
Sagen wir es so: Die Nonfiktionale ist die kleine Schwester aus dem schönen Bad Aibling, das sich viel vom großen Bruder abgeguckt hat. Tatsächlich stand bei der Gründung der bayerischen »Nonfiktionale« das Festival im Ruhrgebiet Pate. Filme und Debatten: das steht auch im Kino »Aibvision« auf dem Stundenplan. Und wie in Duisburg gibt es auch in der Kurstadt jeweils nur einen Film zu einem übergreifenden Thema zu sehen, den dann aber alle gesehen haben. Das ist wichtig für das Gespräch, auch am Abend, und für den Zusammenhalt des kleinen Festivals.
Für ihre 16. Ausgabe haben sich die Festivalleiterinnen Tamara Danicic und Melanie Liebheit (Regisseurin von She Chef) das Thema »Über:Morgen« gewählt. 17 Dokumentarfilme und ihre Autorinnen und Autoren, die fast alle für die Gespräche zum Festival angereist sind, blicken in die nicht mehr ganz so ferne Zukunft. Das Festival lässt zu, dass auch ältere Werke noch einmal unter dem speziellen Blick gewürdigt werden, eine schöne Geste der Festival-Nachhaltigkeit, wo es woanders immer nur um Premieren und den Run um die neuesten Werke geht.
Und es ist tatsächlich erhellend, mit der Vergangenheit in die Zukunft zu blicken. Der Münchner Regisseur Jens Schanze zum Beispiel hat schon 2010 mit Plug & Pray einen Film über Roboter gemacht – die heute real existieren und damals gerade entwickelt wurden. Im Zentrum des Films, mit dem die Nonfiktionale am heutigen Donnerstag eröffnet, steht der KI-Pionier Joseph Weizenbaum, der später als »Ketzer der Informatik« gebrandmarkt wurde. Als scharfer und kluger Kritiker hinterfragt er jedoch keineswegs die Technik an sich, sehr aber die Allmachtsvisionen, die die Menschen antreiben.
Neun Jahre später hat Isa Willinger mit Hi, Ai – Liebesgeschichten aus der Zukunft nachgespürt, wie es sich anfühlt, mit einer KI-Frau zu leben. Zumindest würden das die einsamen Herzen ihres Dokumentarfilms gerne machen. Sprachchips lassen die Humanoiden mit klassischen sekundären und tertiären Geschlechtsmerkmalen wie echte Gesprächspartner erscheinen. Man kann sogar das Unterhaltungs- oder Intelligenzlevel einstellen. Für manche, die sich in der Ehe nichts mehr zu sagen haben, wäre das doch in der Zukunft ein schönes Tool für den Partner…
Die Zukunft hat aber nicht nur Technik zu bieten. Sondern auch Dürre. Face the fact. Poetisch und in eindrucksvollen Bildmetaphern nähern sich die Filmemacher Mila Zhluktenko und Daniel Asadi Faezi dem ausgetrockneten Aralsee. Aralkum, der zur Wüste gewordene See, haben sie ihr vielfach ausgezeichnetes Kurzfilmessay genannt.
Wer in den letzten Tagen mit zunehmendem Unwohlsein Putins Tagesdrohungen zur Kenntnis genommen hat, der könnte bei Knut Kargers Für den Ernstfall wieder Sachlichkeit finden. Er blickt zurück auf das Ende des Kalten Kriegs, wir erinnern uns: Es war 1989, als der Rüstungswettlauf jäh beendet wurde. Eine ganze Infrastruktur wurde funktionslos, die Bunker und Schutzräume, die sich hinter den Kacheln von U-Bahn-Stationen verbargen. 2006, als Karger den Film drehte, war von der »Zeitenwende«, die wir heute erleiden, noch nichts zu ahnen. Ein Film, der nachdenklich stimmt – und skurrile Architekturen ans Tageslicht bringt. Wer weiß, was heute alles vor dem öffentlichen Auge verborgen wird.
In die Heimat geht es mit Hoamweh Lung des niederbayerischen Filmemachers Felix Kleh. Mit hybriden Techniken erinnert er sich in seinem Kurzfilm an seine Kindheit und vor allem an das von ihm überaus geliebte Pferd Sheila, das an Heustaub in der Lunge sterben musste. Der Film ist für Klee das Medium, die Zeit zu überwinden, die Erzählungen gesellen sich gewissermaßen dazu.
Der cinephile Ansatz, der den Film als denkende und gestaltete Form feiert, ist sicherlich allen Werken im Programm gemeinsam. Denn trotz aller thematischer Programm-Verankerung: Bei der Nonfiktionale geht es immer auch um die hohe Kunst des Dokumentarfilms. Themen sind – bei aller Ernsthaftigkeit und Schwere – in diesem Sinne auch nur Content, Füllungen. Zuerst muss die Form stimmen, was die ausgewählten Filme eindrucksvoll beweisen.
Aibvision Filmtheater
Bahnhofstr. 15
83043 Bad Aibling