07.03.2024

Was bringt die Zukunft?

Hi AI
Diese Blondine kann auch sprechen (Hi, AI)
(Foto: Nonfiktionale | Isa Willinger)

Die Nonfiktionale in Bad Aibling zeigt Dokumentarfilme mit Weitblick

Von Dunja Bialas

Gerade ist eines der wenigen Festivals mit Weitblick für immer zu Ende gegangen. Ja, wir sprechen von der Chatrian-Berlinale, die man für die Ära seiner fünf Jahre genau so und nur so nennen sollte. Zukunfts­wei­send sind aber auch andere Festivals in Deutsch­land. Für den deutschen Doku­men­tar­film maßgeb­lich ist zum Beispiel die Duis­burger Filmwoche, die in den Jahr­zehnten von Werner Ružička, der das Festival von 1985 bis 2018 geleitet hat, zum klügsten Doku­men­tar­film­fes­tival der Republik wurde. Mit inten­siven Debatten über die gezeigten Filme – es gab und gibt immer nur eine Vorstel­lung pro Slot – hat Ružička dem Doku­men­tar­film eine tiefe Ernst­haf­tig­keit verliehen. Die Gespräche nach der Vorstel­lungen waren unter seine Ära legendär – als kompro­miss­loses Befragen der Filme­ma­cher*innen. Das Festival ist auch heute noch ein Vorzei­ge­fes­tival, wenn es darum geht, wie man sich sinn­vol­ler­weise mit Doku­men­tar­film ausein­an­der­setzen sollte und damit auch einfach nur das beste in der deutschen Doku­men­tar­film-Festi­valland­schaft.

Sagen wir es so: Die Nonfik­tio­nale ist die kleine Schwester aus dem schönen Bad Aibling, das sich viel vom großen Bruder abgeguckt hat. Tatsäch­lich stand bei der Gründung der baye­ri­schen »Nonfik­tio­nale« das Festival im Ruhr­ge­biet Pate. Filme und Debatten: das steht auch im Kino »Aibvision« auf dem Stun­den­plan. Und wie in Duisburg gibt es auch in der Kurstadt jeweils nur einen Film zu einem über­grei­fenden Thema zu sehen, den dann aber alle gesehen haben. Das ist wichtig für das Gespräch, auch am Abend, und für den Zusam­men­halt des kleinen Festivals.

Für ihre 16. Ausgabe haben sich die Festi­val­lei­te­rinnen Tamara Danicic und Melanie Liebheit (Regis­seurin von She Chef) das Thema »Über:Morgen« gewählt. 17 Doku­men­tar­filme und ihre Auto­rinnen und Autoren, die fast alle für die Gespräche zum Festival angereist sind, blicken in die nicht mehr ganz so ferne Zukunft. Das Festival lässt zu, dass auch ältere Werke noch einmal unter dem spezi­ellen Blick gewürdigt werden, eine schöne Geste der Festival-Nach­hal­tig­keit, wo es woanders immer nur um Premieren und den Run um die neuesten Werke geht.

Und es ist tatsäch­lich erhellend, mit der Vergan­gen­heit in die Zukunft zu blicken. Der Münchner Regisseur Jens Schanze zum Beispiel hat schon 2010 mit Plug & Pray einen Film über Roboter gemacht – die heute real exis­tieren und damals gerade entwi­ckelt wurden. Im Zentrum des Films, mit dem die Nonfik­tio­nale am heutigen Donnerstag eröffnet, steht der KI-Pionier Joseph Weizen­baum, der später als »Ketzer der Infor­matik« gebrand­markt wurde. Als scharfer und kluger Kritiker hinter­fragt er jedoch keines­wegs die Technik an sich, sehr aber die Allmachts­vi­sionen, die die Menschen antreiben.

Neun Jahre später hat Isa Willinger mit Hi, Ai – Liebes­ge­schichten aus der Zukunft nach­ge­spürt, wie es sich anfühlt, mit einer KI-Frau zu leben. Zumindest würden das die einsamen Herzen ihres Doku­men­tar­films gerne machen. Sprach­chips lassen die Huma­no­iden mit klas­si­schen sekun­dären und tertiären Geschlechts­merk­malen wie echte Gesprächs­partner erscheinen. Man kann sogar das Unter­hal­tungs- oder Intel­li­genz­level einstellen. Für manche, die sich in der Ehe nichts mehr zu sagen haben, wäre das doch in der Zukunft ein schönes Tool für den Partner…

Die Zukunft hat aber nicht nur Technik zu bieten. Sondern auch Dürre. Face the fact. Poetisch und in eindrucks­vollen Bild­me­ta­phern nähern sich die Filme­ma­cher Mila Zhluk­tenko und Daniel Asadi Faezi dem ausge­trock­neten Aralsee. Aralkum, der zur Wüste gewordene See, haben sie ihr vielfach ausge­zeich­netes Kurz­film­essay genannt.

Wer in den letzten Tagen mit zuneh­mendem Unwohl­sein Putins Tages­dro­hungen zur Kenntnis genommen hat, der könnte bei Knut Kargers Für den Ernstfall wieder Sach­lich­keit finden. Er blickt zurück auf das Ende des Kalten Kriegs, wir erinnern uns: Es war 1989, als der Rüstungs­wett­lauf jäh beendet wurde. Eine ganze Infra­struktur wurde funk­ti­onslos, die Bunker und Schutz­räume, die sich hinter den Kacheln von U-Bahn-Stationen verbargen. 2006, als Karger den Film drehte, war von der »Zeiten­wende«, die wir heute erleiden, noch nichts zu ahnen. Ein Film, der nach­denk­lich stimmt – und skurrile Archi­tek­turen ans Tages­licht bringt. Wer weiß, was heute alles vor dem öffent­li­chen Auge verborgen wird.

In die Heimat geht es mit Hoamweh Lung des nieder­baye­ri­schen Filme­ma­chers Felix Kleh. Mit hybriden Techniken erinnert er sich in seinem Kurzfilm an seine Kindheit und vor allem an das von ihm überaus geliebte Pferd Sheila, das an Heustaub in der Lunge sterben musste. Der Film ist für Klee das Medium, die Zeit zu über­winden, die Erzäh­lungen gesellen sich gewis­ser­maßen dazu.

Der cinephile Ansatz, der den Film als denkende und gestal­tete Form feiert, ist sicher­lich allen Werken im Programm gemeinsam. Denn trotz aller thema­ti­scher Programm-Veran­ke­rung: Bei der Nonfik­tio­nale geht es immer auch um die hohe Kunst des Doku­men­tar­films. Themen sind – bei aller Ernst­haf­tig­keit und Schwere – in diesem Sinne auch nur Content, Füllungen. Zuerst muss die Form stimmen, was die ausge­wählten Filme eindrucks­voll beweisen.

16. Nonfik­tio­nale
7. bis 10. März 2024

Aibvision Film­theater
Bahn­hofstr. 15
83043 Bad Aibling